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Studie: Die ungelesenen Stasi-Akten
Mehr zum Autor Prof. Ralph Hertwigund der Autorin Prof. Dagmar Ellerbrockder Studie.
Maximilian Schönherr, Prof. Dagmar Ellerbrock, Dagmar Hovestädt, Prof. Ralph Hertwig, Quelle: BArch
Was heißt es eigentlich, wenn jemand sich entscheidet, lieber nicht in Stasi-Akten zu schauen? Die Historikerin Dagmar Ellerbrock und der Psychologe Ralph Hertwig haben dieser Frage ein Forschungsprojekt gewidmet. Im Gespräch erläutern sie die methodischen Herausforderungen, etwas zu erforschen, was nicht passiert, aber auch die vielschichtige Motivlage für das "gewollte Nichtwissen", mit neuen Fragen auch an das Archiv und die Betrachtung von Aufarbeitung.
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Sprecherin: "111 Kilometer Akten - [Ausschnitt einer Rede von Erich Mielke: ... ist für die Interessen der Arbeiterklasse!] - der offizielle Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs".
Maximilian Schönherr: Willkommen zu Folge Nummer 76. Ich bin Maximilian Schönherr, Freund von Archiven und vertraut mit den Originaltönen, auch hier im Stasi-Unterlagen-Archiv. Meine Co-Hostin ist Dagmar Hovestädt. Sie leitet die Abteilung Vermittlung und Forschung im Bundesarchiv/Stasi-Unterlagen-Archiv.
Dagmar Hovestädt: Das Jahr neigt sich dem Ende zu, also das Jahr 2022. Und wir haben beschlossen, den Vorgang 2022 in dem Sinne nicht wieder abzulegen. Das macht wirklich Spaß, den Podcast zu machen, weil wir so eine interessierte Zuhörerschaft haben. An dieser Stelle einfach ein Danke.
Maximilian Schönherr: Heute versuchen wir herauszufinden, warum Leute das Archiv gar nicht nutzen wollen und sich bewusst gegen das Lesen ihrer Stasi-Akte entscheiden. Zwar sprechen wir einige Einzelfälle an, aber im Grunde geht es um die Erforschung dieses Themas. Wie erforscht man etwas, was gar nicht passiert ist? Unsere Gesprächspartner sind beide Professoren. Dagmar Ellerbrock, Inhaberin des Lehrstuhls für Neuere und Neueste Geschichte an der Technischen Universität Dresden, und Ralph Hertwig, Direktor des Forschungsbereichs Adaptive Rationalität am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. Die beiden haben aus der Frage, warum jemand explizit nicht in seine Akte reinsehen möchte, ein Forschungsprojekt gemacht. Die ersten Ergebnisse liegen nun vor.
Dagmar Hovestädt: Sehr viel müssen wir vor dem Gespräch gar nicht unbedingt erläutern. Interessant ist, dass hier zwei wissenschaftliche Disziplinen miteinander versuchen, einem Phänomen auf die Spur zu kommen. Und es geht in dem Sinne auch weniger um den Inhalt der Akten als um die Idee, dass das Lesen der Stasi-Akten für Menschen hilfreich ist, um die Vergangenheit besser zu begreifen. Die Studie geht quasi vom Gegenteil aus, indem sie versucht zu ergründen, warum sich Menschen gegen das Aktenlesen entscheiden.
Maximilian Schönherr: Der erste Teil des Gesprächs dreht sich um Methodik. Es ist nämlich nicht trivial, wenn eine Historikerin und ein Psychologe aufeinandertreffen und gemeinsam wissenschaftlich ein solches Phänomen erkunden wollen.
Dagmar Hovestädt: Der Gedanke, das Nichtlesen, also die Verweigerung von Wissen und Aufklärung, zu ergründen, erschien Dagmar Ellerbrock zunächst doch sehr apologetisch, also beschwichtigend und entschuldigend für die, man könnte sagen, Verweigerung der Aufklärung. Aber warum sie es dann doch untersuchungswert fand, erklärt sie.
