Fotografien des Gefängnisses und des Haftkrankenhauses
Diese sind zu finden im Buch "Objekt 1. Stasigefängnis und Haftkrankenhaus Berlin-Hohenschönhausen" von Ruth Stoltenberg.
MehrTobias Voigt, Quelle: BStU / Hovestädt
Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR unterhielt in Berlin-Hohenschönhausen sein eigenes zentrales Untersuchungsgefängnis. Innerhalb des Sperrbezirks der Haftanstalt befand sich ein geheim gehaltenes Haftkrankenhaus. Der Politologe Tobias Voigt hat im Stasi-Unterlagen-Archiv die Geschichte dieser Krankenstation recherchiert und mit mehreren ehemaligen Insassen Gespräche geführt. In diesem Podcast gibt Voigt aus einer besonderen Perspektive Einblicke in die Mechanismen der Repression: Wie ging die Staatssicherheit mit Krankheit unter Bedingungen der politischen Haft um?
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Sprecherin: "111 Kilometer Akten - [Ausschnitt einer Rede von Erich Mielke: ..ist für die Interessen der Arbeiterklasse!] - der offizielle Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs".
Dagmar Hovestädt: Hallo, willkommen zu einer neuen Ausgabe unseres Podcasts 111 Kilometer Akten der offizielle Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs. Mein Name ist Dagmar Hovestädt. Ich bin die Sprecherin des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen und mein Co-Host hier ist Maximilian Schönherr, Radio Journalist und Enthusiast von Archiv tönen. Heute sprechen wir über das Haftkrankenhaus in dem zentralen Untersuchungsgefängnis Hohenschönhausen. Ein Gedenkort der übrigens jetzt im September 2020 sein 20-jähriges Jubiläum feiert.
Maximilian Schönherr: Das Stasi-Unterlagen-Archiv ist bei Twitter sehr aktiv. Über einen dieser Tweets kam ich überhaupt auf dieses Thema. Wer bestimmt eigentlich bei euch die Tweets?
Dagmar Hovestädt: Wir sind natürlich ein ganzes Team, ein Social-Media-Team. Dazu gehört jemand der den Twitter-Kanal bestück, den Facebook-Auftritt, YouTube und Instagram. Wir verbinden uns da einmal die Woche, machen eine kleine Redaktionssitzung, überlegen Themen, die sich vielleicht jähren oder die aktuell sind und da ist dann auch mal wieder das Haftkrankenhaus Hohenschönhausen auf die Ordnung gekommen.
Maximilian Schönherr: Jedenfalls fiel dieser Tweet bei mir auf fruchtbaren Boden, weil ich mich mit Original-O-Tönen der Stasi zum Thema Medizin schon beschäftigt hatte. Das ging damals nur mit einer größeren Recherche einher, die auch die Medizin O-Töne in anderen Archiven, zum Beispiel im Deutschen-Rundfunk-Archiv, beinhaltete und vom Haftkrankenhaus des Ministeriums für Staatssicherheit weiß ich schon länger aber nichts genaues und die O-Töne bei euch im Archiv sind immer nur so: Da spricht ein IM also ein...
Dagmar Hovestädt: ...inoffizieller Mitarbeiter...
Maximilian Schönherr: Sagt was ganz schlechtes über einen Chirurgen, der zum Beispiel da gearbeitet hat, aber aus dem Haftkrankenhaus selber gibt es eben nichts. Außerdem habe ich inzwischen das Buch von Peter Erler und Tobias Voigt gelesen. "Medizin hinter Gittern" heißt es und Tobias Voigt ist intensiver Nutzer des Stasi-Unterlagen-Archivs und der heutige Gast in diesem Podcast.
Dagmar Hovestädt: als Tobias Voigt nämlich an diesem Buch recherchiert hat, hatte ich gerade hier angefangen. Das war im Jahre 2011, da sind wir uns mal kurz dazu über den Weg gelaufen. Ich erinnere mich noch gut daran, dass das Buch auf den Markt kam. Das fand ich sehr spannend als Thema aber auch eigentlich ziemlich gruselig und ich musste sagen, dass ich dieses Haftkrankenhaus als solches gar nicht kannte, dass ich gar nicht wusste, dass das existierte und wenn man nach Hohenschönhausen fährt. Es ist ja der Gedenkort, das zentrale ehemalige Untersuchungsgefängnis der Stasi, auch ganz wichtig, das war der Hand des MfS, des Ministeriums für Staatssicherheit und nicht irgendwie ein Knast selber. Und dort waren also in dem Sinne auch vor allen Dingen politische Häftlinge, die in dieser Haft sozusagen stark in die Mangel genommen wurden, kontinuierlich verhört wurden, damit für die dann anstehenden Prozesse auch die Beweislage und der rechtsstaatliche Prozess ordentlicher aussehen sollte. Also dieser Ort, den man bis heute ja besuchen kann, ist sehr eindrücklich und eindringlich und dass es da Haftkrankenhaus gab, erfährt man eigentlich nicht unbedingt bzw. ist nur ein Teil dieses Rundganges durch die Zellen und die Verhörzimmer.
Maximilian Schönherr: Wolltest du noch was zu Jürgen Fuchs sagen?
Dagmar Hovestädt: Natürlich würde ich gerne was zu Jürgen Fuchs sagen, nicht zuletzt auch weil Tobias Voigt ihn erwähnt. An dem kommt man auch kaum vorbei Jürgen Fuchs war ein Häftling der in Hohenschönhausen gesessen hat, aber viel wichtiger eigentlich war er ein Schriftsteller und ein Psychologe, der sich sehr intensiv damit beschäftigt hat, wie die Stasi Menschen psychologisch zersetzt und auseinandernimmt und dazu unter anderem nach seiner Hafterfahrungen in Hohenschönhausen das Buch "Vernehmungsprotokolle" geschrieben hat, das dann in einer Art schwarzem Nachdruck in der DDR kursierte unter Oppositionellen, die sich mit Hilfe dieses Buches darauf vorbereiten konnten, wenn sie in StasiHhaft gelangten, dass sie sich dort den Tricks nicht ganz so ausgeliefert fühlten.
Maximilian Schönherr: Jürgen Fuchs hätten wir gerne als Dauergast in unserem Podcast, aber das geht nicht. Er ist seit längerem verstorben.
Dagmar Hovestädt: Er ist der im Mai 1999 verstorben.
Maximilian Schönherr: Ich geh jetzt mal ein Schritt zurück noch kurz, bevor wir dann tatsächlich den Podcast starten. Der Blick auf so ein Haftkrankenhaus sagt viel über den Zustand des Staates aus in dem das Krankenhaus ist. Also in dem Fall Zustand der DDR und die Staatssicherheit sowie Gefängnis und die Behandlung von kranken Gefangenen viel über das Innenleben jedes Staates aussagen. Ich erwähne nur USA in den in der jüngeren Vergangenheit Guantanamo Bay und so weiter. Unter psychologischer Aufsicht wurden da Menschen quasi gefoltert. Aufgeklärte moderne Gesellschaft mit Gewaltenteilung fragt sich, warum wird jemand überhaupt straffällig und ist eine Frage, die wurde hier in Hohenschönhausen natürlich nie gestellt. Da war es wichtig, dass man jemanden der in U-Haft war kriminalisiert hat, damit wir ihn ordentlich vor Gericht verurteilen konnte. Deswegen finde ich diesen Blick auf dieses Haftkrankenhaus ganz speziell. Wir gucken ja heute nur auf diese kleine Klinik, die auch in der ganzen Geschichtsschreibung gar nicht so wichtig ist, aber das sagt über den ganzen Zustand der DDR und der Stasi viel aus.
Dagmar Hovestädt: Es ist ein Stück weit ein Brennglas, weil man natürlich in Haft schon der Freiheit beraubt ist und dann ist man noch in einem kranken Zustand noch viel mehr ausgeliefert, was da passiert und deswegen war das so wichtig, dass sich Tobias Voigt und Peter Erler mit diesem Haftkrankenhaus beschäftigt haben und da ein paar Mal reinzuhören und insofern: Genug der Vorrede. Vorhang auf und es geht gleich los mit Tobias Voigt der sich selber auch noch mal vorstellt. Viel Spaß bei diesem sehr spannenden Gespräch.
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Maximilian Schönherr: Ich würde erstmal Sie bitten sich vorzustellen, wer Sie sind und was Sie im Moment tun.
