Publikation "Juristische Aufarbeitung der Westspionage des MfS"
Ein Festvortrag gehalten am 18. Juni 1999 in der Akademie für politische Bildung in Tutzing.
Veranstaltung "Vom Mythos der guten HV A". Von links nach rechts: Joachim Lampe, Dr. Susanne Muhle, Dr. Christopher Nehring, Prof. Dr. Daniela Münkel, Dr. Wolfgang Welsch, Quelle: BStU
Nach 1990 setzten die ehemaligen Chefs der HV A, der Hauptverwaltung A, zuständig für die Auslandsspionage im Ministerium für Staatssicherheit, alles daran, ihre Arbeit vom Rest des Ministeriums abzusetzen. Aber wie "anders" war die HV A wirklich? In dieser Folge tauschen sich dazu das HV A-Opfer Wolfgang Welsch, die Historikerinnen Daniela Münkel und Susanne Muhle sowie der ehemalige Staatsanwalt der Bundesanwaltschaft Joachim Lampe aus.
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Sprecherin: "111 Kilometer Akten - [Ausschnitt einer Rede von Erich Mielke: ..ist für die Interessen der Arbeiterklasse!] - der offizielle Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs".
Dagmar Hovestädt: Willkommen zu einer neuen Folge. Ich bin Dagmar Hovestädt, Sprecherin des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen und begrüße Sie gemeinsam mit Maximilian Schönherr, meinem Co-Host. Er ist Radio-Journalist und Gründer des Archivradios im SWR.
Maximilian Schönherr: Wir beschäftigen uns heute mit der HV A, der Hauptverwaltung A oder auch oft Aufklärung genannt. Sie war ein Bereich des Ministeriums für Staatssicherheit, also des gern MfS abgekürzten Mielke-Imperiums. Die Hauptabteilung A war für die Auslandsspionage zuständig. Also nicht für das Ausspionieren der DDR-Bevölkerung, sondern klassischer Geheimdienst, mit zahlreichen Spionen in Westdeutschland. Bei HV A steht das A einfach für A und nicht Ausland und auch nicht Aufklärung oder?
Dagmar Hovestädt: Genau, Da bewegen wir uns in den Eingeweiden der Organisationsgeschichte des MfS. Das A steht als erster Buchstabe für die 1. Verwaltung, das ist angelehnt an die Darstellung dieser Organisationseinheit im sowjetischen Bruderorgan, wie es immer so schön heißt, beim KGB. Es ist also rein zufällig so, dass das A auch für die Aufklärung benutzt werden kann. Aber ursprünglich innerhalb des MfS steht es nicht dafür. Die meisten Abteilungen sind ja nicht per se am Namen erkennbar, sondern zumeist mit römischen Ziffern benannt und dann muss man wissen, welche Abteilung damit gemeint ist.
Maximilian Schönherr: Da können wir eigentlich auch mal einen Podcast machen über KGB Parallelen zum MfS, das finde ich eigentlich ganz interessant, aber ich kehre zurück zum A, zum Auslandsspionagearm des Ministeriums für Staatssicherheit.
Dagmar Hovestädt: Wir verwenden für die Arbeit des MfS sowohl den Begriff "geheimpolizeilich" als auch "geheimdienstlich". Geheimpolizei — weil das MfS ja nicht nur Informationen gesammelt hat, auf mehr oder weniger verbotene bzw. perfide Art und Weise, sondern weil es eben auch polizeiliche Befugnisse hatte: Stasi-Offiziere konnten verhaften, Vernehmungen durchführen und unterhielten auch eigene Untersuchungsgefängnisse. Diese waren übrigens bei uns im Podcast schon Thema, falls Sie das nachhören wollen, in Folge 15 und 19. Das ist der polizeiliche Anteil.
Maximilian Schönherr: Konnten Mitarbeiter der Hauptverwaltung A nicht verhaften? Oder spielte das für einen Auslandsdienst eh keine Rolle?
Dagmar Hovestädt: Das ist ein Stück weit auch Gegenstand des Gesprächs von heute: Wie aktiv hat sich die HV A im Feld verhalten und wie doll hat man das bemerkt? Also Verhaften z.B. ist ja landläufig mit einer gewissen Ordnung der Abläufe versehen - polizeiliche Ermittlungen, Tatverdacht, die Notwendigkeit der Verhaftung. Die HV A ist ja so nicht in Erscheinung getreten, aber sie war zum Beispiel an Entführungen beteiligt, per se kriminell und hier, wenn man so will, eine sehr illegale kriminelle Form von Verhaftung, bei der man auch nie wirklich die Hintermänner ausmachen konnte. Als Geheimdienst im Ausland und vor allem in der BRD wollte die HV A natürlich nicht in Erscheinung treten und insofern hat sie, wenn man das so bezeichnen möchte, diese Entführung als eine Verhaftung durchgeführt und ist dann in die DDR zurückgegangen. Ja, insofern ist es schwer zu sagen, durfte sie verhaften oder nicht. Brauchte sie überhaupt Grundlagen? Es war jedenfalls klar, dass sie sich da sehr aktiv verhalten hat auch in der Bundesrepublik.
Maximilian Schönherr: Betrieb die HV A also Auslandsspionage wie die meisten Länder der Welt, also quasi wie der Bundesnachrichtendienst, der dann auch im Osten herumspionierte?
Dagmar Hovestädt: Genau das war immer auch die Argumentation nach dem Ende der Stasi: Die HV A war ja "nur" formal Teil des MfS und ansonsten mit dem durchaus "üblichem" beschäftigt nämlich mit der Spionage. Das ist aber, würde ich schon sagen, deutlich Schönfärberei, die nicht ganz zufällig sehr gezielt von den letzten Chefs der HV A in den 1990er Jahren, als es auch um die strafrechtliche Verfolgung der HV A und der Stasi im vereinten Deutschland ging, in der Öffentlichkeit gestreut wurde. Und auch das gehörte zum Arsenal der HV A, die Desinformation, die gezielte Manipulation von Informationen.Die HV A, das muss man wirklich so festhalten, war integraler Bestandteil des MfS, insbesondere bei der Arbeit in West-Deutschland. Und insofern kann man doch eher bezweifeln, dass sie wirklich etwas anderes war.
