Themenbeiträge zur Jugendkultur in der DDR
Eine Sammlung von Beiträgen zum Thema Jugendkulturen in der DDR mit Dokumenten der Stasi.
Plakat des Films „In einem Land, das es nicht mehr gibt“ und Regisseurin Aelrun Goette, Quelle: Tobis Verleih und NKB
Der Spielfilm "In einem Land, das es nicht mehr gibt" portraitiert die wenig bekannte Modeszene in der DDR rund um die Zeitschrift "Sibylle". Regisseurin und Drebuchautorin Aelrun Goette erzählt im Gespräch über die Inspiration zum Film, ihre Erinnerung an die DDR und was das Lesen ihrer Stasi-Akte bedeutet hat.
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Sprecherin: "111 Kilometer Akten - [Ausschnitt einer Rede von Erich Mielke: ... ist für die Interessen der Arbeiterklasse!] - der offizielle Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs".
Maximilian Schönherr: Willkommen zur 70. Ausgabe! Mein Name ist Maximilian Schönherr, ich bin Rundfunkjournalist und zusammen mit Dagmar Hovestädt Gastgeber des Podcasts. Dagmar Hovestädt leitet die Abteilung Vermittlung und Forschung im Stasi-Unterlagen-Archiv im Bundesarchiv.
Dagmar Hovestädt: In diesen Tagen, Anfang Oktober 2022, wird bundesweit wieder an den Tag der Deutschen Einheit erinnert. Vor mittlerweile 32 Jahren, am 3. Oktober 1990, wurde diese einmalige Entscheidung der Deutschen in Ost und West und Nord und Süd Realität: sich wieder als eine Nation zusammenzufinden. Damit war die Existenz der DDR beendet, sie war, um es mal auf etwas Rechtliches zu reduzieren, als völkerrechtliches Subjekt nicht mehr existent und die UN verlor ein Mitglied der Staatengemeinschaft.Der 3. Oktober steht auch für den Anfang einer neuen Zeit des tatsächlichen Kennenlernens von Ost und West im vereinten Land - und das war eine anstrengende und herausfordernde Zeit. Sie wird mittlerweile mit dem Begriff "Transformationsgesellschaft" belegt, mit sehr unterschiedlichen Perspektiven in Ost und West.
Maximilian Schönherr: Ich fuhr damals mit meinem Bruder von München über Hof und Dresden nach Elsterwerda. Wir besuchten in einem Dorf Tante und Onkel, die längst im Rentenalter waren, aber immer noch ihren Friseursalon betrieben. Das war keine spektakuläre Familienzusammenführung, weil wir mit unseren Eltern seit den 1960er-Jahren jedes Jahr sehr umständlich und langwierig mit dem Zug [betont: rüber]fuhren und außerdem Onkel und Tante uns mit dem Eintritt ins ausreisegenehmigte Alter im Westen besuchen durften. DDR-Bürgerinnen konnten ab 60 einmal im Jahr die Verwandtschaft im Westen besuchen, Männer ab 65.Für meinen Bruder und mich war es aber spannend, welche Dokumente wir an der noch bestehenden Grenze zur DDR vorzeigen mussten. Ich glaube, es war der Reisepass. Jedenfalls hatten wir die Pässe dabei. Wir konnten es nicht fassen, wie einfach das ging und wie schnell wir durchgewunken wurden. In dem Dorf unserer Verwandten selbst hatte ich das Gefühl, nicht mehr beobachtet zu werden. Mir schien, die Stasi war irgendwie weg, während sie bei den vielen Besuchen zuvor immer wieder irgendwie da war, um zu gucken, was der Westbesuch da macht.
Dagmar Hovestädt: Mit der Erinnerung ist es so eine Sache. Das Stasi-Unterlagen-Archiv bietet ja wie viele andere Archive - generell gesprochen - Schützenhilfe, sich genauer daran zu erinnern, wie es war. Im Bundesarchiv gibt es etliche Überlieferungen, also Unterlagen, zur DDR. Aber es ist ja in Bezug auf das Stasi-Unterlagen-Archiv die doch recht spezifische Sicht der Stasi, des Repressionsapparates der SED-Diktatur, auf die DDR. Und dann ist durch das Stasi-Unterlagen-Gesetz auch der Auftrag damit verknüpft, die Aufarbeitung der SED-Diktatur zu unterstützen.Der Blick der Stasi auf die DDR ist offenkundig nur [betont: eine] Sichtweise. Aber weil die Stasi qua ihrer Aufgabenstellung und Allmacht so viele Lebensbereiche der DDR durchdrungen hat und das Archiv eben von 1991 an offen war, ist sie ein sehr starker Referenzrahmen für die Sicht auf die DDR geworden.
Maximilian Schönherr: Dein Gespräch heute mit der Drehbuchautorin und Regisseurin Aelrun Goette, die 1966 in Ostberlin geboren wurde, dreht sich unter anderem darum, dass diese Sicht auf die DDR im Gegensatz stehen kann zu persönlichen Erinnerungen und dass dies im vereinten Deutschland vielleicht auch bestimmte Klischees und Wahrnehmungen der DDR festgesetzt hat. Die Stasi und der Machtapparat der SED bespitzelten Bürger, unterdrückten sie, brachten viele wegen Bagatellen ins Gefängnis, zerstörten Existenzen und Familien. Unser Podcast erzählt aus vielen Perspektiven ganz genau davon. Es gab natürlich auch eine DDR, die durchaus sonnig war. Das erzählen uns ja durchaus häufiger Gesprächspartner/-innen im Podcast.
Dagmar Hovestädt: Das kann man vielleicht so sagen. Zumindest kann man auch sagen, dass sie versuchen, andere Perspektiven und Blicke auf die DDR freizusetzen, wie zum Beispiel in Folge 60 Florian Lipp, der die Punkszene und die Einflussnahme der Stasi in seiner Dissertation untersucht hat, oder Thomas Wendrich, der ein Drehbuch über den Autor und Übersetzer Thomas Brasch geschrieben hat. In Folge 47 sprechen wir mit ihm darüber, wie er die DDR erinnern möchte. Oder Astrid M. Eckert, die das Zonenrandgebiet der alten, westlichen Bundesrepublik untersucht hat und dabei auch einige Klischees der historischen Erzählung hinterfragt und neue Ansätze anbietet. Das war Folge 65.
Maximilian Schönherr: Der Film, zu dem Aelrun Goette das Drehbuch geschrieben und die Regie geführt hat, heißt "In einem Land, das es nicht mehr gibt". Er kommt im Oktober 2022 in Deutschland in die Kinos, also jetzt, da wir diesen Podcast online bringen. Der Film spielt in einem selten porträtierten Milieu: dem der Modeszene in der DDR. Da hatte eine Frauenzeitschrift eine besondere Rolle, nämlich die "Sibylle". Die wird anders buchstabiert als üblich, und zwar S-I-B-Y-- Das Ypsilon kommt also danach: nicht Sybille, sondern Sibylle.
Dagmar Hovestädt: "Sibylle - Zeitschrift für Mode und Kultur" wurde 1956 in der DDR gegründet und wurde vom Modeinstitut Berlin herausgegeben. Das unterstand dem Ministerium für Leichtindustrie der DDR. Das Institut hatte die Aufgabe, theoretische Grundlagen für die Entwicklung der Mode zu erarbeiten und die Gestaltung der Erzeugnisse der Textil-, Leder- und Bekleidungsindustrie zu begleiten sowie die Publizierung und Präsentation der Modelinien zu betreuen.
