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Nicht "jeder stirbt für sich allein"

Justizakten zu hunderttausenden Personen aus der Zeit des Deutschen Reichs bis 1945 datenbankgestützt erfasst.

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Intensive Nutzung von Prozessakten

Reger Nachfrage bei zahlreichen Benutzerinnen und Benutzern des Bundesarchivs, seien es Wissenschaftler, Genealogen oder Publizisten, erfreuen sich die Prozessakten aus dem Deutschen Reich, vor allem jene aus nationalsozialistischer Zeit.

Nicht nur Otto und Elise Hampel, die Hans Fallada in einem Roman verewigt hat, oder die Mitglieder der "Weißen Rose" und der "Roten Kapelle" sind für sie interessant. Das gesamte Spektrum an politischem Widerstand gegen das NS-Regime bildet sich in den Akten ab. Dort geht es um gravierende Vorwürfe: Hoch- und Landesverrat, Heimtücke oder "Rassenschande".

Deckblatt zu einer Akte aus dem Strafverfahren gegen Otto und Elise Hampel
Deckblatt zu einer Akte aus dem Strafverfahren gegen Otto und Elise HampelQuelle: BArch, R 3017/34054

Bestände Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof und Reichsjustizministerium

Mehrjährige Arbeiten an den Schriftgutbeständen R 3017 (Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof) und R 3001 (Reichsjustizministerium) konnten in den Jahren 2017-2018 abgeschlossen werden. Der Zugang zu dieser Überlieferung wurde wesentlich erleichtert: Die Akten mit insgesamt 142.297 Verzeichnungseinheiten (VE) zu R 3001 und 61.016 VE zu R 3017 können nun datenbankgestützt recherchiert werden.

Teile der Erschließungsdaten waren vorab durch externe Dienstleister aus den alten Papierfindbüchern retrokonvertiert, d.h. in ein elektronisches Format umgewandelt und in die Datenbank BASYS des Bundesarchivs eingebracht worden. Andere Daten mussten aus separaten Datenbanken nach BASYS migriert werden.

Ursprünglich aus dem Volksgerichtshof oder dem Reichsjustizministerium stammende Akten waren nach dem Zweiten Weltkrieg in die Sammlungen "Berlin Document Center" und "NS-Archiv des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR" geraten. Sie mussten mit Akten der in der Zeit vor 1990 gebildeten Bundesarchivbestände und jenen aus dem Zentralen Staatsarchiv der DDR und dem Zentralen Parteiarchiv der SED vereint werden.

Prozessakten

Das Einmappen und Umsignieren von ca. 90.000 Archivalieneinheiten (AE) besorgte eine Arbeitsgruppe von Facharchivaren. Erschlossen wurden anschließend zu den Prozessakten personenbezogene Daten aller Angeklagten, Verfahrensgegenstände, Gerichte, Urteile und Strafmaße, Aktenzeichen und Altsignaturen. Etwa 150.000 Karten aus einer Namenskartei zu den Geschäftsstellen des Reichsjustizministeriums wurden dabei mit der Datenbank abgeglichen und ca. 60.000 Datensätze ergänzt und korrigiert.

Alte Verzeichnungsdaten mussten den aktuellen Erschließungsrichtlinien des Bundesarchivs angepasst werden. Daten zu einem Teil der Personalakten (ca. 650 AE) und den Abwesenheitspflegschaften (ca. 1.000 VE) in R 3001 wurden händisch retrokonvertiert, also von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Archivs in die Datenbank eingegeben.

Sachakten

Die Daten zu 607 Generalakten des Bestands R 3017 wurden nach der Vorlage des Altfindbuchs in die Datenbank eingegeben. Die Überarbeitung der 17.450 Sachakten des Reichsjustizministeriums (R 3001) hingegen erfolgte anhand der durch externe Dienstleister retrokonvertierten Daten. Die Daten stammen aus Findbüchern zu zwei Überlieferungsschichten. Die eine Schicht war nach dem Zweiten Weltkrieg ins Bundesarchiv, die andere ins Zentrale Staatsarchiv der DDR gelangt.

Bei der Überarbeitung waren vor allem eine Anpassung der Daten an die aktuellen Erschließungsrichtlinien des Bundesarchivs, die Neu- und Umbildung von Aktenserien sowie punktuelle Bestandsrevisionen erforderlich.

Inhaltlich decken die Sachakten folgende Themenbereiche ab: Personal, Haushalt und Organisation, Verfassungs-, Verwaltung-, Zivil- und Strafrecht, Strafvollzug, Polizei, "Mordregister", Finanzwesen, Kultur, Wohlfahrtspflege, Wehrmacht, auswärtige Angelegenheiten, Elsass-Lothringen, Behörden, Beamten-, Berg-, Boden-, Gewerbe-, Kirchen-, Konkurs-, Personenstands-, Presse- und Privatrecht, Rechtspflege, Reichsämter, Reichsgericht, Reichspatentamt, Spezial-, Staatsbürger-, Staats-, Urheber-, Vereins-, öffentliches, Völker-, Jugend-, bürgerliches, bäuerliches, Handels-, Verkehrs- und Wirtschaftsrecht sowie Rechtspflege.

