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Andreas Weiß spricht in der Erinnerungsstätte Rastatt über den Revolutionär Daniel Heinrich Saul. Links neben ihm steht ein Aufsteller mit Bildern historischer Persönlichkeiten und dem Titel der Vortragsreihe „Es lebe die Freiheit! Menschen in der Revolution 1848/49“.

Andreas Weiß während seines Vortrags über Daniel Heinrich Saul, Quelle: Bundesarchiv / Danner

Rastatt

Der revolutionäre Apotheker  

Daniel Heinrich Saul und die Revolution 1848/49 in der badischen Provinz

Wenn heute an die Revolution von 1848/49 erinnert wird, dann fallen meist dieselben Namen: Im deutschen Südwesten sind das unter anderem Friedrich Hecker oder Amalie und Gustav Struve. Doch die Revolution bestand natürlich nicht nur aus einigen prominenten Namen. Und sie beschränkte sich auch nicht auf Revolutionsorte wie Rastatt, Mannheim, Frankfurt und Berlin. Sie erfasste Menschen im ganzen Land und betraf jedes noch so kleine Städtchen oder Dorf. Viele der lokalen Revolutionärinnen und Revolutionäre sind heute selbst in ihren Heimatorten vergessen. Einer dieser fast Unbekannten, die sich im „Maschinenraum vor Ort“ für die Revolution einsetzten, war der Tiengener Apotheker Daniel Heinrich Saul.

Am 17. Oktober 2024 holte Andreas Weiß, Leiter des Markgräfler Museum Müllheim, dessen Leben bei einem Vortrag vor vollbesetzten Reihen in der Bundesarchiv-Erinnerungsstätte im Rastatter Barockschloss aus der Vergessenheit. Er stützte sich dabei auf eine Fülle von überlieferten Dokumenten aus der Revolutionszeit: Gerichtsakten, Wahlunterlagen – und die detaillierten Erinnerungen Lina Venators, der Enkelin von Saul, die das spannungsreiche Leben ihres Großvaters für die Nachwelt aufbewahrt hatte.

Der in Hessen gebürtige Saul zog 1840 nach Südbaden, um sich zusammen mit seiner frisch angetrauten Frau Caroline in dem damals gerade einmal 1.000 Einwohner zählenden Tiengen den Traum von einer eigenen Apotheke zu verwirklichen. Bald gehörte der gesellige Saul zu den Honoratioren der Kleinstadt. Er trat der örtlichen Narrenzunft und dem Leseverein bei. Gleichzeitig begann sich Saul aber auch, für die im Land herrschenden politischen und sozialen Probleme zu interessieren, was vermutlich einer der Gründe für seinen Ausschluss aus dem Leseverein war. In der Revolution 1848/49 zählte er anfangs zu den Befürwortern gemäßigter Reformen, die einen Sturz der Regierung und eine Ausrufung der Republik ablehnten. Aktiv nahm er an Volksversammlungen teil. In seiner Heimatstadt bewarb er sich erfolglos als Wahlmann für die Wahlen zur Frankfurter Nationalversammlung, beteiligte sich an der Gründung eines Vaterländischen Vereins und der Bürgerwehr. Als deren Offizier nahm Saul im April 1848 mehr oder weniger freiwillig am „Heckerzug“ teil.

Porträtfoto von Daniel Heinrich Saul, der vor einer Wand steht und einen Hut in der Hand hält.
Daniel Heinrich Saul, ca. 1865Quelle: Stadtarchiv Offenburg 09 Nachlass Lina Venator, geb. Schell