Tobias Voigt: Ja ich heißte Tobias Voigt, bin Jahrgang 68, in Ost-Berlin aufgewachsen, hab Politikwissenschaften studiert in den 90er Jahren an der freien Universität Berlin und bin dann am DDR Thema kleben geblieben, hab viele Jahre im Forschungsverbund SED Staat gearbeitet. Die DDR war als die zusammenbrach das unbekannteste Land der Welt und in insofern war das ein Grund sich damit zu beschäftigen. Ich war da aufgewachsen sozialisiert, hatte Großeltern aus ganz verschiedener sozialer Herkunft. Mein Stiefgroßvater war ein berühmter Mann in der DDR. Der saß im Gefängnis zur Nazi-Zeit und er starb als ich 12 Jahre alt war. Also viel zu jung um die richtigen Fragen zu stellen. Und deswegen da die intensive Beschäftigung mit der DDR. Ich bin mit Geburt des ersten Kindes aus Berlin weggegangen. Wir leben jetzt in Ostbrandenburg in der Nähe von Seelow und momentan beschäftige ich mich mit der Gedenkstätte Seelower Höhen. An den Seelower Höhen hat die größte Schlacht auf deutschen Boden am Ende des 2. Weltkriegs stattgefunden. Und die Erinnerungskultur liegt dort etwas im argen, gerade was die Vermittlung an die jüngere Generation betrifft.
Maximilian Schönherr: Dazu kommen wir dann später noch. Aber ich kam auf Sie, weil sie ein Buch über das Haftkrankenhaus in Hohenschönhausen geschrieben haben, das ist jetzt schon eine Weile her. Haben Sie das Buch noch in Erinnerung?
Tobias Voigt: Ich hab das noch sehr gut in Erinnerung. Co-Auto ist mein Freund und Kollege Peter Erler, der seit vielen Jahren Wissenschaftler in Hohenschönhausen ist und dort die Kernarbeit vor Ort, der Recherche macht, in vielen Archiven zu Hause ist und sehr viel publiziert hat zu diesem Thema und auch eine beträchtliche Vorarbeit für dieses Buch geleistet hat.
Maximilian Schönherr: Gehen wir mal geometrisch vor. Berlin-Mitte Alexanderplatz, da sind Sie gerade, ich bin in Köln, weil wir immer noch Corona-Zeiten haben. Vom Alexanderplatz, wie weit wäre es bis zum Mielke-Hauptquartier?
Tobias Voigt: Zum Mielke-Hauptquartier in der Normannenstraße sind es 10 Minuten mit der U-Bahn.
Maximilian Schönherr: Und dann nach Hohenschönhausen?
Tobias Voigt: Weitere 10 Minuten mit dem Auto.
Maximilian Schönherr: Das heißt die Normannenstraße, also das Ministerium für Staatssicherheit war im Osten. Also ziemlich straight nach Osten und dann geht man noch ein bisschen nach Norden und dann kommt man nach Hohenschönhausen, war diese Distanz, 10 Minuten mit dem Auto sagen Sie, wichtig? Hatte die eine Relevanz?
Tobias Voigt: Die Distanz zwischen der Untersuchungshaftanstalt und dem Ministerium selbst? Meinen Sie das?
Maximilian Schönherr: Ja.
Tobias Voigt: Das ist ja geschichtlich entstanden und der Bereich an der Normannenstraße hat sich ja auch metastasenartig ausgebreitet in diesem Stadtbezirk. Es liegt ja noch näher quasi in Wurfweite zum Ministerium liegt ja auch noch eine Untersuchungshaftanstalt nämlich die berühmte Magdalenenstraße.
Maximilian Schönherr: Heute eine U-Bahnstation.
Tobias Voigt: Heute eine U-Bahnstation, so hieß die damals auch schon, glaub ich. Und da ist das eine Untersuchungsgefängnis und dann eben noch Norden hin 10 Minuten Autofahrt weiter weg, der größere Komplex in diesem Sperrgebiet, also ein ganzes Stadtgebiet, was sich das Ministerium für Staatssicherheit unter den Nagel reißt und dann dort etliche Abteilungen ansiedelt. Eine davon ist die Untersuchungshaftanstalt, der angegliedert die Untersuchungsabteilung/ Vernehmerabteilung, also die Hauptabteilung IX, die diese Fälle untersucht und dort auch die Vernehmung durchführt und drumherum gruppieren sich Abteilung der Hauptabteilung Aufklärung, technische Dienste, OTS der operativ-technische Sektor, die Methoden entwickeln, wie in Wohnung fotografiert werden kann, ohne dass es jemand merkt, die dafür sorgen in Wohnung eingebrochen werden kann, ohne dass es jemand merkt und die auch zu einer gewissen Zeit sogar Bomben zusammenbauen.
Maximilian Schönherr: Jetzt gehen wir mal von der Geometrie zu der lokalen Geometrie in Hohenschönhausen. Ich war noch nicht da. Sie waren oft da, denk ich mal. Beschreiben Sie mal die Geometrie. Da gab es ein Untersuchungshaftanstalt, dann gab es die reguläre "Haftanstalt" und dann gab es das worüber wir heute reden das Haftkrankenhaus.
Tobias Voigt: Der Komplex der Untersuchungshaftanstalt ist ein Komplex, der zentral in diesem Sperrgebiet liegt und dieses Sperrgebiet war für normale DDR-Bürger nicht zu betreten. Also es ist abgezäunt, es gibt Mauern, es gibt Durchgänge, es gibt Kontrollposten und im Zentrum dieses Sperrgebietes liegt das zentrale Untersuchungsgefängnis des Ministeriums für Staatssicherheit. Nochmal umgrenzt mit Mauern, mit Stacheldraht, mit Sicherungstechnik und ein großes Stahltor versperrt den Eingang und da kommen eben nur die Mitarbeiter dieser Einrichtung rein, also Haftpersonal, Vernehmer, Personal des Haftkrankenhauses. Und durch dieses große Tor fahren dann die Transporter mit den Inhaftierten rein und raus. Und in diesem Komplex der Untersuchungshaftanstalt befindet sich eben auch das Haftkrankenhaus. Das ist vom eigentlichen Gefängnis fußläufig vielleicht 20 Schritte entfernt.
Maximilian Schönherr: Da kommt jetzt ein Name ins Spiel. Jetzt steige ich mal mitten rein mit einem sehr deftigen Zitat und Sie wissen natürlich von wem dieses Zitat ist: "Wenn die Häftlinge in die Zelle scheißen, kannste auch nichts machen, da musste ja und amen sagen. Ich darf heute kein Häftling anfassen und das ist auch was mir ein bisschen am Arsch hängt, weil ich am Anfang einigermaßen aufgeräumt habe mit den Ganoven. Zitat Ende.Erzählen sie was über den Menschen, der das verbrochen hat.
Tobias Voigt: Das sind tatsächlich sehr pointierte und auch plakative und sehr berührende beeindruckende Zitate. Das ist Wolfgang Dorr, der das spricht und dieser Mann war der eher...
Maximilian Schönherr: Dorr mit zwei "R", D o r r.
Tobias Voigt: Ja ich kann ich kann dieses rollende R nicht so gut. In den 20er Jahren in Danzig geboren. Er ist noch bei der Wehrmacht, weil er vorm Krieg angefangen hat Medizin zu studieren. Er ist Sanitäter und nach dem Krieg führt er sein Medizinstudium fort. Das Ministerium für Staatssicherheit heuert ihn Anfang der 50er Jahre an als Leiter eines pharmazeutischen Betriebes in Pankow und er bekommt in dieser Zeit auch Kontakt zu Erich Mielke, den er persönlich behandelt. Dorr selber ist ein recht vierschrötiger Mann. So hat sich das für mich dargestellt.
Maximilian Schönherr: Kurze Unterbrechung: Mielke war erkrankt und hat sich von ihm behandeln lassen? War das Zufall, dass der gerade in der Nähe der war?
Tobias Voigt: Das liegt im Dunkeln. Also Stasi-Offiziere wurden regelmäßig untersucht also für solche Posten oder auch im Militär oder so oder selbst in einem Betrieb. Welche Beschwerden er hatte, das weiß ich nicht, aber es geht aus den Akten hervor, dass er Mielke auch persönlich behandelt hat. Also dadurch gab es eine Verbindung, denn es stellt sich die Frage, warum so ein Mensch, dann dementsprechend dann später so in Erscheinung tritt, warum der warum der diesen Posten bekommt.
Maximilian Schönherr: Also Chef wird von dem Haftkrankenhaus, bis 1963 glaub ich.
Tobias Voigt: 61 erlässt Mielke den Befehl das Haftkrankenhaus zu gründen. Die Vorgeschichte, also bevor Dorr da ist, die ist auch sehr aufschlussreich. Also das Ministerium für Staatssicherheit übernimmt ja ein Gefängniskomplex der sowjetischen Geheimpolizei die seit Kriegsende in Hohenschönhausen dort einen ein Gefängnis unterhält, kurzzeitig ist Heinrich George inhaftiert, andere Prominente, große oder kleine Nazis oder eben überhaupt keine Nazis politische Gegner des Systems und mit Gründung des MfS wird diese...
Tobias Voigt: Klammer auf: Was vor den Nazis da?
