1.14 (lut2p): Nr. 184 Der Reichskanzler an General v. Pawelsz. Locarno, 12. Oktober 1925

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[725] Nr. 184
Der Reichskanzler an General v. Pawelsz. Locarno, 12. Oktober 1925

R 43 I /426 , Bl. 202-204 Abschrift der Telegrammentzifferung

[Entwaffnungsfrage]

Für General von Pawelsz.

Heute stattfand eine streng vertrauliche Besprechung zwischen mir, Dr. Stresemann, Chamberlain und Briand, in welcher in Verbindung mit der Frage der Räumung erster Rheinzone der Stand der Entwaffnungsfrage besprochen wurde1.

Herr Chamberlain mitteilte, er habe Telegramme von General Wauchope erhalten, die über den Fortgang der Verhandlungen Ihrer Kommission2 mit Interalliierter Militärkontrollkommission recht günstig berichteten. Er glaube, diesen Telegrammen entnehmen zu können, daß man im Begriff stehe, sich selbst über die noch ausstehenden Restpunkte zu einigen. Er nannte dabei die[726] Frage der Ausrüstung und die Frage der Polizei. Ob auch die Frage des Oberkommandos zur Regelung reif sei, könne er sich nicht erinnern.

Herr Briand hingegen betonte, daß er neuerdings keinerlei Berichte über einen bedeutenden Fortschritt der Verhandlungen erhalten habe. Er erinnere sich nur an die Berichte vom September, nach denen noch sehr viele Punkte geregelt werden müßten.

Chamberlain erklärte, er habe bereits an General W[auchope] um Informationen telegraphiert und werde ihm nochmals telegraphieren und ihn zur telegraphischen Berichterstattung über den Stand der Verhandlungen auffordern. Er will die Frage an ihn stellen, ob noch Fragen vorhanden seien, die nicht in Berlin geregelt werden könnten. Zugleich will er General W[auchope] anweisen, seinerseits die Verhandlungen möglichst zu beschleunigen mit dem Ziel, möglichst bald einen befriedigenden Abschluß der Verhandlungen herbeizuführen.

Ein ähnliches Telegramm will Briand seinem Vertreter3 schicken.

Ich versprach, ein gleiches Telegramm an Sie zu entsenden.

Da eine gewisse Hoffnung besteht, die Entwaffnungsfrage nötigenfalls durch Einwirkung auf die hiesigen Außenminister der alliierten Mächte zu regeln und damit die Bahn für die Räumung der Kölner Zone freizumachen, bitte ich Sie,

erstens, mir sofort über den augenblicklichen Stand der Verhandlungen telegraphisch zu berichten, insbesondere darüber, ob es zutrifft, daß Aussicht zu einer Einigung über die Frage der Ausrüstung und die Polizei besteht,

zweitens, die Verhandlungen, immer natürlich unter Wahrung unserer Interessen, Ihrerseits mit höchstem Nachdruck zu betreiben4.

Da hiesige Verhandlungen höchstwahrscheinlich nur noch wenige Tage dauern werden und Zeit bleiben muß, dringliche Punkte, über welche in Berlin keine Einigung erzielt werden kann, hier noch zu bereinigen, muß bis übermorgen, Mittwoch, Klarheit darüber geschaffen werden, welches diese Punkte sind.

Zu Ihrer gefälligen Information bemerke ich, daß mit der Gegenseite fest vereinbart worden ist, über Inhalt der heutigen Besprechung nicht das geringste in die Öffentlichkeit kommen zu lassen.

