Ein vorauszuschickender Hinweis
Von der ehemaligen deutschen Luftwaffe sind nur unbedeutende Aktensplitter einzelner Dienst- und Kommandostellen sowie Verbände und Einheiten erhalten geblieben. Die Masse des seinerzeit entstandenen Schriftgutes wurde vernichtet. Aus diesen Gründen lassen sich Sachverhalte häufig nicht mehr aus unseren Quellen klären.
Dies bedeutet, dass es im konkreten Fall sehr häufig vorkommen wird, dass die im Folgenden erklärten Wege der Recherche früher oder später in einer Sackgasse enden, da von einer ermittelten Organisationseinheit keine oder nur sehr wenige Unterlagen die Kriegsereignisse überdauert haben.
Nähere Informationen zur Überlieferungssituation bei den Unterlagen der ehemaligen deutschen Wehrmacht und Waffen-SS finden Sie hier auf der Homepage des Bundesarchivs.
Welche Angaben müssen mir bekannt sein, um die Dokumente nutzen zu können?
Sie müssen die genaue Bezeichnung des Verbandes kennen, auf den sich Ihre Frage bezieht. Ohne diese Information ist eine Recherche zwar möglich, aber sehr aufwändig.
Aufbau und Organisation der fliegenden Verbände der Luftwaffe
Die fliegenden Verbände der Luftwaffe waren die Träger des Kampfes aus und in der Luft im Zweiten Weltkrieg.
Die Luftwaffe war wie alle militärischen Organisationen hierarchisch gegliedert. Es gab mehrere Ebenen, jeder Ebene unterstanden mehrere Stellen der jeweiligen darunter liegenden Ebene. Diese Ebenen kommunizierten intensiv miteinander, Befehle wurden von oben nach unten erteilt, Berichte von unten nach oben erstattet. Erfolgte diese Kommunikation schriftlich, besteht die Möglichkeit, dass sie in den Beständen des Bundesarchivs zu finden ist.
Aus diesem Grund können Informationen, die einen bestimmten Bereich betreffen, immer auch auf der jeweils nächsthöheren Ebene der Befehlshierarchie gesucht werden. Dies kann auch dann hilfreich sein, wenn von der gesuchten Stelle keine Unterlagen mehr vorhanden sind. In diesem Fall kann die nächsthöhere Ebene in die Suche mit einbezogen werden.
Die unterste Ebene bildete grundsätzlich der fliegende Verband, meist ein Geschwader, oft aber auch nur eine einzelne Staffel (Ebene 1).
Mehrere Geschwader unterstanden einem Fliegerführer (Ebene 2)
Diese wiederum wurden geführt von einer Division (Ebene 3)
Diese unterstand dem Generalkommando eines Korps (Ebene 4).
Diese Hierarchiekette war nicht immer vollständig ausgebildet, d.h. es konnte auch vorkommen, dass z.B. ein Fliegerführer direkt einem Korps unterstand usw. Generell gab es von dieser als idealtypisch anzusehenden Organisation im Einzelfall sehr viele Ausnahmen.
An der Spitze der Hierarchie standen die Luftflotten und die Luftwaffenkommandos (Ebene 5), die alle Luftwaffenkräfte in einem örtlich begrenzten Bereich führten.
Ein Geschwader bestand in der Regel aus drei Gruppen, die mit römischen Ziffern bezeichnet wurden.
Eine Gruppe bestand aus drei Staffeln und einer Führungskette. Die Staffeln wurden mit arabischen Ziffern nummeriert.
Eine Staffel bestand in der Regel aus zwölf Flugzeugen und gliederte sich in drei Schwärme mit je vier Flugzeugen (bei Jagdverbänden) oder in vier Ketten mit je drei Flugzeugen (Kampffliegerverbände).
Darüber hinaus gab es noch die Rotte, die aus zwei Flugzeugen bestand.