Tobias Voigt: Vor den Nazis? Ja sehr gute Frage. Da ist dort eine Küche der nationalsozialistischen Volkswohlfahrt in die 30er Jahren errichtet, eine Großküche würden wir heute sagen, zur Versorgung der Volksgenossen, ein Komplex in einem zeittypischen Klinkerbau und also eine große Säle mit Kesseln, also Kochsäle, Kartoffellager in die dann später das Kellergefängnis eingebaut wurde und flankierend eben in diesem gewissen Abstand von zehn bis zwanzig Schritten auch eine Wäscherei und in diese Wäscherei, das ist ein eingeschossiges Gebäude aus den 30er Jahren, kommt dann eben das Haftkrankenhaus rein. Als das MfS dieses Kellergefängnis der sowjetischen Geheimpolizei übernimmt, steckt sie ihre Häftlinge dann auch in dieses Kellergefängnis. Das wird das Gefängnis, was die Häftlinge, die ja später frei kommen, die es überleben, als U-Boot benennen, weil es ein Gefängnis mit fensterlosen Zellen ist. Im Inneren auch noch mal einen Zellenbereich, der nicht mal mehr Milchglasscheiben oder so Kellerfenster hat. Also die die Häftlinge, die im inneren dieses Kellergefängnisses sind, das sind zwei Reihen von Zellen die sehr eng sind, komplett fensterlos, komplett abdunkelbar auch, da brennt nur ein Zellenlicht, was natürlich auch ausgestaltet werden konnte und mit dicken Mauern. Also es ist sehr beklemmend, sehr deprimierend, das ist heute ja noch als Museum zu besichtigen und hat auch in entsprechenden Eindruck auf die Besucher, wie dort Häftlinge allein unter den materiellen räumlichen Bedingungen dort festgehalten wurden zum Teil über viele Jahre. Das MfS hat das Problem, dass Häftlinge unter diesen Bedingungen auch erkranken, ganz typische.
Maximilian Schönherr: Passiert in jedem Gefängnis.
Tobias Voigt: Passiert in jedem Gefängnis, das stimmt und die Frage ist wie gehst du jetzt damit um? Es werden ja auch teilweise verletzte Häftlinge eingeliefert, also bis zum Ende der DDR. Die Häftlinge die versuchen die DDR zu verlassen eben nicht auf dem so genannten gesetzlichen Wege, sondern die versuchen über die Grenze zu kommen, die angeschossen werden, die Minenexplosionen überleben, schwer verletzt, die kommen nicht in normale Krankenhäuser, sondern die kommen bevorzugt eben in medizinische Behandlung im MfS Gewahrsam. In den Fünfzigerjahren dilettiert das MfS tatsächlich da unten im Kellergefängnis rum. Also wenn sie sich vorstellen, wir haben da einen Häftlingen der ja der wird mit einer Schussverletzung am Bein eingeliefert, so wie Walter Linse. Da war es noch ein sowjetisches Gefängnis. Da sind keine Ärzte und auch am Anfang der Stasi-Zeit sind es Sanitäter, die dort Dienst tun, das und Unteroffiziere der Wachabteilung, Wachleute der Stasi, die ihre medizinischen Kenntnisse erlernt haben bei der deutschen Wehrmacht, weil sie eben zu Kriegszeiten in der Wehrmacht waren und die können das. Die können das. Also machen die das und diese Wachleute sichern dem MfS, was besonders wichtig ist, nämlich die Verschwiegenheit die Konspiration, weil was das MfS bis zu seinem Ende hin nicht will: Es möchte nicht, dass im Zivilleben bekannt wird, wer ist inhaftiert worden, wie krank ist der, wie wird der behandelt. Also sie ist peinlich da eigentlich genau darauf bedacht dieses Ministeriums, genau das unter dem Deckel zu halten.Bleiben wir beim Beispiel der Schussverletzung, weil da wird es sehr deutlich. Wer an der grünen Grenze oder einer Grenze zu West-Berlin angeschossen wird, wer auf eine Mine trat, wer durch eine Selbstschussanlage, also durch die Splittermine SM-70 verletzt wird und dann in ein ziviles Krankenhaus gerät, dort notbehandelt wird, da wird den Chirurgen und den Krankenschwestern, die dort am OP-Tisch stehen in dieser Operation, natürlich sofort klar, wo das herkommt. Also die holen Kalaschnikow Projektile aus den Leuten raus, die holen die kleinen Splitter raus oder größere Splitter. Diesen Leuten ist sofort klar, wo diese Leute herkommen, damit ist dann plötzlich wieder im zumindest erstmal kleineren Kreis, also in zivilen in einer DDR-Öffentlichkeit, passiert das, was das MfS nicht will, das nämlich über das Grenzregime und über die Folgen dieses Grenzregimes geredet wird. Das möchten die nicht. Bei politischen Häftlingen also zum Beispiel ein SED-Dissident oder jemand der sich kirchlich engagiert, der verhaftet wird, da will das auch keiner, wenn er jetzt plötzlich eine Lungenentzündung kriegt, der kommt in ein ziviles Krankenhaus, der könnte ja mit einer Krankenschwester oder mit einem behandelnden Arzt reden. Er könnte einen kleinen Zettel, Kassiber rüberschieben, er könnte versuchen Kontakt zur Außenwelt zu bekommen. Auch da würde klar werden: Aha es gibt politische Häftlinge. Aha so geht diese Diktatur mit ihren Gegnern um. Das alles will das MfS natürlich überhaupt nicht. Das muss eingeschlossen werden in diesem Kokon der Geheimhaltung.Und Krankheit, also dass Häftlinge krank kommen und das Häftlingen in Haft erkranken, das ist ein Störfall im geheimen polizeilichen Betrieb.
Maximilian Schönherr: Ja kann ich mir vorstellen, also man hat die Gefangenen lieber gesund, damit man sie auch dann gesund und fit und damit komme ich auch zu einem anderen Punkt, vor Gericht bringen könnte, zum Beispiel bei einem Prozess, wo die Medienvertreter geladen sind um zu sagen, der ist aber gut genährt. Das heißt der bekam, lese ich in ihrem Buch, vorher eventuell noch eine richtig gute Aufbaukost und der wurde dann schön eingekleidet, damit nicht der Eindruck entstand vor Gericht: Da ist ein völlig abgemagerter armseliger schwerkranker Gefangener vor Gericht mit dem wir Mitleid haben müssen, sondern es ist ein gut genährter, gut gekleideter Mensch, den wir gut aburteilen können. Kann man so platt sagen?
Tobias Voigt: Das trifft den Kern und so auch dieses System verständlich. Das ist übernommen von der Praxis der sowjetischen Geheimpolizei aus den 30er Jahren und wird dann vom MfS und der Geheimpolizei der sowjetischen hier in den 50er Jahren und auch später noch praktiziert. Der Häftling der vor Gericht kommt. Es gibt ja auch öffentliche Prozesse, also bewusst Schauprozesse, oder an der beschränkten Öffentlichkeit, die abschreckend wirken sollen, die auf eine bestimmte gesellschaftliche Schicht wirken soll und da spielt es eine große Rolle wie sehen die Häftlinge, wie sehen die Angeklagten aus? Welches Bild präsentieren die? Und zum einen kann gewollt sein, dass jemand bewusst elend und bewusst grausam oder böse aussieht zum anderen kann aber gewollt sein ja hier ist jemand der hat sich auf unsere kosten dick gefressen und seht mal wie gut es dem geht und dann kocht die Volksseele und es ist klar so ein Mensch muss verurteilt werden, wenn dem dann noch entsprechende Taten zur Last gelegt werden. Das hat tatsächlich System. Grundsätzlich ist es so, 50er Jahre, das ist auch noch mal eine Zeit des starken Mangels in der DDR, also es werden eben auch Leute eingeliefert, den geht es nicht anders als anderen. Also die leiden unter den Folgen der Mangelernährung und das sind auch Leute, wenn sie zum Beispiel ja tatsächlich politischen Widerstand geleistet haben über Jahr und das über Jahre auch Angst haben entdeckt zu werden. Also die diese Leute leiden ja ohnehin schon unter einem psychischen Druck, der sich auch auf ihre Physis ausgewirkt hat und das lässt sich nachlesen in den überlieferten spärlichen Aufzeichnungen, das sind kleine Karteikarten von eingelieferten Personen, wo dann ebenso ein Unteroffizier und Sanitäter auf die die Essensrationen halt festlegt. Es kommt eine junge Frau, die sieht elend aus, daher. Die kriegt dann eben zwei Scheiben Weißbrot mehr. Das ist dann schon eine Besonderheit und da steckt noch vielleicht noch nicht das Kalkül dahinter, dass diese Frau für einen Prozess oder speziell präpariert werden muss. Die Stasi ist eigentlich sehr darauf bedacht und im Lauf der Jahre nimmt das zu diesen Häftlingen kein Haar zu krümmen. Das Zitat des Dorr, also was Dorr dort sagt. Da gibt es dann auch noch krassere Äußerungen von ihm zur Gewaltanwendung, darauf kommen wir vielleicht noch. Das ist so ein handfester Typ. Der war da aber nicht alleine in dieser Zeit, wo es etliche auch hochrangige Offiziere im MfS gibt und diese Haltung zieht sich bis durch zu Mielke, der deklamiert noch in den 80er Jahren bei einer Rede vor seinen Leuten: "Ja früher hätte man da ja kurzen Prozess gemacht." Kurzer Prozess heißt nicht unbedingt jemand an die Wand zu stellen, aber das ganze Repertoire von Entführung von einkerkern, von Verweigerung jeglicher Grundrechte und auch jemand hart rannehmen, das ist ja die Schule aus der Mielke kommt. Also Mielke ist ein alter Apparat. Nachdem er die zwei Polizisten den 30er Jahren am Bülowplatz ermordet hat, da zeigt er schon, dass er im Sinne der kommunistischen Bewegung ein harter Typ. Mit dem sich politische Ziele auch schmutzige Sachen durchsetzen lassen. Dann ist er im Spanienkrieg aktiv, hinter der Front. Er säubert die Linien dort. Er ist ein alter Geheimpolizist und in den 50er Jahren ist das MfS überhaupt nicht zimperlich. Die Lehrmeister sind sowjetische Geheimpolizisten, die außerordentlich brutal mit den Leuten umgehen, also Schläge und ähnliches. Je nachdem, die waren natürlich auch clever, je nachdem was nun zu demjenigen passt und oft sind es die einfachen Methoden. Verweigerung von Schlafanzug und schlechte Ernährung, einfach wochenlang mit Leuten nicht reden.
