Antrag auf Akteneinsicht für Forschung und Medien
Auf dieser Seite können Forschende und Medienvertreter Informationen sowie den Antrag auf Akteneinsicht finden.
MehrDaniel Bonenkamp und Dagmar Hovestädt bei der Aufnahme des Podcasts, Quelle: Screenshot
Jedes Jahr werden Hunderte von Forschungsanträgen gestellt. Daniel Bonenkamp, Promotionsstipendiat der Stiftung Aufarbeitung, beschreibt in dieser Folge, wie er zum Thema Stasi gekommen ist, was er über eine fast vergessene Desinformationskampagne der Stasi aus dem Jahr 1968 für seine Masterarbeit herausgefunden hat und mit welchen ungewöhnlichen Fragestellungen er nun im Lesesaal des Stasi-Unterlagen-Archivs seine Doktorarbeit vorantreibt.
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Sprecherin: "111 Kilometer Akten - [Ausschnitt einer Rede von Erich Mielke: ...ist für die Interessen der Arbeiterklasse!] - der offizielle Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs".
Maximilian Schönherr: Willkommen zu einer neuen Folge. Es begrüßen Sie Maximilian Schönherr-
Dagmar Hovestädt: und Dagmar Hovestädt. Ich leite die Abteilung Kommunikation und Wissen im Stasi-Unterlagen-Archiv im Bundesarchiv. Eine Frage an dich aus dem Nichts, Maximilian, aber mit Absicht an dich: Kannst du dich eigentlich noch an deinen Uniabschluss und die Arbeit daran erinnern?
Maximilian Schönherr: Also darauf antworte ich im "Jan-Böhmermannischen-Sinne". Ich habe dreimal promoviert, einmal über Quanten Spins in Joghurtbechern mit und ohne Bifidus, dann über Schuhplattler außerhalb der Alpenregion und schließlich, da bin ich aber durchgefallen, die Führung von Sauerteig Anstellgut unter dem Aspekt der Klimaneutralität. Dafür würde ich aber von der Technischen Universität Bielefeld zum Ehrendoktor ernannt, wobei es natürlich weder Bielefeld noch dort eine TU gibt.
Dagmar Hovestädt: [lacht] Hast du das jetzt einfach von Böhmermann geklaut oder wie soll man das verstehen?
Maximilian Schönherr: Nein, Böhmermann immer wenn er nach seiner persönlichen Dingen-, dann erfindet er sich tolle Dinge. Also zum Beispiel: Er wohnt mit seinem schwulen Freund in einer WG, in einem Loft in Berlin, wo alle Wände eingerissen sind und sie mit einem Motorrad rumfahren.
Dagmar Hovestädt: Ja, super, hervorragend. Man kann sich immer schnell was ausdenken. Die Frage war ja auch nicht nur aus dem Nichts. Du musst sie auch nicht beantworten. Aber wir sprechen nämlich heute mit jemandem, der mitten in diesem aufwändigen Prozess steckt, seine wissenschaftliche Arbeit zu schreiben und dies dann auch noch mit einem Thema, bei dem man fast nur Stasi-Akten lesen muss. Unser Gast ist Daniel Bonenkamp, der seit Anfang des Jahres ein Promotionsstipendiat der Stiftung Aufarbeitung ist. Aber er hat sich schon in seiner Masterarbeit mit einem spannenden Thema beschäftigt, nämlich mit der Desinformation.
Maximilian Schönherr: Wie alt ist er eigentlich?
Dagmar Hovestädt: Daniel Bonenkamp ist Jahrgang 1987, also zwischen 33 und 34.
Maximilian Schönherr: Also Desinformation durchzieht ja die ganze DDR-Geschichte. Man will die Leute an der Nase herumführen, um gewisse Ziele zu erreichen. Worum geht es in seiner Arbeit?
Dagmar Hovestädt: Seine Arbeit beschäftigt sich sehr spezifisch mit dem, was die Stasi in Bezug auf Desinformation getan hat und da sehr spezifisch die HV A, die Auslandsspionage des MfS. Da erwähnt er ein Wort, das nicht unwichtig ist, das man kurz erklären sollte. Aktive Maßnahmen, das sind Maßnahmen, die das MfS entfaltet hat, vor allen Dingen im Westen und die über die reine Informationsbeschaffung, da war die Stasi ja auch sehr aktiv Informationen zu besorgen, hinausgingen. Das fing in den 50er Jahren als aktive Maßnahme mit Sachen an, die wir auch schon hier besprochen haben, nämlich Entführung und sogar auch Attentate. Und später und darum geht es hier Daniel Bonenkamp in seiner Arbeit, über die wir da sprechen, geht es überwiegend um die Lancierung von Informationen, Desinformation und psychologischer Kriegsführung, auch teilweise um Maßnahmen zur Beeinflussung von politischen Entscheidungsprozessen. Das ist die Definition, die bei uns im MfS Lexikon dafür gegeben wird. Und in der HV A, also der Auslandsspionage Abteilung, gab es eine eigene Diensteinheit dafür, nämlich die Abteilung Römisch 10. Also die speziell solche Aktivitäten sich ausgedacht hat, eingesetzt hat, umgesetzt hat.
Maximilian Schönherr: Und mit Braunbuch meint er ein Buch. Das ist 1965 erschienen und die DDR hat mindestens zehn Jahre lang Fakten gesammelt und Daten gesammelt, welche Ex-Nationalsozialisten in der Bundesrepublik tätig waren, in Ämtern als Richter zum Beispiel. Und dieses Buch hat für ziemlich viel Aufsehen gesorgt. Und es nennt sich: "Braunbuch - Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik".
Dagmar Hovestädt: Genau, das hat er sozusagen eingeordnet, auch in so eine aktive Maßnahme, weil man mit Informationen sozusagen die inneren Gegebenheiten, das innere Gefüge der Bundesrepublik ziemlich angreifen durcheinander bringen konnte. Und das war quasi eine gezielte Maßnahme in dem Sinne. Also es ist eigentlich ganz spannend, dass wir uns über ein historisches Thema unterhalten, das aber auch eine sehr aktuelle Bedeutung hat. Darauf kommen wir sozusagen auch noch mal zu sprechen.
Maximilian Schönherr: Ja, dann legen wir mal los mit dem Gespräch.
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Dagmar Hovestädt: Daniel Bonenkamp heute im Podcast, ich freue mich. Sie sind Jahrgang 1987, das darf man verraten, steht auch im Internet über Sie, kann man schnell finden und arbeiten zurzeit an einer Promotion, die sich mit dem Thema Stasi auf eine sehr spezifische Art beschäftigt. Dazu kommen wir gleich. Aber Jahrgang '87, da bleibe ich noch mal stehen. Warum haben Sie sich als Historiker so stark für die Geschichte der Stasi interessiert? Wie ist das eigentlich gekommen, dass genau dieses Ministerium und die Arbeit einer Geheimpolizei, eines Geheimdienstes für Sie interessant wurde?
Daniel Bonenkamp: Das ist eigentlich zufällig passiert. Also als ich angefangen habe mit meinem Studium, da war die DDR eigentlich total fern, also total fremd. Da hatte ich keinen Bezug zu. Ich bin ja auch nicht in Deutschland aufgewachsen und deswegen war das halt immer sehr weit weg. Und dann habe ich meine Bachelorarbeit zufälligerweise über die Kriegsschuldfrage des Ersten Weltkriegs von der Seite der DDR Geschichtswissenschaft geschrieben. Und da hat's dann halt angefangen, dass ich mich dann halt mehr mit der DDR an sich beschäftigt habe. Und dann über zur Stasi bin ich dann aber tatsächlich über meine Masterarbeit gekommen, die ja eine Desinformationskampagne der HV A behandelt und dann - einmal drin quasi - dann hat es mich gepackt und seitdem lässt es mich nicht los.
