Übersicht zu Archivbeständen
Übersicht zu Archivbeständen der Abteilung X des Ministerium für Staatssicherheit (internationale Verbindungen).
Tytus Jaskułowski und seine Publikation "Von einer Freundschaft, die es nicht gab", Quelle: BStU, Anke Beims
Über das Binnenverhältnis der Geheimpolizeien Osteuropas gibt es viele allgemeine Annahmen und etliche Spurensuchen, aber nur wenige umfassende Studien. Dr. Tytus Jaskułowski schloss nun diese Forschungslücke mit seiner ausführlichen Veröffentlichung über die Stasi und die polnische Geheimpolizei. Er las dafür zahllose Stasi-Akten und recherchierte im polnischen Parallelarchiv. Im Gespräch dreht sich alles um "eine Freundschaft, die es nicht gab" - so der Titel seiner Studie.
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Sprecherin: "111 Kilometer Akten - [Ausschnitt einer Rede von Erich Mielke: ..ist für die Interessen der Arbeiterklasse!] - der offizielle Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs".
Dagmar Hovestädt: Willkommen zu einer neuen Folge. Ich bin Dagmar Hovestädt, Sprecherin des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen und begrüße Sie gemeinsam mit meinem Co-Host:
Maximilian Schönherr: Maximilian Schönherr, ich bin Radio Journalist und sehr archivaffin, aber ich bin kein Historiker. Ich erschließe mir die Welt, schon seit ich klein bin, vorwiegend über Ohr, was nicht heißt, dass ich das Abstract also die komprimierte akademisch historische Zusammenfassung unseres heutigen Themas nicht gelesen hätte, kompliziert genug.
Dagmar Hovestädt: "Archivaffin", sehr schön gesagt. Also in dieser Folge aber heute geht es um "Eine Freundschaft, die es nicht gab", das ist der Titel der neuesten Studie aus unserer wissenschaftlichen Reihe, der Reihe des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen und darin untersucht der Autor Tytus Jaskulowski das Binnenverhältnis zwischen der Stasi und dem polnischen Pendant, dem Innenministerium MSW und dem dort beheimateten polnischen Sicherheitsdienst.
Maximilian Schönherr: Wie sprechen wir den Nachnamen aus? Das ist ja für uns Deutsche ja immer dieses "L", dieses durchgestrichene "L", ein Problem. Also er heißt Tytus mit "Y" schon mal.
Dagmar Hovestädt: Genau Tytus mit "Y" und der Nachname ist Jasku- und dann steht dann ein "L", aber das hat so einen kleinen Strich durch und deswegen habe ich mir sagen lassen, ich spreche auch kein polnisch, dass das ausgesprochen wird wie ein "hue", Jaskulowski. Die Studie von Tytus Jaskulowski beschäftigt sich vor allem mit den letzten 15 Jahren dieser Kooperation zwischen den polnischen und DDR-Sicherheitsdiensten. Also die Zeit der größeren Öffnung des Ostblockes Richtung Westen, die in Polen zudem von der Gründung der freien also außerstaatlichen Gewerkschaft Solidarność geprägt war und dann natürlich auch durch die sowjetische Politik von Glasnost und Perestroika. Also auch dort der Öffnung der Strukturen des Denkens von Michael Gorbatschow initiiert, damit setzte sich jetzt hier schon mal den geopolitischen Rahmen von damals, weil wir im Gespräch selber dazu gar nicht kommen. Die Studie ist zudem die Habilitationsschrift von Tytus Jaskulowski, also ein sehr gründlich recherchiertes Werk.
Maximilian Schönherr: Habilitation, abgekürzt Habil., dass ist die höchste Hochschulprüfung. Wer sie hinter sich hat kann sich für eine Professur bewerben und Tytus Jaskulowski hat das jetzt hinter sich, hoffe ich hab den Namen einigermaßen richtig ausgesprochen. Ihr habt das Gespräch Corona bedingt Anfang Januar 2021 zwischen Polen und Deutschland aufgezeichnet, obwohl ihr eigentlich beide in Berlin wohnt, weil er in beiden Städten und Kulturen zu Hause ist, ist es eigentlich ein ideales Thema für ihn die deutsche und die polnische Stasi, die in Polen natürlich nicht Stasi hieß.
Dagmar Hovestädt: Das fand ich übrigens auch. Der Blick von außen auf die Stasi also von dem östlichen Nachbarn und von innen auf das polnische MSW, also dieses Innenministerium und dadurch dann auch sehr detailreich auf die Zusammenarbeit, das fand ich eine ziemlich spannende Angelegenheit. Ich muss gestehen: Ich weiß nicht allzu viel über die polnische Geschichte jener Zeit und das wenige was ich weiß, kommt ebenfalls aus so länderübergreifenden Vergleichsstudien, zweier Amerikanerinnen zufälligerweise, Anne Applebaums Buch über den Eisernen Vorhang, wo sie die Errichtung der kommunistischen Einparteien-Staaten von 1945 bis 1955 in Polen, der DDR und Ungarn vergleicht und Tina Rosenbergs Buch über den Übergang nach 1990. Wie also nach 1990, die Trümmer der Einparteien-Herrschaft in der DDR, Polen und der Tschechischen Republik aufgeklärt wurden. Insofern bin ich neugierig, ob diese ganz konkrete Studie der Zusammenarbeit von Geheimdiensten im kommunistischen Block zugegangen und wollte einfach nur mehr dazu erfahren.
Maximilian Schönherr: Es geht um die klassische Zusammenarbeit zweier "befreundeter" Inlandsgeheimdienstes und weniger um das Schicksal von Opfern dieser Spionage. Für mich interessant ist die Vermengung von Inlands- und Auslandsspionage. Beide Dienste schielten nicht nur im Sozialismus freundschaftlich verbunden über die schön durchlässige Grenze.
Dagmar Hovestädt: Wir müssen vorab dieses Mal nicht so arg viel erklären außer vielleicht einen Namen der auftaucht und einen Begriff zu unseren anderen Publikationen. Tytus Jaskulowski erwähnt an einer Stelle eine Publikationsreihe von uns, die sehr grundlegend die Struktur des MfS und seiner Diensteinheiten einmal dargelegt hat. Die heißt "Anatomie der Staatssicherheit".
Maximilian Schönherr: Autor?
Dagmar Hovestädt: Da gibt es ganz viele verschiedene Autoren, das ist von unserer Forschungsabteilung. Sie ist vollständig auf unserer Webseite bstu.de in PDFs nachzulesen oder auch herunterzuladen. Es ist ein sehr hilfreiches, vielbändiges Nachschlagewerk, das immer auch für die Recherche im Archiv sehr wichtig ist und erwähnt wird gegen Ende Hans-Georg Wieck, als es darum geht, wie viel die bundesrepublikanische Seite, also der BND, über die Kooperation zwischen Stasi und MSW in Polen wusste und Hans-Georg Wieck ist jemand, der sowohl Diplomat als auch Nachrichtendienstler war. Also der war in den 70er Jahren in Stationen Iran, der Sowjetunion und war dann ständiger Vertreter der Bundesrepublik bei der NATO in Brüssel und von 85 bis 90, also genau in der entscheidenden auslaufenden Phase, war er dann tatsächlich Präsident des Bundesnachrichtendienstes und wird in diesem Kontext dann im Gespräch auch erwähnt.
Maximilian Schönherr: Bevor wir das Gespräch nun abfahren noch eine technische Frage an dich Dagmar: Abgesehen davon, dass Tytus sehr schnell spricht, höre ich leichte Tonhöhenschwankungen bei ihm. Hörte sich das bei der Aufnahme auch so an oder hat es vielleicht mit seiner App zu tun oder hörst du das gar nicht?
Dagmar Hovestädt: Das war tatsächlich die kleine spannende Geschichte. Wir haben uns ja über Video-Tool gesehen und gehört, aber aufgenommen haben wir jeweils unabhängig davon über die Mikrofone und sein Mikrofon war das Handy mit so einer Aufnahme-App und ich bin nicht ganz sicher ob er nicht ab und zu das Handy bisschen höher oder niedriger gehalten hat und dadurch einfach ein bisschen Tonschwankungen entstehen und ich glaube ich habe am Ende auch dann den Computerventilator gehört. Also all die Dinge die so passieren, wenn man nicht im Ton Studio, sondern bei sich am Schreibtisch aufnimmt.