Nationalsozialistische Justiz

Seit 2017 in Bearbeitung befindet sich der Sammlungsbestand R 3018 (Nationalsozialistische Justiz, kurz NJ). Die Prozessakten werden von Facharchivaren eingemappt, umsigniert und nacherschlossen. Bisher konnten ca. 3.800 AE bearbeitet werden. Als Findmittel für den noch unbearbeiteten Teil des Bestands (ca. 13.500 AE) dient eine Kartei.

DFG-Sonderprojekt "Reichsgericht"

Derzeit ebenfalls in Bearbeitung befindet sich der zentrale Bestand R 3002 (Reichsgericht). Die Verzeichnungsdaten der Findbücher zu den General-, Personal- und Bauakten wurden von Fremdfirmen retrokonvertiert. Seit 2015 werden im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts die Verfahrensakten anhand der handschriftlichen Prozesslisten der Zivilsenate aus dem Zeitraum 1890-1945 bearbeitet.

Bisher wurden ca. 12.500 Akten des I. bis IV. Zivilsenats aus dem Zeitraum 1878-1939 erfasst. Alle Akten wurden umsigniert und einzeln eingesehen, damit sowohl der Bestand revidiert als auch die paläographisch anspruchsvollen Findinformationen aus den Listen in die Datenbank des Bundesarchivs übertragen, korrigiert, ergänzt und online gestellt werden konnten. Ab diesem Jahr wird die weitere Erschließung von einem externen Dienstleister durchgeführt.

Schriftgut des nachgeordneten Bereichs

Die Bestände des Reichsjustizministeriums und der zentralen Gerichte sind äußerst umfangreich. Dennoch ist für die meisten Forschungsvorhaben ergänzend das Schriftgut von Dienststellen des nachgeordneten Bereichs der Justizverwaltung heranzuziehen:

  • R 131 (Reichspatentamt); die Bearbeitung wurde 2016 abgeschlossen (ca. 4.700 AE). Neben den Patentanmeldungen, General- und Vergeltungsakten sind kürzlich weitere Personalakten aufgefunden worden, die aktuell nacherfasst werden;
  • R 3012 (Reichsjustizprüfungsamt) ergänzt die Personalakten des Reichsjustizministeriums (ca. 500 AE mit etwa 5.750 Namenserfassungen).

Für diverse Bestände wurden analoge Findbücher und -Karteien retrokonvertiert und die Verzeichnungsdaten in BASYS eingebracht:

  • R 27 (Prisengerichte)
  • R 66 (Reichsrechtsanwaltskammer)
  • R 122 (Reichsverwaltungsgericht)
  • R 3003 (Oberreichsanwalt beim Reichsgericht)
  • R 3005 (Ehrengerichtshof für die deutschen Rechtsanwälte)
  • R 3008 (Reichsschiedsgericht)
  • NS 16 (Reichsrechtsamt/NS-Rechtswahrerbund)
  • NS 36 (Oberstes Parteigericht der NSDAP).

Eine Bestandsrevision und Anpassung der Verzeichnungsdaten an die aktuellen Erschließungsrichtlinien konnte in Ermangelung personeller Ressourcen in diesen Fällen nicht geleistet werden. Nicht zu unterschätzen ist allerdings der Zeitaufwand, der allein zur Vorbereitung von Retrokonversionsmaßnahmen aufzubringen ist, vor allem bei der Ausarbeitung von Erfassungsanweisungen.

Zu einzelnen Beständen erledigten Fachkräfte des Archivs die Retrokonversion händisch, darunter die Eingabe der Findbuchdaten zu:

  • R 3004 (Reichsschiedsgerichte zur Entscheidung von Streitigkeiten zwischen den Bundesstaaten) mit 38 VE
  • R 3011 (Reichsehrengerichtshof) mit 14 VE
  • R 3016 (Volksgerichtshof) mit 904 VE.

Die Bestände R 137 I-V (Justizbehörden außerhalb des Gebietes der BRD) wurden größtenteils von Fremdfirmen retrokonvertiert und zumindest R 137 II (1.031 VE) sowie die Akten der Deutschen Staatsanwaltschaft Lublin in R 137 I (ca. 333 VE) von Archivaren überarbeitet. Selbiges gilt für die Daten zu R 3009 (Staatsgerichtshof zum Schutz der Republik) mit 623 VE.

