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Nr. 394
Vermerk des Staatssekretärs Pünder über die Haltung der Reichsbank und die Zusammensetzung der deutschen Delegation. 17. Juli 1931
R 43 I/2371, S. 453–457 Durchschrift1
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Das Original dieser Aufzeichnung befindet sich im Nachl. Pünder Nr. 88, Bl. 205–206.
Von den noch vor der Abreise zu erörternden wichtigen Punkten machen mir zwei besondere Sorgen:
1. Ohne irgend einen Vorwurf gegen die Reichsbank damit zu erheben2,[1380] steht doch fest, daß durch die Reisen des Reichsbankpräsidenten Luther nach London und Paris und durch die unter seiner Beteiligung stattgehabte Sitzung der BIZ in Basel der Erörterungsgegenstand vollkommen aus dem Niveau der Notenbanken in das der hohen Politik geschoben worden ist3. Das Ziel dieser politischen Aktion, vom innerdeutschen Gesichtspunkt aus betrachtet, geht nun aber dahin, die deutsche Reichsbank wieder aktionsfähig zu machen. Um dieses Ziel zu erreichen, ist aber dringendste Voraussetzung, daß nun auch die Reichsbank ihrerseits die deutsche Delegation in Paris und London zu leidlich ruhiger Verhandlung in Stand setzt. Dies wäre aber nicht möglich, wenn während der Verhandlungen der deutschen Delegation im Ausland ungünstige Nachrichten aus Deutschland über Zusammenbrüche in der Wirtschaft und in der Bankwelt einlaufen sollten. Deshalb ist unter allen Umständen vor der Abreise der Delegation eine feierliche Erklärung des Reichsbankpräsidenten nötig, dahingehend, daß die Reichsbank unter Einsetzung ihrer letzten Kräfte während der Dauer der außenpolitischen Verhandlungen weitere Zusammenbrüche verhindert. Selbst wenn die Reichsbank damit vielleicht für 10 oder 14 Tage zusätzliche Kräfte opfert, ist dieses Opfer auch von ihrem Standpunkt durchaus tragbar, da, wie oben gesagt, das letzte Ziel der ganzen politischen Aktion die Wiederherstellung der Aktionsfähigkeit der Reichsbank ist.
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In dieser Bemerkung spiegelt sich offenbar die in der Öffentlichkeit lautgewordene Kritik an RbkPräs. Luther wider: Der DVP-Vorsitzende Dingeldey hatte in einem persönlichen und vertraulichen Schreiben an den RK vom 15.7.31 vorgeschlagen, dem ehem. RbkPräs. Schacht einen Wirkungskreis zu sichern, in dem der entscheidende Einfluß seines Rates garantiert sei. „Ich brauche Ihnen […] nicht zu sagen, daß – ob mit Recht oder Unrecht, ist leider im Augenblick gleichgültig – in den Kreisen der gesamten Wirtschaft eine starke Vertrauenskrise gegenüber der Führung der Reichsbankpolitik besteht.“ Wenn nichts geschehe, könne die Flut des Mißtrauens nicht überwunden werden. „In dem Augenblick aber, wo Herr SchachtSchacht, der gerade in Fragen der Währung und des Geldwesens in den breitesten Schichten des Volkes, in Wirtschaftskreisen des In- und Auslandes und in allen Bankkreisen als unübertroffene Autorität angesehen wird, sich in einem offiziellen Wirkungskreis an Ihre Seite stellt, ist dieses Mißtrauen leichter zu überwinden. Ich weiß, daß ich mit diesem Gedanken mich durchaus begegne mit Gedanken, die Sie gleichzeitig erwägen. Die Absicht dieses Briefes aber ist, darauf hinzuweisen, daß wir aus den Erwägungen unbedingt zur Tat kommen müssen, und zwar so schnell als möglich. Die Nachrichten aus dem In- und Auslande sind so bedrohlich, daß nichts unversucht bleiben darf, um Herrn Schacht, der dazu grundsätzlich bereit ist, zu gewinnen. Ich darf nicht verschweigen, daß im anderen Falle eine sehr gefährliche Entwicklung mir fast unvermeidbar erscheint“ (R 43 I/2372, S. 509–510). Der Vorstand des Aktionsausschusses für Industrie und Handel bei der Landesleitung der Wirtschaftspartei in Sachsen hatte am 15. 7. in einem Telegramm an den RPräs. eine Umbildung der RReg. und die Ablösung des RbkPräs. gefordert (Abschrift in R 43 I/1308, S. 681). Die DAZ Nr. 317–318 vom 16.7.31 hatte das Gerücht kolportiert, RbkPräs. Luther habe seinen Rücktritt erklärt und Schacht sei zu seinem Nachfolger ausersehen worden. Weitere Pressemitteilungen über den angeblichen Rücktritt des RbkPräs. im Nachl. Luther Nr. 336. Zur Haltung Schachts vgl. Brüning, Memoiren, S. 319 und Pünder, Politik in der Reichskanzlei, S. 165–166.