Luther

Fußnoten

1

Über diese Besprechung, die lt. Kempners Locarno-Tagebuch (s. Anm. 2 zu Dok. Nr. 172) am Nachmittag des 12. 10. um 16 Uhr im großen Salon Chamberlains abgehalten wurde, heißt es in einer nicht signierten, ganz offensichtlich von StS v. Schubert angefertigten Aufzeichnung gleichen Datums: Stresemann habe eingangs die Notwendigkeit der Räumung der Kölner Zone betont und erklärt, daß fast alle Forderungen der all. Entwaffnungsnote vom 4.6.25 (s. Dok. Nr. 96, dort bes. Anm. 1) erfüllt seien. „Ferner legte der Minister dar, daß bedeutende Erleichterungen im Rheinland-Regime eintreten müssen. Er führte aus, wie groß die Wohnungsnot im besetzten Gebiet sei und daß schon aus diesem Grunde die alliierten Truppen bedeutend vermindert und auch auf bestimmte Garnisonsorte beschränkt werden müßten.“ Auch müßten der stark angeschwollene Delegierten-Apparat der Rheinlandkommission erheblich verringert und das System der Ordonnanzen einer gründlichen Revision unterzogen werden. Außerdem erwarte Dtld. eine bedeutende Abkürzung der Besetzungsfristen für die zweite und dritte rheinische Zone sowie für das Saargebiet, „da nach Abschluß des Sicherheitspaktes und der Londoner Abmachungen kein Grund mehr für eine derartige Okkupation vorhanden sei“. Einer grundlegenden Änderung bedürften schließlich das Investigationsprotokoll vom 27.9.24 (s. Anm. 6–8 zu Dok. Nr. 170), dessen Art. V außer Kraft gesetzt werden müsse, und die „schädlichen und hemmenden Begriffsbestimmungen“ in der Luftfahrt, die in der letzten all. Luftfahrtnote (24.6.25, s. Anm. 18 zu Dok. Nr. 170) ausdrücklich bestätigt worden seien. „Er betonte, daß die Luftfahrt dazu bestimmt sei, in der nächsten Zeit einen ungeheuren Aufschwung zu nehmen und ein Bindeglied zwischen den Völkern zu werden.“ Daraufhin habe Briand erwidert: „Stresemann habe ja eine recht große Liste vorgetragen, und zwar mit einem Mut, der an Tollkühnheit grenze.“ Alle diese Dinge würden einmal geregelt und es sei fest damit zu rechnen, „daß nach dem Abschluß des Sicherheitspakts eine allgemeine Detente Platz greifen werde. Er glaube aber nicht, daß man in dieser Beziehung in Locarno und gleich jetzt etwas machen könne.“ Schließlich hätten Briand und Chamberlain versichert, nach ihrer Rückkehr dafür eintreten zu wollen, daß die all. Truppen in der zweiten und dritten Zone nach Räumung der Kölner Zone nicht vermehrt und daß Vorkehrungen für umfassende Erleichterungen im bes. Gebiet alsbald getroffen würden. Auch sei vereinbart worden, im Schlußprotokoll durch eine allgemein gefaßte Formulierung auf die Rückwirkungen des Sicherheitspakts für das bes. Gebiet besonders hinzuweisen (Pol. Arch. des AA, Büro StS, FS Konferenz in Locarno, Bd. 15 app. 7 a).

2

Es handelt sich um die Entwaffnungskommission unter General v. Pawelsz, die gemäß Kabinettsbeschluß vom 26. 6. gebildet worden war. S. Dok. Nr. 112, P. 4, dort bes. Anm. 4.

3

General Walch.

4

Über Verlauf und Stand der Entwaffnungsverhandlungen mit der IMKK telegrafiert v. Pawelsz am 13. 10. an den RK: Er habe den Eindruck, daß General Walch „durch spärliche Beantwortung unserer Noten und durch wenig entgegenkommendes Verhalten des Major Durand [Polizeisachverständiger der IMKK] in Unterkommissionsverhandlungen Erledigung der Entwaffnungsfrage zu verzögern bestrebt ist“. Zur Zeit hätten folgende Punkte der all. Entwaffnungsnote vom 4.6.25 (s. Dok. Nr. 96, dort bes. Anm. 1) keinerlei Aussicht, durch Verhandlungen in Berlin erledigt zu werden: 1) Kasernierung und Ausbildung der Polizei, 2) Oberkommando, 3) Ausbildung an verbotenen Waffen (vgl. Dok. Nr. 166, dort bes. Anm. 7), 4) Geschützarmierung Königsberg (vgl. Anm. 9 zu Dok. Nr. 166), 5) halbmilitärische Verbände. Weitere diesbez. Verhandlungen zwischen ihm und General Wauchope sowie Bemühungen des Vortr. LegR Nord in der Polizeifrage stünden allerdings unmittelbar bevor (R 43 I /442 , Bl. 136 f.). Zum Ergebnis dieser Verhandlungen s. Dok. Nr. 191, dort auch Anm. 4.

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