Maximilian Schönherr: Die HV A kam bisher in unseren Podcasts allenfalls am Rande vor. Heute ziehen wir sie ins Rampenlicht. Wir präsentieren den Mitschnitt einer Veranstaltung, die im Januar 2018 auf dem Stasi-Gelände stattgefunden hat, direkt neben dem Gebäude, in dem die HV A bis 1990 ihren Dienstort hatte. Die Besucher der Podiumsdiskussion konnten an dem Abend die alten Diensträume der HV A in Haus 15 besichtigen. Ich war nicht da. Du aber wahrscheinlich schon, wo genau ist das Haus 15?
Dagmar Hovestädt: Also das ist so eine Art Riegel an der Süd-West-Ecke von diesem großen Stasi-Areal von der Zentrale in Berlin Lichtenberg. Es ist ein 10-stöckiges funktionales und heute leer stehendes Bürohochhaus, dass in den 1970er Jahren da so ums Eck gebaut wurde und damit den Innenhof der Zentrale, also für die Blicke von außen zu versperren hat, hat so eine Doppelfunktion. Der Veranstaltungsort Haus 22, liegt genau zwischen Innenhof und dem HV A Hochhaus, was da so um die Ecke gebaut ist.An dem Abend ging es um die Frage, ob die HV A eben die gute Seite der Stasi repräsentierte oder doch mit in den großen Topf gehört. Das Gespräch dreht sich um Entführungen, die Verfolgung von Fluchthelfern, Mordanschläge und die Versuche, diese Taten nach der Vereinigung durch die Strafjustiz zu ahnden.
Maximilian Schönherr: In dem Gespräch, was wir gleich hören, ist eher in einem Nebensatz zu hören, dass die HV A ihre Akten nach der Friedlichen Revolution, also 1990, selbst vernichten konnte. Wie konnte sie das so gründlich schaffen, und fällt diese Lücke bei Euch im Archiv groß auf? Ich habe mich damit im Audioarchiv nie beschäftigt, bisher nicht.
Dagmar Hovestädt: Also die Lücke ist absolut bemerkbar. Sie hat die umfängliche Aufarbeitung dieses Teils der Stasi deutlich behindert. Aber es sind durchaus ausreichend Spuren geblieben, wie die elektronische Statistik der Stasi, die wir SIRA nennen, ist vorhanden. Also wo sie statistisch erfasst hat, welcher Spion ihr welche Art von Informationen geliefert hat. Die HV A Ausgangsinformationen, also die Berichte der HV A an die Staats- und Parteiführung sind erhalten geblieben und in den Bezirksverwaltungen gab es ja Abteilungen, die der HV A unterstellt, in den 15 Bezirksverwaltungen und dort sind in Leipzig vor allem, aber auch in anderen, kleinere Überreste geblieben, so dass sich durchaus ein Bild bauen lässt, aber es fehlen natürlich doch sehr große Teile.
Maximilian Schönherr: Dann kommen wir gern mal kurz zu paar Details, die wir vorab klären sollten:Es wird hin und wieder vom "Operationsgebiet" gesprochen?
Dagmar Hovestädt: Damit ist das westliche Ausland gemeint und in diesem Falle wirklich sehr konzentriert die Bundesrepublik, das West-Deutschland.
Maximilian Schönherr: Dann fällt der Name Coburger?
Dagmar Hovestädt: Das ist der Chef der Hauptabteilung VIII im Ministerium, Karli Coburger, der für die Untersuchung und Ermittlung zuständig war.
Maximilian Schönherr: Schlimmer Finger. Der kam mir schon ein paar Mal über den Weg.
Dagmar Hovestädt: Hat auch so einen Namen, den man sich gut merken kann, Karli Coburger.
Maximilian Schönherr: Und ein Zeitzeuge lässt das Wort "liquidieren" fallen. Kommt aus dem Lateinischen, verflüssigen, also töten. Um sein Leben bedroht sah sich der Mann durchaus und nicht ohne Grund. Ich habe aber schon öfter gelesen und z.B. von Petra Riemann hier im Podcast Folge 26 gehört, dass liquidieren eher aus dem Verkehr ziehen meinte. Was ist jetzt gemeint?
Dagmar Hovestädt: Ich würde sagen, es kommt, wie so oft bei Akten, auf den Kontext an. Nicht immer ist mit liquidieren eindeutig das Töten gemeint, sondern oft auch einfach die Auflösung einer Gruppierung oder die psychische oder moralische Zerstörung eines Menschen, damit er seinen Protest, seine Kritik nicht mehr weiterleben kann. Das ist auf eine andere Art aber auch schrecklich.Wir stellen heute mal selbst das Podium vor und steigen gleich mittels einer kurzen Filmsequenz in den Abend ein. Warum übernimmst du nicht die beiden Forscherinnen?
Maximilian Schönherr: Kann ich gerne machen. Also, da hätten wir Susanne Muhle, Historikerin und wissenschaftliche Leiterin der Gedenkstätte Berliner Mauer. Sie hat über die Entführungen der Stasi in den 1950er und 1960er Jahren promoviert, der Titel der Studie "Auftrag: Menschenraub". Dann Daniela Münkel, ebenfalls Historikerin, u.a. die Herausgeberin eurer Edition die "DDR im Blick der Staatssicherheit". Sie hat mit geforscht bei der Unabhängigen Historiker-Kommission zur Aufarbeitung der Geschichte des Bundesnachrichtendiensts und leitet seit 2021 den großen Bereich Forschung im Stasi-Unterlagen-Archiv. Frau Münkel war unser Gast in der Podcast-Folge 10, wo es um das geheime Studienfach Operative Psychologie ging.
Dagmar Hovestädt: Moderiert wird der Abend von Christopher Nehring, der 2018, als wir die Veranstaltung gemacht haben, Forscher beim Deutschen Spionagemuseum war, also unserem Kooperationspartner für den Abend.