Dagmar Hovestädt: Das ist schon ein gutes Stichwort die Masterarbeit. Da nenne ich mal gleich den ganzen offiziellen Titel: "Aktion "Verwüstung" und der Einfluss des Ministeriums für Staatssicherheit auf die deutsch-deutschen Beziehungen Ende der 1960er Jahre". Das haben Sie vor einem Jahr ungefähr abgegeben.
Daniel Bonenkamp: Genau, vor einem Jahr, 2020.
Dagmar Hovestädt: Eine "Aktion Verwüstung", die man ehrlich gesagt, ich glaube, wenn man nicht wirklich Historiker ist, genau hinschaut, eigentlich gar nicht so kennt. Dann würde ich Sie jetzt mal bitten, einfach das Feld aufzumachen. Aktion "Verwüstung", was war das eigentlich?
Daniel Bonenkamp: Also die Aktion "Verwüstung" war eine Desinformationskampagne der HV A. Also Desinformationskampagnen ist eine Unterkategorie von den sogenannten aktiven Maßnahmen, die ja nicht nur, aber auch besonders von den sozialistischen Geheimdiensten sehr oft genutzt wurde, gerade im Kalten Krieg. Und dabei ging es um Vorwürfe gegen die Bundesrepublik natürlich, wo der Bundesrepublik vorgeworfen wurde, dass sie für eine erneute Grenzrevision den Einsatz und die Entwicklung von biologischen und chemischen Waffen plane. Das war im Jahr 1968, also vier Jahre vor dem Grundlagenvertrag. Und da merkt man natürlich ganz stark, wie dann sozusagen dieser propagandistische Feldzug sozusagen Züge aufgenommen hat und wie man merkt, sozusagen wie eigentlich- Das verwundert mich eigentlich auch so ein bisschen, wenn man mal so ein bisschen diese Deutsch-Deutsche Geschichte anschaut und dann einfach mal so ein paar Begriffe aufwirft, was die Beziehung oder charakterisiert hat in diesen 40 Jahren der Teilung. Dann hört man ja oft so Begriffe wie Passierscheinabkommen oder Häftlingsfreikauf, Grundlagenvertrag etc., aber eigentlich fallen Desinformationskampagnen oder auch aktive Maßnahmen eigentlich immer hinten runter. Und wenn man mal anschaut beispielsweise die Braunbuch-Kampagne, wo man ja auch versucht hat, ehemalige NS-Verantwortliche sozusagen an den Pranger zu stellen, die in der Bundesrepublik noch in Amt und Würden waren. Oder auch die AIDS-Kampagne in den 80er Jahren, wo ja auch sozusagen den Amerikanern vorgeworfen wurde, dass sie den Erreger gezüchtet hätten. Und eigentlich findet man, wenn man sich die Geschichte anschaut, eigentlich durchgängig Desinformationskampagnen. Und das hat mich auch so ein bisschen verwundert, dass man sie eigentlich, wenn man sich die Deutsch-Deutsche Geschichte anschaut, eigentlich kaum findet.
Dagmar Hovestädt: Sie meinen, dass man sie nicht behandelt findet in der historischen Betrachtung oder analysiert findet, ja.Mein Kollege Douglas Selvage hat ja die Desinformationskampagne zu dem Aids-Virus mal ein bisschen genauer sich angeschaut. Das war ja eine Zusammenarbeit durchaus mit dem KGB und MfS. Der bulgarische Geheimdienst war noch mit dabei. Insofern vereinzelt ist es schon ein bisschen behandelt worden, aber sie haben jetzt die Aktion "Verwüstung" da gefunden. Und 1968 ist ja durchaus ein sehr bewegtes Jahr auch in der Bundesrepublik, auch in der DDR, einmal Einmarsch Prag, die Niederschlagung des Prager Frühlings. Gab es da in der historischen Situation einen bestimmten Grund, warum auch noch in diesem Jahr '68 von der DDR aus eine Breitseite gegen die Bundesrepublik abgefeuert werden sollte?
Daniel Bonenkamp: Ja, das ist, glaube ich, nicht ganz so leicht zu beantworten. Also diese Kampagne wurde noch 1967 geplant oder begonnen in Moskau und war eigentlich ein Teil von ganz vielen Desinformationskampagnen, die zeitgleich geplant wurden. Ich konnte leider anhand des Aktenmaterials nicht rekonstruieren, warum sie schlussendlich im Jahr 1968 begann, weil, wenn man mal rekapituliert, von 1967 April bis November/ Dezember '68 ist das schon einige Zeit, die da ins Land gegangen ist. Das konnte ich anhand des Aktenmaterials leider nicht rekonstruieren. Allerdings gehe ich davon aus, dass gerade halt auch so Ereignisse wie Prager Frühling etc. höchstwahrscheinlich auch Hintergrund wahrscheinlich war, warum man die dann initiiert hat. Weil diese Desinformationskampagnen dienten eigentlich ja immer der sowjetischen Außenpolitik. Die sollten sozusagen flankieren die sowjetische Außenpolitik und dementsprechend natürlich dann auch die ostdeutschen Dienste, die da natürlich mitgemacht haben. Und ich glaube auch, dass es wahrscheinlich auch damit zu tun gehabt hat, welche, ich sage mal, Multiplikatoren, ich glaube, da kommen wir gleich auch noch drauf zu sprechen, da eingesetzt werden konnten. Und ich glaube, dass da sozusagen dann auch sehr spontan gehandelt wurde.
Dagmar Hovestädt: Die eine Sache, die Sie da angesprochen haben, nämlich die Aktenlage, die ist tatsächlich für Dinge, die mit HV A, der Auslandsaufklärung, mit dem KGB zu tun haben, nicht so wahnsinnig üppig. Wie sind Sie überhaupt dann an Unterlagen gekommen? Wo ist der Ansatzpunkt? Was konnte man in den Unterlagen eigentlich noch finden? Denn die HV A hat sich ja selbst aufgelöst und dadurch nur sehr wenig Material hinterlassen.
Daniel Bonenkamp: Also tatsächlich, ich glaube, die wenigen Überbleibsel von HV A gehen teilweise auch auf Werner Stiller zurück, der dann ja auch sozusagen Aktenmaterial mitgenommen hat. Ich hatte tatsächlich Glück, weil an dieser Kampagne hat nicht nur die HV A mitgewirkt, sondern auch beispielsweise die Abteilung Agitation des MfS, die ja dafür zuständig war. Ich glaube, vielleicht kann man sich so wie eine Art Pressestelle vielleicht auch bezeichnen, weil sie ja quasi dafür zuständig war, innerhalb der DDR entsprechendes Material zu lancieren. Und die wurden ab einem späteren Zeitpunkt erst eingeschaltet. Aber dieses Aktenmaterial ist halt noch überliefert. Und daraus konnte ich dann quasi diese Kampagne zumindest in großen Teilen rekonstruieren.
Dagmar Hovestädt: HV A Material haben Sie gar nicht finden können?
Daniel Bonenkamp: Relativ wenig. Es gibt natürlich für sozusagen den zweiten Teil der Kampagne, wo dann halt auch innerhalb der DDR, wo es Verlage gab, die dann halt sozusagen zu dem Multiplikator auch eine Autobiographie verfassen wollten und so weiter. Und da findet man dann halt auch Briefwechseln, wie die HV A da einschreitet, wie sie das dann untersagt, wie sie beispielsweise dann auch die Einstellung der Kampagne befielt. Aber sonst ist eigentlich, zumindest ist mir nicht bekannt, dass es dazu noch mehr Material gibt. Es gibt beispielsweise zu dieser Versammlung 1967 oder dieser Gespräche in Moskau, wo diese Kampagne initiiert wurde, dazu gibt es noch Material, aber ich gehe mal davon aus, dass das auch über die Abteilung Agitation angelaufen ist.