Maximilian Schönherr: Im Gespräch werden etliche Namen erwähnt. Da ist zunächst Claus Weselsky, der 1959 im Bezirk Dresden geboren wurde, in der DDR bei der Reichsbahn arbeitete und dann 1990 in die neu gegründete Lokführergewerkschaft eintrat und deren Vorsitzender wurde. Einen weiteren Namen kennen die Hörerinnen und Hörer des Podcasts schon ganz gut: Roland Jahn, Bürgerrechtler in der DDR, politischer Häftling der Stasi und von 2011 bis 2021 Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen.
Dagmar Hovestädt: Unsere beiden Gesprächspartner beziehen sich immer wieder auch auf prominente Äußerungen von Menschen des öffentlichen Lebens, die ihre Stasi-Akten gelesen haben. Dazu gehört zum Beispiel Vera Wollenberger, die heute Vera Lengsfeld wieder heißt. Sie wurde 1952 in Sondershausen geboren, wuchs in Berlin auf. Ihr Vater war ein Stasi-Offizier. Sie aber geriet in Opposition zum Regime und wurde verhaftet sowie dann auch des Landes verwiesen. Sie gehört zu den ersten Menschen, die ihre Stasi-Akten lesen konnten im Januar 1992, und hat darin unter anderem auch erfahren, dass ihr damaliger Ehemann Knud Wollenberger über sie bei der Stasi berichtet hat. Erwähnt wird auch der Schriftsteller Günter Grass, Jahrgang 1927, der 2015 verstorben ist. Er war ein sehr prominenter Gegner des Mauerbaus, damals, 1961, beim Schriftstellerverband West und hat gegen den Mauerbau protestiert sowie dann auch weiter viele Beziehungen in die DDR unterhalten, was ihn zum Objekt von Stasi-Nachforschungen gemacht hat.
Maximilian Schönherr: Technisch zum Gespräch vielleicht noch so viel: Wir sind interkontinental verbunden. Frau Ellerbrock arbeitet derzeit für einen mehrmonatigen Forschungsaufenthalt am Deutschen Historischen Institut in Washington D.C. Ich bin in Köln in meinem Büro und Herr Hertwig und du in euren jeweiligen Büros in Berlin. Daher die unterschiedliche Akustik. Dann legen wir los.
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Dagmar Hovestädt: Dagmar Ellerbrock und Ralph Hertwig, ich freue mich sehr, dass das klappt, dass wir aufeinandertreffen, so wie Sie beide sich aus zwei verschiedenen Disziplinen getroffen haben. Um das Thema "Will ich etwas über meine Vergangenheit, über Vergangenheit wissen?" quasi mal auf auf den Kopf zu stellen: Wie sind Sie auf diese Idee gekommen? Also zu sagen: Warum will ich gerade nicht lesen, was in den Stasi-Akten steht?