Maximilian Schönherr: Ich wusste gar nicht, dass es das gibt ein deutsches Spionagemuseum. Wo ist das?
Dagmar Hovestädt: Das gibt es schon ein paar Jährchen länger. Das ist am Leipziger Platz in Mitte.
Maximilian Schönherr: Also in Berlin.
Dagmar Hovestädt: Natürlich in Berlin, aber nicht in Lichtenberg, sondern richtig sozusagen im Zentrum in der Nähe des Potsdamer Platzes als Einrichtung, wo man sich mit allem, was in der deutschen Hauptstadt der Spionage so passiert ist, beschäftigen kann und natürlich dort auch mit der Stasi. Jedenfalls waren die unsere Kooperationspartner an dem Abend. Er führt durch die Diskussion, zu der neben den beiden Forscherinnen auch zwei, ich sag mal, quasi Zeitzeugen gehören: Da ist einmal Joachim Lampe, ehemaliger Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof sowie Staatsanwalt bei der Bundesanwaltschaft. Er war in den 1990er Jahren mit den Ermittlungen gegen die HV A beschäftigt. Und dann sitzt als vierter Gast Wolfgang Welsch auf dem Podium, der ein sehr bewegtes Leben mitbringt. Publizist, Politologe, aber vor allem auch gefragt, weil er ein sehr findiger Fluchthelfer war, den die Stasi intensiv verfolgte. Welsch hat selbst versucht, 1964 aus der DDR zu flüchten, wurde gefasst und verbrachte Jahre in verschiedenen DDR-Gefängnissen, bis er 1971 vom Westen freigekauft wurde und von dort aus dann Fluchthelfer wurde unter vielen anderen Dingen eben auch.Das Gespräch beginnt dann gleich mit einem Ausschnitt aus "Der Stich des Skorpions" – einem Film aus dem Jahre 2004, basierend auf der gleichnamigen Autobiographie von Wolfgang Welsch. In dem Film heißt er Wolfgang Stein. Es geht in der Szene los mit einem Gespräch der Stasi über ihn:
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[Ausschnitt aus dem Film "Der Stich des Skorpion"]
Major Fink: Im Augenblick wissen wir nicht welche Mittel er sich bedient. Uns ist nur bekannt, dass er in den letzten drei Monaten 14 Bürgern die Flucht in die BRD ermöglicht hat. Dazu bedient er sich mittlerweile auch Helfer und Helfershelfer, die für ihn Kurierarbeiten übernehmen. Wolfgang Stein ist nicht der einzige kriminelle Menschenhändler, wie Sie wissen, aber er ist der Effektivste. Tja, die drei werden ausschließlich operativ tätig. Aufklärung, machen Sie den Mann transparent. Einmal im Monat werden die Informationen hier in meinem Büro zusammengetragen, sobald wir wissen wie das System funktioniert, legen wir es lahm und nehmen den Kriminellen Stein fest. Herr Bungert wird Sie noch genauer instruieren. Sie alle drei reisen morgen über verschiedene Übergänge in die BRD ab.
Bachmaier: Meine Verwendung?
Major Fink: Sie gehen auf eine Fortbildung an der Hochschule des Ministeriums für Staatssicherheit. Ja, Sie können gehen. 14 Leute in drei Monaten, es ist unglaublich und er hat erst angefangen, das ist eine Demütigung. Dieser Mann gibt unser System der Lächerlichkeit preis. Wolfgang Stein ist ein Staatsfeind. Genauso wird er jetzt behandelt. Legen Sie eine Akte mit dem Titel Operation "Skorpion" an.
Stasi-Mitarbeiter: Mit welchem Inhalt?
Major Fink: Mit allen Dokumenten und Erkenntnissen die für eine Liquidierung Steins erforderlich sind. Ja, falls diese notwendig werden sollte.
[Ende des Filmausschnittes]
Dr. Christopher Nehring: Herr Welsch, wenn Sie auch noch mal im eingedenk der Eindrücke aus dem Film zurückgehen in der Zeit: Was der Film ja nicht zeigt, sind die insgesamt drei Mordanschläge, die auf sie verübt wurden, wenn ich es richtig im Kopf habe, war letztendlich der schlimmste der Thaliumgift-Anschlag weitgehend ohne Beteiligung der HV A abgelaufen, aber es gab einen weiteren Mordversuch an Ihnen, der unter Mitwirkung der HV A durchgeführt wurde.