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Vgl. das Kommuniqué der BIZ vom 13.7.31, Dok. Nr. 382, Anm. 1.
Alle mit diesen Fragen beteiligten Stellen (Finanzministerium, Wirtschaftsministerium, Preußisches Handelsministerium u. a.) werden den Verdacht nicht los, daß diese Gesichtspunkte bei der Reichsbank (vielleicht nicht beim Präsidium, wohl aber im Direktorium) nicht mit ganzer Klarheit erkannt werden. Es wäre absolut möglich, die Länder und Kommunen, die Girozentrale, die Landesbanken und die Sparkassen während der Dauer der Konferenz liquide zu erhalten, wenn die Reichsbank in der Frage der Lombardierung etwas weichere Hand zeigen würde. Gerade in dieser entscheidenden Frage der Lombardierung ist aber bis zur Stunde der Widerstand der ausführenden Stellen des Reichsbank-Direktoriums noch nicht überwunden. Meines Erachtens müßte daher der Herr Reichskanzler vor der Abreise einen letzten Appell an Herrn Reichsbankpräsidenten Dr. Luther richten, dem dieser zustimmen müßte4.
[1381] 2. Meine zweite Sorge bezieht sich auf die Frage des mitzunehmenden Bankiers als finanzpolitischen Sachverständigen der Delegation. Ich kenne Herrn Dr. Weigelt von der Deutschen Bank sehr gut, und er ist zweifellos ein sehr angesehener und tüchtiger Bankier. Das hindert mich aber nicht, mein Urteil dahin abzugeben, daß er für den vorliegenden Zweck völlig ungeeignet ist. Ein vor allen anderen für diese Aufgabe geeigneter Bankier ist Herr Dr. Melchior. Die Gründe, die gegen ihn sprechen könnten, kenne ich ganz genau. Trotzdem fühle ich mich mit meinem Gewissen verpflichtet zu sagen, daß auf Grund meiner nun doch schon sehr langen Erfahrungen, gerade auch auf internationalen Konferenzen, Herr Dr. Melchior geradezu unersetzlich ist. Er verfügt infolge der jahrhundertealten Beziehungen des Bankhauses Warburg und auf Grund seiner vielen guten persönlichen Eigenschaften über Beziehungen wie kein anderer und ist zu jeder Stunde und Minute, Tag und Nacht, immer bereit, seine Person und sein Arbeiten restlos bis zur Erschöpfung in den Dienst der deutschen Delegation zu stellen. Ich würde es geradezu für ein Unglück halten, wenn man eine solche Kraft brachliegen lassen wollte5.
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Laut Vermerk Pünders stimmte der RK dem Vorschlag zu, Melchior als Sachverständigen mit nach London zu nehmen (R 43 I/2371, S. 457).
Pünder