Text
Nr. 194
Aufzeichnung des Reichskanzlers über eine Unterredung mit dem französischen Außenminister in Locarno am 15. Oktober 19251
[Rheinlandregime]
Nach Schluß der heutigen Vollsitzung trat Herr Briand an mich heran, während ich mit Herrn Hesnard an einem Fenster des Konferenzsaales stand, und sagte mir zum Teil noch in Gegenwart des Herrn Hesnard etwa folgendes:
Er wolle in Sachen des Rheinlandregimes mir nicht nur Worte geben2, sondern besseres, nämlich Taten. Er würde es für eine Handlung halten, die malhonnête sei, wenn nach Herbeiführung der Regelung in Locarno nicht alsbald[753] eine wesentliche Änderung im Besatzungsregime einträte. Er beabsichtige, sofort Herrn Guillaumat und Herrn Tirard nach Paris kommen zu lassen, um mit den Herren alles Erforderliche zu verabreden. Ich erkannte den großen Wert dieser Erklärung mir gegenüber mit Nachdruck an, kam aber darauf zurück, ob nicht im Schlußprotokoll oder sonstwie eine klare schriftliche Erklärung aufgenommen werden könnte. Ich konnte dies umsomehr tun, als Herr Briand bei seinen ersten Worten in Ergänzung seiner früheren Erklärung, daß er sein Mandat nicht überschreiten könne3, gesagt hatte, gewiß sei er an sein Mandat gebunden, aber solch ein Mandat sei ja auslegungsfähig. Briand ging aber auch bei diesem Gespräch auf den Gedanken einer schriftlichen Festlegung nicht zustimmend ein, erklärte aber mit starkem Nachdruck, wenn seine Auffassung von der Notwendigkeit einer Anpassung des Rheinlandregimes an die neuen Verhältnisse nicht durchdränge, dann würde er das für ein solches Abweichen von dem richtigen Wege halten, daß er seine Demission geben werde.
Luther