Dagmar Hovestädt: Bevor wir jetzt ein bisschen einsteigen in die Inhalte, was diese Aktion eigentlich wollte und sollte, noch mal die Frage auch zu dem, was Sie eingangs gesagt haben, dass es logischerweise alles mit der sowjetischen Außenpolitik zu tun hat. Woran kann man das denn feststellen und wie kann man das einordnen? Weil letztendlich heißt das ja, die Stasi war in dem Sinne nur Assistent einer größer angelegten politischen Handlungsweise.
Daniel Bonenkamp: Also man kann das, glaube ich, ganz stark erkennen, weil es sich immer, also viele Kampagnen haben immer zeitgleich stattgefunden zu internationalen Ereignissen. Die Genfer Abrüstungsverhandlungen beispielsweise. Da merkt man halt sozusagen, das immer parallel zu solchen Veranstaltungen bestimmte Kampagnen initiiert wurden. Und das Hauptziel war ja im Endeffekt, auch wenn man die Staatssicherheit sich anschaut, waren die, glaub ich, auch sehr stark, ich will nicht sagen abhängig, aber auf jeden Fall sehr stark inspiriert durch natürlich durch sowjetische Dienste, wenn man auch den Aufbau des MfS sieht. Wenn man den Namen der HV A sich anschaut, dann merkt man natürlich, wie stark sowjetische Dienste da Einfluss genommen haben. Und es finden sich natürlich auch Kampagnen unabhängig vom KGB. Aber gerade bei der Kampagne merkt man halt auch- Das MfS quasi hat die Kampagne initiiert, hat damit begonnen. Dann hat es das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten offiziell übernehmen können und parallel im nächsten Schritt quasi hat dann der KGB das beispielsweise dann auch vor die Vereinten Nationen gebracht, weil die DDR dort ja noch nicht drin saß. Und da merkt man halt, wie das zusammenspielt und glaube ich, was noch ganz wichtig ist, ist das wer entschlossen hat, die Kampagne einzustellen, war Moskau. Die haben gesagt: Jetzt haben wir genug ostdeutsches Störfeuer. Was auch teilweise mit den Verhandlungen in Moskau 1970 etc. klar wurde. Da hat man halt gemerkt, dass das, was man erreichen wollte, erreicht hat. Und jetzt ist gut und jetzt schließen wir das ab. Und selbst wenn die MfS weiter hätte machen wollen, merkt man, dass Moskau den Takt vorgegeben hat.
Dagmar Hovestädt: Das ist eine Dynamik, die letztendlich immer am Anfang einer dieser Prozesse steckt. Da steckt jemand dahinter, der Auftrag gibt, der was beschließt und der was auch beendet. Und dann ist das MfS in dem Sinne eher ausführende Stelle und nicht so sehr eigeninitiative Stelle.
Daniel Bonenkamp: Ich glaube halt auch, es geht halt auch gerade bei sowas immer um Glaubwürdigkeit. Also wer kann das natürlich auch an die Öffentlichkeit bringen. Das ist natürlich gerade bei solchen Kampagnen, die auch immer ein Funken Wahrheit beinhalten müssen, damit sie glaubwürdig erscheinen können. Und das ist natürlich klar, dass das dann eine staatliche Stelle der DDR hätte machen müssen und nicht Moskau, die dann erst später sich eingeschaltet haben.
Dagmar Hovestädt: Vielleicht einfach mal ganz in medias res. Was war denn die Aktion "Verwüstung"? Worum ging es dabei? Sie hatten eingangs schon mal gesagt, es ging um ABC Waffen, Materialien. So lange war der Zweite Weltkrieg das Ende noch nicht so vorbei. Das war durchaus etwas, was man international sehr kritisch gesehen hat, dass sich Deutschland auf dem Gebiet da wieder tummeln wollen würde. Wer waren die Akteure? Die Multiplikatoren? Wie fing das an? Was war die Idee? Wie konnte man das bemerken?
Daniel Bonenkamp: Also der Hintergrund von solchen Desinformationskampagnen, also auch Propagandafeldzüge oder Propagandakampagnen war natürlich gerade für die DDR immer das Problem, dass sie ja von den meisten Staaten der Welt nicht anerkannt war, was sozusagen immer im Hintergrund war, ist quasi die Legitimierung des eigenen Staates im Vergleich zur Bundesrepublik. Und da wollte man sich natürlich als das neue, bessere Deutschland darstellen. Und eine Konstante, die sich da durchzieht, ist natürlich die Bundesrepublik oder die Bonner Verantwortlichen, also deren Ruf quasi, wie soll ich sagen, zu diffamieren, also im Endeffekt unglaubwürdig zu machen. Wieder quasi die Gerüchte in die Welt zu setzen, dass sie in der Konsequenz zum Nationalsozialismus da wieder anknüpfen wollen. Das quasi eine neue Gefahr von der Bundesrepublik ausgeht und die Kampagne, also die Aktion "Verwüstung", die beinhaltete in der Tat ursprünglich ABC-Waffen, also auch atomare Waffen. Sie haben sich dann allerdings bzw. ich habe mich dann auch auf die BC Waffen beschränkt, weil-
Dagmar Hovestädt: biologische und chemische Waffen.
Daniel Bonenkamp: Genau, biologische und chemische Waffen, weil es gab eigentlich nur ein Hauptmultiplikator. Also Multiplikatoren sind ja quasi immer die, die quasi in die Öffentlichkeit auftreten können. Journalisten, Professoren, Politiker, die eine Glaubwürdigkeit besitzen, die quasi so was in die Öffentlichkeit tragen können. Und der Multiplikator für diese Kampagne, Ehrenfried Petras war ein Spion, also ein inoffizieller Mitarbeiter der HV A, schon Anfang der 50er Jahre. Er wurde ungefähr zeitgleich auch mit Günter Guillaume geworben in der Aktion "100" und Ehrenfried Petras, studierter Mikrobiologe, arbeitete im Institut für Aero-Biologie in Westdeutschland, was unter anderem auch durch das Bundesverteidigungsministerium finanziert wurde. Und man suchte natürlich für solche Kampagnen immer Multiplikatoren, die quasi diese Kampagne anstoßen können. Und zeitgleich war das aber auch so, dass Ehrenfried Petras bei seiner Einstellung in das Institut oftmals oder viele Angaben nicht richtig getätigt hat. Das heißt, er ist bei wiederholten Sicherheitsüberprüfung aufgefallen und man hat ihm quasi zum Ende des Jahres '68 gekündigt und da ist natürlich aus den Quellen nicht ganz zu rekonstruieren, ob das jetzt die Initialzündung war, ihn jetzt zurückzuziehen und dazu zu verwenden. Allerdings ist es natürlich auch wenn man einen Multiplikator einsetzen möchte, um eine Glaubwürdigkeit schaffen möchte, ist es natürlich auch wichtig, dass er noch an einer bestimmten Position saß, also dass er sozusagen aus erster Hand berichten kann etc. und als sozusagen dieser Rückzug auch notwendig wurde, weil er sonst natürlich auch irgendwie verbrannt wäre bzw. arbeitslos, da ging das dann relativ schnell. Und von seinem Rückzug zu der ersten Pressekonferenz oder zu seinem ersten öffentlichen Auftritt ist dann auch nur eine Woche, glaube ich, vergangen. Man merkt aber auch die Vorbereitungen. Also man hat schon die Wochen, Monate davor alles, was er sagen sollte, bis ins Detail vorbereitet. Ich habe auch im Aktenmaterial zahlreiche Manuskripte gefunden, wo wirklich alles noch mal korrigiert wurde und etc. Und Gutachter sollten da noch mal drauf schauen, damit es glaubwürdig klingt.
Dagmar Hovestädt: Man hat jemand an einer Stelle, der Zugang zu Informationen hat, mit dem man die Bundesrepublik diskreditieren kann. In dem Moment, wo er sozusagen ausscheidet, weil er auffliegt, vielleicht sogar die Leute Zweifel an ihm haben, kann man ihn ja eine Woche später, als so eine Art Whistleblower, nach heutigem Verständnis, präsentieren. Der ist da rausgeflogen, da kann er sagen: "Ja, weil ich unbequeme Fragen gestellt habe und ich was wusste, was ich nicht erzählen durfte. Und deswegen stehe ich jetzt heute hier vor euch."
