Anlässlich der Konferenz der Europäischen Nationalarchive, die vom 24. bis 26. August in Berlin stattfindet, hat der Präsident des Bundesarchivs Michael Hollmann zu einer Belebung der Erinnerungskultur aufgefordert. „Gerade im Hinblick auf den Holocaust besteht die Gefahr einer Ritualisierung des Gedenkens, welche die Gefahr der inhaltlichen Entkernung in sich birgt“, sagte Hollmann. Insbesondere müssten internationale Debatten und neue Zielgruppen stärker in den Blick genommen werden. „Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat sich Deutschland zu einer Einwanderungsgesellschaft entwickelt. Unsere Gesellschaft muss als Erinnerungsgemeinschaft auch ihre Bedürfnisse und Geschichten berücksichtigen.“
Als Stärke der deutschen Erinnerungskultur bezeichnete Hollmann die allgemeine und von politischer Einflussnahme freie Zugänglichkeit von Akten, die auch dazu geführt habe, die Perspektive der Opfer wahrzunehmen. „Im Prozess des Erinnerns nimmt das Archiv als Gedächtnisinstitution eine zentrale Funktion wahr, weil hier die Quellen jeder historischen Erzählung liegen“, so Hollmann. „Es ist entscheidend, dass eine Gesellschaft offen und diskursiv nach der historischen Wahrheit und den daraus erwachsenen Verpflichtungen sucht und nicht von oben gesagt bekommt, wie die eigene Geschichte zu lesen ist. Ohne umfassende und allgemeine Zugänglichkeit der Quellen bleibt die Aufarbeitung einer schlimmen Vergangenheit Stückwerk und kann fatale Folgen haben.“
Hintergrund:
Das Bundesarchiv richtet vom 24. bis 26. August in Berlin eine Konferenz des European Board of National Archivists (EBNA) und der European Archives Group (EAG) aus, bei dem sich Spitzenvertreterinnen und -vertreter Europäischer Nationalarchive mit dem Thema “Archive und Erinnerungskultur” beschäftigen.
Um die Erinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus im aktiven Gedächtnis eines breiten Publikums wach zu halten, beteiligt sich das Bundesarchiv auch an wissenschaftlichen Großprojekten wie der 16-bändigen Edition über die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden. Aktive Unterstützung leistet es auch für die Projekte der European Holocaust Research Infrastructure (EHRI) und der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), die bei der Konferenz in Berlin ebenfalls ihre aktuelle Arbeit vorstellen wird.
Die Konferenz in der Rheinland-Pfälzischen Landesvertretung befasst sich in sechs Sektionen mit spezifischen Aspekten der Erinnerungskultur der vertretenen Staaten und dem jeweiligen Beitrag von Archiven. Im Beitrag des Ukrainischen Nationalarchivs etwa geht es um Bedingungen vor Ort während des russischen Angriffskriegs. Der norwegische Beitrag nimmt die Erinnerung an Ereignisse des 22. Juli 2011 in den Fokus, als Massenmörder Anders Breivik bei Anschlägen in Oslo und auf der Insel Utøya 77 Menschen tötete. Die Schweiz berichtet über die Rolle des Schweizerischen Bundesarchivs im Kontext des größten Verkehrsinfrastruktur-Projekt der Schweiz, der neuen Alpentraversale. Den Festvortrag hält Ulrich Herbert, Universität Freiburg, über „Die Vergangenheit, die Erinnerung und die Quellen. Deutsche Erfahrungen“.
Termin:
Konferenz des European Board of National Archivists und European Archives Group, Landesvertretung von Rheinland-Pfalz in Berlin, In den Ministergärten 6, Berlin, Mittwoch, 24. August, 18 Uhr, bis Freitag, 26. August, 13 Uhr.