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Dagmar Hovestädt: Tytus Jaskulowski, was sollten wir ganz zu Anfang unseres Gespräches über Sie wissen, damit wir besser verstehen, warum Sie fünf Jahre Ihres Lebens mit diesem Gegenstand verbracht haben?
Tytus Jaskulowski: Vielen Dank für die Einladung, für die Möglichkeit, ja, über das zurzeit unbekannte Thema innerhalb der geheimdienstlichen Zeitgeschichte zu reden. Eigentlich ist die erste Antwort auf ihre Frage bereits da, ich bin Wissenschaftler. Ich bin Professor am Institut für Politikwissenschaft der Universität, der polnischen Universität, in Grünberg eben so bin ich auch Herausgeber der wissenschaftlichen Reihe über Polen bezogene Stasi-Dokumente in der stettiner Außenstelle des polnischen Institut des nationalen Gedenkens. Also einerseits beschäftige ich mich hauptamtlich als Wissenschaftler mit der geheimdienstlichen Zeitgeschichte ebenso mit den deutsch-polnischen Beziehungen und in dem Thema war das Geheimdienstliche nicht so erforscht, wie wir uns das gewünscht hätten, das ist sicherlich eine erste durchaus methodologische Antwort, eine zweite, vielleicht werden wir später auch darüber reden, wir hatten leider in der Literatur auch verschiedene Defizite, die aufzuarbeiten waren, allerdings würde ich auch gerne was, sagen wir mal taktvoll, populärwissenschaftliche oder ganz menschliches sagen, was meine Arbeit angeht. Sicherlich spielt das methodologische eine Hauptrolle, aber wir sind auch Leute, wir sind auch Menschen, Wissenschaftler haben auch sozusagen Vorgeschichten zu erzählen, wenn man so will und meine hat im Grunde genommen, die ist selbstverständlich später im Laufe meiner Forschung entsprechend nachgeholt eigentlich 1991 angefangen. 91 habe ich begonnen die Oberschule zu besuchen und in dem Moment machen Jungs und Mädels auch sehr viele Sachen und bei mir war das so, ich habe angefangen politische Presse genauer zu studieren und genauso in dem Moment entstand oder entwickelte sich eine erste Arbeitsphase die Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, das war eine einzigartige, einmalige Entwicklung Osteuropas innerhalb Europas, wenn man so will und sicherlich kam damals nach Berlin ziemlich viele Journalisten auch die aus Polen um, das war eine Idee irgendwie sensationelle Dokumente oder Befunde zu finden, was politische Zeitgeschichte angeht. In der Tat haben damals verschiedene Journalisten der politischen Presse sehr viele entsprechende Artikel verfasst. Ich habe sie später entsprechend analysiert um meine, wir werden darüber reden, meine Mitten dann entsprechend so erläutern, aber dann als ich als 16-jähriger oder 17-Jährige Junge, sozusagen mit, sagen wir mal, absolut ungenügenden Fachkenntnissen ja und auch ohne Ahnung, was eigentlich nicht nur die Stasi sondern auch der polnische Geheimdienst zu bedeuten hatte, das Innenministerium, dachte ich mir in dem ich las eine Zahl oder eine Info, das vermeintlich die Stasi 1.500 Agenten in Volkspolen hatte und dann dachte ich mir, "Mensch also hallo da sprachen alle polnisch. Also wie funktioniert das eigentlich. Das ist eine Menge. Also wir hatten Kriegsrecht in Polen, ja." Der Staat war, was auch sozusagen aus familiären Gründen bekannt war, war sozusagen vielleicht nie so repressiv, wie das in der DDR der Fall war, aber Entschuldigung die staatlichen Einrichtungen waren durchaus totalitärer. Die Beziehungen, die ich die zwischenstaatlichen oder zwischen parteilichen Beziehungen war auch alles andere als normal oder sozusagen wirklich mit Freundschaft gefüllt und dann die Idee ja und die Zahl ziemlich plakativ, würde ich mal sagen, ja, 1.500 und die Zahl eben wie ist dann plötzlich im Kopf sicherlich, das war definitiv schon vielleicht eine erste kleine Anmerkung sich später mit der Wissenschaft zu beschäftigen.
Dagmar Hovestädt: Um noch mal kurz einzuhaken: Das heißt also es gibt eine biografische Beziehung. Es gibt die fachliche Beziehung und eine ganz eigene deutsch-polnische Perspektive. Sie sprechen beide Sprachen. Sie sind in beiden Kulturen verankert und irgendwo ist dann dieses Thema, dieses komparative Thema, zwischen diesen beiden Geheimdiensten, Geheimpolizeien, sozusagen passiert. Also Ihre einzigartige biografische und fachliche Perspektive bringen Sie sozusagen in dieses Buch "Von einer Freundschaft, die es nicht gab". Der Titel verrät ja auch schon so ein bisschen wo es dabei hingeht und ich wollte den Zuhörenden auch nochmal vermitteln, dass wir hier auch ein stückweit sehr grundsätzlich Geheimdienst Apparate an diesen Beispielen, an diesen beiden Beispielen, betrachten. Da ist etwas sehr konkretes deutsch-polnisches drin, DDR polnisches drin, aber natürlich auch was grundsätzliches, weil das eben auch Ihre ihre fachliche Kompetenz bedeutet ein bisschen mehr rein zugehen. Ich habe jetzt überlegt, dass wir die drei Mythen, die Sie ja schon kurz angesprochen haben, mal benennen und dann da uns so ein bisschen daran abarbeiten, damit man versteht, was sozusagen in diesem Buch, die ja ihre Bildschrift ist, mit der Sie sich habilitiert haben, so drin steckt. Also diese drei Mythen, die sie da im Grunde um versuchen zu entkräften, kann man schon verraten so weit. Ist erstens die operative Arbeit des Ministeriums für Staatssicherheit des MfS in Polen war super intensiv. Sie haben das eben selbst gesagt. Als Jugendlicher ist Ihnen schon die Zahl 1.500 Agenten aus der DDR oder aktiv in Polen für die DDR unterwegs hängengeblieben. Diesen Mythos wollten Sie sich einfach mal widmen und herausfinden, ob das auch wirklich stimmt. Der zweite Mythos das polnische Innenministerium, hier MSW, muss wo die quasi Partnerorganisationen der Stasi angesiedelt war, war schwach organisatorisch sowie auch in Bezug auf die Aufklärung zu DDR. Es hat also nicht so viel gebracht, dass MSW in dem Sinne und der dritte Mythos die Kooperation zwischen MfS und MSW, dem polnischen Counterpart war relativ harmonisch. So das sind die drei großen Mythen, den widmen wir uns, aber Sie haben diese Mythen eben einer Plausibilität unterzogen durch sorgfältige Archivrecherche. Jetzt erstmal die Frage zum rein technischen zum Umfang: In welchen Archiven waren Sie da eigentlich unterwegs?
Tytus Jaskulowski: Allgänzlich um nachher viel zu schreiben, muss man entsprechend der komparatistische Forschung betreiben und ohne BStU, also ohne Gauck-Behörde, ebenso ohne die Bestände des Institutes des Nationalen Gedenkens und ohne eine Möglichkeit bis eigentlich 2050 gesperrte Ablage dieses Institutes, ohne diese Bestände zu nutzen, hätte ich keine Gelegenheit gehabt eine Habil zu schreiben. Insofern die Bestände haben quasi dazu beigetragen meine Habil wirklich mit Erfolg zu beenden. Warum? In der Tat ist die geheimdienstliche Welt eine geschlossene. Aus betriebsbedingten Gründen hatten und haben auch nach wie vor alle Institutionen, die sich mit dem Thema beschäftigen keine Lust eine eigene Geschichte zu präsentieren. Auch wenn die gut ist, auch wenn sie schlecht ist. Dazu kam eine Tatsache, dass wir nach der Wende entsprechende Möglichkeit bekommen haben sich mit der kommunistischen Vergangenheit zu beschäftigen. Also wenn wir das Grenzüberschreitendeanalysieren wollen, wenn wir das Wechselverhältnis, wenn wir auch Kampf gegeneinander zwischen dem Ministerium für Staatssicherheit und den polnischen Geheimdienst untersuchen wollen, da brauchen wir eigentlich zuerst einmal zwei Hauptbestände nämlich die des MfS und die des polnischen Innenministeriums und wie gesagt ohne Arbeit der Archivare der Gauck-Behörde, ohne Arbeit der Mitarbeiter der Abteilung Bildung und Forschung, die die ersten Monographien erstellt haben, die die sozusagen klassische, wenn man so will, kanonische Forschungsreihe Anatomie der Staatssicherheit initiiert und herausgegeben haben dann, hätte ich keine Möglichkeit gehabt eine ostdeutsche Dimension zu erforschen.