Daniel Bonenkamp: Also ich würde jetzt Petras in dem Sinne nicht als Whistleblower bezeichnen. Nicht nur weil er ja schon seit den 50er Jahren IM der HV A war, sondern auch weil er durch seinen seinen Background, sage ich mal. Er hatte unter anderem auch Anfang der 50er Jahre in der DDR studiert oder sein Studium begonnen und wurde dann quasi wieder zurückgeschickt als Perspektiv-Spion. Und er hat dadurch bei seiner Anstellung im Institut für Aero-Biologie diese Sicherheitsüberprüfung eigentlich nicht bestanden. Das heißt, er durfte eigentlich nicht mit brisanten oder Verschluss-Material arbeiten. Das heißt, er konnte eigentlich gar nicht, also es gab im Institut für Biologie sozusagen zwei, zwei Unterteilungen, einmal für geheime Forschung und einmal für relativ, sag ich mal, öffentliche Forschung. Und er war in diesem zivilen Bereich und das heißt, er konnte auch gar nicht erst mal wichtiges Material an andere oder nach Ost-Berlin liefern, weil er schlussendlich einfach diese Sicherheitsüberprüfung nicht hatte. Und das wurde dann auch sozusagen ab '65 ungefähr sozusagen, wo man ihn dann noch mal sicherheitsüberprüftin hat und so weiter und so fort. Da hatte man auch einen Verdacht, ob nicht Informationen aus dem Institut in den Osten gelangen und so weiter und so fort. Aber man hat nichts gefunden, man hat ihn überprüft. Der BKA hat ihn überprüft, Verfassungsschutz hat überprüft. Man hat aber eigentlich nichts gefunden und das ist eigentlich auch ganz interessant. Ich glaube, da gehe ich auch noch mal darauf ein, wie dann eigentlich die Reaktionen in der Bundesrepublik waren, weil die waren überhaupt nicht vorbereitet. Die wussten erstmal überhaupt gar nicht wer das ist. Und im Bundesarchiv beispielsweise Material zu Ehrenfried Petras, da wird erst erstmal recherchiert: Wer ist das überhaupt? Was machen wir da im Institut? Und stimmt das?
Dagmar Hovestädt: Die Quellen, die Sie in anderen Teilen des Bundesarchivs eingesehen haben, waren dann aus welchen Beständen, von welchem Minister?
Daniel Bonenkamp: In Koblenz und Freiburg.
Dagmar Hovestädt: Militärarchiv und dann Innenministerium?
Daniel Bonenkamp: Militärarchiv, genau, und natürlich das Verteidigungsministerium, dann aber natürlich auch Bundeskanzleramt, weil der Bundeskanzler natürlich auch unterrichtet wurde. Und da merkt man halt wirklich, wie erst mal so ein Lebenslauf erstellt wird. Also wer ist das überhaupt? Und stimmt das, was er sagt? Und erst ein Jahr später, also Ende '69, bezeichnet die Bundesrepublik, also auch Willy Brandt, die Kampagne oder die Aktion "Verwüstung" als das, was es da ja auch war: eine Desinformationskampagne. Und bis dahin merkt man halt, die koordinieren ihr ihre Reaktion überhaupt nicht. Das Auswärtige Amt fährt dem Verteidigungsministerium in die Haare quasi, weil die Sachen öffentlich machen, die nicht stimmen. Also das fand ich auch sehr spannend. Da merkt man natürlich auch, wie wenig vielleicht die westdeutsche Außensicherheitspolitik auf die DDR angewiesen war bzw. wie wenig sie sich darauf bezogen hatten und wie unwichtig sie eigentlich war im Vergleich zur DDR. Dagmar Hovestädt: Petras war nicht ganz ohne Verdacht. Der kommt aus dem Osten, da weiß man nicht so ganz genau Bescheid, konnte ihm nichts nachweisen. Ich meinte nur das mit dem Whistleblower, nicht dass er selber als ein solcher bezeichnet werden kann, aber man kann ihn als solchen inszenieren, weil das wirkt ja erst mal ganz gut zur Glaubwürdigkeit, da er gerade rausgeflogen ist. Und dann kann man sagen: Na ja, weil er was zu erzählen hat. Und dann hat das eine hohe Glaubwürdigkeit. Aber die bundesdeutschen Institutionen hatten ihn so gar nicht auf dem Schirm, waren auch wahrscheinlich gar nicht vorbereitet darauf, dass das als Propagandainstrument sie sozusagen hier diskreditieren soll. Denn was ist denn eigentlich der Effekt, als er jetzt sagt: Ich kann euch was erzählen, geheimes Tun hier, die rüsten wieder auf. Biologische-chemische Waffen werden in Deutschland produziert. Was ist der Effekt in der Öffentlichkeit?
Daniel Bonenkamp: Also tatsächlich kann man ihn so wirklich dann als Whistleblower bzw. hat man ihn zumindest so dargestellt.Was ein Ziel des MfS, aber natürlich auch des KGB war, natürlich auch die westlichen Bündnispartner auf den Plan zu rufen, dass die quasi auch nachfragen: Stimmt das und etc. und macht ihr das wirklich? Und so weiter und so fort.Also der Adressat so einer Kampagne war natürlich auch natürlich Washington, London, Paris und so weiter. Was man aber dann in den Akten beispielsweise jetzt vom Politischen Archiv des Auswärtigen Amts festgestellt hat, dass die das zu keinem Zeitpunkt geglaubt haben. Die wussten, was in der Bundesrepublik passiert. Die haben teilweise auch diese Substanzen geliefert, weil es laut internationalem Recht ja auch legitim war, sich gegen mögliche Angriffe zu verteidigen. Das kann man natürlich auch nur, wenn man in bestimmten Teilen dann dazu auch forscht. Man merkt im Endeffekt, dass das zu keinem Zeitpunkt passiert, dass die auch in Washington wissen, dass es jetzt wieder eine Aktion der Sowjets und da brauchen wir nicht reagieren. Sie haben dann zwar ein Statement abgegeben und dann war das eigentlich für die westlichen Bündnispartner relativ schnell erledigt.
Dagmar Hovestädt: Da könnte man sich natürlich auch vorstellen, dass die entsprechenden Geheimdienste der Amerikaner, Briten und Franzosen genau darauf aufpassen und dass deren Intelligence oder Informationen so sind, dass sie auch schon wissen, dass das keine Substanz hat und dass dann dahinter eben die DDR und die Sowjetunion steht.
Daniel Bonenkamp: Ja, wobei man ja auch wissen muss, also die Bundeswehr, die war ja eigentlich auch zu keinem Zeitpunkt eine Armee oder Streitkraft, die unabhängig hätte agieren können. Also die war ja immer eingebettet in die NATO-Streitkräfte und die hätte ja einen Krieg alleine gar nicht führen können. Also da merkt man halt auch schon, wie eigentlich unrealistisch auch diese Vorwürfe eigentlich waren. Interessant wird es aber allerdings, wenn man von diesem internationalen Reaktion auf die innerdeutschen Reaktionen zu sprechen kommt. Es gab ja diese von Günter Wallraff unter anderem für die Zeitschrift "Konkret" sind die sozusagen als, ja, Multiplikatoren kann man das nicht nennen, also nach 1990, wo das teilweise als nützliche Idioten bezeichnet, weil die dann quasi ja ungeplant auf den Zug aufgesprungen sind. Die haben das geglaubt und haben dann quasi sozusagen weiter geforscht. Und für die "Konkret" sind dann zahlreiche Beiträge entstanden, wo man dann halt auch bestimmte Verantwortungsträger in der Bundesrepublik telefonisch kontaktiert hat und dann einfach solche Forschungen angeboten hat. Und da kam es zum Skandal an der Universität in Kiel, wo dann ein Professor sozusagen- das Telefonat wurde abgedruckt und dann sind die Studis, also die Studierenden, sind natürlich auf die Barrikaden gegangen und haben dann sozusagen eine Rechenschaft gefordert und so weiter und so fort. Aber da war halt auch nichts dran. Ich glaub, Jahrzehnte später hat sich Günter Wallraff dann auch entschuldigt und so weiter und so fort. Aber da merkt man natürlich dann auch sozusagen die Ziele, die man erstmal an diese Kampagne stellt, dass die dann halt auch indirekt sozusagen weitergehen und zu ganz anderen Ereignissen führen. Und natürlich dann halt auch, Sie haben es ja anfangs angesprochen, in die 68er-Bewegung reingehen. Also in diese ganzen Studentenbewegung und so weiter und so fort. Und dafür war das natürlich ideal.