Maximilian Schönherr: Ich komme jetzt mal gerade auf die schlechte Ernährung. Ich muss Sie mal in ihrem Fluss unterbrechen um auch mal was dazwischen zu bringen. Also Sie haben gesagt und das lese ich auch in ihrem Buch, es war hohe Priorität, die Gefangenen im Haftkrankenhaus wieder aufzupäppeln. Damit die wieder gesund werden. Auf jeden Fall höchste Priorität Suizide vermeiden, das gibt es in allen repressiven Systemen, gibt es sehr viele Fälle von Suizidversuchen und das durfte man auf keinen Fall zulassen. Das war ein Skandal und es wurde dann auch nach oben gemeldet, wenn ein Häftling tatsächlich im Haftkrankenhaus sich umgebracht hat, aber Ernährung fand ich es sehr interessantes Detail. Es gibt diese brutalen Schläge, nachdem Dorr dann weg war in den frühen 60er Jahren, sowieso nicht mehr und es gab aber zum Beispiel Repressionsmittel, das man einem Gefangenen, der im Haftkrankenhaus ist, ein bisschen bei der Ernährung manipuliert. Also man gibt ihm bisschen weniger auch zu trinken, damit er merkt zum Beispiel Hungerstreik bringt es nicht und er soll zu einer Aussage bewegt werden. Also diese Techniken wurden ja auch eingesetzt und sind sehr subtil, also das ist eigentlich sehr platt, aber es ist subtil im Vergleich zu dem was Dorr machte.
Tobias Voigt: Ich würde an dieser Abstufung machen. Also diese Repression und damit auch die Methoden, die wandeln sich. Also wenn wir vom U-Boot reden, also dem Kellergefängnis, reden wir von den 50er Jahren und dann gibt es den Wandel mit dem Mauerbau auch. Also die DDR fühlt sich danach, das SED-Regime sicherer und in Bezug auf die Stasi und was dort im Haftkrankenhaus in der Untersuchungshaft passiert. Sie professionalisiert ihr System. Das betrifft auch die Mitarbeiter der Stasi selbst, denn parallel zum Haftkrankenhaus im Untersuchungsgefängnis entsteht der zentrale medizinische Dienst des MfS, weil das MfS stellt fest: "Naja unsere eigenen Mitarbeiter laufen jetzt zu Zivilärzten, die werden dabei handelt. Der zivile Arzt bekommt ja auch mit wo derjenige arbeitet, im MfS, vielleicht auch Details über diese Arbeit. Das heißt, wir brauchen unsere eigenen Leute, unsere eigenen Ärzte, unserer eigenen Krankenhäuser, unsere eigene Versorgung. Wir müssen das sicherstellen." Und der Apparat der Stasi wird ja immer größer und dieser zentrale medizinische Dienst der wächst und wächst im Laufe der Zeit.
Maximilian Schönherr: Was macht ja genau der zentralen medizinische Dienst?
Tobias Voigt: Der kümmert sich um die Stasi-Mitarbeiter.
Maximilian Schönherr: Später dann auch, darüber haben wir auch hier in dem dem Podcast schon berichtet, auch um die psychischen Probleme.
Tobias Voigt: Der kümmert sich auch um die psychischen Probleme bzw. alles was anfällt. Also das ist das lesen der Kaderakten und auch der Gesundheitsämtern ehemaligen Stasi-Mitarbeiter fördert das zu Tage.
Maximilian Schönherr: Aber der zentrale medizinische Dienst war nicht die Leitstelle für das Haftkrankenhaus oder in welcher Beziehung stehen diese?
Tobias Voigt: Zunächst nicht, zunächst ist er das nicht. Er wird dann er wird dann später das ist in den 70er Jahren wird der medizinische Bereich, also Krankenschwestern und Ärzte, formal diesen zentralen medizinischen Bereich, zentralen medizinischen Dienst unterstellt. Von dort her kommt die fachliche Expertise. Von dort kommen auch Ärzte. Das Haftkrankenhaus, als Beispiel, hatte keinen Gynäkologen. Es gab aber viele weibliche Inhaftierte, die auch erkrankten. Die mussten auch regelmäßig untersucht werden und dann gibt es einen Gynäkologen, der sich um die weiblichen MfS-Bediensteten kümmert und der dann...
Maximilian Schönherr: Und der dann wahrscheinlich in in der Normannenstraße ist und dann darüber fährt?
Tobias Voigt: Genau, der fährt mit seinen Dienstwagen rüber. Der hatte ein entsprechender Ausweis. Ich habe nach den Recherchen den Mann auch ausfindig gemacht, konnte ihn dazu befragen. Er praktiziert weiterhin als Arzt. Ich weiß nicht, ob er inzwischen in Rente ist. Es ist ja auch schon zehn Jahre her und er berichtete auch interessantes. Also das ihm, der kommt aus dem sozialistischen Elternhaus, hätte man damals gesagt, also war überzeugt von der Sache, war auch überzeugt, dass er der Feinde behandelt und dass das alles völlig richtig ist, aber die Gepflogenheiten im Haftkrankenhaus selber, die waren ihm völlig suspekt. Also er berichtete, dass diese dieser Art und Weise, dass ihm schon klar war, dass das eigentlich nicht ein adäquater Umgang mit Kranken ist. Er hat es natürlich nicht gemeldet. Er hat dagegen nicht opponiert. Er hat das nicht verändert.
Maximilian Schönherr: 1971, schreiben Sie in dem Buch zusammen mit ihrem Kollegen, gab es 52 Planstellen und da waren die Gehälter teilweise 1.400 Mark für Ärzte. Wenn das heute diesen Podcast jemand hört, der oder die in der DDR sozialisiert wurde, hoher Betrag?
Tobias Voigt: Das ist eine Information aus den Kaderakten. Wenn Sie es vergleichen mit einem mit einem Durchschnittslohn eines Arbeiters, der liegt bei 750 Mark. Bei den Stasi-Mitarbeitern kommen dann oft noch Dienstzuschläge und andere Vergütungsformen dazu. Zum Beispiel der Wolfgang Dorr, der erste Leiter des Haftkrankenhauses, der hat etwas sehr ungewöhnliches, der hat einen Einzelvertrag. Einzelverträge wurden mit prominenten Künstlern geschlossen und da wurden dann teilweise Beträge bis zu 4.000 Mark dann für die 60er Jahre bezahlt. Also so 1.400 Mark für einen Arzt, das war natürlich völlig anders als im Westen. Deswegen gingen ja auch viele ausgebildete Ärzte in den Westen oder viele hochqualifizierte Leute, weil sie gemessen an ihrer Qualifikation inadäquat bezahlt worden sind.
Maximilian Schönherr: Aber für DDR-Verhältnisse war es für 1971 ein hohes Gehalt.
Tobias Voigt: Das war ein hohes Gehalt und dazu kamen noch andere Vergünstigungen.
Maximilian Schönherr: Wohnungen in der Nähe wahrscheinlich.
Tobias Voigt: Wohnung in der Nähe, schneller Kita-Platz und vieles an ihrem Leben wurde den Stasi-Leuten tatsächlich vereinfacht, einfacher als es für Leute, die in Prenzlauer Berg leben und eher oppositionelle Künstler waren.
Maximilian Schönherr: Sie schreiben in Ihrem Buch auch davon, dass die Mediziner Waffen bekamen.