Prof. Ralph Hertwig: Ja, der Ausgangspunkt war eigentlich ein Interesse von mir an einem Phänomen, was mich jetzt schon seit einigen Jahren beschäftigt und was wir im Deutschen genannt haben "Gewolltes Nichtwissen". Im Englischen nannten wir das "deliberate ignorance". Und das ist deshalb so faszinierend, weil es so gegen den Strich bürstet. Es gibt ja so diese Vorstellung, die geht eigentlich zurück bis auf den großen Philosophen Aristoteles, der davon spricht, dass wir Menschen alle so gebaut seien, dass wir diese brennende Neugierde hätten, die uns dazu bringt, immer wieder neue Dinge wissen zu wollen und Unbekanntes entdecken und herausfinden zu wollen. Und wenn das die Grundannahme über uns - über die menschliche Bedingung - ist, dann sind Beispiele für das Gegenteil, nämlich dass wir uns ganz bewusst und gezielt entscheiden, bestimmte Dinge nicht wissen zu wollen, die wir eigentlich ganz einfach herausfinden könnten, dann ist das ein besonders interessantes Phänomen. Und das ist ein Phänomen, das weit über die Stasi-Akte hinausgeht, das Sie in vielen Kontexten finden. Also, ich gebe Ihnen mal einen Kontext aus unserer eigenen Tätigkeit, Wissenschaft. Wir wollen institutionell nicht wissen, wer der Autor eines bestimmten Manuskriptes ist, das eingereicht wird. Das nennt man "blind reviewing" oder "blindes Gutachten". Warum? Aus guten Gründen. Weil wir nicht beeinflusst werden wollen durch die Identität des Autors oder durch die institutionelle Zugehörigkeit, weil das ja möglicherweise auch unseren Bewertungsprozess verfälschen könnte. Sie finden das gleiche Phänomen auch bei Auswahl von Jobkandidaten oder -kandidatinnen. Es gibt in dem Kulturbereich die Idee von "Blind Auditioning". Also, wenn Sie zum Philharmonischen Orchester gehen und sich bewerben, dann wird eigentlich hinter einem nicht durchsichtigen Vorhang vorgetragen. Und tatsächlich ist es sogar so, dass ein Teppich ausgelegt wird, dass man nicht an den Schritten erkennen kann, ob das jetzt Mann oder Frau ist. Und das hat gute Gründe, weil wir nämlich - als einer der Gründe - dadurch es geschafft haben, heute die Anzahl von Frauen in den großen klassischen Orchestern zu erhöhen. Es gibt viele andere Kontexte. Wenn wir zum Arzt gehen oder eben nicht zum Arzt gehen, entscheiden wir uns auch darüber, was wir wissen oder nicht wissen wollen. Wenn wir uns überlegen, ob ich mir das Tagebuch meiner Partnerin oder meines Partners anschaue oder ob ich das besser nicht tun sollte aus vielen Gründen, dann treffen wir auch eine Entscheidung darüber, was wir wissen oder nicht wissen wollen. Und es gibt viele gute Beispiele für dieses gewollte Nichtwissen, die aus ganz unterschiedlichen Gründen erfolgen. Und nachdem ich mich für dieses Thema interessiert habe und jetzt schon seit einiger Zeit interessiere, bin ich irgendwann mal auf den Gedanken gekommen - und vielleicht ist das auch angeregt worden durch solche Filme wie "Das Leben der anderen" -, wie das denn wäre, wenn ich eine Stasi-Akte hätte: ob ich das dann tatsächlich lesen wollen würde oder nicht lesen wollen würde. Und dann habe ich mich gefragt: Ist das eigentlich eine Frage? Das ist ja so eine psychologisch total interessante Frage, weil ich komme aus Westdeutschland. Als Westdeutsche ist man eher geneigt zu sagen: Ja, um Himmels willen, wenn du da eine Stasi-Akte hast, willste die doch sehen. Und dann war es mir aber nicht mehr so klar nach solchen Filmen wie "Das Leben der anderen". Und da an der Stelle hatte ich das große Glück, am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung zu sein. Dort gibt es eben auch einen Forschungsbereich, der sich mit Geschichte der Gefühle auseinandersetzt. Da habe ich mich mal auf den Weg gemacht und habe da angeklopft und habe gedacht: Ich stell jetzt mal meine Idee vor, nämlich gewolltes Nichtwissen im Kontext von Stasi-Akten zu untersuchen. Und da bin ich auch auf eher interessante Reaktionen gestoßen. Eine Reaktion war von Dagmar, die, glaub ich, eher gedacht hat: Der spinnt ja, dieser Psychologe! Aber das war dann Gott sei Dank nicht die letzte Reaktion, die sie hatte, und dadurch sind wir eigentlich ins Gespräch gekommen. Und nach einiger Zeit fanden wir dann auch gemeinsame Aspekte, gemeinsame Sprache. Aber jetzt greife ich vielleicht zu weit vorweg. Nach einiger Zeit hat uns das Thema beide interessiert.