Dr. Wolfgang Welsch: Also nach meinen Erkenntnissen hat die HV A in zwei Mordversuchen ihre Finger gehabt, war sie verwickelt. Das war einmal England 1980. Denn die Logistik, die da zur Verfügung gestellt wurde, um den Anschlag durchzuführen, die trug eindeutig die Handschrift der HV A. Das kann eine Hauptabteilung 6 Heinz Fiedler, der übrigens mit einer kriminellen Handlungsanweisung wie Fluchthelfer, insbesondere ich, am besten liquidiert werden können, liquidieren im MfS-Handbuch heißt töten. Der Chef der Hauptabteilung VI, Heinz Fiedler, hat damit promoviert zum Doktor, hat sich dann leider später aufgehangen. Nein, es war England und es war Israel, wo also die HV A involviert war. Insbesondere England war es der Scharfschütze, der unweit von London in einer Reihenhaussiedlung etwa 20 Meilen auf der M20 vor London links der Autobahn positioniert war. Ganz besonders witzig deshalb, weil ja Linksverkehr herrscht, das heißt ich war mit dem Mercedes Sprinter, mit dem wir da unterwegs waren und den ich chauffiert habe, gut zu erkennen als Ziel. Das kann eine Hauptabteilung VI natürlich niemals logistisch bringen und Israel genau das gleiche, man stelle sich den Aufwand vor, den die HV A getrieben hat. Ein in Darmstadt gekauftes Motorhome via Seeweg acht Wochen über Nord- und Ostsee oder Osten- Nordsee und durchs Mittelmeer nach Haifa zu schippern, dort in Haifa den Wagen mir als Mietwagen anzudienen, noch mit deutscher Nummer mit Darmstädter Nummer, das konnte man nicht rechtzeitig hinbiegen, bin ich übrigens oft gefragt worden: "Ja, bist du dann nicht stutzig geworden?" Nein, natürlich nicht; weil ich wollte auch nicht irgendwie so ein Fluchtsyndrom zum Opfer fallen, das ich ständig um mich herum Gefahren sehe. Außerdem wenn man im Urlaub in Israel ist, dann ist man besonders relaxed, dann nimmt man das sowieso nicht wahr und denkt, was kann mir hier schon passieren und genau dieses Fahrzeug war zu dem Zweck beschafft worden, dass man dort ein Essen zubereitet, wo man das zuvor in dem Film beschriebene Schwermetall Thalium dann untermischen kann, deshalb in ein Motorhome, das könnte man natürlich auch, wenn ich zum Essen eingeladen werden würde in ein Restaurant, könnte man das da schnell mal reinmischen. Nur dazu hätte es einer besonderen Situation bedurft, nämlich keiner guckt hin und dass ist keine Arbeit für einen Geheimdienst insbesondere nicht dem sich elitär gebende HV A. Das geht nur in der Abgeschiedenheit einer Bordküche in einem Motorhome, wo niemand da war. Da ließ sich das bequem unterbringen. Denn eins steht doch mal fest: Bei allen Mordanschlägen musste es unbedingt vermieden werden, das war sozusagen die conditio sine qua non, dass die DDR in irgendeiner Form involviert wäre, der friedliche Arbeiter- und Bauernstaat, der erste menschengerechte und menschenrechtliche Staat. Auf keinen Fall dürfte da einen Zusammenhang oder eine Verbindung hergestellt werden. Deswegen diese wahnsinnige Konspiration und ich habe ja versucht auch mit in Israel selbst lebenden Leuten, mit israelischen Journalisten, auch mit Deutschen, herauszufinden, wer derjenige war, der damals den Wagen vermietet hat, in Wahrheit uns zur Verfügung gestellt hat, aber das konnte nie mehr eruiert werden. Auch die Frau, die damals dabei war, eine mögliche HV A Frau, das wäre wahrscheinlich der erste Fall, wo eine Hauptamtliche dabei war, dass sie von außerhalb kamen und keine amerikanische Jüdin war, als diese zu unserer Reisegruppe stieß, lässt darauf deuten, dass sie also hauptamtlich unterwegs war und meinen IM und potenziellen Mörder angeleitet hat, nachdem dessen beiden vorhergehenden Mordversuche ja fehlschlugen.
Dr. Christopher Nehring: Aber Sie sagen "potenziell", bedeutet dass ich in Ihrer Akte, in allen Unterlagen, die Ihnen zur Verfügung standen, kein direkter Beweis dafür fand?
Dr. Wolfgang Welsch: Ja, wohl wahr. Natürlich und das spricht auch für den professionellen Charakter der HV A. Die wären natürlich blöd. Kriminelle Verbrechen und das waren ja alles durchweg kriminelle Verbrechen, das wussten die ganz genau, dass das kriminell war, jemand zu töten, dass die das verborgen haben. Es gab ja auch kein Dokument aus dem hervorgeht, ja, es bestand ein Schießbefehl. Das wurde alles diskret hinter den Kulissen abgemacht. Es wurde gesagt: Ja, Grenzverletzer sind zu vernichten". Aber es war nirgendwo festgehalten und genauso wenig wurde das festgehalten. Ich habe mit Herrn Großmann telefoniert und habe ihn ganz klar darauf angesprochen. Er hat nicht aufgelegt und ich habe ihn gefragt, ob ihm da irgendetwas bekannt ist. Er müsste das doch wissen. Denn sein Kumpan, der Herr Bohnsack, auch von der HV A, der hat auf ein Einlassen des Herrn Wolfs, Herr Wolf hatte mal gesagt: "Ja, wir haben nichts mit dem ansonsten repressiven Teil des MfS zu tun." Woraufhin Herr Bohnsack in einem Spiegel-Interview noch 1997, glaube ich, sagte: "Er könnte kotzen, wenn er so was hört. Die HV A war Fleisch vom Fleische des MfS" und Herr Wolf war stellvertretender Minister des MfS. Also das ganze Märchen von wir hatten damit nichts zu tun, im Übrigen war hier kurz eingeblendet. Natürlich hatten sie mit ausspionieren von Fluchthelfer-Organisation zu tun und natürlich wollten sie dann auch die Feinde, wenn sie erkannt worden beseitigen und liquidieren, ganz klar.
Dr. Christopher Nehring: Herr Welsch hat schon das Stichwort geliefert. Markus Wolf sagte, dass sie mit so etwas hatten nichts zu tun in der HV A. In den 90er Jahren gab es ja durchaus, wenn auch wenige Fälle, in denen das Gegenteil eigentlich sehr deutlich zu Tage trat. Frau Muhle, Sie haben auch diese, es sind im speziellen drei Fälle, auf die wir wahrscheinlich noch ein bisschen ausführlicher kommen, könnten Sie die noch mal nur kurz nennen und auch den spezifischen Charakter dabei, warum Wolfs Einlassung, damit hatte die HV A nichts zu tun, sehr falsch war in diesen in diesen Fällen?