Dagmar Hovestädt: Ist das nicht vielleicht das eigentliche Ziel einer Desinformationskampagne, dass es sich osmotisch verselbstständigt, Faktizität erlangt, obwohl es gar nicht so ist, und in die etablierten Institutionen, Presseorgane, und als ernsthafter Fakt behandelt wird, weil man das so glauben will. Und dadurch gibt es ja auch eine Distanz wieder von der eigentlichen gefakten Quelle?
Daniel Bonenkamp: Genau, also gerade auch bei dieser Aktion "Verwüstung" merkt man das auch sehr stark, wie teilweise wahre Informationen mit mit Fake News oder mit falschen Informationen wirklich amalgamiert werden, weil man halt weiß, was ist glaubwürdig und was ist nicht glaubwürdig. Und gerade auch in der Bundesrepublik merkt man das natürlich auch. Also im Bundestag werden natürlich dann auch Anfragen gestellt, was ist dran, von FDP etc.. Ich meine SPD jetzt nicht, die waren ja im Auswärtigen Amt, aber da merkt man das natürlich auch. Auch gerade die Presse, also es hat quasi nahezu jede Zeitung in Deutschland zumindest kurz darüber berichtet. Wobei aber die schon, sag ich mal, vor den verantwortlichen Stellen in der Politik eigentlich schon mehr oder weniger wussten, dass das jetzt eine Desinformationskampagne ist und das dann auch relativ schnell wieder haben fallen lassen.
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Sprecher: Sie hören:
Sprecherin: "111 Kilometer Akten -
Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."
Dagmar Hovestädt: Wer hat das Ding eigentlich Aktion "Verwüstung" genannt?
Daniel Bonenkamp: Das kann ich-
Dagmar Hovestädt: Ist das ein KGB- oder ein MfS-Begriff?
Daniel Bonenkamp: Also das weiß ich gar nicht. Was ich in den Quellen gefunden habe ist, dass ja zeitgleich zu dieser Aktion "Verwüstung" noch ganz viele andere Aktionen beschlossen wurden, gegen die Bundesrepublik in Afrika etc. mit ihren Aktionen "Sonne", Aktion "Neptun" und warum das dann "Verwüstung" hieß, konnte ich zumindest aus den Akten nicht entnehmen. Ich weiß nicht, ob das überhaupt so einen Hintergrund hat oder wie man die Decknamen ausgewählt hat. Das weiß ich jetzt auch nicht.
Dagmar Hovestädt: Aber der Deckname kommt schon aus den MfS-Unterlagen, oder?
Daniel Bonenkamp: Genau. Also das wird aufgezählt und dann unter anderem eine davon ist die Aktion "Verwüstung". Und da steht dann halt ABC und Bundeswehr, genau.
Dagmar Hovestädt: Diskreditierung der Bundesrepublik durch den Vorwurf, dass sie sich wieder bewaffnet durch solche Waffen.
Daniel Bonenkamp: Genau.
Dagmar Hovestädt: Wenn man jetzt in dieser Arbeit, ihre Masterarbeit, so betrachtet, könnte man sagen, es ist so eine Anatomie einer Desinformationskampagne. Was war Ihr Fazit? Ist es gelungen? Sind Ziele erreicht worden?
Daniel Bonenkamp: Nein, eigentlich nicht. Also man sieht im Endeffekt, wie ich es ja schon erwähnt habe, zu den westlichen Bündnispartnern hat sich eigentlich gar nichts verändert. Was man vielleicht noch untersuchen könnte, ist, wie es natürlich dann innerhalb der Bundesrepublik, gerade in diese 68er etc., in diese ganzen Bewegungen, ob das, sozusagen, noch mal Öl ins Feuer gegossen hat. Und das müsste man dann wahrscheinlich noch mal untersuchen. Ich glaube aber schon, dass das innerhalb der Bundesrepublik mehr Auswirkung dann hatte, vielleicht weniger politische, aber auf jeden Fall glaube ich schon, dass es Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre schon stärkere Auswirkungen dann schon hatte, auf die Meinungsbildung beispielsweise.
Dagmar Hovestädt: Sie haben das ja auch schon mal in den größeren Zusammenhang gestellt, von diesen vielen verschiedenen aktiven Maßnahmen, Desinformationskampagnen. Es scheint mir auch an diesem Beispiel ganz konkret erfahrbar oder feststellbar, dass die Effekte gar nicht unbedingt kalkulierbar sind und das die Stärke vielleicht sogar darin liegt, dass all diese nicht kalkulierten Effekte, die Verselbstständigung, dass das in so Narrative reingeht für ganze Generationen oder ganze Gesellschaftsgruppen, die das sozusagen vereinnahmen und dann für sich selber als Wahrheit ansehen, dass das eigentlich quasi auch das Anstrengende und Gefährliche und dann im Sinne des Verursachers dieser Desinformationen das Ziel eigentlich ist, dass man für Verunsicherung und Zerstreuung sorgt.
Daniel Bonenkamp: Genau. Also das war ja auch ein Ziel dieser aktiven Maßnahmen. Idealerweise, dass man so eine Kampagne initiiert, aber dass sie von alleine dann weiter getragen wird, wie beispielsweise jetzt mit Günter Wallraff, dass man quasi drauf aufspringt. Und das Ziel dieser aktiven Maßnahmen war ja quasi am Rad der Geschichte zu drehen, dass man wirklich in die Innenbeziehungen eines anderen Landes eingreifen kann und zu den eigenen Gunsten hin beeinflussen kann. Und beispielsweise die mit die bekannteste aktive Maßnahme war ja auch das Misstrauensvotum gegen Willy Brandt '72, glaube ich, war das. Und das war ja, also die gekauften Stimmen, das war eine aktive Maßnahme des MfS. Und das war etwas, wo wirklich das MfS geschafft hat, etwas wirklich zu beeinflussen in dem Sinne. Aber sonst glaube ich nicht, dass das irgendwie einen großen Einfluss hatte, oder zumindest die eigenen Ziele haben sie nicht erreicht.
Dagmar Hovestädt: Was wären die eigenen Ziele?
Daniel Bonenkamp: Beispielsweise die Öffentlichkeit in der Bundesrepublik zu sensibilisieren bzw. gegen die Bonner Regierung aufzuhetzen und das Bild der DDR natürlich dann auch wieder positiv darzustellen. Dann das Bündnis entzweien, das war auch ein Ziel, also das NATO-Bündnis entzweien. Dann die amerikanischen Militärbasen aus Europa abzuziehen, das waren so weit gegriffene Ziele, wo man halt sieht, das wurde nicht erreicht. Als ein Ziel wurde da auch formuliert, eine Sicherheitskonferenz in Paris, was man da vielleicht mit in den 70er Jahren mit KSZE gleichsetzen kann. Aber ich glaube, das wäre übertrieben zu sagen, dass dieses Ziel dann tatsächlich erreicht wurde. Ich glaube, das ist unrealistisch.