Maximilian Schönherr: Die Zeitschrift "Sibylle" war benannt nach der Gründerin Sibylle Boden-Gerstner, geboren 1920. Übrigens eine Biografie, die wir uns für den Podcast einmal vornehmen könnten. Ihr Vater war Jude und starb vermutlich in Nazi-Haft, Sibylle musste das Kunststudium in Berlin abbrechen, flüchtete nach Paris und so weiter. Jedenfalls, die Zeitschrift kam sechsmal im Jahr auf den DDR-Markt und die 200.000 Exemplare waren immer schnell vergriffen. Im Friseursalon meiner Tante und meines Onkels lag sie meiner Erinnerung nach nicht herum. Wahrscheinlich zu hohes Niveau und wahrscheinlich auch nicht so einfach zu kriegen. Im Wikipedia-Artikel wird die "Sibylle" als "Ost-Vogue" beschrieben. Im Gespräch hast du sie etwas weniger anspruchsvoll mit der "Brigitte" verglichen.
Dagmar Hovestädt: Also, an der Stelle ist Aelrun Goette sehr höflich, macht aber deutlich, dass die "Brigitte" damals nicht als Konkurrenz zur "Sibylle" gesehen wurde, sondern eben tatsächlich - das glaube ich eher - die "Vogue" dasjenige war, woran man sich messen wollte.Wir sprechen auch kurz über die Hauptabteilung II des Ministeriums für Staatssicherheit. Diese Diensteinheit hat Aelrun Goette nämlich in ihrer eigenen Stasi-Akte gefunden. Die HA II war zuständig für Spionageabwehr, sie sollte also feindliche Agenten, die Informationen über die DDR sammeln wollten, abwehren. Sie schützte aber auch DDR-Institutionen im Ausland vor Infiltrierung von außen und war in der Bundesrepublik sehr aktiv und zielte auf westliche Geheimdienste, auf die Bundeswehr, Polizei, Massenmedien, Emigrantenverbände und anderes.
Maximilian Schönherr: Dann, würde ich sagen, fangen wir an mit deinem Gespräch mit der Regisseurin und Drehbuchautorin Aelrun Goette über ihren Film mit dem Titel "In einem Land, das es nicht mehr gibt".
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Dagmar Hovestädt: Aelrun Goette, ich freue mich sehr, dass es klappt, dass wir heute hier sitzen und über Ihren Film sprechen. Woher kommt eigentlich die Idee für den Film? Sie haben das Drehbuch geschrieben und Regie geführt. Kann man dann davon ausgehen, dass das auch schon ein sehr persönlicher Film ist?
Aelrun Goette: Also, die Geschichte basiert auf meinem Leben und auf dem, was ich Mitte/Ende der 80er-Jahre in der DDR erlebt habe. Die Idee ist in der Tat schon über 14 Jahre alt. Und zwar habe ich am Anfang immer meinen Freunden aus dem Westen von meiner Zeit als Mannequin - so nannte man das in der DDR - erzählt und von den ganzen wilden Abenteuern, die wir damals erlebt haben, und auch von der ostdeutschen Subkultur, der Mode und dem Glamour. Und jedes Mal traf ich auf staunende Augen, die mir sagten: Da musst du unbedingt einen Film draus machen. Das fand ich überzeugend und einleuchtend, gerade aus dem Grund, weil - das habe ich mal von einer Bonner Historikerin gelernt - in Bezug auf die DDR der Totalitarismus-theoretische Blick dominiert. Also, es ist tendenziell so, dass wir gelernt haben in den letzten 30 Jahren, dass es Täter, Opfer oder Zeitzeugen gibt und sich die Menschen mit ihrer Identität teilweise in diesen Schablonen und Bildern nicht wiederfinden. Und da ich selber aus der DDR komme, geht mir das auch so, dass ich das Gefühl habe, dass sich über unsere Wirklichkeit, an die sich viele von uns teilweise nur noch schemenhaft erinnern, jetzt eine Schablone gelegt hat und wir irgendwann selber gar nicht mehr wissen: Wie war das eigentlich? Und das war der spannende Prozess, dem ich mich damals stellen wollte. Gleichzeitig war es auch interessant - ich vermute, dass das auch deshalb so lange gedauert hat -, weil man sich Mode, Glamour, Party und DDR nicht zusammen vorstellen konnte. Und das - wieder mit der Schablone - kommuniziert nicht mit der Vorstellung, jedenfalls meiner Finanzierungspartner und -partnerinnen, dass sie dachten, das könnte ein glamouröser Kinofilm werden [leichtes Lachen]. Die gute Nachricht ist: Es hat dann doch geklappt. Also, wie es, glaube ich, mit einer guten Idee immer ist: Irgendwann kommt die zur richtigen Zeit, es kommen die richtigen Menschen zusammen. Und wir haben dann inzwischen doch vier Jahre ausschließlich für diesen Film gearbeitet, also ich zumindest, weil - und das muss man natürlich sagen - Corona dazukam. Wir haben die Drehs vorbereitet, wir waren kurz vorm Drehbeginn und ich war dann so ein bisschen - das muss man sich vorstellen - wie ein hochgedoptes Pferd, das aber nicht auf die Rennbahn durfte. Und der Stecker wurde vollkommen zu Recht gezogen, weil damals gab es ja keine Versicherung und man konnte nicht einfach so drehen. Und dann haben wir alles noch mal von vorne vorbereitet, gedreht und jetzt kommt er am 6. Oktober ins Kino.
Dagmar Hovestädt: 6. Oktober 2022.
Aelrun Goette: Genau.
Dagmar Hovestädt: Das finde ich interessant, dass Sie sagen, es haben sich so Schablonen darübergelegt. Ich arbeite ja im Stasi-Unterlagen-Archiv und das ist aus seiner Geschichte heraus und mit dem Stasi-Unterlagen-Gesetz als Basis eben ein Archiv, das sich sehr stark mit der DDR beschäftigt in Bezug auf die Mechanismen der SED-Diktatur, diese also aufzudecken und daraus zu lernen für heutige Herausforderungen. Wenn man in so einem Land selber lebt, würde man wahrscheinlich von sich auch nie behauptet haben: Ich lebe in einer Diktatur. Oder wie erinnern Sie das?
Aelrun Goette: Doch, das war mir schon durchaus klar. Ich konnte auch aufgrund meines widerständlerischen Benehmens kein Abitur machen. Also, ich wurde nicht zum Abitur delegiert. Ich war keine reife sozialistische Persönlichkeit. Ich musste einen Beruf erlernen, den ich nicht wollte, und habe es dann auch nur mit unterschiedlichen Möglichkeiten geschafft, dass ich in dem Beruf nicht arbeiten musste.
Dagmar Hovestädt: Was war denn das für ein Beruf?
Aelrun Goette: Also, ich war auf der Schule für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, auf einer Russisch-Schule, wo man verhältnismäßig automatisch zum Abitur geht, und bin dann unter anderem mit dem Aufnäher der Friedensbewegung "Schwerter zu Pflugscharen" erwischt worden. Ich habe auch in der Schule des Öfteren im Staatsbürgerkundeunterricht nicht die richtige Meinung gehabt und war auch ansonsten irgendwie etwas vorlaut und frech, was auch in meinen ganzen Zeugnissen immer drinstand, und bekam dann relativ spät die Nachricht, dass ich kein Abitur machen kann. Zunächst sollte ich Zerspanungsfacharbeiterin werden.