Dagmar Hovestädt: Als Historikerin ist man ja mit dem Komplex Stasi-Vergangenheit und Sie haben ja nun auch in Ihren Schwerpunkten durchaus Erinnerungstransformationsgeschichte, Erinnerungspolitik, also dieses etwas größere historisch Politischere. Mir ist auch gerade noch eingefallen, als Sie das so genauer beschrieben haben: Im Deutschen heißt Ignoranz ja auch wirklich nicht so sehr was Positives, aber dieses gewollte Nichtwissen ist ja ein aktiver Prozess. Ich entscheide mich ja dagegen, etwas wissen zu wollen. Und dann ist es nicht ganz so bornierte Ignoranz, weil brauche ich nicht wissen, sondern das ist ja durchaus eine Entscheidung an der Stelle und der Historiker will ja genau wissen, was war, und die Quellen sind für ihn unverzichtbar. Insofern ist das eine interessante Konstellation, dass Sie sich, Frau Ellerbrock, dann doch darauf eingelassen haben.
Prof. Dagmar Ellerbrock: Ja, aber das war ein längerer Weg, weil meine ursprüngliche Reaktion war eine, die, glaube ich, sehr typisch ist für historisches Denken in der Bundesrepublik immer noch und auch für institutionelle Reaktionen, die wir auf dieses Thema dann auch später bekommen haben, nämlich erst mal diese Abwehr: Es geht um Aufklärung in historischer Forschung und Aufklärung dient dazu, Demokratie zu stärken und Demokratie krisenfest zu machen. Das war und ist die Tradition, aus der ich komme, und das ist ja auch die Tradition deutscher Erinnerungspolitik im 21. Jahrhundert. Insofern war eben mein Verdacht: Da schwingt so eine Apologie mit und mit dieser Apologie möchte ich nichts zu tun haben. Auf der anderen Seite bin ich, aus meinen Forschungsinteressen kommend, von jeher daran interessiert gewesen zu verstehen, wie Demokratie funktioniert und wie Gesellschaften von autoritären, von faschistischen, von diktatorischen Systemen in eine Demokratie, in einen demokratischen Prozess kommen. Ich habe promoviert zum Übergang vom Nationalsozialismus in die Bundesrepublik, zu amerikanischer Besatzungspolitik und habe genau dieses Aushandlungsverhältnis--. Wie macht man Menschen, die demokratiefern sind, sattelfest für eine Demokratie und wie geht man mit einer gewaltsamen Vergangenheit um? Also, dieses Interesse zieht sich eigentlich durch meine gesamte Forschung und insofern gab es da einen Berührungspunkt. Den zweiten Berührungspunkt, den es gab, war der, dass ich denke, dass interdisziplinäre Forschung uns weiterhilft, viele komplexe Probleme, die wir haben, zu beantworten. Und der dritte Aspekt, den ich interessant fand, war zu sehen, wie fasziniert Ralph Hertwig von diesem Thema war. Also, der war völlig angefixt davon und das hat mich zumindest im Gespräch gehalten, sodass ich mir, obwohl ich immer gesagt habe, ich will das Thema nicht machen, angehört habe, was für Ideen er dazu hatte und welche Überlegungen er zu den Motiven der Menschen hatte. Also, ich hatte im Kopf, welche Hypothesen er hat und welche Vermutungen er hat, und bin aber sehr lange, sehr strikt bei meiner Politik geblieben: Ich spreche mit dir darüber, aber ich möchte das nicht machen. Und dann hatten wir im Sommer 2015 einen großen Lokführerstreik in Deutschland und im Kontext dieses Lokführerstreiks wurde im WDR2 Claus Weselsky interviewt. Der erzählte in diesem Interview seine Biografie und erzählte, dass er als Reisekader der DDR dann immer, wenn er zurückkam, von der Stasi befragt wurde. Daraufhin sagte der Kollege im WDR ganz aufgeregt: "Ja, dann haben Sie ja eine Stasi-Akte!" Und Weselsky antwortete sehr entspannt: "Ja, klar habe ich eine Stasi-Akte." Woraufhin