Dagmar Hovestädt: Vielleicht auch für die Zuhörenden, die das nicht so genau wissen: Klar, "Stasi-Unterlagen-Archiv", so heißt der Podcast, da weiß man ungefähr, was das ist und wie das entstanden ist, aber was ist das IPN, das Institut des Nationalen Gedenkens in Polen eigentlich? Das hört sich nicht so an, da würde man jetzt nicht die Geheimdienst-Akten Polens vermuten.
Tytus Jaskulowski: Ganz kurz, das Institution des nationalen Gedenkens, war eine klassische Institution, direkt nach dem Ende des zweiten Weltkrieges gegründet und zwar mit dem Ziel Naziverbrecher staatsanwaltlich zu verfolgen und die Geschichte des zweiten Weltkrieges aufzuarbeiten. Dann kam die Wende, also die Zeit friedliche Revolution, die Zeit der Jahre 1989/1990 Gauck-Behörde entstand zuerst, galt als Vorbild sozusagen, polnische Politik hatte das Ziel zuerst einmal so gucken und zu sehen, wie funktioniert das eigentlich ja. Was muss man beachten? Gut, die Stasi war deutlich mächtiger auch personell als das polnische Innenministerium.
Dagmar Hovestädt: Wieviel waren im polnischen Innenministerium?
Tytus Jaskulowski: Eins zu Fünf war das Verhältnis ungefähr etwa das Personal angeht.
Dagmar Hovestädt: Wir hatten Ende der 80er Jahre bei der Stasi über 90.000 Hauptamtliche und in Polen dann 10.000-15.000?
Tytus Jaskulowski: Um die Dimension zu zeigen: Der Sicherheitsdienst, also wo der Hauptbestandteil geheimdienstlicher war, wenn man so will. Wir hatten 24.000 Mitarbeiter und 14.000 hatten sich bereit erklärt weiterzuarbeiten und sozusagen, ja wie soll ich sagen dieses Cleaning-Verfahren entgegen zunehmen.
Dagmar Hovestädt: Eine Überprüfung?
Tytus Jaskulowski: Genau! Aber zurück zur Sache. Per Gesetz im Jahr 1997 wurde beschlossen, dass die Zeit reif ist. Jetzt sollen wir uns mit der Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit beschäftigen. Was heißt das? Also die Institution, die eigentlich bereits vorhanden war, nämlich das Institut des Nationalen Gedenkens. Dieses Institut sollte zuerst einmal Bestände übernehmen, Bestände des alten Innenministeriums.
Dagmar Hovestädt: Und hatte dann das IPN die Möglichkeit die Unterlagen des MS zu übernehmen oder gab es sozusagen Zugangsmöglichkeiten, aber das Archiv der damaligen, sie beschreiben das in dem Buch als volkspolnischen Zeit sind die Unterlagen dort verblieben und es gab nur sozusagen stückweise Zugang. Wie ist das geregelt? Weil hier ist ja die gesamte Aktenlandschaft des Ministeriums für Staatssicherheit in das Archiv Institutionen und des BStU gleich von Anfang an komplett übernommen worden.
Tytus Jaskulowski: Wir hatten in der DDR eine friedliche Revolution mutiger Bürgerrechtler, mutiger Bürger nicht nur die Stasi-Zentrale aber auch entsprechende Außenstellen besetzt. In Polen war das ein bisschen anders. Als Erich Mielke bereits im Knast war da ist [unverständlich]. Übrigens war der amtierender Innenminister ab 1980 auch amtierender Innenminister der ersten nichtkommunistischen Regierung. Der Chef des Geheimdienstes also war auch Chefverhandler der polnischen Regierungsseite für die Gespräche am Runden Tisch und das erklärt einiges. Was erklärt das? Im Grunde genommen haben wir gewisse Kontinuitäten. Im Jahr 1997 wurden alle Akten selbstverständlich durch das Institut übernommen. Nun da es eine institutionelle Kontinuität gibt, das heißt, dass das Ministerium des Inneren zuerst der Volksrepublik Polen bis 1990, dann der dritten Republik Polen existiert. Das heißt Spionageabwehr existiert nach wie vor, auch wenn das personell anders aussieht. Das heißt Archivbestände haben nach wie vor eine externe Institution, die das Recht haben wollte, zu sagen welche Bestände egal aus welchen Gründen nach wie vor nicht zugänglich werden sollten. Welche Lösung ist gefunden worden? Es gab bis 2015 die sogenannte gesperrte Ablage, das heißt, immer wenn ein Forscher ein Antrag stellte, sollte man feststellen, dass entsprechende Akten nach wie vor zu brisant sind, dann alle Akten die in der gesperrten Ablage liegen, waren nicht direkt gesperrt, aber entsprechende Zugänge mussten extra beantragt werden, das heißt, um eine konkrete Geschichte vorzustellen. Sie finden im Buch eine Operation. Es geht um eine externe westeuropäische oder NATO Botschaft, besser, und die Stasi und das polnische Innenministerium versuchte zusammen diese Botschaft zu überwachen. Es geht darum oder es ging darum Satelliten Verbindungen zu knacken. Ich durfte ostdeutsche Unterlagen, was diese Operationen angeht relativ einfach sehen, aber ich kenne Kollegen die wirklich jahrelang auf Genehmigung der polnischen Seite gewartet haben.
Dagmar Hovestädt: Super, jetzt haben wir sozusagen ein bisschen die Grundlagen geklärt. Es gab schneller und einfacher und umfassender Zugang in Deutschland, über das was MfS über Polen zu recherchieren war und es war ein bisschen schwieriger über das IPN und seine Zugänge-
Tytus Jaskulowski: Anders!
Dagmar Hovestädt: Oder es war anders. Genau es war anders. Wenn wir jetzt in die Studie ein bisschen genauer einsteigen. Sie haben die ja in im Titel schon qualifiziert, "Von einer Freundschaft, die es nicht gab: Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR und das polnische Innenministerium 1974–1990".
Tytus Jaskulowski: Die Leitideen meines Titels ist meine Freundschaft eine gute-. Also wir sagen, dass es etwas gibt und im gleichen Satz, sehen wir, dass ist das, was wir bereits genannt haben im Grunde genommen nicht gibt. Wieso? Das [unverständlich] ist eigentlich ein Schlüssel um die Beziehungen beider Einrichtungen, beider Geheimdienste, zu erklären. Alle denken ja in der Zeit des kalten Krieges war Westberlin Spionagehauptstadt Europas.
Dagmar Hovestädt: Hauptstadt der Spione.
Tytus Jaskulowski: Genau! Andere sagen hingegen Hauptstadt der Spione war doch Wien und die Antwort wäre auch nicht unbedingt die falsche. Andere hingegen könnten sagen: "Na ja aber eigentlich treffen sich alle in Jugoslawien in dem Land sozusagen zwischen den Fronten." Ja, wo auch die Politik zwar kommunistischer aber immerhin durch aus liberaler war, als die Tschechoslowakei oder in der DDR. Nun die wichtigsten Operationen des kalten Krieges wurden in Polen durchgeführt. Warum? Innerhalb der Gespräche der Vertreter der Spionageabteilungen beider Dienste, was wurde der polnischen Seite vorgestellt? Jeder westdeutsche Diplomat, der in der DDR arbeiten sollte, wurde gelehrt, jeder Bürger, jeder Ansprechpartner Ostdeutschlands arbeitet nach wie vor für die Stasi. Ausnahmen gibt es nicht. Das war in Polen nicht der Fall. Buchmesse in Warschau, wartet auf eine gigantische Spionagemonographie, andererseits, aha, also wenn das Land so liberal ist, kann man dort sie nicht viel unternehmen. Wir haben bereits darüber gesprochen, also westdeutsche oder NATO-Botschaften wurden in Warschau abgehört. Warum nicht in Westberlin? Wegen der der Alliierten-Präsenz, ja. Was heißt das Alliierten-Präsenz? Das heißt, die Franzosen, die Briten, die Amerikaner hatten eigene Spionageabwehr, eigene Beobachtungsgruppen, eigene funkelektronische Unterstützung ja. Das ist in Polen nicht der Fall ganz einfach. Aber ist das so lustig, ist das ist sozusagen so einseitig? Absolut nicht, weil gleiche Umstände hat etwa das liberale politische System verursacht und dieses System war auch aus Sicht nicht nur der Stasi-Führung, aber auch der SED-Führung inakzeptabel. Andererseits musste man Tendenzen innerhalb des polnischen Innenministeriums etwa bekämpfen und andererseits brauchte man gleichzeitig dieses Innenministerium um gegen NATO-Dienste zu kämpfen oder um eigene DDR-Bürger in Polen zu bewahren.