Dr. Susanne Muhle: Also das Verfahren gegen Markus Wolf in den 90er Jahren, das erste, da wird Herr Lampe sicherlich noch was zu sagen, richtete sich tatsächlich gegen die Spionagearbeit. Das zweite Verfahren dann aber tatsächlich der Vorwurf der Freiheitsberaubung in insgesamt vier Fällen und dort ist er auch verurteilt wurden zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren, die auf Bewährung ausgesetzt worden ist. Und diese vier Fälle waren zum einen ein geflohener Stasi-Mitarbeiter Walter Träne. Vielen von Ihnen vielleicht bekannt, da es einer der bekanntesten Entführungsfälle ist. 1962 aus Österreich entführt wurden mit seiner Freundin damals. Also das sind zwei Personen. Dann eine weitere in Entführung Mitte der 50er Jahre Christa Trapp, eine Dolmetscherin, die für eine amerikanische Dienststelle in Westberlin gearbeitet hat für die sogenannte HiCoG, den high commissioner of germany und die junge Frau ist tatsächlich mit ihrer Mutter zusammen verschleppt wurden aus Westberlin. Dazu kann ich, wenn gewünscht tatsächlich auch noch näheres erzählen, und der dritte Fall und somit die vierte Person war Georg Angerer, der nicht entführt worden ist, sondern festgenommen worden ist in der DDR, dann unrechtmäßig fast ein Jahr lang festgehalten worden ist, permanent vernommen worden ist und zwar hat die HV A da versucht Informationen zu bekommen von Herrn Angerer im Kontext einer Kampagne gegen Willy Brandt, denn Angerer hatte in Norwegen Kontakt zu Willy Brandt, war später sozusagen dem Vorwurf ausgesetzt, dass er für die Deutschen, für die Gestapo kommunistische Widerstandskämpfer in Norwegen verraten hat und man wollte sozusagen eine Verbindungslinie zwischen ihm und Willy Brandt knüpfen, um sozusagen dann Willy Brandt an den Pranger stellen zu können, das war die dritte Person.
Dr. Christopher Nehring: Und was war in diesem oder bei diesen drei Personen die spezifische Rolle der HV A, wenn es sie so gegeben, wenn wir es eben abgleichen wollen mit dem Statement von Wolf, das sie mit Gewaltverbrechen nichts zu tun hatten?
Dr. Susanne Muhle: Ja das ist tatsächlich ganz interessant, weil Markus Wolf in diesem Prozess gesagt hat: "Wir hatten in der HV A kein Killerkommando, wir hatten keine Schlägertruppe" und er sich tatsächlich ein wenig widerspricht, weil kurze Zeit später sagt er, das sozusagen bei dieser Entführung von Walter Träne aus Österreich, die er natürlich selbst nicht als Entführung, sondern als Festnahme bezeichnet, das da sozusagen von Oberst Volk, also von einem Mitarbeiter der HV A tatsächlich spezielle Mitarbeiter für diese Festnahme ausgewählt worden sind. Er hat auch in dem Sinne Recht und das ist sehr oft zu beobachten auch bei Herrn Großmann. Es ist sozusagen immer ein kleiner Kern Wahrheit in ihrer Aussage, nämlich ja es gab jetzt keine Abteilung im MfS, die für Entführung zuständig war, sondern es betraf sozusagen, es wurden immer dort IMs rekrutiert oder Entführungsgruppen gebildet in den Abteilungen, die sozusagen mit dem Opfer befasst war. Sprich, wenn es ein Geheimdienstmitarbeiter war, dann war oftmals auch die Hauptabteilung II aus dem Abwehrbereich involviert in die Entführung, wenn es eine politische Organisation war, dann war es die Hauptabteilung V. Bei Walter Träne war es so, er war Mitarbeiter in der sogenannten WTA, der wissenschaftlich technischen Auswertungen, eine Abteilung, die sehr eng mit der HV A kooperiert hat und dann nach der Flucht von Walter Träne auch in die HV A integriert wurde und insofern lag es da recht nah, dass dann auch die HV A federführend bei der Entführung war. Das hat Wolf sehr lange, bis zu seinem Tode, abgestritten. Die Quellen sprechen da aber eine sehr eindeutige Sprache und da hat tatsächlich auch die Aktenvernichtung, also die Vernichtung der Akten der HV A, auch nicht viel gebracht, da es die Überlieferung in denen IM-Akten gibt und da findet sich unter anderem eine Notiz von Herrn Wolf, wo er schreibt "Alle Unterlagen zu dieser Entführung sind", also auch da heißt es natürlich nicht Entführung in der Stasi-Akte, aber "Alle Unterlagen zu diesem Vorgang sind zu vernichten".
Dr. Christopher Nehring: Also vielleicht schon sehr früh dafür gesorgt, dass von diesen Akten keine Spuren mehr übrig bleiben. Frau Münkel dann, Sie wollten kurz zum Fall Georg Angerer was sagen.
Prof. Dr. Daniela Münkel: Der Fall Angerer liegt natürlich ein bisschen anders als diese Entführungsfälle. Der ist eher in den größeren Zusammenhang einzuordnen, die gegen aktive Maßnahmen gegen die Bundesrepublik, nämlich die Bundesrepublik als narzisstisch unterwandert darzustellen und hier in dem engeren Zusammenhang die Kampagne der Staatssicherheit und vor allen Dingen der HV A gegen Willy Brandt, den man eben seit den 50 Jahren und beginnenden 60er Jahre massiv bekämpfte, weil er als kalter Krieger in Westberlin unterwegs war und sich dezidiert gegen das kommunistische Regime in der DDR geäußert hat. Also der Fall liegt noch etwas anders als diese tragischen Entführungsfälle, die Frau Muhle ja untersucht hat.
Dr. Christopher Nehring: Wenn ich mich da recht entsinne, hat es doch auch wieder Markus Wolf im Fall Angerer ihn quasi zur Chefsache erklärt und damit ja auch in die, nennen wir es, mindestens ruppigen Verhörmethoden dezidiert mitgetragen.
Prof. Dr. Daniela Münkel: Ja, also der der Fall Angerer war erst bei der Bezirksverwaltung Leipzig angesiedelt und wurde dann nach Ostberlin gezogen und zwar, wie Sie richtig sagen, unter der Verantwortung von Markus Wolf, das unterstreicht noch einmal die Bedeutung dieses Falles und Angerer wird also in Haft genommen, damit er nicht in die Bundesrepublik flieht und dass sie ihm weiter nutzen können. Er wird wohl auch körperlich angefasst und wird dann genötigt lange Ausführungen zu schreiben, die dann aber nicht das gewünschte Ergebnis bringen und nach einem Jahr Haft ist Angerer ein ziemlich gebrochener Mensch und er taugt nicht mehr dafür diese Kampagne zu führen. Es war eigentlich geplant eine große öffentliche Medienkampagne mit Angerer gegen Brandt zu führen, das ging nicht. Erstens, weil Angerer offenbar nicht mehr in der Lage dazu war und zum zweiten, weil man einfach die Beweise nicht gefunden hat, die man gesucht hat, nämlich da Willy Brandt als Gestapo-Spitzel zu denunzieren.