Neben der Überlieferung staatlicher Stellen sind ausdrücklich die diktaturspezifischen Einrichtungen der Partei interessant für die Benutzer/innen des Archivs: Der Bestand NS 7 (SS- und Polizeigerichtsbarkeit) mit 2.763 AE wurde 2013 mit einem Online-Findbuch abgeschlossen.

Beteiligte

Die Bearbeitung der Großbestände R 3001, R 3017 und R 3018 besorgte eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Andreas Grunwald, an der in wechselnder Besetzung teilnahmen:

Wilfried Bartnick, Ilona Denner, Karl-Heinz Eggert, Heinz Fehlauer, Manuel Fix, Fabian Forst, Anne Clarissa Haupt, Arno Hoffmann, Rainer Jungnickel, Joachim Langhans, Stefan Langheinrich, Adrian Linke, Robert Luther, Ines Matschke, Jana Mornhinweg, Andreas Oehlert, Cesrin Schmidt, Silvia Schmidt, Kristina Schmuhl, Matthias Söhring, Matti Spieler und Susann Sponholz. Heike Zemella gab Daten zu Personalakten und Abwesenheitspflegschaften in BASYS ein.

Zahlreiche Auszubildende und Praktikanten beteiligten sich als Helfer: Sophie Kristin Bachmann, Marcel Basner, Stephanie Berlin, André Bochynski, Nadine Büttner, Jasmin Czech, Mandy Dittrich, Ralf Engel, Maxi Götsch, Leonhard Golz, Marleen Hartermann, Sophia Hass, Dana Heinemann, Marie Herold, Patricia Höfflin, Matthias Jokel, Anja Klimaczewski, Michael Köllner, Sarah Liebscher, Anna Lüders, Marie Martin, Eric Noske, Lydia Otte, Holger Pahl, Eric Prokesch, Marcel Ragoß, Johannes Reuscher, Reno Sandke, Konrad Schellbach, Lisa-Marie Schumacher, Josepha Schwerma, Wolfgang Seitz, Marc Semrau, Nicole Slachciak, Simone Tamas, Patricia Wandelt, Sabrina Wilke, Justus Wörmann und Lilly Wollin.

Die Generalakten des Bestands R 3017 bearbeitete Silvia Schmidt. Die Überarbeitung der retrokonvertierten Sachakten des Bestands R 3001 besorgten Anne Clarissa Haupt, Ulrike Just, Anna Lüders, Susann Sponholz, Adrian Linke und Kristina Schmuhl unter der Anleitung von Sabine Dumschat.

Die Arbeiten an R 3002 erledigten zunächst Juliane Voss, Kristina Schmuhl und Marleen Hartermann unter fachlicher Anleitung von Andreas Grunwald. Die weitere Erfassung durch eine externe Firma wird Marleen Hartermann fachlich begleiten.

Die Redaktion von Online-Findbücher besorgte Sabine Dumschat zu den Beständen:

- R 131 (Reichspatentamt), der von Karl-Heinz Eggert, Monika Hessel, Matti Spieler und Sabine Dumschat bearbeitet wurde;
- R 3012, den Jeffrey Böhm, Manuel Fix, Fabian Forst, Cornelia Giese, Anna Clarissa Haupt, Dana Heinemann, Hubertus Holschbach, Elisabeth Nicpon und Marcel Ragoß erschlossen;
- NS 7, den Anna Lüders, Christopher Theel, Stefan Langheinrich, Ralf Engel und Sabine Dumschat verzeichneten. Hierbei konnten die Archivarinnen und Archivare in hohem Maße von der Expertise des auf SS-Gerichtsbarkeit spezialisierten Historikers Christopher Theel profitieren. Für ca. 2.000 VE der Vollstreckungs- und Gnadenkartei erfasste Sandra Ost die Geburtsdaten der registrierten Personen.

Die Verzeichnungsdaten aus den Online-Findbüchern sind heute vollständig in der Datenbank BASYS und somit großenteils mit dem Suchsystem Invenio online recherchierbar.

Selbiges gilt für

- die von Heike Zemella eingegebenen Daten zu R 3004 und R 3011,
- die von Silvia Schmidt erfassten Verzeichnungen zu R 3016,
- die unter Anleitung von Sabine Gresens durch Ricardo Riecke überarbeiteten Daten zu R 137 II,
- die von Franziska Moll unter Anleitung von Andreas Grunwald und Sabine Dumschat verzeichneten Daten zu R 137 I,
- die von Matti Spieler eingegeben und durch Wolfgang Seitz überarbeiteten Daten zu R 3009 sowie
- die Daten aus der Nachverzeichnung mehrerer tausend später noch hinzugekommener Akten, die Sabine Dumschat, Andreas Grunwald, Heinz Fehlauer, Fabian Forst und Manuel Fix zu fast allen Beständen des Überlieferungsbereichs "Justiz" ergänzt haben.