Dagmar Hovestädt: Zerspanungsfacharbeiterin?
Aelrun Goette: Richtig. Das muss leider die Hauptfigur in meinem Film werden [lacht]. Aber aus meiner Familie ist es gelungen, dass ich einen Ausbildungsplatz als Krankenschwester bekommen habe, und dann habe ich Krankenschwester für Neurologie und Psychiatrie gelernt. Dann wurde ich aber zu meinem Glück berufsuntauglich geschrieben wegen schwerer Allergien und habe dann - das nannte sich "unständig beschäftigt" - als Mannequin in der DDR gearbeitet, hatte eine Zulassung, die - ich weiß es gar nicht - ein oder zwei Jahre lang galt, hatte dann so ein Lohnnachweisheft und es begann eine der verrücktesten Zeiten meines Lebens. Aber was ich sagen will: Doch, ich habe die DDR als Diktatur wahrgenommen, aber man muss vielleicht bedenken, dass über die 40 Jahre die DDR unterschiedliche Gesichter hatte. Also, jemand der 10 oder 20 Jahre früher jung war, war mit ganz anderen Repressalien konfrontiert. Das waren andere Mechanismen, es waren aber auch teilweise noch andere Ideale. Als ich in den 80er-Jahren jung war, haben wir nicht mehr an den Kommunismus in dieser Form geglaubt, von Anfang an nicht. Aber wir haben trotzdem an eine alternative Gesellschaft geglaubt. Was aber die Schablone betrifft, sehe ich heute vor allem in Filmen sehr häufig so ein bisschen diesen Eindruck, dass man täglich in Angst und Schrecken gelebt hätte und hinter jeder Laterne ein Stasi-Offizier stand. Das mit dem Stasi-Offizier mag vielleicht so gewesen sein, aber Angst und Schrecken - so erinnere ich das nicht. Im Gegenteil, mir ist erst aus der Lektüre meiner Stasi-Akte klar geworden, wie massiv ich überwacht wurde. Das war mir zu DDR-Zeiten so nicht klar. Man muss vielleicht auch dazusagen: In der Welt, in der wir unterwegs waren, war man halt 'ne coole Socke, wenn man auch mal verhaftet wurde. Oder es gehörte zum guten Ton, irgendwie das Gefühl zu haben, man wird so ein bisschen überwacht, weil dann war man interessant. Also, wir müssen immer daran denken: Ich war jung damals, ich hatte keine Chancen, Abitur zu machen. Ich habe es danach auch noch ein paar Mal versucht an der Volkshochschule, aber der Weg war für mich abgeschnitten. Und dann war es ein bisschen, wie meine Oma immer gesagt hat: Ist der Ruf erst ruiniert, dann lebt es sich ganz ungeniert.
Dagmar Hovestädt: Und das war Mitte der 80er-Jahre?
Aelrun Goette: Richtig, Mitte/Ende der 80er-Jahre. Ich habe damals dann nach der Mode Theater gemacht. Das war eine wilde Zeit und der Zeitpunkt des Mauerfalls kam für mich in meinem Leben an einem Punkt, wo ich vieles noch nachholen konnte und meine Biografie weiterentwickeln konnte. Für Leute, die ein bisschen älter waren, war das sicherlich anders. Also, das Alter, in dem ich war, hat mich im Osten ein Maß an Widerstand erlernen lassen, wo ich heute sagen würde, das kann ich hier im Westen ganz gut gebrauchen [belustigt].
Dagmar Hovestädt: Ja, so eine gewisse Art von Resilienz, mit dem Wissen um Stasi-Überwachung, Parteizumutung, Anpassungsdruck umzugehen, und wenn man - wie ich mir vorstelle - eh einmal in dem Sinne rausgeflogen ist, fühlt man sich wahrscheinlich ganz anders frei, auch unter dem Druck der SED-Diktatur.
Aelrun Goette: Na ja, es gab ja auch immer so Gruppen. Also, es war dadurch natürlich etwas einfacher, als es heutzutage ist. Man war dann in so einer Gruppe von Leuten, die alle irgendwie so abgebrochene Biografien hatten. Die waren dann - keine Ahnung - Totengräber auf dem Friedhof oder Heizer in der Oper oder sonst irgendwas und haben aber eigentlich in irgendeiner Punkband gespielt oder Klamotten genäht oder sonst irgendwas gemacht. Und da es ja in der DDR nicht nur das Recht auf Arbeit gab, sondern auch die Pflicht - es gab den "Asozialen-Paragrafen", also man musste eine Tätigkeit nachweisen -, hatten wir alle irgendwelche komischen Jobs oder wir waren eben staatlich geprüfte Mannequins.
Dagmar Hovestädt: [lacht]
Aelrun Goette: Und in diesem Tiegel - müssen Sie sich vorstellen - traf sich eine Gruppe Berlins, dazu gehörten auch Schriftsteller, man landete dann auch schon mal im Wohnzimmer von Heiner Müller oder man war auf irgendeiner Demo oder man hat in der Kirche für die Opfer der an der Grenze Verhafteten protestiert und so. Also, das gehörte alles irgendwie zusammen. Und wir Mannequins waren natürlich durch den Glamour, den wir versprüht haben, gern gesehene Gäste [lacht leicht].
Dagmar Hovestädt: Das ist, glaube ich schon, dann das Autobiografische an dem Film, weil die Hauptdarstellerin Suzie, benannt nach Suzi Quatro, das ja tatsächlich so durchlebt.
Aelrun Goette: Genau.
Dagmar Hovestädt: Sie hat den Sticker "Schwerter zu Pflugscharen" am Arm und wird sozusagen dann kurz vorm Abitur von der Schule verwiesen und muss sich dann in der Produktion bewähren. Das sind dann quasi die autobiografischen Aspekte. Der Titel des Films hört sich ja fast ein bisschen an wie ein Märchentitel oder wie eine faktische Beschreibung. War das sozusagen in dieser Doppeldeutigkeit von Ihnen gewollt?
Aelrun Goette: Das finde ich ganz wunderbar, dass Sie das so präzise beschreiben, weil genau das ist der Film. Er ist eine präzise Beschreibung, weil ein Großteil dessen auf Fakten und Tatsachen beruht, recherchiert ist. Wirklich in mühevoller Arbeit zusammengetragene Informationen. Nur um ein Beispiel zu nennen, das viele überrascht: Der Volkseigene Handelsbetrieb "Exquisit" - das war so eine Edelmarke des Ostens - hatte kurz vor dem Fall der Mauer einen Stand in der "Galeries Lafayette" in Paris. Das sagt natürlich etwas über die Exklusivität der Mode. Kann sich heute kaum einer vorstellen. Gleichzeitig ist es natürlich Kino und wir reden über Unterhaltung und darüber, dass die Menschen ins Kino gehen sollen und sich auch für 110 Minuten, anderthalb Stunden entführen lassen sollen und eine abenteuerliche Geschichte erleben sollen. Und das ist sozusagen die Hauptaufgabe - gerade heute - eines jeden Kinofilms: zu verführen und auch im Heute die Leute abzuholen. Deswegen entspricht der Titel genau dem, was Sie in Ihrer Frage formuliert haben.
