Direkt zum Seiteninhalt springen
MfS-Lexikon

Zersetzung

Methode der verdeckten Bekämpfung von Personen und Personengruppen, die vom MfS als "feindlich-negativ" angesehen wurden. Ziel der Zersetzung war laut der hier einschlägigen Richtlinie zur Bearbeitung Operativer Vorgänge von 1976, gegnerische Kräfte zu zersplittern, zu lähmen, zu desorganisieren und sie untereinander und von der Umwelt zu isolieren. "Feindliche" Handlungen sollten so vorbeugend verhindert, eingeschränkt oder unterbunden werden.

[handschriftliche Ergänzung: 1.6 siehe S. 4] 2.1.Der IMB "Horst Hoffmann" wird [anonymisiert] in einem vertraulichen Gespräch "von Mann zu Mann" das ihm zur Kenntnis gelangte angebliche außereheliche Verhältnis von [anonymisiert] und [anonymisiert] mitteilen. Hiermit soll das gestörte Vertrauensverhältnis zwischen beiden Ehepartnern, das durch das von [anonymisiert] entdeckte außereheliche Verhältnis seiner Frau zu [anonymisiert] entstanden ist, weiter erschüttert werden. V.: Ltn Kappis T.: September/Oktober 83
Ausschnitt aus den geplanten Zersetzungsmaßnahmen gegen den "Friedenskreis Pankow".Quelle: BStU, MfS, BV Berlin, AOP, Nr. 5125/88, Bd. 1, Bl. 25

Ziele der Zersetzung waren zumeist staatsunabhängige Friedens-,Ökologie- und Menschenrechtsgruppen, Ausreiseantragsteller, aktive Christen sowie Personen und Organisationen im OperationsgebietOperationsgebietMit Operationsgebiet bezeichnete das MfS zusammenfassend alle Länder, in denen bzw. gegen die es..., die das MfSMinisterium für StaatssicherheitDas Ministerium für Staatssicherheit (umgangssprachlich oft kurz "Stasi") war politische... der politischen UntergrundtätigkeitUntergrundtätigkeit, politischeIn Abgrenzung zum Begriff der politisch-ideologischen Diversion, der Aktivitäten und Äußerungen,... gegen die DDR verdächtigte.

Gegen einzelne Personen gerichtete Maßnahmen der Zersetzung waren gemäß Richtlinie 1/76 etwa die "systematische Diskreditierung des öffentlichen Rufes, des Ansehens und des Prestiges auf der Grundlage miteinander verbundener wahrer, überprüfbarer diskreditierender sowie unwahrer, glaubhafter, nicht widerlegbarer und damit ebenfalls diskreditierender Angaben" oder die "systematische Organisierung beruflicher und gesellschaftlicher Misserfolge zur Untergrabung des Selbstvertrauens".

In Gruppierungen versuchte das MfS Misstrauen, Neid, Rivalitäten und gegenseitige Verdächtigung zu erzeugen und sie im Zusammenwirken mit anderen Staatsorganen durch Arbeitsplatzbindungen, Berufsverbote, Einberufungen zum Wehrdienst oder Zwangsausbürgerungen zu paralysieren. Die Zersetzung entfaltete ihre Wirksamkeit häufig durch den kombinierten Einsatz unterschiedlicher Maßnahmen in einer längerwährenden Aktion.

Die von Jürgen Fuchs als "leiser Terror" bezeichnete Zersetzung galt laut Richtlinie als "relativ selbständige Art des Abschlusses Operativer VorgängeOperativer VorgangRegistrierpflichtiger Vorgang und Sammelbegriff für Einzel- bzw. Gruppenvorgänge (siehe auch..." und diente somit als Ersatz für Strafverfolgungsmaßnahmen, die in der Honecker-Ära insbesondere bei der Bekämpfung von Oppositionellen aus Gründen der internationalen Reputation häufig politisch nicht mehr opportun waren.

Vor der Umsetzung von Maßnahmen der Zersetzung waren entsprechende Pläne detailliert auszuarbeiten, die vom Leiter der jeweiligen HAHauptabteilungOrganisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter..., selbständigen AbteilungAbteilungEine selbständige Abteilung ist eine Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den... oder BVBezirksverwaltungIm Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf... oder im Falle von Organisationen, Gruppen oder herausgehobenen Persönlichkeiten vom Minister oder seinem zuständigen Stellvertreter bestätigt werden mussten.

Thomas Auerbach, Ilko-Sascha Kowalczuk