Dr. Christopher Nehring: Aber es war ja noch so, dass ihm zu der Zeit der Einsatz von körperlicher Gewalt oder auf jeden Fall psychischer Gewalt zur Erzeugung von unwahren Aussagen zum propagandistischen Einsatz noch gutgehießen wurde bzw. aus späteren Zeiten haben wir keine Belege oder keine Quellen mehr dafür, dass das auch weiterhin angewandt wurde. Frau Muhle hat ja auch schon die Aufträge zur Vernichtung angegeben, sodass jetzt die die Beispiele, die wir dafür haben, hauptsächlich aus den 50er Jahren stammen.
Prof. Dr. Daniela Münkel: Also, was diese körperliche Gewalt angeht: Man bediente sich ja dann später anderer Methoden, seit den 70er Jahren, den sogenannten "Zersetzungsmethoden", die auch die HV A angewandt hat in der Bundesrepublik gegen ehemalige Bürgerrechtler oder DDR-Bürger, die ihnen ein Dorn im Auge waren. Und da ging man perfider los. Herr Jahn ist gerade gekommen – ihm hat man unterstellt, dass er für den BND arbeiten würde, um ihn damit bei den Bürgerrechtlern, die noch in der DDR waren, zu diskreditieren. Also mit solchen Methoden hat man dann gearbeitet.Es gab auch andere Fälle, wo wir aber keine Beweise haben und auch die Untersuchungen, die im Nachhinein erfolgt worden sind, nicht zum Beweis führten. Was vielleicht auch ein ganz bekannter Fall ist: Der Fall des Fußballspielers Lutz Eigendorf, der aus der DDR in die Bundesrepublik übergesiedet ist und dann bei einem mysteriösen Verkehrsunfall in Braunschweig ums Leben kam. Da kamen dann relativ schnell die Gerüchte auf, dass die Staatssicherheit dahinterstecken könnte. Aber es gibt keinen Beweis dafür.
Dr. Christopher Nehring: Herr Lampe, wir benutzen auch schon das juristische besonders bedeutungsschwangere Wort "Beweis". Als Historiker verstehen wir vielleicht manchmal was anderes darunter als Juristen. Aber mit Beweisen für diese Taten, über die wir sprechen, haben Sie sich ja besonders ausführlich beschäftigt. Auch mit dem Fehlen von Beweisen für bestimmte Sachen. Können Sie uns denn nochmal aus strafrechtlicher Perspektive, beziehungsweise aus der Perspektive der Anlagevertretung – unter anderem gegen Markus Wolf – skizzieren, auf welche spezifischen Probleme Sie dabei gestoßen sind, diese Taten, über die wir jetzt gerade gesprochen haben, nachzuweisen?
Joachim Lampe: Vielleicht fang ich mit dem Fall Angerer an und knüpfe mal an an das, was Frau Muhle sagte. Mir liegt daran, an diesem Beispiel herauszuarbeiten, was aus Sicht der DDR Legalität war. DDR-Legalität. Markus Wolf, der in der Tat unmittelbar diesen Fall mitbearbeitet hat, mit Hilfe eines Oberstleutnants aus der IX, dem Untersuchungsorgan, war sicherlich der Meinung, er dürfe all das, was er da getan hat. In der Strafprozessordnung der DDR war durchaus geregelt, wie ein Verdacht aufgeklärt werden muss. Unter welchen Voraussetzungen ein Haftbefehlt beantragt werden kann. Das MfS – daran liegt mir jetzt – war an solche rechtlichen Grundlagen nicht gebunden. Dass bedeutet: außerordentliches Organ zum Schutz gegen Konterrevolution. Außerordentlich [betont: neben] der Exekutive, [betont: neben] der Legislative, [betont: neben] der Justiz; von diesen Gewalten in keiner Weise kontrolliert oder beeinflusst. Das will ich Ihnen an dem Beispiel Angerer nochmal klar machen.Angerer war als deutsche Kommunist in Norwegen, Willy Brandt auch. Beide hatten sich nur '35 in Norwegen kurz getroffen und dann ist ja Willy Brandt nach Schweden gegangen. Angerer arbeitete weiter als Dolmetscher für die Deutschen, natürlich auch für die Gestapo. Am Ende des Krieges haben die Norweger ein Verfahren gegen Angerer eingeleitet und festgestellt, dass ihm nichts vorzuwerfen ist. Zahlreiche Gefangene haben gesagt er habe sich immer bemüht um sie. Angerer ist dann in die DDR zurückgegangen und auch dort wurde zunächst ein Verfahren gegen ihn eingeleitet. Auch dieses Verfahren endete damit, dass ihm nichts vorzuwerfen ist. Und jetzt kommt '59 - Jahre später, Willy Brandt ist regierender Bürgermeister – Wolf und Wolf fällt ein, dass man die Geschichte, den Kontakt Angerer-Brandt, doch für eine Agitation gegen Willy Brandt einsetzen kann. Er unterschrieb den Haftbefehl in dem Bewusstsein, dass auf sonst legalem Wege in der DDR ein solcher Haftbefehl nicht zu erlangen war. Und hat diesen Haftbefehl auch zwei, drei Mal verlängert.Als kleine Pointe dazu: Zwei, drei Mal kam der Vernehmungsoffizier und legte das nun vor, was Angerer da geschrieben, gesagt hatte. Mehr, als dass Willy Brandt ein ganz verkommener Mensch ist, stand da auf sieben, acht Seiten auch nicht drin. Es war nichts Greifbares. Und selbst noch nach der dritten Vorlage stand da nicht sehr viel mehr drin. Und Wolf hat wieder verfügt, dass die Haft fortzusetzen sei. Da hat Erich Mielke gesagt: Jetzt ist Schluss!Kleine Pointe. So weit zu diesem Fall DDR-Legalität. Das muss man im Hinterkopf behalten, wenn man gerade aus strafrechtlicher Sicher fragt: Können denn die DDR-Gesetze in irgendeiner Weise rechtfertigen? Das eingebunden Sein in dieses System, in welchem Umfang hat es rechtfertigende Wirkung? Generell, wie die