Dagmar Hovestädt: "In einem Land, das es nicht mehr gibt", genau. Der Film beginnt tatsächlich mit Archivaufnahmen, aber nicht aus dem Stasi-Unterlagen-Archiv, sondern das sind so Archivaufnahmen, die sehen nach Super 8 aus: "Alltag DDR". Wo kommen die her und warum war Ihnen das wichtig, mit so etwas anzufangen?
Aelrun Goette: Auch das rekurriert ein bisschen auf die Frage, die Sie gestellt haben, weil das Verrückte ist ja: Wenn man das am Anfang sieht, dann mischt sich das ja fast in einer Leichtigkeit mit unserem gedrehten Material. Also, man sieht beispielsweise, wie kraftvoll, wie farbig das auch war. Der Osten wird ja heute häufig grau und regnerisch und trist dargestellt [belustigt]. Und natürlich war es das auch, aber es gab eben auch die andere Seite der unglaublichen Kreativität, des endlosen Selbststrickens und Selbstnähens und Färbens in den buntesten Farben. Ich weiß noch, wir haben damals mit den Holunderbeeren aus dem Garten knalllilane Kleider gefärbt. Und das ist ja auch Teil des Ostens. Diese Anfangsaufnahmen sollen das Publikum ein bisschen einstimmen darin, dass sie spüren: Okay, das hat es wirklich so gegeben und jetzt lassen wir uns mal ein auf diese Reise in diese unbekannte Welt.
Dagmar Hovestädt: Ja. Das muss man vielleicht mal erklären für die, die das nicht wissen - und das hat gar nicht so sehr mit Ost und West zu tun, sondern wahrscheinlich auch mit dem Alter -: Die "Sibylle" als Zeitschrift spielt eine große Rolle. Kann man die irgendwie beschreiben, vielleicht mit der "Brigitte" vergleichen? Oder was war die "Sibylle"?
Aelrun Goette: Das hat eine Kollegin, Annett Gröschner, in der Zeit mal ziemlich treffend formuliert. Sie hat gesagt: "Sibylle" war eine Schule in Ästhetik. Und so ungefähr muss man sich das vorstellen. Sowas ist heute gar nicht mehr denkbar. Also, die "Sibylle" kam, glaube ich, vierteljährlich raus. Ich weiß es gar nicht mehr genau. Ein Abonnement der Zeitschrift wurde weitervererbt, weil diese Zeitschriften immer ausverkauft waren.
Dagmar Hovestädt: [lacht]
Aelrun Goette: Es gab endlose Schlangen an den Kiosken. In den 80er-Jahren, als ich dort fotografiert wurde, hat Ute Mahler, eine der großen ostdeutschen Modefotografinnen, mal ein Foto gemacht von einer jungen Frau, die im See steht und ihren Zopf so hält. Der Name dieser jungen Frau war Julia. Und neun Monate nach Erscheinen dieses Fotos gab es einige Julias in der DDR, die inspiriert sozusagen die Mütter mit diesem Foto. Das heißt, diese Zeitschrift ist stark in die Gesellschaft hineindiffundiert. Jetzt muss man sich fragen: Warum war das so? Persönlich habe ich das erlebt, dass die, als ich auch von Ute Mahler häufig fotografiert wurde--
Dagmar Hovestädt: Ute Mahler?
Aelrun Goette: Genau. Ute Mahler ist eine der großen ostdeutschen Fotografinnen, die gemeinsam mit Sibylle Bergemann und Harald Hauswald die Agentur OSTKREUZ gegründet hat. Ute Mahler war damals auch Fotografin und wie viele andere Fotografen kam sie gar nicht aus der Mode, sondern teilweise waren es Architekturfotografen, also Menschen, die von Thea Melis damals ursprünglich zur "Sibylle" geholt wurden, ganz früh, in den 60er-Jahren, glaube ich. Dadurch ist ein künstlerischer Blick auf die Mode und auf Frauen und Gesellschaft entstanden, auch mit einem gewissen widerständlerischen Angang, aber immer auch mit einem hohen künstlerischen Anspruch. Und mir ging es so, dass die Fotos, die Ute zum Teil von mir gemacht hat, eine Frau gezeigt haben, wo ich das Gefühl hatte: Ja, die würde ich gerne sein. Und dadurch kriegte man so ein Idealbild von sich, auch in einer Ernsthaftigkeit und einem Selbstbewusstsein, das für mich in dem Alter des Aufwachsens natürlich ein toller Ansporn war, auch - ich sage mal - in ein Frausein hineinzuwachsen, das ein bisschen größer ist, als ich selber damals war. Und das betraf uns alle, aber es betraf eben auch die Gesellschaft.
Dagmar Hovestädt: Und es war dann wahrscheinlich auch eine Zeitschrift, die sich in dem Sinne gar nicht so parteipolitisch artikuliert hat, sondern es ging ja um was anderes. Es ging ja um Frauenbilder, um Mode, um Design, um Ästhetik, Kreativität. War das dann in dem Sinne auch vielleicht so ein kleines Abtauchen vor dem, was man ansonsten von einem verlangte?
Aelrun Goette: Ja und nein. Als Konsumentin habe ich das immer so erlebt, dass es natürlich bestimmte Zugeständnisse gab. Es gibt beispielsweise so eine legendäre Geschichte: Es gibt ein großes Foto von Sibylle Bergemann, man sieht zwei ernsthafte Frauen an so einem Strandkorb, die grimmig in die Kamera gucken. Ein wunderbares Foto! Das war dann irgendwie der Partei oder denen, die das kontrolliert haben, zu ernsthaft und dann haben sie einfach die Mundwinkel nach oben retuschiert, damit es so aussieht, als ob sie lächeln. Daraus ist dann so ein ganz seltsames Grinsen entstanden [belustigt], das noch absurder war. Also, es gab immer auch Eingriffe, gleichzeitig gab es aber Freiräume, die versucht wurden auszuloten. Und ich glaube, um eine Diktatur zu verstehen, ist es wichtig, auch immer diese Zwischentöne zu verstehen. Das gab es in einer Zeitschrift wie der "Sibylle", das gab es aber auch ganz stark beispielsweise in der Literatur oder im Theater. Also, wenn man sich erinnert: Es gab damals großartige Stücke - Heiner Müller am Deutschen Theater - und wenn dann Hamlet sagt "Es ist was faul im Staate Dänemark" und das Publikum tobte, ist das ein Ausdruck dafür gewesen, wie man die Zwischentöne und auch die Untertöne lesen und verstehen konnte. Und das ist immer auch eine Subsprache, meiner Ansicht nach in jeder Diktatur.
Dagmar Hovestädt: Ich bin in den späten 80ern tatsächlich häufiger im Deutschen Theater gewesen und - das muss man sagen - als "Wessi" damals konnte man das gar nicht lesen. Also, das Theater um einen herum tobt und man guckt sich mit seinen beiden Kollegen, mit denen man da saß, nur an und sagt: Was ist denn jetzt daran so komisch, ich habe das gar nicht verstanden. Und dieser ganze Diskurs, der offenkundige Diskurs, wo wir vielleicht gelacht haben, war für die anderen nicht komisch. Den konnte man nicht nachvollziehen. Und das ist was Gelerntes, dass man merkt: Wo stecken wir hier eigentlich miteinander? Und in dem Sinne ist man ja auch solidarisch, weil das alle verstehen, was damit gemeint ist.