der westdeutsche Journalist sagte: "Ja, und haben Sie die mal angeschaut?" Und dann sagte er: "Nein. Natürlich habe ich die nicht angeschaut und habe sie nicht gelesen" Und dann kam die Rückfrage: "Warum haben Sie die Akte nicht gelesen?" Und dann erzählte Weselsky genau das, was Ralph Hertwig vorher als Hypothesen formuliert hatte. Und das war exakt der Moment, also das war wirklich so eine Minutenerfahrung, die ich noch sehr gut erinnere, wo sich so in meinem Kopf der Schalter umgelegt hat und ich hatte das Gefühl, wie man das auch manchmal im Archiv hat, wenn man plötzlich seine Hypothesen durch ein Dokument bestätigt findet: Ja, der ist da ganz nah dran am Thema, der hat was verstanden, was ich bisher noch nicht verstanden hatte, und er hat etwas verstanden, was hier im sozialen und im historischen Kontext Evidenz hat, also was wir finden, ein Phänomen, das es gibt und das wir noch nicht erklärt haben. Ich habe noch am selben Nachmittag ihm eine Mail geschrieben, habe ihm den Link zum Interview geschickt und gesagt: I'm all in. Lass uns das Projekt machen. Ich bin absolut überzeugt, dass es ein tolles Projekt ist. Und das war dann letztendlich der Beginn, wo mir klar wurde, dass es etwas gibt, was wir noch nicht verstanden haben, was wir verstehen wollen. Und das können und müssen wir verstehen, jenseits aller normativer Zuschreibungen. Es geht nicht darum, ob wir das gut finden oder schlecht finden, sondern es geht darum, etwas zu verstehen, was es gibt, zu verstehen, warum Menschen wie in welchen Kontexten handeln, und das in historische Forschung einzuschreiben. Das war der Startpunkt, aber damit hatten wir natürlich noch kein Untersuchungsdesign. Und das war dann in der Tat noch ein längerer Weg, weil wir sind disziplinär relativ weit voneinander entfernt als quantitativ arbeitender Psychologe und kulturhistorisch arbeitende Historikerin. Und da haben wir wirklich viel Zeit gebraucht und intensiv miteinander gesprochen, bis wir ein Untersuchungsdesign gefunden hatten, in dem wir beide Forschungsinteressen und auch die sehr differenten Methodiken unserer Disziplinen zusammenbringen konnten.
Dagmar Hovestädt: Das ist ja allein schon quasi eine Leistung, die beiden verschiedenen Blickwinkel dann auch in der Methodik zusammenzubringen und da was herauszufinden, mit dem beide Bereiche dann auch arbeiten können.
Prof. Ralph Hertwig: Das habe ich auch genauso wahrgenommen, dass wir lange gekämpft haben. Und ich habe auch einige Zeit gebraucht, bis ich gemerkt habe, dass bei Dagmar, der Historikerin, die Befürchtung im Raum steht, dass ich ein Phänomen beschreiben möchte und damit ein bestimmtes Verhalten entschuldigen möchte. Nun bin ich aber Verhaltenswissenschaftler und Psychologe und damit nicht in erster Linie an einer normativen Sichtweise der Dinge gewöhnt und auch nicht dran interessiert, sondern ich möchte eigentlich verstehen die psychologischen Motive, die einem bestimmten Verhalten zugrunde liegen. Das war auch der Grund. Und Sie haben das ja auch vorhin angesprochen, Frau Hovestädt, mit der Begrifflichkeit, die wir im Deutschen gewählt haben. Wir haben nicht "gewollte Ignoranz" gesagt, weil im Deutschen dieser Begriff Ignoranz ja gleich so eine Konnotation hat und das ist etwas wie Nichtwissenwollen, "Ich habe keinen Bock darauf.", "Ich bin daran nicht interessiert.", "Ich will absichtlich unwissend bleiben." oder was auch immer die Konnotationen sind. Und genau die wollte ich nicht, weil schon aus den Beispielen, die ich Ihnen vorhin gegeben habe, wo wir gewolltes Nichtwissen denn