MfS-Offiziere überwiegend meinen, gar nicht oder zum Teil? Unter welchen Voraussetzungen?Nun zu dem, für mich nicht ganz so erfreulichen, Zusammenhang Herr Welsch. Als Staatsanwalt. Wenn Sie einen Staatsanwalt einladen, dann kann der nur juristisch und rechtlich argumentieren. Aus dem Rahmen, den die Rechtsordnung uns vorgibt. Und mit dieser Darstellung von Herrn Welsch kann ich natürlich keinen Markus Wolf wegen versuchtem Totschlag oder versuchtem Mord anklagen. Das reicht nicht hinten und nicht vorne. Ich stimme Herrn Welsch in zwei – wohl den entscheidenden - Zusammenhängen durchaus zu.Der operative Aufwand, den Sie angesprochen haben, den kann die HV A leisten. Herr Welsch sagte "kann nur die HV A leisten" – nee, nee. Die Hauptabteilung VIII kann das in gleicher Weise, wenn nicht sogar noch besser. Die HA VIII, Ermittlungen und Observation, sowohl in der DDR wie "in und nach dem Operationsgebiet", wie es so schön hieß, war speziell für diese Dinge zuständig. Ich kann später noch darauf zurückkommen. Gerade für die Unterwanderung und Bekämpfung von Fluchthilfeorganisationen und auch für die Vorbereitung von Tötungsdelikten. Das haben die gemacht, das haben wir in der Anklage gegen Coburger und andere Offiziere der Hauptabteilung VIII ausführlich dargelegt. Das ist der erste Gesichtspunkt, die Logistik. Ja, die Logistik hatten sie, aber die VIII hatte es auch.Der zweite Punkt: Es ist ihnen zuzutrauen. So kann man es übersetzen. Wir haben Statuten der HV A zur AGM/S – Arbeitsgruppe Minister/S, geleitet von Oberst Stöcker; deswegen sagen auch einige, Arbeitsgruppe Stöcker – die für diese Dinge erst einmal von der Organisationsstruktur in der HV A zuständig war. Und die Statuten, die sehr detaillierten Beschreibungen, sind durchaus so, dass all das, was Herr Welsch hier erzählt hat, in dieses Auftragsschema, in dieses Zuständigkeitsbild hineinpasst. Wir haben das auch dargestellt. Wir haben das auch Markus Wolf vorgeworfen, in dem ersten Urteil gegen ihn ist das auch ausführlich dargelegt. Es ist allerdings auch festgestellt, dass eine konkrete Umsetzung von Tötungsaktionen der AGM/S nicht festgestellt ist. Zutreffend sind die Fälle dargestellt worden, in denen die HV A selbst unmittelbar an Kapitalverbrechen, wie wir es nennen, beteiligt war. Das ist der Fall "Träne". Es ist durchaus richtig: Bei solchen Aktionen haben mehrere Abteilungen zusammengearbeitet und Markus Wolf war unmittelbar dabei. Es hat permanent Besprechungen gegeben, in denen dann der unmittelbare Einsatz der IM: Wir lotsen "Träne" und Frau Schöne nach Österreich und von Österreich locken wir sie in einen Steinbruch in der Tschechoslowakei. Das ist alles unter Einbindung auch von Markus Wolf mit erörtert worden. Und umgesetzt worden und befohlen worden.Ich glaube, die Aussage "vornehme HV A", da muss man in der Tat nur die Statuten lesen und sich die Fälle angucken, um zu sagen: Das ist natürlich Humbug. Das kann wirklich niemand glauben.
Dr. Christopher Nehring: Frau Münkel, wenn ich vielleicht zu Ihnen kommen darf? Das Zusammenspiel zwischen den verschiedenen Abteilungen, auch wenn am Ende zum Beispiel Markus Wolf unterschreibt oder anweist. Ist es dann dieses Zusammenspiel der Abwehr und der Aufklärung, das halbwegs nach 1990 einerseits abgestritten wurde und andererseits wieder – wie auch die Eingangszitate von Werner Großmann unterstreichen – immer wieder genannt wurden, aber nie im Zusammenhang – sagen wir mal – mit den schmutzigeren Sachen. Wenn es um die Verantwortung darum ging, wer die trug, da war die HV A auf einmal ein ganz eigener struktureller Bereich.
Prof. Dr. Daniela Münkel: es ist natürlich von der Struktur so gewesen, da haben Sie Recht. Die HV A ist natürlich federführend für die sogenannte Westarbeit, also den geheimdienstlichen Teil des Ministeriums für Staatssicherheit zuständig gewesen, aber eben nicht allein. Diese sogenannte "Westarbeit" war eine Gesamtaufgabe des Ministeriums für Staatssicherheit, in die fast alle Hauptabteilung involviert waren. Auf die verschiedenste Art und Weise.Die HV A fühlte sich aber dennoch innerhalb des Gesamtgefüge des MfS als Art Elitetruppe, also ist schon was Besseres als der Rest. Das man nach 1990 so vehement natürlich auch Dinge abstreiten konnte hängt natürlich nicht zuletzt damit zusammen, dass die HV A in die Lage versetzt wurde, ihre Akten selber zu vernichten. Und wo keine Akten da sind, wird es dann schwierig. Und deswegen: Es fehlen in solchen Fragen die letztendlichen Beweise. Nichtsdestotrotz können wir natürlich einiges durch die Überlieferung der anderen Hauptabteilungen rekonstruieren, aber eben nicht alles. Dieser Mythos der HV A, der sich dann auch nach 1990 gehalten hat, wird unter anderem auch deswegen ermöglicht. Dass die Akten nicht da sind, dass einige ehemalige, führende Mitarbeiter der HV A da sehr umtriebig sind und Geschichtspolitik betreiben. Nach dem Motto "Wir wissen wie es war und wir können es euch erzählen". Das ist das eine. Und das andere geriert man sich natürlich als Opfer der Siegerjustiz der Bundesrepublik Deutschland.