Tobias Voigt: In demokratischen Systemen bedeutet die Erkrankung in der Haft dann eine Haftverschonung und Verlegung in ein Haftkrankenhaus. Der von der Stasi Inhaftierte der bleibt , auch wenn er erkrankt ist, ein Feind sein Status ändert sich überhaupt nicht. Er ändert sich nicht. Er ist ein Feind. Er ist verschlagen. Man muss auf ihn Acht geben. Er könnte simulieren. Er könnte sich durchs simulieren von Krankheiten sehr der Strafverfolgung, also der Vernehmung entziehen, auch der Strafe dann. Und als gefährlicher Feind muss er natürlich permanent beobachtet werden und er wendet ganz perfide Mittel an, er ist ganz gemein und man kann sich ihm nur erwehren, indem man entsprechend bewaffnet ist und insofern gibt es die die Wachmannschaft. Also die gehört in dieses Personaltableau mit rein, was Sie geschildert haben, diese 40-50 Leute. Die Hälfte davon sind Waachleute, Wachmannschaften und die laufen auf den Stationen unbewaffnet rum. Die tragen da keine Waffe, sind zwar in Uniform, aber manchmal ein weißer Kittel drüber. Die Waffen lagern in einer Art Waffenkammer im Haftkrankenhaus. Die haben das zur Verfügung. Mit der Waffe selber durften die nicht in die Nähe von Kranken, weil genau wurde ja das erwartet, dass dann der verschlagene Feind sich der Waffe bemächtigt ja und die dann gegen den MfS-Mitarbeiter anwendet. So ist die Vorsichtsmaßnahme. Aber ohne Waffen geht es eben nicht und ja da ist da ist einiges dabei, wenn Sie das lesen, dann schütteln Sie den Kopf, also Reizgas mag man noch verstehen, Gummiknüppel mag man vielleicht auch noch verstehen, aber wenn dann eben Handfeuerwaffen dabei sind und Maschinenpistolen, dann zeigt das eben auch das es auch eine weitere Funktion. Die Wachmannschaften dienten in angenommenen Ernstfall, die SED litt ja immer und das MfS in besonderen, unter dieser Paranoia, das Volk würde sich erheben wie 53 und dann werden die Strafanstalten gestürmt und dann sollten die Wachleute des Haftkrankenhauses eben auch die Kalaschnikow in die Hand nehmen und ihr mit Handgranaten und Kalaschnikows den Gefängniskomplex verteidigen, damit hatte das auch was zu tun.
Maximilian Schönherr: Und Sie sprechen jetzt immer von den Häftlingen als politischen Feind, das heißt ein Mörder oder ein Räuber, Dieb, ein Vergewaltiger war typischerweise in Hohenschönhausen sowieso nicht. Das war eine politische Haftanstalt.
Tobias Voigt: Ein Mörder der ein Bäcker ist oder ein Klempner, der ist persönlich politisch, wenn dieser Mann vielfach mordet, also mehrfach Kinder oder Frauen mordet, dann wird der Fall politisch, weil das bedeutet ja in der schönen sozialistischen Gesellschaft laufen Leute frei herum, die andere umbringen können und der Staat macht nichts dagegen. Das ist schon politisch. Hochpolitisch wird es dann, wenn der Mörder ein Angestellter im Staatsapparat ist, wenn der Mörder ein Offizier der nationalen Volksarmee ist, dann ist es hochpolitisch, weil ja durch diese Tat, dann diese heiligen "Institutionen", also die bewaffneten Organe im Fall der nationalen Volksarmee oder der Stasi, weil die dann befleckt werden, weil dann sichtbar wird, also eine Angestellte des Staatsapparates die Gelder unterschlägt,die kriminell ist, die sich Geld in die eigene Tasche steckt.
Maximilian Schönherr: Das darf in den sozialistischen Staatswesen nicht vorkommen.
Tobias Voigt: Darf nicht vorkommen. Das sind Leute, die kommen in die Stasi-Untersuchungshaft, da ermittelt das sogenannte Untersuchungsorgan, dann wird das prozessfertig gemacht. Die Leute werden verurteilt vor den Gerichten, kriegen ihre Strafe und die müssten sie eigentlich absitzen im Strafvollzug des Innenministeriums. Also im ganz normalem Gefängnis Rummelsburg, Cottbus. So was passiert, wenn die jetzt in Haft kommen und mit Leuten, die wegen Republikflucht verurteilt sind, die auf ihren Freikauf warten? Die reden natürlich in der Zellengemeinschaft. Die ist ja anders als in den Einzelzellen in Hohenschönhausen. Da wird geschwatzt, da wird geredet, also das wurde weiter getragen und deswegen behält sich das MfS etwas vor, für das es rechtlich gar nicht vorgesehen war, nämlich verurteilte Straftäter im eigenen Gewahrsam zu behalten. Das ist auch noch mal eine Besonderheit des Untersuchungsgefängnisses ist der Stasi. Dort gibt es Strafgefangenen Arbeitskommandos. Das habe ich auch mal untersuchen dürfen, also weiblich, männlich getrennt und das sind eben solche Strafgefangenen, die aus politischen Gründen nicht in die normale Haft sollen und meistens hat das damit mit der sogenannten Konspiration zu tun. Normalen anderen Häftlingen soll nicht bekannt werden, das Stasi-Leute aus dem Staatsapparat fehlbar sind und die verbüßen ihrer Haft in dem Stasi-Komplex und verrichten da bestimmte Arbeiten, Wäscherei, Küche, Klempner, Autowäsche und ähnliches.
Maximilian Schönherr: Ich sage jetzt ein paar Dinge und kurze Antwort. Und danach kommen wir auf die Recherche im Stasi-Unterlagen-Archiv zu sprechen, was ja auch mit einigen Problemen auch verbunden war, wie ich in dem Vorwort gelesen habe. Also was ich faszinierend jetzt, fast wie im Krimi, fand. Wie kommt jemand aus der Untersuchungshaft in Hohenschönhausen in dieses Krankenhaus. Sie sagten es sind 20 Meter ungefähr. Man muss eigentlich nur vom einem Gebäude raus und über den Hof und dann rüber gehen, stattdessen macht nur ein riesen Aufwand. Könnten Sie gerade mal beschreiben kurz und bündig?
Tobias Voigt: Also der Aufwand ist...
Maximilian Schönherr: Warum macht mit den Aufwand?
Tobias Voigt: Es geht grundsätzlich darum Häftling egal ob erkrankt oder nicht, der Häftling soll desorientiert werden. Er soll den Bezug zu Raum und Zeit verlieren um ihn gefügig zu machen. Das ist eine relativ einfache Methode, die ihnen dann öffnet für den Vernehmer, der ihm zugeteilt wird. Also wochenlanges Schweigen, verhaftet, eingeliefert, irgendwohin, du weißt nicht wo du bist, du weißt nicht wer da gegenüber steht und dann plötzlich wirst du in einen anderen Raum geführt. In Hohenschönhausen wurde ja auch peinlich genau vermieden, wenn Häftlinge über diese langen Zellenflure geführt werden mit einem Ampelsystem, dass sie nicht anderen Häftlingen begegnen. Also du bist völlig alleine und du denkst in diesem langen Fluren, wo rechts und links die Zellen Türen sind, da ist keiner nur der Mann der mich gerade abführt, der führt dich dann in einen Raum und da sitzt plötzlich ein netter Mann im Präsent-20-Anzug mit dem SED-Parteianstecker am Revers und der auch eine leckere Zigarette, die du schon seit Wochen nicht geraucht hast und wenn er dich freundlich anspricht und dich fragte, wie geht es ihn denn und was haben sie sich denn eigentlich dabei gedacht bei der Scheiße sie junger Mann, ihre Karriere zu versauen und plötzlich im Schlauchboot über die Ostsee zu fahren, das macht dich dann schon gefügig. Die Menschen, die ins Haftkrankenhaus eingeliefert werden, der Fall, der gar nicht unüblich ist, also jemand erkrankt schwer Blinddarmentzündung im Zellentrakt des Untersuchungsgefängnisses, der muss akut behandelt werden. Es gibt einen kleinen OP-Raum im Haftkrankenhaus.
Maximilian Schönherr: Der wird schon vorbereitet.