Dagmar Hovestädt: Es war gleichzeitig eine- Es sollte ein Freund sein, das war gleichzeitig eine Gefahr und man hatte eigentlich keine Basis.
Tytus Jaskulowski: Absolut!
Dagmar Hovestädt: Letztendlich sind wir schon mittendrin in den Mythen und dann gehen wir einfach mal gleich auf den dritten Mythos, den Sie hier beschreiben. Nämlich der dritte Mythos zur Erinnerung war ja, dass es eine harmonische Kooperation gibt zwischen beiden Geheimdiensten und da haben Sie quasi schon das Stichwort auch beschrieben. Es kann eigentlich keine Freundschaft zwischen Geheimdiensten geben.
Tytus Jaskulowski: Sowas gibt es nicht. Es geht nicht nur um das Theoretische. Wir haben in Berlin am Potsdamer Platz ein gigantisches Haus der Staatsbibliothek. Jeder neugieriger leider erst nach der Pandemie findet dort gigantische Mengen an Bücher ausschließlich aus Amerika, aus Großbritannien und diese Theorie fasst man einfach ganz kurz zusammen. Es gibt keine Freundschaft in dieser Welt. Aber grundsätzlich auch wenn wir arbeitstechnisch annehmen. Wir kennen die englischsprachige Theorie nicht. Wir haben genug Argumente dafür radikale Probleme innerhalb des bilateralen Verhältnisses zu finden. Erstens Grenzkonflikte. Wir hatten Grenzkonflikte zwischen Volksrepublik Polen und der DDR. Wenn zwei Staaten Grenzkonflikte zu bewältigen haben, da brauchen die beiden eine Institution und zwar mit dem Ziel der politischen Führung Antwort zu geben und zwar zum Thema: Was will eigentlich die zweite Seite? Also nicht schon der Counterpart, sondern schon der Gegner. Und es geht damals um wahnsinnig viel Geld. Es geht um die See-Strecke innerhalb der pommerschen Bucht und wahnsinnig viel Geld und das zeigt auch, dass da schon wirklich Kampfstoff, wenn man so will, festzustellen war. Zweitens: Die Partei politische Dimension. Aus Sicht der DDR-Politik war jede friedliche Revolution, jede Revolution innerhalb des Warschauer Paktes eine Gefahr. Eine Revolution der Tschechoslowakei 68, eine Revolution in Polen Dezember 1970 und Solidarność-Bewegung in Polen, war immer eine Gefahr. Warum? Weil man Angst hatte. Die Polen protestieren, die Tschechen protestieren, die Ungarn protestieren, das heißt, ganz kurz kann sowas auch in der DDR passieren? Ja. Insofern brauchen wir ein riesiges Ministerium und zwar mit dem Ziel nicht nur die Leute zu bewachen, aber auch Strömungen oder oppositionelle Bewegung dieser Art auch innerhalb des Warschauer Paktes zu bekämpfen. Nicht, weil plötzlich die DDR wirklich sich mitder polnischen Solidarność beschäftigen wollte, sondern deswegen um eigene parteipolitische Sicherheit zu gewährleisten. Über Konflikte in der alten Bundesrepublik habe ich bereits gesprochen.
Dagmar Hovestädt: Quasi über die Konkurrenz zur Nähe zur Bundesrepublik sowohl von der Volksrepublik Polen als auch zur DDR, die dort wirtschaftliche Vorteile erwarten.
Tytus Jaskulowski: Ab und zu in der Historiographie, aber auch in der populären Sprache insbesondere der Propaganda Sprache der DDR, konnte man einen "schönen" Satz hören: DDR als Schaufenster des Sozialismus. Was bedeutet das? Die DDR wollte immer Staat Nummer 1 sein innerhalb des Warschauer Paktes bzw. Nummer 2. Der Leader aus betriebsbedingten Gründen war die Sowjetunion, klar. Aber die Nummer 2 war sehr begehrt und wegen der Größe wegen der Streitkräfte und war auch Polen dafür interessiert sozusagen die Nummer 2 zu kriegen und genauso ab 1974/1975 wegen der wirtschaftlichen Probleme konnte man schon ahnen, dass die Lage in Polen schwieriger wird, das wäre eigentlich auch eine Chance für die DDR.
Dagmar Hovestädt: Die harmonische Kooperation ist quasi aus außenpolitischen, innenpolitischen, ideologischen Gründen und geheimdienstlich-theoretischen eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Sie wird behauptet, aber kann nicht erfüllt werden und ist damit letztendlich auch nur eine Worthülse. Also Sie haben ja auch ein kurzen Aufsatz dazu geschrieben. Wenn ich diese drei Worte zu Ihnen sage, werden Sie das bestimmt kurz erklären können: Statistik, Subsidiarität und Reuchelei, haben Sie gesagt.
Tytus Jaskulowski: Eigentlich Grundprinzipien des Staatssozialismus, wenn man so will.
Dagmar Hovestädt: Die Grundprinzipien des Staatssozialismus können Sie hier auf das Verhältnis des MSW mit der Stasi auch anwenden. Also das heißt ein harmonisches Verhältnis gab es nicht. Der erste Mythos, dass die das MfS die Stasi in Polen extrem erfolgreich gearbeitet hat in dem Sinne, als dass es ihr gelungen ist enorm viele IM-Agenten, inoffizielle Mitarbeiter zu platzieren, sein es DDR-Bürger, die in Polen aktiv waren oder polnische Bürger, die sich von dem MfS haben anwerben lassen. Das haben Sie so bestätigt gefunden indem Sie die Quellen analysiert haben?
Tytus Jaskulowski: Zuerst einmal die Zahl der vermeintlichen ostdeutschen in Volkspolen sank in der Literatur. Also in der Tat direkt nach der friedlichen Revolution gab es diese radikal absurde Zahl 1.500. Die Zahl sank. In dem Moment als ich angefangen habe wirklich zu recherchieren, war die zahl ungefähr 200-300. Wo ist das Problem, wenn wir über die vermeintlichen Möglichkeiten des MfS reden? Zuerst einmal nehmen wir an, das es eine polnische Spionageabwehr nicht gab. Also die Stasi kam einfach und die Regierung der Volksrepublik Polen, die Interesse hatte auch ebenso eigeneBevölkerung zu kontrollieren. Aus unerklärten Gründen hat sie dann beschlossen die eigene Spionageabwehr aufzulösen. Wieso? Das ist aus der theoretischen Perspektive absolut nicht. Auch nicht möglich, wenn wir die Geschichte kennen. Was ist etwa am 13. Dezember 81 passiert? Das Kriegsrecht wurde eingeführt. Das Leben wurde eine militarisiert. Die Bedeutung des Sicherheitsdienstes wächst. Zweite Sache: Aus Sicht des polnischen Innenministeriums war immer eine deutsche Dimension extrem relevant vor allem wegen der Geschichte.
Dagmar Hovestädt: Mit der Geschichte meinen Sie den zweiten Weltkrieg?
Tytus Jaskulowski: Genau, ganz genau. Ja. Außerdem war man der Meinung, dass die westdeutschen Geheimdienste immer Feind Nummer eins sind. Die Amis, sicherlich, das ist eine Supermacht. Die werden angegangen, gegen die Amis muss man kämpfen. Aber der Feind, sozusagen, der an der Grenze steht – das ist die alte Bundesrepublik.Aber wenn man wusste, wie schwierig die Parteibeziehungen sind; wenn man wusste, dass es einen Grenzkonflikt gibt zwischen der DDR und der Volksrepublik Polen und nicht zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen, ja. Die DDR war sozusagen direkt an Ort und Stelle. Insofern, auch aus historisch bedingten Gründen, musste man entsprechend mit Skepsis oder zumindest mit Misstrauen die Stasi betrachten.