alles entdecken, also zum Beispiel in unserem eigenen Forschungsbereich, wenn wir Manuskripte begutachten, dann ist es das Gegenteil von etwas Negativem, sondern was sehr Positives. Wir wollen nämlich verhindern, dass sich bestimmte Fehler in den Gutachterprozess einschleichen und zu Urteilen führen, die nicht mehr fair sind. Und es ist mir wichtig: Dieses gewollte Nichtwissen hat ganz unterschiedliche Motive und natürlich können die Konsequenzen von gewolltem Nichtwissen durchaus auch negativ sein, sie können aber auch sehr positiv sein und die zugrunde liegenden Motive können sehr wohlmeinend oder auch nicht wohlmeinend sein. In dem Sinne war ich interessiert daran, diese Motive zu beschreiben und die nicht mit dem normativen Label zu versehen. Und ich glaube, wir haben beide eine Zeit lang gekämpft, Dagmar und ich, dass ich als Psychologe mit diesem deskriptiven Ansatz und Fokus an die Frage gegangen bin und Dagmar immer auch die normative Dimension mitgedacht hat. Wir haben eine Zeit lang gebraucht, um das einfach in Worte zu fassen und zu sagen: Woran reiben wir uns eigentlich? Nachdem wir das verstanden haben und ich vielleicht auch Dagmar ein Stück weit überzeugen konnte, dass es nicht nur ein psychologisch interessantes Phänomen ist und dass es auch nicht darum geht, jetzt ein bestimmtes Verhalten zu entschuldigen, sondern eigentlich eher zu verstehen, wie die individuellen Phänomene durchaus auch mit kollektiver Erinnerungskultur zusammenhängen, wie die auch miteinander interagieren können und dass letztendlich natürlich aber auch die Frage im Hintergrund steht, wie wir eigentlich den Übergang aus sehr tyrannischen, diktatorischen oder schlimmen Verhältnissen in eine eher demokratischere Institution organisieren und gut hinkriegen können, haben wir auch eine Ebene gefunden, darüber zu sprechen. Natürlich ist es auch richtig: Die Frage hat beides, also deskriptive und normative Aspekte. Und das macht es eigentlich auch so spannend, dass wir beide Dinge mitdenken können.
Dagmar Hovestädt: Das heißt ja, Sie hinterfragen auch Ihre eigenen Disziplinen, weil Frau Ellerbrocks Haltung kann ich sehr gut verstehen. Ich arbeite jetzt seit über zehn, elf Jahren im Stasi-Unterlagen-Archiv und natürlich ist die Beschäftigung mit diesen Quellen und das Normative sehr stark verwoben, auch mit der rein historischen Betrachtung. Es gibt ja das Wort von den zu heißen Akten, die ein bisschen erkalten müssen, also diese sehr starke geschichtspolitische, auch politische Auseinandersetzungen zur DDR anhand dieser Akten. Das überlagert natürlich eine sehr kühle Betrachtung dieser Quellen. Und sich über sein eigenes Schicksal hier zu informieren, indem man schaut, was die Stasi über einen aufgeschrieben hat, ist ja eigentlich vom Gesetz her gedacht als Angebot. Wir zwingen ja niemanden. Wir veröffentlichen auch keine Statistiken, wo man sagt, wie viele Männer, wie viele Frauen, wie viele aus dem Norden und Süden, damit man da irgendwie einen Aufruf startet. Das Angebot muss einfach da sein und jeder hat die Freiheit, sich zu entscheiden. Anekdotisch würde ich sagen, kommt das vielen Mitarbeitenden hier im Hause sehr bekannt vor, wenn man überall, wo man ist, Leute trifft, die sagen: "Ja, aber ich habe noch nicht reingeguckt. Könnte sein, aber ich will auch nicht." Also, ich würde sagen: Wenn man sagt, man arbeitet hier, begegnet einem das durchaus häufiger. Und es ist eine Akzeptanz zu sagen: Nicht jeder Einzelne muss sich damit beschäftigen. Ich würde sagen, institutionell müssen wir diese Option schon eröffnen.