Tobias Voigt: Man könnte ihnen jetzt über den Hof tragen, aber nun würde dieser Mensch, ja selbst wenn er schon im [unverständlich] ist, würde er sehen, aha ich komme aus einem Gebäude raus, aha sie wissen, sie erfassen ja auch im Straßenverkehr, sie erfassen sehr schnell Verkehrsschilder und ähnliches. Also wir sind uns über unsere Lage bewusst und ihm wäre klar, wenn er dann im Haftkrankenhaus liegt, dann kann er wieder lange nachdenken, wenn die Narbe zu heilt, wenn er da versorgt wurde, aha soweit weg ist das ja gar nicht und er konnte später darüber berichten. Er könnte sagen, wenn er rauskommt oder freigekauft ist und er befragt wird, wo waren sie in Behandlung? Ja das war gar nicht weit weg. Deswegen erkrankter Häftling im Zellentrakt in einer Schleuse in einer so genannten Kraftfahrzeugsschleuse in ein Barkasgefangenentransporter, also heute würde man sagen Kleinbus mit dem Kastenaufbau, der ist geschlossen, da kommt der Gefangene rein, wenn er sitzen kann sitzt er , wenn er liegen kann, kommt er auf eine Trage. Gefängnistransporter zu rausfahren aus dieser Schleuse, rausfahren aus dem Gefängniskomplex und dann in dem Sperrgebiet mal so ein paar Schleifen drehen drehen und wieder zurückfahren, so rechts links abgebogen, sie können nicht rausgucken, da weiß dieser Mensch nicht, wir würden es auch nicht wissen, wo sind wir jetzt, wieder reingeliefert, die Fahrt hat zehn Minuten gedauert in die Kfz-Schleuse des Haftkrankenhauses also ähnliche Baulichkeit und dann tragen sie Leute hoch in den OP und sie sind mit ganz anderen Dingen beschäftigt und schwupps werden sie anästhesiert und so passierte es.
Maximilian Schönherr: Forensischer Psychiater, da gibt es einen Horst Böttger, den ging es nach der Wende auch noch richtig gut mit seiner eigenen Praxis. Spielt die Psychiatrie eine wichtige Rolle, also Leute die mit Schizophrenie da ins Haftkrankenhaus oder war es der Blinddarm das typische oder die Schussverletzungen?
Tobias Voigt: Das typische ist tatsächlich eher die Psyche, weil die Inhaftierten durch die längere Inhaftierung und auch durch die speziellen Bedingungen, also sie kennen diese Zellen aus Berichten auch, Jürgen Fuchs hat das ja sehr bildhaft dargestellt, andere Häftlinge auch. Es gibt keinen Fenster. Sie können nicht raus gucken. Die Türen sind verschlossen. Das Licht kann, wenn das die Vernehmer wollen, Tag und Nacht brennen, Hotel der ewigen Lampe. Das Leben ist auf wenige Quadratmeter beschränkt und das führt zwangsläufig auch der Druck, also die Situation, die Leute wissen ja nicht was passiert mir jetzt? Was ist bei der nächsten Vernehmung? Was blüht mir ja für meine versuchte Republikflucht? Was wird mit meiner Familie? Es gibt keine Kontakte. Das führt zwangsläufig zu psychischen Haftfolgen, zu Schäden, die dann entsprechend begutachtet wurden.
Maximilian Schönherr: Hat man die ernst genommen? Denn da blutet ja nichts.
Tobias Voigt: Ja das ist ernst genommen worden, deswegen gibt es ja jemand wie Horst Böttger oder aus dem zivilen Bereich Professor [unverständlich]. Das war ein Psychiater, eine Koryphäe, der weiß wo er hinkommt, also er kommt aus dem zivilen Bereich, er wird rein gelotst, begutachtet die Leute im Haftkrankenhaus. Er weiß was das für eine Einrichtung ist, kritisieren tut er das natürlich nie. Und Böttger wird als MfS-Mann qualifiziert genau diese Aufgabe zu übernehmen. Er wirkt auch als so eine Art Profiler, also böse Briefe an Erich Honecker, da denkt er sich auch Sachen, wer könnte das sein. Also er professionalisiert sich auf diesem Gebiet und er soll auch tatsächlich herausfinden, was steckt dahinter, warum macht jemand Republikflucht und er redet darüber.
Maximilian Schönherr: Obwohl er auch Forensiker ist.
Tobias Voigt: Das kommt da zusammen und er möchte ja, das ist auch für das MfS wichtig, die gesamte Anklage gerichtsfest zu machen. Also auch sich nicht den Fehler sagen lassen zu müssen, sie hätten da jemand verurteilt, der nicht hätte verurteilt werden dürfen. Das ist wirklich das Hauptanliegen also das sagt Dorr schon in seiner grausamen Naivität und Geschwätzigkeit, das sind ja, was sie vorhin verlesen haben, sind ja abgehörte Gespräche. Er ist zu Hause belauscht worden, sonst hätten wir diese Ego-Dokumente nicht und er sagt das auch, das wichtigste ist der Prozess. Der Mann muss bis zum Prozess durchgebracht werden, das Urteil muss kommen, das Urteil ist wichtig, weil in der Allmachtsfantasie des SED-Staates und dann das MfS noch potenziert, wen wir verhaften, der ist auch tatsächlich schuldig.
Maximilian Schönherr: Und die Psychiatrie, die Böttger dann veranstaltet, war eine typisch Psychiater eben Medikamentierung, das heißt man gab den Leuten Beruhigungdrogen oder andere Dinge und es war relativ schnell behandelt, weil dann wurden die ja ruhiger und dann konnte man sie wieder zurückbringen. Weiß man etwas über die Verwahrzeiten?
Tobias Voigt: Im Zuge der Recherchen, auch für das Buch, machte mich Herr Knabe dann nochmal auf einen Fall aufmerksam von einem Ehepaar, die mit psychischen Probleme, also die waren psychisch auffällig, sie haben protestiert gegen den SED-Staat. Sie sind verhaftet worden, sind inhaftiert worden und er sah das als markanten Fall an. Die Ehefrau ist behandelt worden auch von Horst Böttger.
Maximilian Schönherr: Moment also psychisch krank, weil sie gegen diesen Staat waren?
Tobias Voigt: Warum sie psychisch krank war, das weiß ich nicht. Sie war in psychischer Behandlung und der SED-Staat wusste sich bei solchen Leuten, die dann auffällig wurden in dem sie protestierten, demonstrierten oder ähnliches, wusste er oft nichts besseres zu tun als diese Leute zu kriminalisieren indem sie sie verhaften und solche Leute landeten dann eben im Untersuchungsgefängnis, auch bei einem Arzt wie Doktor Böttger. Der aber beschied dann einem Gutachten, das dass nicht der Weg ist mit diesen Leuten so umzugehen und dass eine Kriminalisierung nicht hilft. Ich glaube, die Familie wurde dann freigekauft in die Bundesrepublik. Ich habe in den Unterlagen auch ein Schreiben, einen Brief von dieser Frau gefunden, wo sie sich in wärmsten Worten bei Dr. Böttger persönlich für die einfühlsame Behandlung bedankt. Es war für mich nicht ein Beispiel, wo sowas nachgewiesen werden könnte. Es tauchte die Frage auf, die wahrscheinlich auch bei ihnen im Hintergrund schwebt oder bei jedem der so ein Buch liest, also tatsächlich bewusst unter Drogen gesetzt, aussagefähig machen oder ähnliches. Mein Kollege und ich haben dafür keine Belege finden können.
Maximilian Schönherr: Habe ich jetzt auch nicht unterstellt.
Tobias Voigt: Das habe ich auch so nicht verstanden. Was bei Böttger eher die Besonderheit ist oder bei allen Ärzten des Haftkrankenhauses: Sie hinterfragen nie dieses System, also signifikant für das Haftkrankenhaus ist, das aus den Häftlingen, die jetzt krank werden, müssten ja eigentlich Patienten werden und für die Ärzte und Krankenschwestern müsste außer Frage stehen, dass es sich um Menschen handelt deren Gesundheitszustand wir wieder herstellen. Unabhängig davon was die gemacht haben, das geht uns gar nichts an. Die wurden auch nicht darüber informiert, also eine Krankenschwester des Haftkrankenhauses weiß eigentlich regulär nicht weswegen ein Schutzbefohlener Patient/ Häftling in diesem Haftkrankenhaus ist.
Maximilian Schönherr: Sie kennt ja nicht mal seinen Namen.
Tobias Voigt: Genau der Name wird getilgt. Die Menschen verlieren ihre Namen schon in der Untersuchungshaft. Sie kriegen eine Nummer.
Maximilian Schönherr: Die Schwester hat auch keinen Namen.
Tobias Voigt: Die Schwester hat auch keinen Namen. Das ist von der Seite der Häftlinge tatsächlich klaustrophobische bedrohliche Situationen. Da kommen Leute rein im weißen Kittel, die stellen sich ihnen nicht vor, die sagen ihren Namen nicht. Der Arzt sagt vielleicht: "Ich bin jetzt ihr Arzt." So dann hört es aber auch schon auf. Es gibt auch Anweisungen für die Krankenschwestern und für die Wachleute, dass der Tagesgruß nicht zu entbieten ist. Klingt komisch oder?
Maximilian Schönherr: Man sagt quasi nicht "Guten Tag".