Dagmar Hovestädt: Jetzt würde ich gerne einfach auch noch mal zum Nutzen des Archivs oder der Archive, da sind ja viele verschiedene Recherchewege beschritten worden. Wenn man also dieses Thema findet und sich da auf die Suche macht, dann merkt man ja schnell, man kann im MfS bei uns im Stasi-Unterlagen-Archiv die Propaganda- oder Agitationsabteilung Unterlagen finden, aber dann merkt man, das reicht nicht. Und wie geht es dann eigentlich weiter? Wie findet man dann weitere Überlieferung und andere Archive?
Daniel Bonenkamp: Das funktioniert so ein bisschen, zumindest in meinem Fall, so wie das Schneeballsystem bei Sekundärliteratur. Ich habe dann in Koblenz nachgeschaut, in Freiburg nachgeschaut und dort fand sich nicht immer neues Material, aber oft doppeltes Material. Das man beispielsweise viel dort auch noch einmal abgeheftet hat und so weiter. Das ist dann schon möglich. Wobei natürlich in diesem Fall, mit der HVA, das dann auch wirklich sehr begrenzt ist. Man findet Teile. Ich habe Teile dann auch in Berlin Lichterfelde gefunden und-
Dagmar Hovestädt: Welche Bestände?
Daniel Bonenkamp: Von der NVA. Das fand ich auch sehr kurios. Weil beispielsweise, als dann Petras rübergegangen ist und dann als die erste, es war keine Pressekonferenz, sondern ein Statement stattfand in der "Aktuellen Kamera" in der DDR - so was wie die Tagesschau in der Bundesrepublik - die NVA wusste von gar nichts. Die haben erst mal gefragt: Wer ist das? Wir hätten gern auch diese Information. Es geht da um die Bundeswehr und so weiter und so fort. Das war natürlich auch sehr interessant, das sozusagen wirklich nur ganz wenige eingeweiht waren, wussten wer das war. Allein an Berichten an die SED quasi war genauso. Also da wurde auch nie Ehrenfried Petras selbst genannt, sondern immer nur von einem quasi Kronzeugen, der in die DDR gekommen ist und so weiter und so fort. Und dann halt im Schneeballsystem. Also in Parteienarchiven gab es ganz wenig dazu, Landesarchiv gab es immer mal wieder Sachen, wie zum Beispiel in Kiel, aber sonst war das sehr begrenzt dann auch.
Dagmar Hovestädt: Aber man lernt ja dann dadurch, dass man die verschiedenen Institutionen von damals abklappert und die Archive, die es heute dazu gibt, wer Bescheid wusste, wer nicht Bescheid wusste, wer das aber wichtig genug fand, dazu eine Unterlage oder einen Bericht abzuspeichern und so weiter. Insofern ergibt sich ja schon auch ein Bild, das die vorher alles ausführlich vermittelt haben, weil es eben in verschiedensten Archiven so dokumentiert ist. Das heißt, Desinformation - ich würde sozusagen im abschließenden Schritt noch mal auf ihr neues Projekt kommen - aber das Thema Desinformation hat sich ja auf eine ganz andere Art sehr als sehr aktuell wieder erwiesen. Man hätte das vor ein paar Jahren eher so in diese Szenerie des Kalten Kriegs eingeordnet und merkt jetzt aber, dass das durchaus ein Instrument ist, das verschiedenste Player, sei es von anderen Ländern, nach wie vor zwischen Ost und West, aber auch innerhalb eines Landes durch verschiedene Parteiorganisationen und Stimmen, die sich artikulieren wollen, einfach benutzt wird, um Aufruhr zu schaffen und Meinungen zu manipulieren, zu verändern.
Daniel Bonenkamp: Ja, man merkt halt auch in der Geschichte, wie viel auch Kriege so begonnen haben. Beispielsweise der Zweite Weltkrieg mit dem Angriff auf den Sender Gleiwitz. Das war ja auch in dem Sinne Desinformation. Und da merkt man - auch der Irak-Krieg Anfang der 2000er - im Endeffekt ist es immer: Man braucht eine Begründung, warum man tut, was man tut. Und Geheimdienste können halt Sachen tun, die die Öffentlichkeit oder die Politik der Öffentlichkeit nicht verkaufen kann. Und da kommen dann die Geheimdienste ins Spiel. Und das sieht man natürlich an der Aktion "Verwüstung". Wobei das in dem Fall natürlich noch mal ein bisschen anders ist, weil das MfS auch eine Geheimpolizei war und dann teilweise natürlich auch Sachen gemacht haben, die sag ich mal, der BND laut Verfassung laut Gesetzen jetzt nicht machen könnte und wollte.
Dagmar Hovestädt: Jetzt waren sie, sag ich mal, in so einem Hardcore-Geheimdienst-Thema drin und das nächste Thema, dem sie sich widmen, da würde man, glaube ich, gar nicht drauf kommen, dass sie sich jetzt mit solchen Sachen beschäftigen. Also erzählen Sie mal kurz, was ihr derzeitiges Dissertationsthema ist.
Daniel Bonenkamp: Also mein Dissertationsprojekt ist eine geschlechterhistorische Untersuchung des MfS. Das ist natürlich ein sehr breitgefächerter Begriff, was kann man eigentlich darunter verstehen. Und im Mittelpunkt der Untersuchung ist die hauptamtliche, als auch die inoffizielle Mitarbeiterin im MfS. Und Ziel ist es zu untersuchen, welche Rolle hatte eigentlich die Frau im MfS? Also nicht nur jetzt als Angestellte, sondern auch in Instrumentalisierungen, beispielsweise durch den weiblichen Körper, aber auch welche Verantwortung hat sie durch ihre Arbeit getragen, das System aufrecht zu erhalten? Und wenn man beispielsweise jetzt auch den Zweiten Weltkrieg oder den Nationalsozialismus sich anschaut mit der Konstruktion der Volksgemeinschaft, da gibt es ja auch schon interessante Studien zur Verantwortung der Frau. Und die Idee ist mir eigentlich zufällig gekommen, auch während der Masterarbeit, in der Publikation von Ilko-Sascha Kowalczuk "Stasi konkret", der da ja auch wirklich die Frage aufwirft - der Anspruch des MfS war ja, die Gesellschaft flächendeckend zu überwachen. Ich glaube, Mielke hat auch mal diesen Satz gesagt: "Wir müssen alles wissen!" - und Kowalczuk fragt im Endeffekt danach: Wie kann das überhaupt möglich gewesen sein? Oder wie konnte dieser Anspruch erfüllt werden, wenn das MfS mit viermal mehr männlichen IM zusammengearbeitet hat als mit weiblichen? Also ein Großteil der Gesellschaft konnte gar nicht überwacht werden oder wurde gar nicht überwacht. Und daraus ist die Idee entstanden, sich das wissenschaftlich noch mal detaillierter anzuschauen.
Dagmar Hovestädt: Sehr interessant. Das ist eigentlich so ein weites Feld. Also das eine ist der Apparat selber nach innen hin. Wie ist da die Geschlechterfrage? Wie ist die Verteilung über vier Jahrzehnte? Und das andere ist: Wie konnte das MfS eigentlich seine Arbeit machen? Vor allen Dingen mit seinem Haupt oder einem seiner wirklich zentralen Werkzeuge, der inoffiziellen Mitarbeit, wenn man da sich auf nur ein Geschlecht hauptsächlich konzentriert? Wie legt man denn da los? Wir haben ja ein ziemlich großes Archiv. Da kann man jetzt nicht, wenn Sie einen Antrag stellen, sagen: Suchen Sie mir alles raus, was mit Frauen und geschlechterspezifische Fragen zu tun hat. Dann wird das schon schwieriger.
Daniel Bonenkamp: Das ist eigentlich eine Sackgasse, weil es gibt keinen Bestand im Stasi-Unterlagen-Archiv, der sich auf weibliche Mitarbeiter, IM oder Frauen an sich konzentriert.
Dagmar Hovestädt: Das liegt aber nicht an uns, das liegt daran, dass die Stasi das nicht so hinterlassen hat.