Prof. Ralph Hertwig: Eines der Dinge, die wir beide gemacht haben, war, uns zu überlegen: Wie untersuchen wir das dann und wie kommen wir denn da ran? Und die Frage, die uns am Anfang beschäftigt hat, war auch: Wie häufig ist denn dieses Phänomen? Ist das ein völlig exotisches, das nur auf eine Minderheit der ehemaligen Bürger der DDR zutrifft, oder ist das ein Phänomen, das weiter verbreitet ist? Wir haben uns damals an die Behörde gewandt, um letztendlich die Frage zu stellen: Haben Sie denn eine Vorstellung davon, wie viele Leute ihre Akte nicht nachgeschaut haben? Und die interessante Reaktion, die wir erfahren haben - aber korrigiere mich bitte, Dagmar, zumindest habe ich das für mich so abgespeichert -, dass ich zunächst den Eindruck hatte - wir haben uns erst mal brieflich, aber dann auch telefonisch an die Behörde gewandt -, dass erst mal das Phänomen gar nicht verstanden wurde, weil doch die Leute, die dorthin kommen, Leute sind, die per definitionem die Akte ja angucken. Und wenn ich im Wesentlichen nur mit Leuten zu tun habe, die die Akte sehen wollen, dann schließe ich irgendwann mal: Ja, jeder möchte doch die Akte sehen. Das heißt, das war erst mal so ein Übersetzungsproblem, unsere Frage überhaupt so verständlich zu machen, dass auch die Historiker und Historikerinnen in der Behörde nachvollziehen konnten, wofür wir uns eigentlich interessieren. Das zweite große Problem war, dass die Behörde nicht weiß, wie viele Akten sie hat, und wir damit die Frage - also, es gibt so Schätzungen, wie viele Leute denn tatsächlich ihre Akte angeschaut oder nicht angeschaut haben - durch die Behörde nicht beantwortet bekommen haben.
Dagmar Hovestädt: Das funktioniert nicht, das ist richtig. Würde ich jetzt sagen aus der Kenntnis der Überlieferung der Stasi. Das kriegen wir nicht hin zu sagen, wie viele Menschen sind darin verzeichnet und für wie viele hieße das, sie müssten ihre Akte lesen können? Das funktioniert nicht.
Prof. Dagmar Ellerbrock: Also, ich kann mich erinnern, Ralph, dass das, als wir diese Anfrage gestellt haben, für dich erst mal im ersten Moment nur schwer nachvollziehbar war, wieso die nicht wissen, wie viele Akten die haben und wie viele Leute da verzeichnet sind. Psychologen gehen ja methodisch anders vor, das heißt, die eruieren durch Befragungen die Daten, die sie brauchen. Und für uns als HistorikerInnen sind die Quellen, die wir brauchen, ja nicht unbedingt die Quellen, die im Archiv liegen. Das heißt, wir müssen mit dem umgehen, was wir finden. Auch das ist methodisch völlig different und das muss man zusammenbringen. Gleichzeitig gab es an einem Punkt überhaupt gar kein Übersetzungsproblem und das knüpft jetzt an das an, was Sie, Frau Hovestädt, eben gesagt haben: Ich bin im Verlauf dieses Projektes vom Max-Planck-Institut in Berlin dann an die TU Dresden berufen worden und bin in Sachsen, in Dresden, in ein Umfeld gekommen, wo Bürgerinnen und Bürger und auch viele Kollegen sofort verstanden haben, was die Fragestellung des Projektes war, und wo ich vonseiten der ehemaligen Bürgerinnen und Bürger der DDR ganz viel Interesse und Zuspruch gefunden habe. Also, ich hatte das Gefühl, die Leute wollen darüber reden und die wollen sich mit diesem Thema beschäftigen und die sind sehr fasziniert davon und unglaublich offen, darüber zu reden, weil sie plötzlich wahrnehmen: Hier interessiert sich jemand für eine Fragestellung, für eine Thematik, die für uns wichtig ist, die aber sich bisher weder in der Forschung noch im politisch-gesellschaftlichen Diskurs abgebildet hat. Und