Aelrun Goette: Richtig. Und der offene Diskurs, der in einer Demokratie möglich ist, der war ja so in der DDR nicht möglich. Und dadurch fand der wesentliche gesellschaftliche Diskurs in Zwischentönen statt. Im privaten Bereich hat man natürlich offen miteinander geredet. Man muss sich das auch so vorstellen - viele in meinem Alter kennen das -, dass man in der Schule gefragt wurde: Hat die Uhr bei den Nachrichten Punkte oder Striche? Das kennen Sie vielleicht.
Dagmar Hovestädt: [zustimmend: Mh mh.]
Aelrun Goette: Also, ich glaube, die Tagesschau hatte Punkte und die Aktuelle Kamera Striche. Und da wir natürlich alle zu Hause heimlich die Tagesschau geguckt haben [belustigt], fiel man dann bei dieser Frage oft auf die Nase und hat sich dann sozusagen verraten, dass man Westfernsehen guckte. Aber so muss man sich das vorstellen: Es gab eine offizielle Sprache, auch in der Schule, es gab im Staatsbürgerkundeunterricht Meinungsarbeiten und der Sport bestand dann darin, das faktisch richtige Wissen in der Arbeit sozusagen zu präsentieren, ohne "Ich denke ..." zu schreiben. [lacht] Das war immer mein Sport, aber ich habe es in Stabü [Anmerkung: Abkürzung für Staatsbürgerkunde] nie zu einer Eins gebracht, weil ich nie geschrieben habe: "Ich denke ...".
Dagmar Hovestädt: [lacht] In der Staatsbürgerkunde, in diesem so wichtigen Fach, in dem man sich sozusagen reinfindet in die sozialistische Persönlichkeit. Das haben Sie aber schon am Anfang gesagt, dass Sie daran gescheitert sind.
Aelrun Goette: Ja.
Dagmar Hovestädt: Insofern kann das auch mit der Stabü dann nicht so richtig was geworden sein.
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Sprecher: Sie hören:
Sprecherin: "111 Kilometer Akten -
Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."
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Dagmar Hovestädt: Die Realität - die Beschreibung der "Sibylle" - spielt ja eine große Rolle in dem Film und da lassen Sie ja trotzdem auch eben die Stasi ein Stück weit rein in dieses künstlerische, redaktionelle Alltagsgeschehen. Hatten Sie dafür ein bisschen recherchiert oder woraus speist sich die Idee, dass so eine Art Rekrutierung auch da an so einem Ort stattfinden kann?
Aelrun Goette: Also, ich weiß von einigen meiner Mannequin-Kollegen, dass sie mit der Stasi zusammengearbeitet haben. Und ich weiß, in meiner Stasi-Akte, die ich 20 Jahre nach dem Fall der Mauer dann finally doch bestellt habe, gibt es diverse Unterlagen aus dieser Zeit über mich und aus dem Modebereich, die sozusagen in irgendeiner Form bei der Stasi gelandet sind, was ganz klar bedeutet, beweist oder nachweist: Es gab eine Verbindung, in welcher Form auch immer. Andererseits geht es mir um etwas, das ich für wesentlicher halte. Also, es war so, dass der Osten ganz stark auch über Ambivalenzen funktioniert hat. Das heißt, in meinem Film ist es so, dass beispielsweise die Leiterin von "Exquisit", Sibylle,-- Also, ich habe extra die Figuren so zusammengesetzt, dass es jetzt keine einzelne Figur aus der Wirklichkeit ist, der man das zuschreiben kann. Und diese Figur wird ja einerseits erzählt als eine, die das System unterwandert. Also, ob sie eine Dissidentin ist oder nicht, sieht man ihr--
Dagmar Hovestädt: Sie beschäftigt ja auch dann quasi verstoßene Fotografen und sagt: Wenn's keiner mitkriegt, ist alles gut.
Aelrun Goette: Richtig. Also, das heißt, einerseits ist sie durchaus subversiv, andererseits weiß sie genau, wo die Grenze ist, und sie unterstützt das System ab einem gewissen Punkt. Und das ist systemimmanent gewesen, dass es ab einer bestimmten Ebene diese Ambivalenzen gab. Diese einzelne Person musste nicht mal SED-Mitglied sein oder inoffizieller Mitarbeiter oder [inoffizielle] Mitarbeiterin. Und trotzdem war es wie so eine Art Transponder, wo dann Sachen bei der Stasi gelandet sind. Und natürlich hatte die Staatssicherheit in einem Betrieb-- Also, erstens war es ein Presseerzeugnis. Das ist ja vollkommen klar, dass da die Stasi ein Auge drauf hatte. Und bei dem Volkseigenen Handelsbetrieb "Exquisit" muss man sich das so vorstellen, dass die originalen Stoffe - das nannte sich "Nichtsozialistische Währungseinheit" - aus dem westlichen Ausland, häufig aus Schweden, Japan, kamen. Dadurch gab es internationale Handelsbeziehungen und da musste natürlich die Stasi auch draufschauen. Und das ist das, was der Film ausdrückt: dass es immer auch das System gab, das in Abläufe eingegriffen hat.
Dagmar Hovestädt: Ja, ich finde, das gelingt dem Film nämlich sehr gut: diese besondere Art von Korruption. Es geht in dem Sinne nicht um Geld, sondern es geht um die Integrität des Einzelnen. Und dass man die nicht ganz beibehalten kann, wenn man-- Also, gesetzt den Fall, man wäre eben Chefredakteurin von "Sibylle" und weist das alles von sich, kann man den Posten nicht weitermachen. Also muss man irgendwo diese Kompromisse eingehen und die immer so ein bisschen messen an der eigenen Integrität, der Loyalität, dem aufrechten Gang, weil man sich ja trotzdem irgendwie da reinfindet und an bestimmten Punkten eben sagen muss: Tja, da kommt eben die Stasi und da muss ich eben mein neues Model in die Situation befördern, da muss sie jetzt durch.
Aelrun Goette: Das Interessante ist ja, dass - was ich vorhin sagte - ich in dem Film Fragen betrachte, die damals relevant waren und heute auch. Und die Frage, auf die Sie rekurrieren, ist ja die: Wo fängt Selbstverrat eigentlich an? Wie lange ist es Selbstverwirklichung und wann fange ich an, ein Stück meiner Seele zu verkaufen? Und wie lange ist es etwas, was man unter dieser Überschrift "Wer durch einen See schwimmt, wird halt nass"-- Also, wo ist da die Grenze? Und das ist ja sehr fluid, eine sehr bewegliche Grenze. Es war mir wichtig, auch mal zu zeigen, dass, wenn man was wollte, man natürlich auch erpressbar war. Und die Figur meiner Chefredakteurin - kongenial verkörpert von Claudia Michelsen, wie ich finde: in der Eleganz eines Jil-Sander-Models, herablassend auf die "Brigitte" blickend, wie wir damals waren - hat eine Vision von Schönheit und von Ästhetik und zahlt dafür auch einen Preis, was wiederum eine sehr heutige Frage ist, mit der wir uns alle auseinanderzusetzen haben.