Dagmar Hovestädt: Das heißt also – um nochmal auf die Frage der IM zurückzukommen, die Agenten.
Tytus Jaskulowski: Genau, genau. Richtig.
Dagmar Hovestädt: Haben Sie eine Zahl gefunden? Wie war die Größenordnung?
Tytus Jaskulowski: Richtig, ich hab sie erwähnt. Meines Erachtens sind das maximal 100 Personen. Aber diese Zahl muss auch in drei Gruppen präsentiert werden.Zuerst einmal wollte ich wissen, woher eigentlich diese radikale Statistik in den Medien zwischen sagen wir mal 1990 und, 2010 oder 2011, präsentiert worden ist. Statistik als Element des Staatssozialismus, als Bestandteil der damaligen Berichterstattung, wurde erwähnt. Sicherlich wollte man zeigen, wie viele IMs vermeintlich tätig sind. Gut. Aber! Nehmen wir eine konkrete Geschichte, ja? Polnisches Informationszentrum in der DDR, jetzt Kulturinstitute, ja?
Dagmar Hovestädt: Mhmh.
Tytus Jaskulowski: Entsprechende Außenstelle in Leipzig, okay? Was haben wir da? Einen Leseraum, wo polnische Zeitungen oder polnische Bücher zu entnehmen sind. Okay. Dann kommen Leute. Und jetzt die Frage: Einige waren in der Tat inoffizielle Mitarbeiter, ja. Der normale Leser im Leseraum bestellt eine Zeitung oder ein Buch, ja? Okay, er kann vielleicht Notizen machen, ja? Okay, der kann sehen, wie viele DDR-Bürger da sind. Nun, die Frage ist die: Was kann er faktisch über die wirkliche Lage der Volksrepublik Polen sagen? Er kann absolut sagen, dass ein DDR-Bürger aus Hoyerswerda da war, dass da etwa ein DDR-Bürger aus Meißen da gesehen wurde im Leseraum. Und vielleicht wollte er das polnische Gesetz lesen und zwar über Möglichkeiten, den Wehrdienst irgendwo anders zu leisten, nicht unbedingt in der Armee.
Dagmar Hovestädt: Das heißt solche Personen wurden schon mit aufgenommen in die Quellenlage?
Tytus Jaskulowski: Richtig! Und formell gesehen, in der Tat ist oder war die Person mit Polen beschäftigt. Aber Entschuldigung, wenn ein polnischer IM in Warschau vor der amerikanischen Botschaft stand, in der Reihe der Personen, die das Visum beantragen wollten, hatte er sich mit der Außenpolitik der Vereinigten Staaten beschäftigt? Man kann sagen: ja theoretisch schon, aber de facto kann er über Interna vom "state department" Nichts sagen.
Dagmar Hovestädt: Dann bemessen Sie das auch nach der Qualität des Informationszuganges, ne?
Tytus Jaskulowski: Richtig, richtig. Und deswegen habe ich folgende Zahl präsentiert, ja. Mir geht es darum, was die Stasi wirklich über die Lage der Volksrepublik Polen wusste und nicht unbedingt sozusagen über die technische Qualität der Presseerzeugnisse am Polnischen Kulturinstitut in Leipzig. [Dagmar Hovestädt lacht leicht] Weil, das spielt eigentlich eine ziemlich relevante Rolle. Weil sie nicht wissen und der IM es auch nicht weiß, ob die Zeitungen regelmäßig sind. Der IM weiß auch nicht, ob die Zeitungen absichtlich zensiert worden waren, ob nur eine konkrete Auswahl im Leseraum war.
Dagmar Hovestädt: Das heißt also nochmal– um das sozusagen ein bisschen festzuhalten - weil natürlich wird diese Unterscheidung ja auch bei den IM der Stasi innerhalb der DDR nicht unbedingt getroffen, sondern es wird erstmal statistisch gesagt: So viele Personen sind rekrutiert worden. Sie haben den Prozess durchlaufen. Sie sind dokumentiert als inoffizielle Mitarbeiter. Das hat die Stasi selber ja nur in der HV A gemacht, indem sie die Qualität der gelieferten Informationen nach Punkten bemessen hat, zwischen eins und fünf. Das ist in der inneren Beobachtung des eigenen Volkes so nicht statistisch bewertet worden, das haben Sie jetzt im Nachhinein gemacht. Das heißt, es gibt schon einen Unterschied- -
Tytus Jaskulowski: [parallel] Wir haben eine Menge, richtig. Genau und eine konkrete.
Dagmar Hovestädt: …zwischen der nominellen benannten Zahl an IM und dem was Sie für sich in der Studie herausgezogen haben als effiziente Informationssammlung durch Agenten. Und dadurch diese Diskrepanz.
Tytus Jaskulowski: Nun, jene Effizienz muss auch entsprechend klassifiziert werden, vielleicht nicht auf die Art und Weise, wie das die Hauptverwaltung Aufklärung gemacht hat. Aber sozusagen meine interne Effizienz wird wie folgt gezeigt und zwar: Ich hab bereits erwähnt, 100 Personen, die Hälfte sind – ich hab das definiert als ad hoc Agenten. Was bedeutet das? Die sind klassisch registriert, ja. Alle bürokratischen Elemente wurden entsprechend behalten, aber das sind Leute, die etwa ein Mal jährlich zwei Wochen in Polen verbringen. Wegen des Urlaubs, wegen des Familienbesuches. Was machen die da? Urlaub. Okay. Zum Beispiel Anfang Mai oder Ende September, ja. Also in den Jahrestagen, wo zum Beispiel Demonstrationen zu erwarten sind. Was machten die Leute? Sie sollten die neuesten Flyer sammeln, sie sollten Bilder machen. Also die Qualität des Gesammelten wird in dem Fall durchaus relevanter als die die Qualität eines Lesers in Leipzig. Nicht wahr?
Dagmar Hovestädt: Ja.
Tytus Jaskulowski: Eine zweite Gruppe sind sozusagen Residenten. Wie gesagt, normaler Weise: Resident? Aha, das ist der Chef der geheimdienstlichen Abteilung, platziert im Ausland. So. Was haben wir in der Volksrepublik Polen? Wir haben Studenten aus der DDR. Wir haben Diplomaten aus der DDR. Alle wissen, dass es Vertragsarbeiter aus Polen in der DDR gab - aber wir hatten auch Vertragsarbeiter aus der DDR in Polen. Wir haben auch Gastwissenschaftler, also diejenigen, die haben eine gewisse Zeit zur Verfügung und die sind damit verpflichtet, nicht nur Tendenzen zu analysieren, aber die hatten auch den Auftrag, sollten die Möglichkeiten da sein und ohne zu wissen, dass es sowas gab, eine dritte Gruppe, die kleinste, zu erreichen. In der englischen Sprache gibt es ein Wort, nämlich "the operatives". Aber operativ, das ist ein Einsatzoffizier, irgendwo auf einem fremden Gebiet. Ich definiere "operatives"- -
Dagmar Hovestädt: Jemand, der im Feld unterwegs ist, aktiv in der Informationsbeschaffung. Ein "operative".
Tytus Jaskulowski: Richtig, richtig. Mir geht es um diese sozusagen aktive Dimension. Wenn jemand – diese Geschichte kann dann später der Leser im Buch sehen – wenn zum Beispiel ein Gastwissenschaftler, ja, also ein klassischer IM in der DDR, ein Forscher. Das Leben war wie es war und dann plötzlich hat er die Möglichkeit, ein Stipendium und einen Aufenthalt in Polen zu absolvieren, ja? Und was ist dann später? Und dann plötzlich: Okay, der war IM und hatte irgendwelche Aufgaben, grundsätzlich vielleicht mit der Wissenschaft zu verbinden. Der hatte zum Beispiel auch den Auftrag, auch andere DDR-Bürger zu bewachen, nicht, aber dann kam plötzlich die Solidarność. Aha! Du bist dann plötzlich in einer Stadt, wo die Opposition wirklich mächtig ist. Aha! Dann versuche, entsprechende Kreise nicht zu infiltrieren, aber versuche zum Beispiel ein Mitglied der Gesellschaft zu werden! Ja, also die kleinste Gruppe sind solche "operatives". Aber die kleinste Gruppe bedeutet auch Doppelagenten und die sozusagen sowohl auf dem Gebiet der DDR aber auch in Polen eingesetzt werden.Und letztlich die schwierigsten aus der wissenschaftlichen Perspektive, nämlich die Anbieter. Also die Leute, Funktionäre des Innenministeriums, die ein Gespräch führen. Die auch Interna liefern. Obwohl die sagen wir mal zivilen Abteilungen, nämlich die Hauptabteilung II, also Spionageabwehr, solche Leute immer gerne entgegennehmen, war die Hauptabteilung I, also zuständig für Militärwesen auch innerhalb der Stasi, deutlich zurückhaltender und in der Tat war die HA I der Meinung, mindestens 25 Prozent der Anbieter waren sozusagen faktisch Anbieter, allerdings der polnischen Spionageabwehr.