Daniel Bonenkamp: Genau, genau, das wollte ich gerade sagen. Begriffe wie Gender- oder Geschlechterhistorisch, ich glaube, das kannten die damals nicht wirklich. Und es ist interessant, man legt natürlich erstmal auch los mit Sekundärliteratur. Was gibt es eigentlich schon dazu? Verbunden natürlich mit dem Promotionsprojekt. Man muss natürlich erstmal eine Finanzierung bekommen und das war dann auch sozusagen mein erster Anlaufpunkt, dass man natürlich ein Exposé erarbeiten muss, um sich irgendwo zu bewerben bzw. das Projekt irgendwo unterzubekommen und dafür erst mal sich sozusagen einzulesen. Was gibt es, was gibt es nicht? Welche Fragen stellen sich? Welche Methoden, Theorien kann man beispielsweise verwenden? Und das war quasi der Beginn. Aber dann verändert sich natürlich viel. Dann bekommt man auch Aktenmaterial rein, kommt man immer mehr in die Literatur rein. Man findet immer und immer und immer mehr. Und dann geht es natürlich dahin, dass man überlegt, was möchte man eigentlich dann mit diesem Projekt machen. Ganz wichtig: An welchen Forschungsdiskurs möchte man anknüpfen, damit das eigene Projekt nicht irgendwo im luftleeren Raum herumschwirrt. Und natürlich eine Eingrenzung. Das ist ganz wichtig, dass man jetzt nicht sagt, man möchte jetzt einen 800 Seiten Buch schreiben und dann alles drin haben was dazu jemals geschrieben und gemacht wurde. Und das ist ganz wichtig, dass man sich dann irgendwann einschränkt und schaut: Diesen Aspekt möchte ich anschauen und diesen aber auch nicht. Und im Idealfall startet das dann natürlich eine Diskussion und dann kommen die anderen Aspekte dann natürlich durch anschließende Forschung dazu.
Dagmar Hovestädt: Jetzt weiß ich, dass Sie vor ein oder zwei Wochen im Lesesaal waren. Was haben Sie denn da gelesen? Was war da auf dem Tisch im Lesesaal?
Daniel Bonenkamp: Unter anderem die Bekleidungsordnung des MfS. Also schön skizziert mit Uniform, wer was tragen sollte und so weiter und so fort, im Außendienst, innerhalb des Ministeriums und so weiter. Und das ist beispielsweise schon interessant gewesen, während es für die Männer Uniform, Generalleutnant, Generalmajor etc. war alles vorhanden, aber bei der Frau maximal Oberstleutnant. Also es gab keine Uniform für Oberst, General etc. Und da stellt sich natürlich auch die Frage: Warum? Das war beispielsweise ein Aspekt. Dann andere Sachen sind, beispielsweise, das Frauenkommuniqué '61 und dann quasi wie das dann im MfS umgesetzt wurde. Internationaler Frauentag, der ja im MfS auch immer begangen wurde, am 8. März. Unterlagen zur Abteilung Kader und Schulung, also so was wie die Personalabteilung, was ganz wichtig ist, beispielsweise auch Bewertung von weiblichen Mitarbeitern. Kann man da Unterschiede feststellen? Worauf wurde da geachtet? Und die Frage natürlich halt auch immer die Frauen im MfS oder die Mitarbeiterinnen im MfS hatten einen bestimmten Ruf, also sie waren beispielsweise schwatzhaftig oder fehlende tschekistische Verhaltensweisen wurden ihnen nachgesagt. Und da stellt sich natürlich auch die Frage: Warum haben Sie dann überhaupt mit Frauen zusammengearbeitet, wenn diese Charaktereigenschaften denen nachgesagt wurden?
Dagmar Hovestädt: Also kann man ja schon sagen, das Ministerium für Staatssicherheit wirkt zumindest, ohne dass ich das jetzt exakt untersucht hätte, aber wie so ein sehr geschlossenes Männerbündnis mit ab und zu mal Frauen, die das Bild schmücken oder die Sekretärinnen sind oder im Archiv die Akten dort verwalten. Also an herausgehobener Stelle gibt es nur sehr, sehr wenige Frauen.
Daniel Bonenkamp: Ja, wenn man sich beispielsweise mal die Personalstruktur anschaut. Also das MfS ist ja seit den 50er Jahren explosionsartig gewachsen und auch dadurch sind natürlich dann halt auch weibliche Mitarbeiterinnen öfter ins MfS gekommen. Die Personalstruktur, hat sich immer weiter verjüngt, natürlich, aber die Führungsriege quasi im MfS, die bestand eigentlich durchgängig, sag ich mal, wie man das heute ja auch schon oft hört, alte weiße Männer, die zwischen 1920 und 1940 geboren wurden. Das heißt, selbst wenn man in der Verfassung der DDR die Gleichberechtigung offiziell verkündet hat etc. und so weiter und so fort, die Strukturen, die sind gleich geblieben. Also da hat sich nichts verändert. Und man merkt im Endeffekt, dass man, klar, man hat versucht, die Gleichberechtigung durchzubringen, auch in der DDR, aber man hat die Rolle des Mannes gar nicht mitgedacht. Also wie verändert sich die Rolle des Mannes, wenn man so eine Gleichberechtigung durchbringen möchte oder durchsetzen möchte in der Gesellschaft. Und das merkt man ganz stark beim MfS auch. Die Frau hat ja diese Dreifachbelastung, also durch Beruf, durch Haushalt und Kindeserziehung und der Mann hatte das alles nicht. Und es wurde auch gar nicht angezweifelt, warum der Mann nicht einfach mal die Kinder abholen kann von der Kita. Also spannende Fragen.
Dagmar Hovestädt: Und, diese Frage würde mich auch wirklich interessieren, wie das MfS die IM-Tätigkeit weitestgehend an Männer delegiert und trotzdem auch in der DDR die Hälfte der Bevölkerung eben Frauen waren.
Daniel Bonenkamp: Mehr noch, glaub ich.
Dagmar Hovestädt: Ja, das recherchieren Sie jetzt sicherlich alles. Aber wie diese Geschlechterfrage eben auch die Qualität der Arbeit, der Beziehungen nach innen, aber auch nach draußen in Bezug auf die Arbeit geprägt hat. Vielleicht gab es sogar auch blinde Flecken. Sind dadurch viele Sachen auch entgangen? Hat sich sich Qualitätsverschiebungen ergeben? All das wird Sie wahrscheinlich dann interessieren. Wie lange haben Sie noch vor sich für die Arbeit?
Daniel Bonenkamp: Also die Förderung hat im Februar diesen Jahres begonnen. Insgesamt wird drei Jahre gefördert, wobei man das natürlich auch mal formal verlängern muss und so weiter, weil die Stiftung natürlich, die Bundesstiftung Aufarbeitung, natürlich auch wissen möchte, dass man quasi am Ball bleibt. Und dann kommt höchstwahrscheinlich auch noch eine Corona-Verzögerung dazu, weil die Archive natürlich auch alle geschlossen waren in der Zeit und teilweise sich das ja immer noch aufstaut. Also im Bundesarchiv Lichterfelde sind den nächsten freien Termine im August 2022 und das kommt natürlich auch noch dazu. Damit sollte man natürlich nicht planen, aber ein Großteil liegt noch vor mir.
Dagmar Hovestädt: Na dann wünsche ich auf jeden Fall gutes Durchhalten, das Corona das nicht zu stark verzögert und bin gespannt auf das, was dabei rauskommt und freue mich, dass wir ein Nutzer aus dem Lesesaal kennengelernt haben. Danke auch für die Info zur Desinformation.
Daniel Bonenkamp: Ich danke.
Dagmar Hovestädt: Und dann auf bald mal wieder.
Daniel Bonenkamp: Alles klar. Dankeschön!
[Jingle]
Maximilian Schönherr: Das war Daniel Bonenkamp, Promotionsstipendiat der Stiftung Aufarbeitung. Der Untertitel seiner Promotion heißt im Arbeitstitel: "Geschlechterhistorische Untersuchung zum Ministerium für Staatssicherheit".
