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Prof. Dr. Peter Brandt bei der Carl-Schurz-Vorlesung in Rastatt, 23.7.2019

Prof.Dr. Peter Brandt bei der Carl-Schurz-Vorlesung in Rastatt, 23.7.2019, Quelle: Wollenschneider, Rainer

Rastatt

Was ist eigentlich „das Volk“? – Ein umstrittener Begriff im Wandel der Zeiten

Zehnte Carl-Schurz-Vorlesung mit Prof. Dr. Peter Brandt

Seit 2010 laden die Stadt Rastatt, der Förderverein Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte und das Bundesarchiv als Träger der Erinnerungsstätte jährlich zur Carl-Schurz-Vorlesung ein. Mit dieser Veranstaltung wird an das Ende der Revolution am 23. Juli 1849 erinnert, als badische Soldaten und Revolutionäre vor der preußischen Übermacht kapitulieren mussten. Carl Schurz gelang die Flucht. Er emigrierte in die USA, wo er als Redakteur und Anwalt arbeitete, im Amerikanischen Bürgerkrieg als General der Nordstaaten kämpfte und 1877 sogar US-Innenminister wurde.

Für das zehnjährige Jubiläum konnte Prof. Dr. Peter Brandt von der FernUniversität in Hagen als Redner gewonnen werden. Der Historiker und Vorstandsmitglied der Friedrich-Ebert-Stiftung referierte zum Thema „Was ist eigentlich ‚das Volk‘? Ein umstrittener Begriff im Wandel der Zeiten“.

Bürgermeister Raphael Knoth würdigte in seiner Begrüßung das Erbe der Revolutionäre von 1848/49 und verband damit den Appell, ihre Werte zu schützen. Der Vorsitzende des Fördervereins der Erinnerungsstätte, Prof. Gunter Kaufmann, betonte, dass sich das demokratische Gedankengut von damals langfristig durchgesetzt habe, die errungene Freiheit aber nicht als selbstverständlich angesehen werden dürfe und weiterhin verteidigt werden müsse. Dr. Edgar Büttner, der Leiter der Abteilung Grundsatz und Wissenschaft im Bundesarchiv, wies auf die schwierige, gleichwohl wichtige Auseinandersetzung mit dem Begriff „Volk“ hin, der immer wieder anders gedeutet und von verschiedenen Gruppen in ihrem Sinn instrumentalisiert wurde.

Brandt schlug in seinem Vortrag den Bogen von der Entstehung des Begriffs in der Antike bis zur Gegenwart. Politische Bedeutung gewann der Begriff in der Neuzeit – in Deutschland vor allem nach der Französischen Revolution, als sich die Nationalbewegung vor allem gegen die Vorherrschaft Napoleons formierte, nach dessen Niederlage aber von den deutschen Fürsten als eine Bedrohung ihres Herrschaftsanspruches gedeutet und unterdrückt wurde. Doch weder die Repression noch das weitgehende Scheitern der deutschen National- und Freiheitsbewegung in der Revolution von 1848/49 verhinderten, dass „Volk“ – verstanden als Staatsvolk – zum Synonym für Nation wurde. Anfangs vor allem in progressiven, eher „linken“ Kreisen verwendet, eigneten sich bald alle politischen Lager den Begriff an. Das Adjektiv „völkisch“ wurde allerdings von Anfang an mit einer antisemitischen Konnotation verwendet. Der Ge- und Missbrauch des Begriffs durch die Nationalsozialisten, deren „Volksgemeinschaft“ auf der Ausgrenzung, ja Vernichtung der als nicht zum „Volkskörper“ zugehörig oder für diesen als „nutzlos“ definierten Menschen basierte, trage maßgeblich zu dem gebrochenen Umgang mit dem Begriff heute bei.

Entgegen der von einzelnen politischen Parteien benutzten Deutung des Begriffs „Volk“ seien die Völker Europas immer durch Migration und Wandel geprägt worden – ein genetisch einheitliches „Volk“ oder einen unwandelbaren „Volkscharakter“ habe es niemals gegeben. Nationale Einzelstaaten würden einer voranschreitenden europäischen Integration keineswegs entgegenstehen, sondern könnten vielmehr ein integraler Bestandteil der Union sein: „Nur im Zusammenschluss werden die Nationalstaaten Europas weiterhin ihrer demokratischen und Schutzfunktion gerecht.“

Gemeinsame Kultur entstehe nicht durch die Gene, sondern durch Erziehung und Sozialisation. Bezüglich der Zuwanderung der letzten Jahre warnte Brandt allerdings davor, „gettoisierte Parallelgesellschaften“ hinzunehmen. Einwanderer müssten auch die Bereitschaft zeigen, die positiven Traditionen der deutschen Geschichte zu akzeptieren – wie auch den Umgang mit deren schwerem Erbe.

Trotz der hochsommerlichen Temperaturen verfolgten über 120 Besucherinnen und Besucher im vollbesetzten Ahnensaal des Residenzschlosses Rastatt gespannt dem Vortrag, an den sich eine lebhafte Diskussion anschloss.