Dagmar Hovestädt: Genau, im Auftrag des anderen Dienstes, ne?
Tytus Jaskulowski: Absolut. Und die Zahl ist durchaus größer, ja.
Dagmar Hovestädt: Das heißt also, Sie haben ein Stück weit die technischen Zahlen, die Vermutungen, die Schätzungen genommen. Sie haben sich Sachen angeguckt, Sie haben sie archivisch belegt und kommen darauf, dass es nur ein Zehntel bis Fünfzehntel der Zahl ist, die wirklich verlässlich Informationen liefern konnte und damit sozusagen den Mythos der außerordentlich erfolgreichen operativen Arbeit in Polen oder über Polen die Luft abgelassen.Die harmonische Kooperation, das war der dritte Mythos, den haben wir auch schon abgehandelt.
Tytus Jaskulowski: Absolut.
Dagmar Hovestädt: Und der zweite Mythos, den Sie angegangen sind, nämlich dass das MSW, also das polnische Innenministerium doch recht schwach und nicht so gut organisiert ist und die Stasi wahnsinnig erfolgreich durchorganisiert ist. Und haben auch da gesagt: "Dieser Mythos, dieses Vorurteil kann ich entkräften." Wie kann man das denn entkräften, dass ein Geheimdienst nicht so stark ist, wie er vorgibt zu sein oder wie er wahrgenommen wird, und der andere, der als schwach eingeschätzt wird, eigentlich vielleicht gar nicht so schwach ist?
Tytus Jaskulowski: Zuerst einmal braucht man eine Komparatistik. Da braucht man Bestände des zweiten Dienstes, also Bestände des Gegners. Nicht nur Bestände des Gegners, aber man braucht auch Bestände, sag ich mal, der Drittparteien, ja. Die sind erst jetzt zugänglich.Vielleicht kennen einige Leser die Person Werner Stiller.
Dagmar Hovestädt: Mhmh.
Tytus Jaskulowski: Einer der wichtigsten Verratsfälle innerhalb der Hauptverwaltung Aufklärung.
Dagmar Hovestädt: Einer, der in der Auslandsspionage des MfS beschäftigt war und im Januar 1979 übergelaufen ist in den Westen und dadurch natürlich Geheimnisse verraten konnte.
Tytus Jaskulowski: Richtig. Und sicherlich haben auch Alliierte nicht nur über die DDR, nicht nur über die Stasi und auch nicht nur über die Hauptverwaltung Aufklärung mit ihm gesprochen. Und mein Kollege Christopher Nehring, der Leiter der Abteilung Forschung des Spionagemuseums hier in Berlin, durfte auch Unterlagen des Bundesnachrichtendienstes lesen. Und dort hat er auch eine ganz interessante Geschichte erzählt, nämlich: Stiller hat gesagt, dass es einen Geheimdienst gab, mit dem die Beziehungen innerhalb des Warschauer Paktes die schwierigsten waren. Ja und das war selbstverständlich das polnische Innenministerium. [lacht]
Dagmar Hovestädt: [lacht ebenfalls] Okay!
Tytus Jaskulowski: Sie finden jedoch auch im Buch Informationen aus dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes. Es ist so, dass jede Spionagegeschichte immer sozusagen einen Vorfall, ein Vorkommnis auch entsprechende diplomatische Reaktionen generieren kann. Insofern fragte sich immer das Auswärtige Amt und fragte den BND: Wie sollen wir reagieren? Was ist zu sagen? Zumal der wichtigste Chef des BND, aus meiner Perspektive, auch der ehemalige Berufsdiplomat war, nämlich Hans-Georg Wieck. Und in der Tat gab es einmal eine Anfrage, was vermeintliche Zusammenarbeit angeht, zwischen der Stasi und dem polnischen Geheimdienst. Und Wieck hat – das finden Sie im Buch – die Fragen auch entsprechend beantwortet. Ja, also Entschuldigung! Und das ist dort, stellen Sie sich vor, dort wurde also seitens eines bundesdeutschen Beamten wurde das Wort "Operativgebiet" erwähnt und zwar nicht in Bezug auf die alte Bundesrepublik, nicht in Bezug auf West-Berlin sondern es gab das "Operativgebiet". Allerdings in Polen. Polen war ein Bestandteil dieses "Operativgebietes".
Dagmar Hovestädt: Des "Operativgebiets" des MfS meinen Sie?
Tytus Jaskulowski: Richtig, richtig.
Dagmar Hovestädt: "Operativgebiet" ist ja im Sprachgebrauch des MfS eigentlich das westliche Ausland. Die Bundesrepublik, aber auch darüberhinausgehend alles, was im Westen als "kapitalistisches Feindesland" betrachtet wird.
Tytus Jaskulowski: Weil Polen einfach als feindliches Land wahrgenommen wurde.
Dagmar Hovestädt: Zu einem bestimmten Zeitpunkt aber, ne? Wir reden jetzt über die 80er Jahre.
Tytus Jaskulowski: Richtig, ja. In den 80ern, genau. Genau.
Dagmar Hovestädt: Um vielleicht nochmal ein bisschen auch nochmal den zweiten Mythos zu versuchen abschließend nochmal betrachten: Was macht einen Geheimdienst schwach, was macht ihn stark? Und welches Interesse hat er, dass er auch diesen Mythos vor sich herträgt? Und wie haben Sie sozusagen die Effizienzen messen können, um zu sagen: Das MSW war doch gar nicht so schwach, wie behauptet, und das MfS war doch nicht so stark, wie behauptet.
Tytus Jaskulowski: Erstens. Wir müssen eine einfache Frage stellen: Was machen die Geheimdienste? Ist es das Ziel des MfS eigene oder Feinde, vermeintliche oder wirkliche Feinde, der Staatsspitze zu bekämpfen? Oder hat die Aufgabe, die Welt zu verstehen? Oder sollte die Stasi die Aufgabe haben, die Wahrheit zu sagen? Oder vielleicht war die Aufgabe des Geheimdienstes, brutale Wahrheit über die Welt zu sagen? Ein Ziel des Geheimdienstes besteht darin, zuerst einmal die Welt zu verstehen und dann auf faire und kompetente, aber auch mutige Art und Weise entsprechende Befunde vorzustellen und die politische Führung musste auch, muss auch in der Lage sein, entsprechende Berichte auch entgegen zu nehmen. Ja? Erstens.Eine erste Qualität ist die Zahl der Doppelagenten oder die Zahl der Kenntnisse über Aktivitäten des Gegners. Im Grunde genommen wurden die wichtigsten Aktivitäten des MfS in Polen dem polnischen Geheimdienst bekannt. Nun, das Problem ist jedoch, dass die Stasi sowas hätte ahnden müssen, ja? Ich hab in meinen Büchern konkrete Geschichten vorgestellt, wo Anwerbungsversuche eines polnischen Bürgers in der DDR bereits 84 Stunden später dem polnischen Innenminister, dem bereits erwähnten Kiszczak, präsentiert worden ist. Mehr noch, ich hab mit dem – sagen wir, indem wir die Stasi-Sprache nutzen - ich hab mit der "Zielperson" auch gesprochen. Und ich weiß, wie. Und diese entsprechenden Informationen der "Zielperson" konnte ich auch in den Akten finden. Was hatte die polnische Seite sofort gemacht? "Aber das ist schön! Die Stasi, toll. Dann machen Sie mit. Mit uns – gegen sie." Das war die Antwort. Obwohl man das formell gesehen nicht hätte machen dürfen.
Dagmar Hovestädt: Ist ja vielleicht auch, wenn Sie das sozusagen feststellen konnten, gar nicht von Nachteil, dass man als schwächer wahrgenommen wird, als man eigentlich ist.
Tytus Jaskulowski: Absolut.
