
Leitsätze zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Ausstrahlung einer ZDF-Sendung über die Lebach-Morde (Seite 1),
Quelle:
BArch, B 237/91141
Leitsätze zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Ausstrahlung einer ZDF-Sendung über die Lebach-Morde
5. Juni 1973
Das Bundesverfassungsgericht entschied in einem Urteil vom 5. Juni 1973, die Ausstrahlung einer ZDF-Sendung über die Soldatenmorde von Lebach zu untersagen.
In der Nacht zum 20. Januar 1969 überfielen zwei bewaffnete Männer ein Munitionslager am Bundeswehrstandort Lebach im Saarland. Sie töteten drei diensthabende Wachsoldaten im Schlaf und verletzten zwei weitere schwer. Anschließend öffneten sie die Munitionsbunker und stahlen mehrere Pistolen und Gewehre und Schusswaffenmunition.
Nachdem durch die TV-Sendung „Aktenzeichen XY ... ungelöst“ ein entscheidender Hinweis aus der Bevölkerung bei der Polizei eingegangen war, wurden die Täter festgenommen. Sie erhielten eine lebenslange Freiheitsstrafe. Ein Tatgehilfe wurde zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt.
Drei Jahre nach der Tat wollte das ZDF einen Dokumentar-Fernsehfilm über die Tat veröffentlichen. Der Film zeigte die Gesichter der Täter und nannte ihre Namen. Der Tatgehilfe klagte gegen die Ausstrahlung vor Zivilgerichten, scheiterte jedoch.
Daher legte er Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ein. Dieses musste nun bei der Urteilsfindung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit, das durch die Medien wahrgenommen und über Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt ist bzw. der Rundfunkfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 GG abwägen. Das Gericht entschied sich eine einstweilige Anordnung zu erlassen und dem ZDF die Ausstrahlung der TV-Doku zu untersagen.
Begründung des BVerfG: Die angefochtenen Entscheidungen verletzen das Persönlichkeitsrecht des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 GG. Zwar gebühre dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit hinsichtlich der aktuellen Berichterstattung über schwere Straftaten im Allgemeinen Vorrang vor dem Persönlichkeitsschutz, doch lasse es der verfassungsrechtliche Schutz der Persönlichkeit nicht zu, dass sich über die aktuelle Berichterstattung hinaus ein Fernsehspiel zu einem späteren Zeitpunkt mit der Person eines Straftäters und seiner Privatsphäre befasst. Das Bundesverfassungsgericht sah aufgrund der zeitlichen Spanne zwischen dem Ereignis und der Ausstrahlung die Resozialisierung der Täter als gefährdet an.
Die Verfassungsbeschwerde und das Urteil des BVerfG vom 5. Juni 1973 sind Teil des im Bundesarchiv verwahrten Bestands B 237 Bundesverfassungsgericht. Der Bestand enthält die Verfahrensakten des BVerfG ab dessen Gründung 1951. Die Unterlagen gewähren Einblicke in die Arbeitsweise und Entscheidungsfindung des Gerichts und zeigen die großen gesellschaftlichen Debatten in der Bundesrepublik auf.
Die als Archivgut des Bundes im Bestand „B 237 Bundesverfassungsgericht“ übernommenen Verfahrensakten aus der Zeit von 1951 bis 1990 sind über invenio recherchierbar.