Im Gegensatz zu vielen Mitkämpfern kehrte Saul nach der Niederschlagung des „Heckerzuges“ in seine Heimatstadt zurück. Wie andere „politisch verdächtige“ Bürger musste er zahlreiche Soldaten in seinem Haus beherbergen und verpflegen. Vermutlich auch wegen der damit verbundenen Belastungen begann der Apotheker, sich politisch zu radikalisieren. Die revolutionären Akteure in Tiengen waren nicht zahlreich, aber sehr aktiv. Seit Juli 1848 stand Saul unter behördlicher Beobachtung, auch weil seine Apotheke zu einem Umschlagplatz für aus der Schweiz nach Baden geschmuggelte revolutionäre Schriften diente. Im September 1848 gehörte Saul zu dem Netzwerk radikaler Demokraten, die die zweite badische Erhebung, den sogenannten „Struveputsch“, vorbereiteten. Im Frühjahr 1849 wurde er Präsident des demokratisch gesinnten Tiengener Volksvereins.

Der Vortrag verschwieg allerdings auch nicht die Brüche in Sauls Charakter. Neben seiner revolutionären Begeisterung und demokratischen Überzeugung ließ sich Saul wohl auch von seinem persönlichen Geltungsbedürfnis motivieren. Und er war auch nicht darüber erhaben, bei der Mobilisierung seiner Mitbürger vereinzelt auch in der Bevölkerung damals verbreitete antisemitische Klischees einfließen zu lassen.

In der im Frühjahr 1849 ausgebrochenen Badischen Revolution beteiligte sich Saul an der Organisation der Wahlen für die Verfassungsgebende Versammlung und unterstützte die – teilweise auch zwangsweise – Mobilisierung von Kämpfern für die Verteidigung Badens gegen die anrückenden preußischen Truppen. Angesichts der raschen Niederlage der Revolutionsarmee tat Saul sein Bestes, den Rückzug der in Richtung Schweizer Grenze über Tiengen marschierenden Freiheitskämpfer zu organisieren. Dabei trat er an die Stelle des – nach einigen Behauptungen erkrankten, nach anderen vorsichtshalber untergetauchten – Tiengener Bürgermeisters.

Er selber flüchtete dann ebenfalls vor den anrückenden preußischen und verbündeten Truppen in die Schweiz. Heimlich zu einem Besuch seiner Familie nach Baden zurückgekehrt, wurde er denunziert, verhaftet, des Hochverrats angeklagt und zu sechs Jahre Einzelhaft verurteilt.

Erste Gnadengesuche hatten wenig Erfolg, sprachen aus ihnen doch Sauls immer noch revolutionäre Ansichten. Auch dank der Unterstützung seiner Familie zeigte ein späteres Gnadengesuch mehr Erfolg: Im September 1851 wurde Saul zusammen mit 50 anderen politischen Gefangenen „auf Wohlverhalten“ freigelassen. Seine politischen Ansichten hatte die Haft freilich nicht geändert, attestierte ihm das Bezirksamt Waldhut doch kurz nach seiner Freilassung einen „angeborenen Hang zur Wühlerei“. Erst 1859 erhielt er das Wahlrecht zurück. Bereits im Folgejahr wurde Saul Mitglied im großen Bürgerausschuss der Stadt, gehörte ab 1863 sogar zum Stadtrat von Tiengen und wurde Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr.

An den spannenden Vortrag schloss sich eine lebhafte Diskussion an. Ein Fazit des Vortrages war die Erkenntnis, dass in vielen Stadtarchiven noch wahre Wissensschätze liegen müssen, die auf ihre Entdeckung durch wissbegierige Forscherinnen und Forscher warteten und die neue, ungeahnte Erkenntnisse zur Revolution von 1848/49 versprechen. Auch das Leben Heinrich Sauls weist immer noch Lücken auf, die zu erforschen sich lohnt. Erst vor kurzem konnte Weiß eines von Sauls Gefängnistagebüchern finden, das neue spannende Einblicke in die Haftzeit des revolutionären Apothekers verspricht.

Andreas Weiß spricht in der Erinnerungsstätte Rastatt über den Revolutionär Daniel Heinrich Saul, während ein Beamer eine Präsentation an die Wand wirft.
Andreas Weiß während seines Vortrags über Daniel Heinrich SaulQuelle: Bundesarchiv / Thalhofer