Dagmar Hovestädt: Ne, das polnische MSW war durchaus in der Lage, seine Arbeit zu erledigen und es ist dann vielleicht auch von Nachteil, stärker wahrgenommen zu werden und es gar nicht zu sein.
Tytus Jaskulowski: Auf die Art und Weise, das – wie gesagt – leider sind einige Videoaufnahmen, einige Befunde nur in Polen zu sehen ohne "zensiert zu werden", in Anführungsstrichen.In der Tat gab es eine Geschichte eines Doppelagenten der Bundesrepublik Deutschland. Die Stasi [betont: wusste], dass er bereits überwacht worden war und zwar durch das Bundesamt für Verfassungsschutz. Sie finden auch konkrete handschriftliche Informationen. Die polnische Seite soll nicht informiert werden. Also, die Stasi hätte Möglichkeiten, unseren Offizier zu retten. Aber da sozusagen die Beziehungen so schwach sind, so schwach waren; hatte man [betont: zu Recht] entschlossen, eigene Quellen innerhalb des Bundesamtes zu schützen.Was ich jedoch sagen wollte. In der Geschichte, die ich bereits erwähnt habe, dann wurden auch damalige alte Offiziere des Bundesamtes für Verfassungsschutz befragt und die haben öffentlich gesagt: "Genau, ja! Doppelagenten aus Polen? Ja wir hatten gedacht KGB, Mossad, andere Dienste, ja! Aber wir haben nie darüber nachgedacht, wir hatten nie eine Ahnung! Es ist ein lustiges Land, ja. Na ja gut, Volksrepublik Polen, wo man wirklich wahnsinnige Sachen machen konnte, ja."Entschuldigung? Wenn wir schon so weit sind und die Person Stillers mal erwähnt haben. Auch, wenn wir annehmen, dass seine Bücher – auch die alten, nämlich die, die vor der Friedlichen Revolution herausgegeben worden sind als auch die letzten, die, wo er eine Möglichkeit hatte auch eigene Stasi-Akten zu sehen. Entschuldigung?! Was für ein Land spielt eine relevanteste Rolle? In dem Moment, wo er schon wusste, dass er die DDR verlassen muss? Welche Hotels waren in Warschau zu finden, ja, wo keine Fragen gestellt wurden? Wo man alles erledigen konnte?! Nun.
Dagmar Hovestädt: Stimmt.
Tytus Jaskulowski: Ich will darauf hinweisen, dass auch solche Einrichtungen sozusagen unter Kontrolle der polnischen Minister waren, ja?Wieder ein Beispiel, jetzt aus der DDR. Die Wirtschaft Volkspolens und der DDR war, wie sie war. Die einzige Möglichkeit, internationale Kooperationen zu entwickeln waren Messen. Messe in Leipzig beziehungsweise Messen in Polen. Eine kleine sozusagen Spionen-Versammlung, wenn man so will, einmal jährlich oder alle zwei Jahre. Da kamen nicht nur die hauptamtlichen, aber das kamen auch Leute, die einfach das Geld verdienen wollten. Taschendiebe, Taxifahrer, Prosituierte. Auch aus Polen, auch in Leipzig. Ja? Weil zumindest bis zum Jahr 1980 war die DDR relativ einfach zu erreichen. Okay. Eine konkrete Geschichte. Eine Prostituierte, leider in flagranti – sagen wir mal taktvoll so – entdeckt. Selbstverständlich war die Volkspolizei dafür nicht zuständig, sondern das MfS. Und dann, ganz konkrete Geschichte, ganz kurzes Gespräch: "Entweder arbeiten Sie für uns oder Sie haben klassische Probleme." Die jeder gehabt hätte, hätte er eine solche Situation [unverständlich].
Dagmar Hovestädt: Der in flagranti in dieser Situation erwischt worden war einfach.
Tytus Jaskulowski: Nee, also die Lage war quasi aus Sicht der Sittenpolizei eindeutig, ja, wenn man so will. Okay, aber die Stasi-Mitarbeiter wussten nicht, dass jede Prostituierte auch einen Betreuer im polnischen Innenministerium haben musste. Abgesehen davon, welche illegalen Geschäfte die beiden zu machen hatten. Und wie geht es mit der konkreten Geschichte weiter?Die Dame ist zurück nach Polen. Sie informierte den Betreuer selbstverständlich über die Geschichte. Der Betreuer hat sofort die Zentrale der polnischen Spionageabwehr in Warschau informiert. Selbstverständlich hat sich die Dame gemeldet und ein vermeintlicher Diplomat aus der ostdeutschen Botschaft in Warschau sollte Kontakt mit der Dame unternehmen. Und Ende der Geschichte ist ein handschriftlicher Vermerk: Die ostdeutsche Seite musste sich entschuldigen. [Dagmar Hovestädt lacht] Das ist eigentlich der Alltag.
Dagmar Hovestädt: Tytus Jaskulowski "Von einer Freundschaft, die es nicht gab" – ein sehr umfassendes, detailreiches Buch. Das nicht nur drei Mythen entlarvt und eine ganz neue Geschichtsschreibung damit möglich macht, sondern eben auch ganz von innen heraus aus der intensiven Beschäftigung mit vielen Archiven und einer langen Zeit, die Sie dem gewidmet haben. Ein sehr spannendes, fachreiches Buch. Ihre Habilitationsschrift.Und vielleicht zum Abschluss noch ein kurzer Hinweis darauf, dass Sie so viel interessantes, spannendes Material entdeckt haben, dass Sie eine Art - sag ich mal - Bonusbuch veröffentlich haben. Das heißt "Spione wie ihr". Da sind 150 und Sie haben sie genannt "absurde, plakative Kurzepisoden aus dem deutsch-polnischen Geheimdienstalltag" drin versammelt. Ich hab das nur mal kurz angeblättert. Das ist wesentlich leichter zu lesen und es ist auch sehr interessant.Ich habe mich allerdings gefragt: Wer war denn das Stasi-Kind, das gleich am Anfang schreibt?
Tytus Jaskulowski: Ich hab die Frage nicht verstanden. [lacht]
Dagmar Hovestädt: Na ja- -
Tytus Jaskulowski: Nee. Das bin selbstverständlich ich, aber sagen wir mal so. Wissen Sie, ich war ein Regierungsanalytiker. Sie kennen die Stiftung Wissenschaft und Politik, ich habe für die polnische Stiftung Wissenschaft und Politik gearbeitet. Ähm – das wars.
Dagmar Hovestädt: Sie haben sehr, sehr bunte und interessante Überschriften gewählt.
Tytus Jaskulowski: Absolut, ja.
Dagmar Hovestädt: Und bevor man mit den 150 Geschichten beginnt, also die "absurden, plakativen Episoden" aus diesem polnisch-deutschen Geheimdienstalltag, da haben Sie ja im Grunde genommen aus den Akten auch zitiert und paraphrasiert und das ein bisschen eingebettet.
Tytus Jaskulowski: Ja.
Dagmar Hovestädt: Und Ihre eigenen kleinen Vermutungen angestellt. Aber die Auftaktgeschichte heißt ja- -
Tytus Jaskulowski: Stasi-Kind. Ja, weil ich wusste wie die Resonanz des Titels in der deutschen Öffentlichkeit ist. So. Habil ist grundsätzlich kein einfaches Buch und das Thema ist alles andere als einfach. Und sozusagen um nicht verrückt zu werden, wollte ich auch die sozusagen ganz lustige menschliche Dimension auch beschreiben. Sozusagen auch für die psychische Hygiene, sagen wir mal taktvoll so. Und das Buch musste auch interessant sein für den Leser, insofern sind die Titel so formuliert, wie sie formuliert sind. Weil auch diese nicht immer sozusagen grausame Dimension auch im Buch hervorzuheben ist. Und dann habe ich festgestellt: Okay, wie sieht eigentlich mein Lebenslauf aus? Und dann nehme ich einige Beispiele. Ich versuche sie eigentlich zu vergleichen mit dem, was ich später gesehen habe. Und dann sagte ich mir: Okay, wie soll die ganze Geschichte heißen? Einführung? Ja gut, Einführung ist auch die radikal wissenschaftliche, ist auch im Text und das musste auch sein, um zu sagen, dass ich keine Lust mehr hatte, Opfer zu beleidigen – ist klar.
Dagmar Hovestädt: Ja.