Tobias Voigt: Und das ist eine ganz merkwürdige Situation. Die Leute sind ja völlig hilflos während sie da ausgesetzt sind. Sie wissen nicht, was das für ein Mensch ist. Hat er das drauf? Kann der das, was der tut? Über die Medikamentierung erfahren sie nichts. Das wird ein bisschen aufgeweicht, wenn zum Beispiel eine Krankenschwester plötzlich inhaftiert wird, weil die Republik doch gemacht hat. Dann gibt es für das Personal dort den Eintrag in den Akten "Beruf: Krankenschwester". So, das ist das Ausrufezeichen: "Aha seht euch vor! Hier ist jemand der euch auf die Finger guckt und der genau einschätzen könnte, was ihr macht" Seht euch besonders vor. Und was dann im Haftkrankenhaus noch wichtig war zu unterscheiden in diesen in diesen Karteien in den Eingangsbüchern in den Behandlungsbüchern das Piktogramm für Männlein und Weiblein. Du solltest wenigstens wissen als Schwester oder Pfleger, dass hinter dieser Zellen Tür ein Mann oder eine Frau ist.
Maximilian Schönherr: Gut, Sie hätten dieses Buch nicht schreiben können ohne das Stasi-Unterlagen-Archiv, nehme ich mal an oder?
Tobias Voigt: Ja natürlich. Also sämtliche Unterlagen über das Haftkrankenhaus sind im Stasi-Unterlagen-Archiv archiviert, sofern sie überliefert sind. Ich arbeite seit vielen Jahren seit Mitte der neunziger Jahre in der Stasi-Unterlagen-Behörde mit diesem Material und die Erfahrung über diese Jahrzehnte die sind recht vielfältig von Kollegen auch. Viel hängt davon ab, sie wissen ja es ist ein Sachbearbeiter/ eine Sachbearbeiterin zwischengeschaltet, der stellen sie ihre Fragen mit diesen Sachbearbeiter/ Sachbearbeiterin reden sie über diesen über diesen Fall und ein Referatsleiter mittlerweile sagte mir mal: "Herr Voigt, es ist wichtig, dass sie die richtigen Fragen stellen und dem Archiv Hinweise geben, sodass zielgerichtet gesucht werden kann und dann führt das auch zum Erfolg." Also grobe globale Anfragen stochern im Nebel.
Maximilian Schönherr: Ja aber Haftkrankenhaus-Fragen wäre schon sehr konkret.
Tobias Voigt: Das ist dann so konkret so erfolgt und ich wusste nicht, was da auf mich zukommt an Aktenbestand. Es war dann tatsächlich sehr disparat, sehr disparat. Es ist kein zusammenhängende konkludente Überlieferung. Es war auch nie im Fokus der Forschung. Also die Bedingungen in der Untersuchungshaft des MfS generell, die Entwicklung der Vernehmerabteilung und diese Dinge. Das Haftkrankenhaus war so ein kleines Ding am Rand und der Rechercheanlass, das habe ich mir nicht ausgedacht, war die Vorbereitung der neuen Dauerausstellung in Hohenschönhausen und die Leute, die das bearbeitet haben, Projektleiter Hubertus Knabe selber als Leiter der Einrichtung, die haben erkannt: "Aha, hier ist ein Desiderat. Wir wissen über dieses merkwürdige Gebäude relativ wenig." Es kursierten auch Gerüchte. Gibt es eine Kühlzelle? Wo angenommen wurde, dass da Tote drin gelegen hätten. Also ganz viel Zeug und manches taucht eben auf in Berichten von Häftlingen. Ja ich bin da behandelt worden, das war so und so. Also es war dann mal an der Zeit zu suchen. Es ist ein externer Auftrag vergeben worden und wir haben das so als freischaffende Wissenschaftler bearbeitet und hab mich dann daran gemacht. Es war ein Jahr lang Recherche.
Maximilian Schönherr: Da gibt es ja zwei Arten von Akten, die einen sind die Akten über die Stasi-Mitarbeiter, die dort gearbeitet haben typischerweise und das andere sind über die Opfer, die da die Häftlinge und die Patienten waren. Beides gleich erschließbar?
Tobias Voigt: Nein, das ist beides nicht gleich erschließbar. Also der Zugang zu den persönlichen Unterlagen der Häftlinge, der ist aus rechtlichen Gründen völlig nachvollziehbar beschränkt. Außerdem bilden diese Häftlingsakten auch nur den Teil ab. Also die geben das wieder, was das MfS davon festhalten will und deswegen sind in dem Buch die Fälle, die da beschrieben sind, die basieren alle auf Gesprächen. Da sind ja wenige exemplarische Fälle drin und ich habe mit diesen Inhaftierten tatsächlich gesprochen und deswegen sind ja die Teile drin, ihr persönliches Erleben und das bildet sich ja in den Akten überhaupt nicht ab. Die Aktenführung war so ein rechtsförmiges nachvollziehbar, nachprüfbares rechtskonformes behandeln dieser Häftlinge darstellen und uns ging es darum tatsächlich diesen strukturellen Aufbau dieses Haftkrankenhauses mit diesen Behandlungsmethoden. Also das Primat der Vernehmerabteilung, also dass die letztendlich entscheidet, der kommt zur Vernehmung oder nicht. Das hat sich im Laufe der Zeit gewandelt, aber sie haben es vielleicht gelesen, also es wirklich so schwer verletzte Häftlinge, also Tunnelbauer Dieter Hötger, der hat sieben Kugeln in seinem Leib und soll in den OP geschoben werden, muss natürlich anästhesiert werden und da kommt die Vernehmerabteilung und schreit rum: "Ich will den noch vernehmen! Der darf da noch nicht rein!" Und er schlüpft mit rein in den OP-Saal und nur um da seine Aussage zu bekommen, weil er denkt, der könnte versterben, aber der Fall dieses Tunnelbaus und die Aufdeckung des Tunnels ist ein Politikum. Also der Vernehmer muss aus diesem waidwunden Häftling diese Information raussaugen, wenn der Tod ist, wäre das der Supergau.
Maximilian Schönherr: Ist es ist auch der Häftling, der seine eigene Kugel noch im Körper behalten wollte?
Tobias Voigt: Ja, der hat seine Kugel am Körper behalten, das war für mich auch sehr beeindruckend, robuster Mensch, sehr klar. Wir haben uns getroffen, wir hatten telefoniert und er meinte: "Herr Voigt, wir können jetzt hier lange quatschen. Ich muss Sie kennenlernen." Und dann wurde ein fünf Stunden Gespräch draus. Der kam zu uns. Ich lebte damals noch auf dem Dorotheenstädtischer Friedhof. Also wir konnten da lange und in Ruhe reden. Und natürlich seine Sicht auch und das wurde dann tatsächlich spannend, weil er berichtete von Dorr ohne den Namen zu kennen und er berichtete von die Behandlungsmethoden und er berichtete davon, dass da noch jemand anders kam, nämlich den Namen kannte er auch nicht, Gerhard Raue, ein verurteilter Zahnarzt, der da schon als strafgefangener inhaftiert ist. Also der hat im ZK Spionage gemacht, auch der sollte nicht im normalen Strafvollzug. Was macht er? Er behandelt Häftlinge und er behandelt auch Stasi-Mitarbeiter. Der Mann und dieser Wolfgang Dorr, der eigentlich Chirurg ist oder sich als solcher ausgibt und Leiter des Haftkrankenhauses ist, der schiebt diese Aufgabe diesen Mann zusammenzuflicken, den Hötger mit seinen sieben Schussverletzungen, schiebt er jetzt diesen Häftlingsarzt zu. Mach du das mal. So und wenn wir nur eine Überlieferung gehabt hätten, ja eine Überlieferung, dann dann wäre die Sache nicht rund gewesen und so konnten wir tatsächlich an diesem Fall nachweisen durch Parallel-Überlieferung, dass das tatsächlich stimmt. Also dieser Häftlingsarzt wird dafür genommen, der Tunnel Dieter kommt da rein, der andere sein Mittunnelgräber, der liegt tot auf einer Bahre, der wurde auch eingeliefert. Keiner kann feststellen, ob er noch lebt und so war das durch die Erinnerung, eine Zeitzeugenerinnerungen. Klar muss man das quellenkritisch hinterfragen.
Maximilian Schönherr: Es hat immer was anekdotisches.
Tobias Voigt: Das macht tatsächlich dann den Wert dann so einer Erzählung aus.
Maximilian Schönherr: Jetzt können wir noch ein wirklich sehr nettes Ereignis berichten, nämlich in den letzten Einlieferung des Jahres 1989 waren hochrangige SED-Funktionäre dabei. Das ist ja grotesk. Also sie können ja ein paar nennen, Hans Albrecht, Harry Tisch als SED-Funktionäre. Die waren dann plötzlich in diesem Krankenhaus. Wahrscheinlich wussten die immer, was da im Prinzip drin läuft und das waren sie selber da. Warum eigentlich?
Tobias Voigt: Diese Leute werden diese Institutionen nicht gekannt haben. Wer es aber kannte Erich Mielke, weil der wandert auch kurze Zeit da rein.
Maximilian Schönherr: Am Schluss.