Ein idealtypisches Geschwader war also folgendermaßen aufgebaut:
I. Gruppe mit 1.-3. Staffel
II. Gruppe mit 4.-6. Staffel
III. Gruppe mit 7.-9. Staffel
Wenn in den Quellen z.B. der Begriff „II./JG 1“ auftaucht, meint dies die II. Gruppe des Jagdeschwaders 1, „5./KG 3“ meint die 5. Staffel des Kampfgeschwaders 3.
Geschwader wurden oft nicht geschlossen eingesetzt. Die einzelnen Gruppen konnten relativ unabhängig voneinander operieren. Es konnte also vorkommen, dass verschiedene Gruppen eines Geschwaders sich an verschiedenen Kriegsschauplätzen befanden. Dies ist vor allem bei ortsbezogenen Recherchen sehr wichtig.
Die fliegenden Verbände der Luftwaffe waren hochspezialisiert – dementsprechend groß war die Zahl der verschiedenen Verbandstypen. Folgende Typen gab es während des Zweiten Weltkrieges:
- Aufklärungsverbände
- Jagdverbände
übernahmen die Verteidigung des Luftraums über dem Heimatgebiet sowie über dem von eigenen Truppen besetzten Feindterritorium. 1943 erfolgte die Aufstellung der Jagdgeschwader 300 bis 302 für die Tag- und Nachtjagd im Reichsgebiet unter der Bezeichnung „Wilde Sau". - Nachtjagdgeschwader
waren zunächst für die „helle" Nachtjagd in Verbindung mit Flak-Scheinwerfer-Regimentern auf den Hauptanflugschneisen der alliierten Bomberverbände eingesetzt. Beim späteren Einsatz in der „dunklen" Nachtjagd wurden durch Funkmessgeräte („Würzburg-Riesen") die einzelnen über der Funkmessstellung kreisenden Nachtjäger vom Boden aus durch Jägerleitoffiziere („Ilo") auf jeweils ein alliiertes Flugzeug eines Bomberverbandes angesetzt und durch Funksprechverkehr geführt. - Zerstörergeschwader
waren ursprünglich als Begleitschutz für die langsameren Bombergeschwader eingesetzt. Nach Erhöhung der Geschwindigkeit und Eindringtiefe der Kampfverbände konnte diese Aufgabe nicht mehr erfüllt werden. Die Zerstörergeschwader wurden als Jagdbomber oder Nahkampfflugzeuge eingesetzt, später aufgelöst oder umgegliedert. - Schnellkampfgeschwader
- Kampfgeschwader
dienten dem offensiven Luftkrieg. Während des Kriegseinsatzes vermischte sich die Aufgabenteilung zwischen den Defensiv- und den Offensivverbänden jedoch häufig. - Sturzkampfverbände
waren zur unmittelbaren Unterstützung des Heeres bestimmt. Einige Staffeln dienten speziell der Panzerbekämpfung. Im Oktober 1943 erhielten die Verbände die Bezeichnung Schlachtgeschwader. - Nachtschlachtgruppen
wurden im November 1943 aus den Störkampfstaffeln der Luftflotten im Osten gebildet. - Transportverbände
Die Kampfgeschwader z.b.V. und Kampfgruppen z.b.V. waren Transportflieger. Die Verbände wurden für die Versorgung der Truppen bei Großeinsätzen (z.B. Norwegen, Moskau, Demjansk, Stalingrad und Afrika) eingesetzt. - Lehrgeschwader
- Luftdiensteinheiten
übernahmen die Zieldarstellung für die Flakartillerie. - Wettererkundungsstaffeln
- Seenotstaffeln
waren zuständig für die Aufklärung von Seenotfällen, die Rettung abgestürzter Flugzeugbesatzungen und Schiffbrüchiger sowie die Bergung der Flugzeuge.
Detaillierte Informationen zur Organisation der Geschwader, Fliegerführer, Divisionen, Korps, Luftflotten und Luftwaffenkommandos finden Sie in unserer Archivdatenbank Invenio in den Bestandsinformationen zu den unten beschriebenen Beständen unter dem Punkt „Informationen zur Provenienz“.