Dr. Christopher Nehring: Also hat man vielleicht an diesem Mythos oder dieser Legende, wie Markus Wolf persönlich auch schon recht früh, gearbeitet und auch dafür gesorgt, dass so wenig wie möglich über die schmutzigeren Sachen im eigenen Haus überhaupt verbleibt.
Prof. Dr. Daniela Münkel: Ja, dieser Mythos HV A, der ist natürlich schon zu DDR-Zeiten bedient worden. Der Markus Wolf, den keiner kannte, 1979 taucht dann das Bild im Spiegel auf, was da irgendjemand in Schweden geschossen hat und der geriert sich ja auch ganz anders. Dieser intellektuelle Typ aus der Familie, das ist schon etwas anders, was sich die Leute eben nicht unter einem Stasi-Mitarbeiter oder einem führenden Stasi-Offizier vorgestellt haben. Und das ist eben auch Mythos. Und vor allen Dingen eben auch dieses Pflegen des Geheimen auf eine ganz besondere Art.
[Jingle]
Maximilian Schönherr: Das war zuletzt Frau Professor Dr. Daniela Münkel, jetzt Leiterin der Forschung im Stasi-Unterlagen-Archiv. Sie hat sich stark mit dem Wirken der HV A in den 1950er und 60er Jahren beschäftig. Zuvor die Historikerin Dr. Susanne Muhle, Autorin der Studie "Auftrag: Menschenraub", in der unter anderem die Rolle der HV A bei Entführungen aus dem Westen in die DDR beschrieben wird. Dann: Joachim Lampe, ehemaliger Bundesanwalt beim BGH und als solcher in die Strafverfolgung der HV A nach 1990 eingebunden. Und schließlich hörten wir Dr. Wolfgang Welsch, der im westlichen Ausland von der HV A verfolgt wurde.
Dagmar Hovestädt: Und wie immer zum Ausklang eine akustische Begegnung mit dem Archiv. Der ganz zufällig ausgewählte Schluss-Ton ist diesmal nicht so ganz zufällig. Vom Leiter der HV A, Michael Wolf, gibt es ansonsten wenig zu hören, hier aber hören wir ihn.
[schnelles Tonspulen]
Elke Steinbach: Mein Name ist Elke Steinbach und ich kümmere mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen um die Audio-Überlieferung des MfS. Am 14. Mai 1970 fand eine SED-Kreisleitungssitzung statt, auf der auch Markus Wolf, langjähriger Stellvertreter Erich Mielkes, redete. Der Leiter der Auslandsspionage schätzte, dass am 21. Mai 1970 – also eine Woche später – anstehende zweite deutsche Gipfeltreffen zwischen Willi Stoph und Willy Brandt in Kassel ein und sprach über die Absichten der Regierung in Bonn. Aus den insgesamt knapp vier Stunden hören wir gut drei Minuten.
[Archivton]
[Markus Wolf:] Die Absicht der Bonner Regierung, Erfurt und Kassel zum Instrument einer erpresserischen Politik zur Schaffung [betont: neuer] Ausgangspositionen des politisch-ideologischen Eindringens in die DDR zu machen, zeigt sich daran, dass bis heute, nun schon ein halbes Jahr, keine Stellungnahme zum DDR-Vertragsentwurf, der die Grundfragen beinhaltet, erfolgt ist. Dass im Gegensatz dazu [Sprechpause] und das is' mi- - in Kassel mit Sicherheit zu erwarten, is' uns auch bekannt, Versuche unternommen werden, der DDR Gespräche und Verhandlungen über den gesamten Katalog der westdeutschen Forderungen nach sogenannten "menschlichen Erleichterungen", das heißt nach Öffnung der Tore für den westdeutschen Imperialismus, aufzuzwingen.Im Hinblick auf das Treffen in Kassel am 21. sind die taktischen Überlegungen der Bundesregierung besonders darauf gerichtet, eine langfristige Verhandlungsperiode, das heißt den Dialog, zu erreichen. Mindestens anderthalb bis zwei Jahre. [Husten im Hintergrund] Es geht der Bonner Regierung zunächst um eine Institutionalisierung der Gespräche und Kontakte mit der DDR. Durch die Einrichtung von Kommissionen, die konkrete Fragen der Zusammenarbeit und Annäherung zu behandeln hätten. Und um die Vereinbarung eines weiteren Treffens zwischen den Regierungschefs im Herbst dieses Jahres. Mit dem, was ich jetz' gesagt habe, is' glaub ich die gesamte Konzeption der westdeutschen Seite umrissen. Um mehr geht es nicht! [Sprechpause] Nun klingt ja einiges davon für d'n naiven Sterblichen recht logisch. Warum soll man nich' Kommission'n, wenn man sich über die Grundsatzfragen nich' verständigen kann, erstma' Kommission'n bilden und dann kann man reden, reden, reden und deswegen ist ja das Aufzeigen dieses Gesamtzusammenhanges ja so wichtig. Sonst versteht man das nich'.Sechstens. Dieses Ziel, die Umgehung der Hauptfragen und die Schaffung eines ständigen Instrumentariums für Demagogie und Aufweichung ist Bonn einiges wert. Im Interesse der Aufrechterhaltung der Kontakte ist die Bundesregierung zu Konzession'n auf Teilgebieten bereit, weil damit gleichzeitig die Diversion zwischen den sozialistischen Ländern erfolgen soll. Das heißt: zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.
[schnelles Tonspulen]
[Jingle]
Sprecher: Sie hörten:
Sprecherin: "111 Kilometer Akten -
Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."
Im Zentrum der Publikation stehen die Rekonstruktion von Aufgaben, Strukturen und Quellen sowie die informationsbeschaffende Tätigkeit der Diensteinheit.
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