Tytus Jaskulowski: Aber sozusagen deswegen. Ich verstehe, sagen wir mal taktvoll so, ehemalige hauptamtliche, die ab und zu sozusagen beschlossen haben, Lyrik zu schreiben. Sagen wir das mal taktvoll so. Die Dimension um quasi Gleichgewicht im Leben zu finden. Es ist auch eine halbwissenschaftliche Antwort auf meine Habil, ja, um die Welt nicht so grausam vorzustellen. Die Welt ist grausam genug und ab und zu… also, wenn man nicht in der Lage ist, sozusagen eigene Forschungsthemen mit Humor ab und zu zu betrachten, da denke ich mal: In dem Moment, in dem ich nicht mehr in der Lage bin, meine Forschungsthemen zu belächeln, dann werde ich wissen – die Zeit mit der Wissenschaft ist vorbei. Denke ich mal, ist meine Perspektive.
Dagmar Hovestädt: Dann hoffen wir mal, dass das noch eine ganze Weile dauert. Tytus Jaskulowski, ich danke für ein interessantes und sehr detailreiches Gespräch.
Tytus Jaskulowski: Ich hab auch zu danken. Ich danke auch sozusagen, dass ich eine Möglichkeit habe, so viele Jahre zu recherchieren und das ist auch eine Gelegenheit, Dankeschön zu sagen. Also gut. Nicht alle, die Anträge stellen, und nicht alle, die Bücher kaufen, Bücher der Behörde lesen; die auch die Geschichte der Behörde kennen, kennen die ganze Besatzung. Die Archivare, diejenigen, die sich jahrelang damit beschäftigen, die Akten physisch wiederherzustellen. Die Behörde ist auch eine Menge der Mitarbeiter der Außenstellen, die Unsichtbaren in der Behörde sind auch wichtig!
[Jingle]
Sprecher: Sie hören:
Sprecherin: "111 Kilometer Akten-
Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."
Maximilian Schönfeld: Das war Tytus Jaskulowski im Gespräch über seine Studie "Von einer Freundschaft, die es nicht gab. Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR und das polnische Innenministerium. 1974 – 1990" Weitere Informationen zum buch über die Webseite des BStU. Wenn Sie, liebe Hörerinnen und Hörer dieses Podcasts nicht alles direkt verstanden haben – Sie können es auf bstu.de/podcast komplett nachlesen.
Dagmar Hovestädt: Und über das Buch selbst kann man natürlich auch über die Webseite unseres wissenschaftlichen Verlages Vandenhoeck & Ruprecht mehr erfahren.Und nun wie immer zum Ausklang zu einer akustischen Begegnung mit dem Archiv. Der ganz zufällig ausgewählte Schlusston einer von weit über 22.000 Audiodokumenten aus dem Archiv. Kennst du ihn schon, Maximilian?
Maximilian Schönfeld: Nee!
[schnelles Tonspulen]
Elke Steinbach: Mein Name ist Elke Steinbach und ich kümmere mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen um die Audioüberlieferung des MfS. Wir werden heute Ohrenzeugen eines Gesprächs dreier MfS-Mitarbeiter mit einer jungen Frau im Jahr 1985, was vermutlich unter konspirativen Bedingungen entstanden ist, weshalb die Tonqualität nicht ganz so gut ist. Sie hat sich im Zusammenhang mit ihrer geplanten Ausreise in die Bundesrepublik bereit erklärt, mit dem MfS als IM zusammenzuarbeiten. Geplant ist die gezielte Aufnahme von intimen Kontakten zu westlichen Besuchern der Leipziger Messe und später in der BRD zu Mitarbeitern europäischer Botschaften. Dabei profitiert sie auch von Erfahrungen, die sie in Berliner Hotels gesammelt hat. Von den 72 Minuten hören wir drei. [Archivton][Mikrofon rauschen]
[MfS-Mitarbeiter 1:] So. Äh, wär'n S'e denn noch bereit? In unsrem Auftrag ein'n gezielten Kontakt uffzunehm'n [aufzunehmen]? Bis hin zum Intimkontakt?
[weibliche Stimme:] N'joa.
[MfS-Mitarbeiter 1:] Ja. So weit könnten wa [wir] geh'n, nu? Also, dass wa jetz' sagen: Jawoll – äh - - Wenn wir Ihn'n dann sagen würden: morgen Abend. Wir vielleicht- - dass wa Sie dann auch mit entsprechendem Dokument ausrüsten. Vielleicht machen wir auch [vermutlich: Silvester, ehrlich muss man] ja ooch [auch] sein. Vieles machbar. Ja.[vermutlich: Aber wenn Sie schon hier sitzen. Bloß, was Sie noch suchen] - bisschen Privatsphäre. Is' machbar. [Abstellen einer Tasse auf einer Untertasse] Ja. Darum lässt sich uff jeden Fall [unverständlich].Würd' sagen, es is' noch 'n bisschen Zeit. Äh – jetz' müsste unsre Aufgabe eigentlich darin bestehen, [Mann in der Nähe des Mikrofons räuspert geräuschvoll] wie ich das schon mal kurz andeutete, dass wir für die Möglichkeiten, die wir hier haben, Kontakte in den für uns interessierenden Kreisen zu knüpfen, auch tatsächlich müssen. Das wir die Ansatzpunkte - werden sie mal nennen, dann beraten, wie gehen wa vor? Wie mach'n wa 's? Indem wir genau festlegen, ja, in Abstimmung. Vor allen Dingen Ihre Gedanken müssen da einfließen!
[weibliche Stimme:] Mhmh.
[MfS-Mitarbeiter 1:] Ja? Denn, wie gesagt, Sie müssen's ja dann realisieren. Und – äh – was Ihn'n erstma' klar scheint; sofort: Nee! Das is' – das is' ne' [nicht] machbar! Oder: Das is' noch zu früh! Oder was weiß ich. Wir geh'n nach [unverständlich] – ich würde das so anfangen. Das – äh – steht mir besser, das kann i' ooch besser, ja.Also das Alles genau bereden, [betont: wie] man's macht. Es geht ne' bloß darum, was man machen will, sondern es geht vor allem darum: Wie machen wa's denn? Ja? Wie is' es denn am effektivsten, wie geh'n wir am effektivsten vor? So und dass wir dann zielgerichtet diese Geschichte durchsteuern.Äh – is' natürlich 'ne gute Sache. 'ne gute Sache, dass Sie weitestgehend über die Zeit verfügen können, ne? Oder haben Sie irgendwelche Verpflichtungen am Tag? Nich' irgendwie, dass Sie da- - ne?
[weibliche Stimme:] [brummt verneinend] Nee.
[Fadeout, Schnitt]
[MfS-Mitarbeiter 1:] Wenn wir jetz' hier festlegen: das Hotel, diesen oder jenen Kontakt – dann stehen wir auch finanziell dafür grade.
[weibliche Stimme:] Mh.
[MfS-Mitarbeiter 1:] Kostet ja ooch- - Kann- - kann ooch Geld kosten. Meistens bezahlen Sie dann die anderen, aber – äh- es muss ja- -
[MfS-Mitarbeiter 2:] [monoton] [vermutlich: Wann hatte sie'n Ufftrach?]
[MfS-Mitarbeiter 1:] Es muss ja erste'ma' [erst einmal] – es muss ja erste'ma' [vermutlich: um den Einstieg geh'n, ne.]
[MfS-Mitarbeiter 3:] [vermutlich: Is' gemacht.] Wo wäre denn – äh – Ihrer Meinung nach für uns die günstigste Variante, wie wa zu solchen privaten Kontakten komm'n könnten? [unverständlicher Abschnitt]
[weibliche Stimme:] Mal- -
[MfS-Mitarbeiter 3:] Wo wäre denn ein günstigster Ort?
[weibliche Stimme:] Da muss ick sagen in der Beziehung jetz', für mich und den Norweger, nimmt der 'n [vermutlich: Niedriglohnzimmer, meistens.]
[MfS-Mitarbeiter 3:] Nu ja.
[weibliche Stimme:] Palasthotel is' in der Richtung so n bisschen als "Araber-Treff" verrufen.
[schnelles Tonspulen]
[Jingle]
Sprecher: Sie hörten:Sprecherin: "111 Kilometer AktenSprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."
Weitere Informationen zur Publikation "Von einer Freundschaft, die es nicht gab" von Tytus Jaskułowski.
MehrEin Aufsatz von Tytus Jaskułowski zur polnisch-deutschen Geheimdienstkooperation, veröffentlicht 2016.
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