Tobias Voigt: Am Schluss am Ende, Erich Mielke ist da auch kurz drin und er hat das per Befehl gegründet 1961 und kommt dann 89 rein. Ich glaube, das war das erste mal, dass er das gesehen hat. Er wird sich das nie angesehen haben, was er da geschaffen hat per Befehl.
Maximilian Schönherr: Gingen diese SED-Funktionäre und Mielke dann in Deckung quasi?
Tobias Voigt: Sie konnten nicht mehr Entdeckung gehen. Sie wurden von der neuen Regierung in Deckung gebracht, weil befürchtet wurde, dass der Volkszorn sich an ihnen austoben würde und dieses Sperrgebiet und dann nochmal dieser kleine Kokon des Untersuchungsgefängnisses, den Ort der wirklich 15 Minuten vom Alex weg ist, es ist ja schön dass sie diese Topographie benannt haben, der ist ganz nah und unendlich weit weg. Den hatte niemand auf dem Schirm und da sind diese Leute sicher, da könnte sozusagen die gewendete DDR und das gewendete SED-System unter Krenz, könnte dann sozusagen seine eigene neue sozialistische Gerechtigkeit errichten. Dafür war das. So das kuriose ist, das Personal ist eben immer noch dasselbe und da sind die Leute, die eben geschult sind, bei uns kommt nur der Feind rein und jetzt plötzlich kommen ihre Auftraggeber rein.
Maximilian Schönherr: So Tobias Voigt, tolles Gespräch. Wir beenden jetzt das Haftkrankenhaus und gehen nochmal kurz, denn das können wir uns vielleicht für einen zukünftigen Podcast vorbehalten. Sie nutzen dieses Archiv im Moment für eine ganz andere Sache, nämlich für eine Schlacht und da haben Sie in eine Webseite gegründet heißt histograf.de und da sieht man eine ziemlich karge Landschaft. Umreißen Sie es bitte kurz und verraten Sie nicht zu viel und vor allem wozu brauchen Sie das Stasi-Unterlagen-Archiv dafür?
Tobias Voigt: Ich bin auf einem anderen Feld unterwegs, auf einem Schlachtfeld. Vor den Seelöwer Höhen hat die größte Schlacht auf deutschem Boden am Ende des zweiten Weltkrieges stattgefunden. Das ist ein Ort, der wartet auf seine professionelle Musealisierung und dieser Ort ist über Form von Erinnerungskulturen unter anderem der der SED, die dort Anfang der 70er Jahre eine Inszenierung macht und Teil dieser Inszenierung ist auch ein Gedichtsfragment von Helmut Preißler einer in der DDR recht bekannter staatsnaher Dichter. Zu dem interessierte mich, weil ich das aus Erzählungen von Zeitzeugen gehört habe, dass an dieser Gedenkstätte zu DDR-Zeiten sehr viele Gruppen vom Ministerium für Staatssicherheit waren, also junge Tschekisten, wie das damals hieß.
Maximilian Schönherr: Den Sieg der Sowjetarmee gegenüber den Nazis der Wehrmacht feierte, weil die DDR quasi sagte, wir waren es nicht. Es war die BRD.
Tobias Voigt: Also die die Schuld an diesem Krieg und die Täterschaft, wurde eben ja über die Mauer geworfen und dort entsorgt und ich bin in der DDR eben in dem Teil aufgewachsen, der quasi Mitsieger war.
Maximilian Schönherr: Und wozu brauchen Sie das Archiv jetzt?
Tobias Voigt: Ich brauche das Archiv um einen kritischen Blick darauf zu werfen, wie ist diese Gedenkstätte benutzt worden? Wer hat die benutzt und zu welchem Ziel? Generell Stasi-Unterlagen-Archiv, darum dreht es sich an ihrem Podcast. Es sind Ego-Dokumente einer Diktatur, die du woanders so nicht kriegst und das Verständnis des SED-Regimes, das Verständnis der DDR wäre ohne diese Akten weitaus farbloser, weitaus weniger pointiert. Sicherlich gab es dabei viele Probleme, aber was soll das wenn Geschichtsbetrachtung unproblematisch wäre. Das würde uns jüngere Leute, jüngere Generation auch überhaupt nicht abnehmen.
Maximilian Schönherr: Da kann ich nur sagen vielen Dank für das Gespräch.
Tobias Voigt: Ich danke auch.
[Jingle]
Dagmar Hovestädt: Sie hörten ein Gespräch mit Tobias Voigt, Co-Autor des Buches "Medizin hinter Gittern - Das Stasi-Haftkrankenhaus in Hohenschönhausen". Das Krankenhaus steht heute allen Besucherinnen und Besuchern der Gedenkstätte Hohenschönhausen offen.
Maximilian Schönherr: Und nun wie immer das Archiv zum hören.
[schnelles vorspulen]
Elke Steinbach: Mein Name ist Elke Steinbach und ich kümmere mich mit meinen Kollegen um die Audio-Überlieferung des MfS. Wir hören heute einen Bericht aus dem Jahre 1981. Es ist der Ausschnitt aus dem Bericht einer weiblichen IM, die nicht so zahlreich sind. Sie ist Mitarbeiterin einer Chef-Redaktion eines Verlages und hat eine Beziehung zu einem Angehörigen der amerikanischen Botschaft, dessen Name anonymisiert wurde, der die DDR aber ein absehbarer Zeit verlässt. Im Verlauf des Berichtes entwickelt sie Ideen für weitere Beziehungen zu Amerikanern besonders zum amerikanischen Geheimdienst und schätzt den Wert der Informationen aus ihrem beruflichen Umfeld für einen Geheimdienst ein. Am Ende der Kassette stellt sie als Entlohnung für ihre Dienste Forderungen in Vorbereitung einer zeitlich nicht festgelegten Ausreise aus der DDR beziehungsweise zur Verbesserung ihrer Situation bis dahin. Wir hören die letzten drei Minuten von insgesamt 30
[weibliche IM:] Die zweite Frage, die sich unmittelbar anschließen würde, wäre die nach dem Vorteil, den mir eine solche Zusammenarbeit bringt. Wenn ich davon ausgehe, dass [anonymisiert] in der Vergangenheit ja auch immerhin für seine Berichte doch einiges an politischen Hinweisen schon gegeben habe, dafür für meine journalistische Arbeit vielleicht auch den einen oder anderen Hinweis bekommen habe, dann müsste man mir jedoch schon etwas genauer erklären, wie das nun künftig ablaufen soll. Sicherlich erwartet man von mir mehr Informationen, aber dann kann es sicherlich nicht mit mehr freundlichen Worten auf der anderen Seite getan sein. Worauf ich ganz eindeutig Ziel nehmen würde, was gleichzeitig och zur Begründung eigentlich warum icks mache, herhalten müsste, wäre eine Vorbereitung für einen späteren durchaus zeitlich noch nicht festgelegten Abgang von unserem Terrain hier. Ausgehend davon, dass [anonymisiert] mal in einem Gespräch gesagt hat, ich hätte ja gar keine Alternative als hier zu arbeiten und mich so zu engagieren, worauf ich erwiderte: "Natürlich ich bin ja oft genug im Ausland. Ich hätte also sicher diverse Möglichkeiten und glaube auch, dass ich überall auf der Welt leben könnte. Das hängt immer davon ab, ob man Arbeit findet und ein paar nette Leute findet. Worauf er aber einwand, das natürlich die materielle Sicherstellung nicht gegeben wäre und ich doch hier zu viel investiert hätte, mir hier zu viel geschafft habe. Daran anknüpfend, die Frage, gut dann ist es sicherlich zweckmäßig sich allmählich diese materielle Grundlage, die mir, wie er richtig feststellt, drüben noch fehlt, allmählich zu schaffen. Dafür müssten natürlich och gewisse Garantien jeschaffen werden. Also da ist mit Versprechungen natürlich nicht getan. Wobei... Ach so und als drittes glaube ich aber, dass man es bei dieser materiellen Sicherstellung für irgendeine nicht terminliche bunte Zukunft nicht belassen darf, sondern dass das zumindest flankiert werden müsste von einigen Vorteilen, die sich auch schon jetzt ergeben, zum Beispiel während Auslandsreisen ins nicht sozialistische Ausland oder wenn es um die Beschaffung einiger Dinge geht, die mir für meine Arbeit von Nutzen sind, ob es eine Kameraausstattung ist oder was ähnlich. Also Dinge die mich hier nicht verdächtig machen, kein Straßenkreuzer vor der Tür oder so, sondern sich im Rahmen des möglichen bewegen, mir das Leben aber etwas angenehmer machen und erleichtern.
[schnelles Tonspulen]
[Jingle]
Sprecher: Sie hörten:
Sprecherin: "111 Kilometer Akten –
Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."
[Musik]
Diese sind zu finden im Buch "Objekt 1. Stasigefängnis und Haftkrankenhaus Berlin-Hohenschönhausen" von Ruth Stoltenberg.
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