Bestände im Bundesarchiv
Die beschriebenen Strukturen der fliegenden Verbände der Luftwaffe sind im Bundesarchiv in einer Vielzahl von Archivbeständen abgebildet. Diese Bestände wurden so gebildet, dass sie die ursprüngliche Organisation möglichst weitgehend so abbilden, wie sie tatsächlich bestanden hat. Die Archivalien können teilweise im Internet eingesehen werden.
In den jeweiligen Bestandsinformationen finden Sie detaillierte weiterführende Informationen zu den Dienststellen und den von diesen erhalten gebliebenen Unterlagen.
Wie bewege ich mich für meine Recherche durch diese Bestände?
Sie haben zwei Möglichkeiten der bestandsübergreifenden Recherche. Hierbei bewegen sich Sie entlang der militärischen Hierarchie.
Möglichkeit a)
Falls Sie konkret einen bestimmten Verband suchen, sollten Sie zunächst im Bestand RL 10 (Verbände und Einheiten der Fliegertruppe der Luftwaffe) anhand der dort angelegten Gliederung prüfen, ob von diesem Verband noch Unterlagen erhalten geblieben sind.
In einem nächsten Schritt können Sie den übergeordneten Fliegerführer, dem diese übergeordnete Division und dem dieser wiederum übergeordneten Generalkommando des Fliegerkorps im Bestand RL 8 (Führungsstäbe der Fliegertruppe der Luftwaffe) prüfen.
Als letzte und höchste Ebene kommt die zugehörige Luftflotte in der Bestandsgruppe RL 7 für eine Prüfung in Betracht.
Wie erfahre ich, welcher Verband welchem Fliegerführer/welcher Divison/welchem Fliegerkorps unterstand?
Um deren Namen in Erfahrung zu bringen, können Sie auf das Überblickswerk “Verbände und Truppen der deutschen Wehrmacht und Waffen-SS 1939 – 1945“ von Georg Tessin und die Organisationskartei des Allgemeinen Heeresamtes über die folgende Internetseite des Bundesarchivs zugreifen. Beide Hilfsmittel stehen digital zur Verfügung.
Informationen, die in der militärischen Hierarchie nach oben gemeldet wurden, wurden mit jeder Ebene, die sie nach oben gelangten, weiter verdichtet und aggregiert. Die Chancen, zu einem konkreten Einzelfall Informationen zu finden, sinken also mit jeder Ebene, die Sie nach oben steigen.
Bei diesem Rechercheweg bewegen Sie sich in der militärischen Hierarchie von unten nach oben.
Möglichkeit b)
Falls Sie die genaue Bezeichnung des gesuchten Verbandes nicht kennen bzw. Informationen über eine bestimmte Region oder einen bestimmten Ort suchen, müssen Sie den umgekehrten Weg gehen, also in der militärischen Hierarchie von oben nach unten.
Zunächst ermitteln Sie, welche höhere Kommandobehörde für Einsätze im fraglichen Gebiet zuständig war. Anschließend müssen Sie die zum gesuchten Zeitpunkt unterstellten Einheiten und Verbände ermitteln. Dann können Sie in einem nächsten Schritt prüfen, ob von diesen Truppenteilen überhaupt Unterlagen erhalten sind. Erst nach diesen Schritten können Sie mit der eigentlichen Recherche in den im Bundesarchiv verwahrten Akten beginnen.
Diese Sucharbeit ist sehr aufwändig und die Chancen, entsprechende Unterlagen zu finden, sind wegen der großen Schriftgutverluste leider in den meisten Fällen eher gering.
Literatur
Wir empfehlen Ihnen auch einen Blick in die laufend aktualisierten Angaben zur einschlägigen Forschungsliteratur in den Bestandsinformationen der vorgestellten Bestände unter dem Punkt „Literatur“.