Dagmar Hovestädt: Wie weit geht man, um seine eigene Sache zu schützen, oder wo verrät man sich eigentlich in seinen Idealen, um das zu schützen, und wo hört man da eigentlich auf? Das ist bei ihr klar, diese Kompromisse ist sie ja eingegangen, dazu steht sie, das ist eben Teil ihrer Erfolgsgeschichte. Aber ich fand, Sie haben einen ganz eleganten Weg gefunden, das nämlich bei Suzie, die ja noch recht frisch da reinkommt und unter extremem Druck steht, abprallen zu lassen. Das ist ja dramaturgisch im Film ein bisschen anders gelöst. Ich will jetzt auch nicht zu viel verraten.
Aelrun Goette: Nicht spoilern! [lacht]
Dagmar Hovestädt: [lacht] Genau. Das kommt da irgendwie anders raus. Aber da wird eine Methode angewandt, die die Stasi häufiger angewandt hat. Da habe ich mich gefragt, ob Sie das vielleicht auch selber erlebt haben: dass man das Gerücht verbreitet, jemand habe mit der Stasi zusammengearbeitet.
Aelrun Goette: Was mich selber betrifft, habe ich das nie erlebt, soweit ich weiß. Das war so ein bisschen der Punkt, wo ich mich von meinem eigenen Erinnern, meiner eigenen Biografie entfernen musste. Aber ich weiß, dass immer wieder "rumours" umgingen. Und sowas klebte dann wie Pech am Schuh und man war dann argwöhnisch dieser Person gegenüber. Das ist ja ein klassisches geheimdienstliches Prozedere, jemanden unglaubwürdig zu machen, so wie ich das in dem Film auch schildere. Bei mir war es so, dass sich lustigerweise in der Tat in meiner Stasi-Akte eine Notiz findet, dass es keinen Sinn macht, mich anzuwerben [lacht], was ich irgendwie ganz gut fand. Und ich habe zu meiner eigenen Überraschung festgestellt: Ich wurde von der Hauptabteilung II beobachtet.
Dagmar Hovestädt: Ah, Spionageabwehr!
Aelrun Goette: Spionageabwehr. Ich verstehe bis heute nicht, wieso.
Dagmar Hovestädt: Westkontakte.
Aelrun Goette: Westkontakte. Ah, verstehe.
Dagmar Hovestädt: Model, Leipziger Messe, man kommt in Kontakt mit westlichen [Männern]. Westliche Männer finden auch großgewachsene, blonde DDR-Frauen attraktiv und damit hat man die Möglichkeit, eventuell Sie zu verwenden, um aus dem Westmann, US-Mann oder was auch immer irgendwie Geheimnisse--
Aelrun Goette: Verstehe. Also, das klingt jetzt weniger spektakulär, als ich es mir vorgestellt habe. [lacht]
Dagmar Hovestädt: [lacht] Das ist meine Vermutung.
Aelrun Goette: Sie sind die Fachfrau. Das wird genau so sein. Aber ich fand das im Nachhinein immer toll: Spionageabwehr [unverständlich]. Also, nein, ich selber bin nicht angeworben worden und ich habe vieles erst aus meiner Stasi-Akte erfahren. Ich habe die relativ spät beantragt.
Dagmar Hovestädt: Und warum so spät?
Aelrun Goette: Weil ich dachte: Jetzt ist so viel Zeit vergangen, jetzt bin ich nicht mehr wütend, verzweifelt, wenn ich jemanden finde, der mir nahestand. Also, ich hatte immer ein bisschen die Sorge, auf jemanden zu treffen, der dann noch mal eine weitere Verletzung in mir auslöst. Irgendwie bin ich da so ein bisschen wie ums goldene Kalb herumgetanzt. Und nach 20 Jahren habe ich irgendwann gesagt: Okay, ich mache das jetzt.
Dagmar Hovestädt: Sie sind ja auch Geschichtenerzählerin, also muss man die eigene Lebensgeschichte vielleicht umerzählen, wenn ein wichtiger Mensch an einem bestimmten Wegepunkt eben gar nicht der Mensch war, dem man wirklich vertrauen konnte, nicht?
Aelrun Goette: Davor habe ich mich ein bisschen gefürchtet, muss ich zugeben. Und dann hatte ich das Gefühl: Jetzt bin ich robust genug. Dann habe ich das beantragt und das war ganz spannend, weil ich die dann bekam und beeindruckt war, wie dick die war. Darauf war ich gar nicht vorbereitet. Das Älteste, was ich fand, war eine Zeugnisabschrift aus der 8. Klasse. Also, ich habe relativ viel Material gefunden, das ich nicht mehr hatte. Auch so Fotos, die von mir auf der Straße gemacht wurden und so. Und ich fand einen Hinweis darauf, dass meine erste große Liebe mich bespitzelt hat. Dann passierte was ganz Spannendes. Ich erzählte das so im Freundeskreis, in dem auch Journalisten sind, und dann sagte eine bekannte Journalistin zu mir: Aelrun, du beklagst dich immer, dass die Kollegen aus dem Westen eure Geschichten schreiben, jetzt schreibst du was darüber. Woraufhin ich in der Tat dann eine Geschichte für die Berliner Zeitung geschrieben habe, in der ich recherchiere nach dem jungen Mann - heute nicht mehr jungen Mann - und den treffe und ihn mit meinem Verdacht konfrontiere. Und darüber habe ich eine Geschichte für die Berliner Zeitung geschrieben. Das war fast wie so ein Aufarbeitungsprozess für mich. Ich habe sehr sehr viel Leserpost dafür bekommen, wo Leute geschrieben haben, warum sie Angst haben, ihre Stasi-Akten einzulesen, warum sie es getan haben und wie sie mit diesem Umstand, der vollkommen anders ist, als man sich das laienhaft vorstellt, umgehen, plötzlich in der eigenen Akte etwas zu finden, was bis in die Jetztzeit reicht, weil es diesen Menschen noch gibt. Bei mir war es so: Ich war ganz irritiert über mich selber, weil ich mich schuldig gefühlt habe und Angst davor hatte, diesen Mann damit zu konfrontieren, weil ich dachte, ich tue ihm unrecht - vielleicht. Ich wollte es nicht glauben. Ich dachte: Das kann doch nicht sein. Und das hat mir sehr viel beigebracht darüber, wie man sich als Opfer fühlt: und zwar vollkommen anders, als man gemeinhin denkt.
Dagmar Hovestädt: Ja. Hat diese Begegnung stattgefunden und ist dabei was passiert, das für Sie hilfreich war?
Aelrun Goette: Ja, die Begegnung hat stattgefunden. Wie gesagt, darüber habe ich die Geschichte dann geschrieben. Die war auch teilweise absurd und komisch. Mir hat sie ein Stück weit die Angst genommen. Ich hatte das Gefühl, dass irgendwas jetzt raus ist und auf dem Tisch ist, das mir selber die Angst nimmt, und ich kann mit meiner Vergangenheit in einer friedlichen Art und Weise leben. Und ich hatte das Gefühl, dass es meinem damaligen Freund nicht so ging.
Dagmar Hovestädt: Hat er erklären können, was ihn dazu bewegt hat, was seine Umstände damals waren?
Aelrun Goette: Er hat es abgestritten.