Dagmar Hovestädt: Und wie immer zum Ausklang eine akustische Begegnung mit dem Stasi-Unterlagen-Archiv, der ganz zufällig ausgewählte Ton aus den Audiobeständen.
[schnelles Tonspulen]
Elke Steinbach: Mein Name ist Elke Steinbach und ich kümmere mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen um die Audio-Überlieferung des MfS. Heute hören wir einen weiteren Ausschnitt aus dem Telefonverkehr beim Offizier des Hauses der Bezirksverwaltung Dresden 1989. In dem ausgewählten Ton geht es um erforderliche oder vielleicht vorschnelle Maßnahmen im Zusammenhang mit einer Wandzeitung im VEB Niles Stellantriebe Dresden und die Schwierigkeiten damit. Zur besseren Verständlichkeit habe ich die Pegel der Telefonierenden etwas angeglichen. Von insgesamt 281 Minuten hören wir knapp 4.
[Archivton]
[männliche Stimme 1:] Ich bereite hier n-, ne Vorkommnismeldung vor.
[männliche Stimme 2:] Joa.
[männliche Stimme 1:] Und zwar am heutigen Tag-
[männliche Stimme 2:] Hmm.
[männliche Stimme 1:] - hats im VEB Nilste- - äh - Antriebe-
[männliche Stimme 2:] Niles, hmm.
[männliche Stimme 1:] - gegeben. Das dort durch unbekannte-, erst unbekannte Täter, eine - äh - selbstgefertigte Wandzeitung hingebracht wurde oder ausgehangen wurde, die dann mit Schreibmaschinenseiten beziehungsweise selbst aus Zeitungsausschnitten zusammengesetzte Werke - äh - ähm - na ja, eine Schmiererei praktisch zum Ausdruck brachten, gegen unseren Staat gerichtet.
[männliche Stimme 2:] Zwee'n'zwansch [Zweiundzwanzig].
[männliche Stimme 1:] Ja. Na ja - äh - ich komm-, muss ja erstmal Zwee'n'zwansch [Zweiundzwanzig] machen, denn 'ne staatsfeindliche Zielstellung muss ich erstmal nachweisen.
[männliche Stimme 2:] Hmm.
[männliche Stimme 1:] So. Äh - ich kann jetzt wirklich das nicht mitbringen, weil das zu viel ist. Es sind Schreibmaschinenseiten, die beinhalten zum Beispiel, [unverständlich], gegen das Bau des Reinstsiliziumwerk, eene Massenflucht von DDR-Bürgern nach der BRD und das Problem in der durchgeführten Volkswohl, -wahlen, beinhaltet dieses-, diese Schreibmaschinenseiten.
[männliche Stimme 2:] Joa.
[männliche Stimme 1:] So. Wir haben jetzt diese Täter ermittelt. So, die Bearbeitung erfolgt durch uns erstmal im Zusammengang mit der-, mit der Volkspolizei.
[männliche Stimme 2:] [unverständlich]
[männliche Stimme 1:] Noa, ich schreibe das fertig, das kommt dann rüber.
[männliche Stimme 2:] Joa.
[männliche Stimme 1:] Aber ich kann das-, die hattens hier mir hier vorgeschrieben als staatsfeindliche Hetze, das kann ich ne lassen, weil das ja ne no- nachgewiesen ist. Da muss ich ja die subjektive Seite erstmal ausarbeiten.
[männliche Stimme 2:] Joa, aber, aber, der-, wenn de die Täter hast, also der oder die Täter - wie viel sind's denn?
[männliche Stimme 1:] Viere.
[männliche Stimme 2:] Hast du des 200 12 mit der [unverständlich]?
[männliche Stimme 1:] Ich hab des 200 12 schon geprüft. Sind im Bezirk nicht erfasst.
[männliche Stimme 2:] Hmm, das dacht ich mir.
[männliche Stimme 1:] Schreib ich auch drunter glei.
[männliche Stimme 2:] Joa.
[männliche Stimme 1:] Ne. Ich schreib mal-, als erstmal als öffentliche Herabwürdigung.
[männliche Stimme 2:] Na ja, joa, [unverständlich].
[männliche Stimme 1:] Joa, geht los, ne. Tschüss. [Piepen in der Leitung]
[männliche Stimme 3:] Hallo, ich hab jetzt die Ehre diese Sache mit der Wandzeitung nach Berlin abzusetzen.
[männliche Stimme 1:] Ja.
[männliche Stimme 3:] So. So wie das hier in diesen - äh - Vorko-, Vorkommnismeldungen steht - Habt ihr sicherlich gelesen?
[männliche Stimme 1:] Ja.
[männliche Stimme 3:] Kann ich das nicht hochgeben.
[männliche Stimme 1:] Na, das ist richtig.
[männliche Stimme 3:] Äh - und zwar deshalb nicht, weil hier nichts konkret ist. Es geht nur gegen Reinsiliziumwerk, gegen die Volkswahlen, gegen Massenflucht.
[männliche Stimme 1:] Hm.
[männliche Stimme 3:] Nehmen die uns so nicht ab. Nu hab ich mit der KD Stadt gesprochen, ihr hättet jetzt alles drüben.
[männliche Stimme 1:] Joa.
[männliche Stimme 3:] Können wir das nicht noch bissel präzisieren? Weil das wahrscheinlich vom Umfang her zu viel ist, das kann ich ja auch nicht alles reinschreiben. Was da nun auf der Wandzeitung stand, oder sinngemäß vielleicht ein bisschen? Wie könn' wir das am besten machen?
[männliche Stimme 1:] Ach, das ist eine große Scheiße. Ich-, wir setzen jetzt was ab und dann stimmt's hinten und vorne nicht. So, das sind im Prinzip alles Zeitungsausschnitte von uns, vom neuen Deutschland.
[männliche Stimme 3:] Ach du Schande.
[männliche Stimme 1:] So, wahllos druffgeklebt. Und dann sind zwei Kommentare: Einmal zum Reinstsiliziumwerk, so. Und in diesem Zusammenhang wird reinformuliert, so neue Standortbestimmung und und Wahlen, und sie glauben nicht, dass das Ergebnis von 99, das ist alles so verbrämt und- [stammelt].
[männliche Stimme 3:] Pass mal uff, ich sprech nochmal mit dem Dieter.
[männliche Stimme 1:] Wir wolln's doch erst nächste Woche untersuchen als IX.
[männliche Stimme 3:] Ach du Schande [unverständlich].
[männliche Stimme 1:] Wir haben's einfach abgemacht, was zusammengeschrieben. So, ich hab das Ding gar nicht, das ist jetzt bei der SK und wird erstmal fotografiert. Nächste Woche Montag holen wir uns erstmal die Leute auf den Stuhl und da werden wir erstmal fragen, was genau se gestochen ist.
[männliche Stimme 3:] Die sind noch gar nicht hier?
[männliche Stimme 1:] Ach.
[männliche Stimme 3:] Aaach, das ist [unverständlich]. Mensch, wie machen wir des am besten? Na, der Dieter sagte mir-, wahrscheinlich hat der vom General 'ne Weisung gekriegt.
[männliche Stimme 1:] Hmm.
[männliche Stimme 3:] Na, ich sprech nochmal mit ihm.
[männliche Stimme 1:] Hmm. Sprich mal mit Dieter.
[männliche Stimme 3:] Sonst könn' wa das ja auch ein bisschen verschieben.
[männliche Stimme 1:] Na ja, natürlich, das wär am allerbesten.
[männliche Stimme 3:] Jut. Klar, danke dir.
[männliche Stimme 1:] Joa, klar.
[Telefon wird aufgelegt]
[schnelles Tonspulen]
[Jingle]
Sprecher: Sie hörten:
Sprecherin: "111 Kilometer Akten -
Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."
Auf dieser Seite können Forschende und Medienvertreter Informationen sowie den Antrag auf Akteneinsicht finden.
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