Dagmar Hovestädt: Ah. Ja, das passiert sehr häufig. Also, eigentlich ist das genau der Punkt, warum man in die Akten schauen und sich mit Namen konfrontieren sollte: damit man genau das leisten kann, sich mit jemandem darüber auszutauschen, was das eigentlich war, und es vielleicht schafft, irgendwie die Freundschaft oder die Verbindung auf eine ehrlichere Basis zu stellen. Aber ich habe das schon oft, auch in Veranstaltungen, Gesprächen, gesehen, dass es Menschen extrem schwerfällt zu sagen: Ich habe einen Fehler begangen, da habe ich richtig was falsch gemacht, ich habe dich getäuscht, ich habe an der Stelle unsere Freundschaft, unsere Vertrautheit missbraucht und bin damit zum Staat gegangen und habe denen was dazu erzählt. Man schämt sich ja auch dafür. Das ist extrem schwer. Deswegen fällt es irgendwie leichter, das abzustreiten und zu sagen: Das war nicht so, die haben da was aufgeschrieben und das stimmt alles nicht. Aber trotzdem glaube ich, dass es für einen selber auch ein Zurückholen von Kraft und von Selbstbestimmung ist zu sagen: Ich bin da aber hingegangen und habe mit denen darüber geredet, für mich hat das eben was Positives bedeutet.
Aelrun Goette: Also, vielleicht muss ich dazusagen: Ich war ja nicht traumatisiert. Das heißt, obwohl ich ein Opfer war, war ich nicht traumatisiert. Für mich als Geschichtenerzählerin war es auch hoch spannend, selber zu erleben, wie man sich in einer solchen Opfersituation, die einen nicht mal traumatisiert hat, plötzlich fühlt. Ich habe ja Fantasie, mir vorzustellen, wie das dann ist, wenn man noch traumatisiert ist. Und diese Begegnung war für mich insofern auch interessant, weil ich mich lange, lange vorher gefragt habe: Wie soll die eigentlich aussehen? Fange ich jetzt an, Beweise zu sammeln? So. Ich habe mich dann dagegen entschieden, weil ich gesagt habe: Hier begegnen sich zwei Menschen und auf dieser Ebene will ich es belassen und ich möchte nicht in so eine Nachforschungs-, polizeiliche Ermittlungsattitüde reingehen, weil das dann mit mir etwas macht, was ich nicht will. Und ich muss dann bestimmte Dinge auch so stehen lassen können, weil jeder mit seiner Vergangenheit selber leben muss.
Dagmar Hovestädt: Mh, ja. Am Ende ist es wichtig, Frieden zu schließen. Und wenn das Ihr Weg war, hat das ja funktioniert.
Aelrun Goette: Absolut.
Dagmar Hovestädt: Sie hatten eben gesagt, dass andere Mannequins berichtet haben. Das haben Sie aber nicht in der Zeit damals von denen erfahren, sondern auch erst durch das Aktenstudium?
Aelrun Goette: Es gab damals schon so Gerüchte. [lacht]
Dagmar Hovestädt: Ah, okay.
Aelrun Goette: Weil Sie vorhin darauf rekurrierten, ob es Gerüchte gab. Ja, es gab Gerüchte. Oder eine meinte, das oder das gehört zu haben. Und einiges habe ich aus der Akte erfahren, ja.
Dagmar Hovestädt: Mh. Das ist ja immer sehr spannend. Was haben Sie mit der Akte gemacht? Haben Sie sich Kopien geben lassen? Das ist jetzt auch schon wieder zehn Jahre her. Spielt das noch eine Rolle? Ist das eine weitere Inspiration? Hat das ein Stück weit in dem Film, beim Drehbuchschreiben, eine Rolle gespielt, dass Sie in die Akte geschaut haben?
Aelrun Goette: Also, ich habe in der Tat immer mal wieder insofern reingeschaut, um mich noch mal rückzuversichern, dass alles, was ich mir als Drehbuchautorin ausdenke, auf einer Basis des Stattgefundenen entsteht. Natürlich sind manche Details in dem Film - wie soll ich sagen - erfunden. Beispielsweise füge ich "Exquisit" und "Sibylle" zusammen. Das war in der Realität nicht so. Aber die Basis all dessen ist recherchiert, inklusive dem, dass es eine Zusammenarbeit zwischen der Modewelt und der Staatssicherheit gab. Ich habe keinen Hinweis darauf, dass eine der Verantwortlichen direkt IM war. Und das ist auch nicht so in meinem Film. Aber es gibt diese Ambivalenzen und das ist die Atmosphäre, in der wir in den 80ern gelebt haben.
Dagmar Hovestädt: Es gibt ja dann auch diese Modenschau in Leipzig, die erst mal den Zweck hat, quasi politisch abgenommen zu werden durch das Politbüro-Mitglied, das sich das erst mal angucken muss, bevor es der Welt präsentiert wird.
Aelrun Goette: Also, man muss das auch ein bisschen aus der spielerischen Perspektive betrachten, weil die älteren Herren natürlich eine große Freude hatten, die hübschen jungen Frauen da auf dem Steg zu sehen. Ich würde sagen, das war so eine Win-win-Situation für die "Exquisit"-Verantwortlichen und auch für die Parteikreisleitung. Also, wir hatten Horst Sindermann, ebenso wie es in meinem Film auch [ist], aber es gab ja auch vor anderen SED-Größen Modenschauen und das fanden beide Seiten gleichermaßen für ihren Vorteil positiv.
Dagmar Hovestädt: Und glamourös wahrscheinlich. [lacht]
Aelrun Goette: Natürlich. Diese wunderbaren hübschen jungen sozialistischen Frauen fanden die [unverständlich wegen überlagerter Stimmen].
Dagmar Hovestädt: Ich glaube, es gibt - wir haben mal kurz geguckt - Aufnahmen davon im Stasi-Bestand: von diesen Modeschauen mit den [unverständlich, vermutlich: Großkoffern].
Aelrun Goette: Wirklich?!
Dagmar Hovestädt: Ich glaube ja. Muss man einfach mal gucken. Da kann man noch mal einen Antrag stellen und nachschauen, wer das ist.
Aelrun Goette: Oh, ja.
Dagmar Hovestädt: Es gab eine kleine Szene, die hat mir sehr gut gefallen, wo sozusagen der Outlaw-Fotograf - der heißt ja auch noch Coyote, hat den Militärdienst verweigert und ist deswegen komplett rausgeflogen - die Kamera auf die Stasi selber richtet, auf die Jungs im Barkas, die das beobachten. Basiert das auch auf Realität oder ist das einfach nur Ihre Idee zu sagen: So, wir fotografieren jetzt zurück, das ist unsere Waffe.
Aelrun Goette: Das basiert auf einer Notiz, die ich in der Art mal irgendwo gelesen habe und die ein Ausdruck ist für die Frechheit, mit der wir damals unterwegs waren. Also, das ist auch recherchiert: dieses Stasi-Lokalkoloritmäßige, dass ich mal die Kamera auf euch draufhalten kann. Und das zeigt eben - anders, als die Schablone heute ist, dass wir alle nur in Angst und Schrecken gelebt hätten - auch eine Form von Chuzpe und Frechheit. Man hat sich natürlich manchmal einen Spaß gemacht und hat den Kollegen im grauen Trenchcoat zu verstehen gegeben, dass man sehr wohl erkennt, wer sie sind, und fand sich dann immer besonders cool auch. Und man muss auch sagen: Es gab ja eine enge Zusammenarbeit zwischen dem "Stern" und der Underground-Szene. Es gab damals in den 80er-Jahren auch im "Stern" Strecken, wo diese ganze Hinterhofwelt mit den Punkbands und so auch fotografiert wurde und wo darüber berichtet wurde. Auch da wollte ich, dass das in meinem Film wiederkommt.
Dagmar Hovestädt: Ja. So endet der Film auch mit einem ganz tollen Einblick in die Kreativität der Szene, die sich eigentlich durch nichts unterdrücken lässt. Das ist, glaube ich, eine ziemlich gut gelungene Rekreation von verschiedensten Modeschauen, die in Prenzlauer Berg und anderswo in Ostberlin stattgefunden haben. Also, ein Film der eine Menge Spaß macht und der einen auch ein bisschen zum Nachdenken bringt. Das hatten Sie ja am Anfang gesagt. Ich glaube, es ist schon richtig: Es braucht eine Zeit. Jeder Film braucht seine Zeit und es ist vielleicht jetzt auch an der Zeit, mit dem größeren Abstand noch mal ein bisschen differenzierter draufzuschauen. Sie haben selber richtig lange an dem Drehbuch gearbeitet. Im Abspann sieht man eine Menge Fernsehanstalten, die das unterstützt haben, die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien hat die Drehbuchentwicklung auch unterstützt. Also, es gehört immer viel dazu, so einen Film finanziert zu bekommen. Insofern viel Geduld, ...
Aelrun Goette: Oh ja.
Dagmar Hovestädt: [lacht] ... eine kleine Corona-Pandemie zwischendrin, um noch mal geduldiger sein zu müssen. Ja, danke für das Gespräch, danke für den Film. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg. Gibt es schon wieder neue Projekte oder ist man erst mal mit dem Film so, dass man das Baby auch ein bisschen begleiten möchte?
Aelrun Goette: Natürlich gibt es ein neues Projekt, an dem ich arbeite, aber jetzt gehört erst mal unsere ganze Kraft und Energie der Herausbringung. Wir machen auch eine Kinotour: 30 Kinos in 16 Tagen. Also, wir fahren durch die Bundesrepublik und hoffen, dass wir mit dem Publikum ins Gespräch kommen, und freuen uns drauf und sind da alle ganz enthusiastisch.
Dagmar Hovestädt: Dann viel Spaß dabei und danke für das Gespräch!
Aelrun Goette: Vielen Dank! Ich danke Ihnen.
[Jingle]
Maximilian Schönherr: Das war die Regisseurin und Drehbuchautorin Aelrun Goette im Gespräch über ihre Akteneinsicht und ihren neuesten Film "In einem Land, das es nicht mehr gibt". Der Film kommt in diesem Oktober - 2022 - in die Kinos. Im Wikipedia-Artikel über Aelrun Goette finden sich die Filmografie, zum Beispiel ihre Regie bei einem Schweizer Tatort, und die vielen Preise, die sie erhalten hat.
Dagmar Hovestädt: Unser Podcast endet auch dieses Mal wieder mit einem akustischen Beispiel aus dem riesigen Audio-Pool des Stasi-Unterlagen-Archivs, wie immer ohne inhaltlichen Zusammenhang zu dem, was wir vorher besprochen haben.
[Tonspulen]
Elke Steinbach: Mein Name ist Elke Steinbach und ich kümmere mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen um die Audio-Überlieferung des MfS. Die Frage "Was ist normal?" ist eine philosophische und kennt viele Antworten, in Abhängigkeit vom Kontext. Sie hat auch MfS-Mitarbeiter im Zusammenhang mit Ermittlung und Beweisführung beschäftigt. In einem Vortrag aus dem Jahr 1988 macht ein Mitarbeiter der Hauptabteilung IX, der Untersuchungsabteilung des MfS, seine Kollegen auf die unbedingte Notwendigkeit der Gesamtkenntnis einer Person und ihrer Charaktereigenschaften aufmerksam, um für und aus der Beantwortung dieser Frage die richtigen Schlussfolgerungen ziehen zu können. Wir hören dreieinhalb Minuten von 185.
[Archivton Beginn]
[Sprecher:] Ein weiteres sehr, sehr wesentliches Problem ist, dass man sich immer die Frage vorlegen muss, ob unser Beweismittel geeignet ist, zu dem nachzuweisenden Zusammenhang etwas beizutragen mit seinem Informationsgehalt. Das heißt also, ob diese Tatsachen überhaupt in Zusammenhang zu einem Beweissatz, also meiner Frage- oder agenturischen Tätigkeit, stehen. [längere Sprechpause] Das ist enn [ein] [längere Sprechpause] etwas heikles Problem [längere Sprechpause], weil oftmals bestimmte Randerscheinungen, die bei der Spionage [betont: auch] auftreten können, aber nicht müssen, geprüft, untersucht werden, aus deren Vorliegen dann der Schluss abjeleitet wird: Na das ist ja ne Bestätigung. [betont: Kann] sein. Aber man muss sich über den [betont: Wert] dieser Dinge immer Aufschluss geben und Rechenschaft ablegen. Ich will mal etwas in gedrängter Form ein paar solche Probleme darstellen. Da gibt's diese Kategorie des unnormalen Verhaltens. Ich nenn' das mal so. Der Verdächtiche verhält sich nicht normal. Genossen, ich erlaube mir die Frage: Was ist denn normal? Wenn ich sowas lese, bin ich eigentlich nur damit konfrontiert, dass der Verfasser dieses Berichtes das nicht als normal empfindet. Was im Verhalten ennes [eines] Menschen normal ist, das hängt ganz davon ab, was das for [für] 'ne Persönlichkeit ist. Ja, da gibt's die dollsten Sachen und trotzdem steckt da nischt [nichts] dahinter. Hier wird eigentlich eine subjektive Bewertung wird jetzt genommen als enn [ein] Kriterium, um enne [eine] Verhaltensweise zu beurteilen und daraus Schlüsse, noch dazu auf das Vorliejen des Tatbestandes, zu ziehen. Das kann zwar bei der Überlegung uns 'ne bestimmte Hilfe sein, aber [betont: daraus] enne [eine] Begründung für das Vorliegen des Tatbestandes abzuleiten, das ist manchmal 'ne außerordentlich gewachte [gewagte] Sache. [längere Sprechpause] Da sitzen Leute, die sich nach allen möglichen Dingen erkundigen, beispielsweise. Die sind [betont: neugierig] wie sonsterwas. Na wenn ich das nicht weiß, ist das ein unnormales Verhalten. Der erkundicht sich überall. [Husten im Hintergrund] Der fracht och Leute direkt nach bestimmten Geheimnissen aus. Die Aufklärung der Persönlichkeit könnte mir Aufschluss geben, dass das in anderen Lebensbereichen [betont: auch] enn [ein] total neugiericher Mensch ist. Und schon bin ich nämlich darauf gekommen: Weil der sich [betont: überall] und woanders [betont: auch] so verhält, möchte das wohl seine normale Verhaltensweise sein und nicht aus der Sicht des Betrachters das unnormale, weil [betont: andere] nicht solche dummen Fragen stellen [Sprechpause] und da was rauskriegen wollen.
[Archivton Ende]
[Tonspulen]
[Jingle]
Sprecher: Sie hörten:
Sprecherin: "111 Kilometer Akten
Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."