das war für mich auch noch mal ein wichtiger Schub, mich diesem Thema zuzuwenden, weil ich gesehen habe, dass es hier eine Zivilgesellschaft gibt, mit der ich darüber auch gut ins Gespräch kommen kann und die das als Thema quasi nachfragt. Wie kommen wir dann an Leute? Also, etwas zu erforschen, was nicht stattgefunden hat, also Nichtpraktiken zu untersuchen, ist methodisch eine große Herausforderung. Und dann sind wir an das Deutsche Hygienemuseum herangetreten, mit denen ich inzwischen gute Arbeitsbeziehungen hatte, und ich habe dieses Museum wahrgenommen als sehr innovativ und thematisch aufgeschlossen. Wir haben denen unser Projekt dargestellt, haben denen unsere Hypothesen dargestellt und haben gesagt: Wir würden gerne einen großen Publikumsabend machen, ein Publikumsgespräch, in dem wir das Projekt darstellen und gleichzeitig die Möglichkeit eröffnen, uns erstens anonym noch weitere Motive und Themen einzuspielen in das Projekt - also das, was man neudeutsch Citizen Science nennt: Bürger und Bürgerinnen sind in Forschungsprozesse eingebunden -, und zweitens sich auch, wenn sie mögen, für Interviews zur Verfügung zu stellen. Denn wir waren inzwischen in unseren bilateralen Gesprächen zu der Einschätzung gekommen, dass wir methodisch zusammenkommen können an dem Punkt, dass wir Interviews und Umfragen parallelisieren und verknüpfen und diese Interviews zum einen als historische Tiefeninterviews gemäß den Oral-History-Konzepten durchführen und zum anderen als Umfragen, die dann auch für die psychologische Methodik anschlussfähig war. Und dieser Publikumsabend im Deutschen Hygienemuseum war ein wahnsinniger Katalysator für unser Projekt, denn wir sind dann am nächsten Tag völlig überrollt worden von Rückmeldungen. Wir hatten - so ganz naiv - einen Flyer rausgegeben, auf dem unsere Telefonnummer verzeichnet war, und zwei meiner Mitarbeiterinnen waren an dem Projekt mitbeteiligt und sollten das Telefon betreuen. Und ich kriegte schon morgens um zehn von denen E-Mails: Frau Ellerbrock, Hilfe, Hilfe, Hilfe! Wir haben jetzt schon einen zweiten Anrufbeantworter da angeschaltet, aber wir kriegen das hier überhaupt nicht in den Griff, wir gehen unter! Und wir hatten, glaube ich, am ersten Tag über 300 Telefonanrufe und Rückmeldungen von Menschen, die bereit waren, sich zwei oder drei Stunden interviewen zu lassen. Und das spiegelt noch mal das wieder, was ich eingangs gesagt habe: Es gibt ein riesiges Interesse in der Zivilgesellschaft. Die Menschen wollen diese Erfahrung kommunizieren. Und damit hatten wir das, was bisher in der Forschung nicht präsent war: dass wir uns mit etwas beschäftigen können, was letztendlich Nichtpraktiken sind, es aber so untersuchen können, dass wir es in einen Forschungsprozess übersetzen können, der uns ganz tiefe Einsichten in bisher noch nicht betrachtete Phänomene ermöglicht.
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Sprecher: Sie hören:
Sprecherin: "111 Kilometer Akten -
Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."
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Dagmar Hovestädt: Wie viele Leute sind denn dann insgesamt in die Forschung eingeflossen? Es gibt ja zwei Ebenen. Es gab mal eine viel größere Menge an Gesamtbetrachtung und dann gibt es eine kleinere, intensiver beforschte Gruppe in der Studie. Die Zahl, die ich in Ihrem Aufsatz dazu gefunden habe, der auf Englisch herausgekommen ist, war, dass es zunächst mal 2.317 Befragte zu generellen Fragen gab wie "Denken Sie, Sie haben eine Akte oder nicht?", "Wissen Sie das oder nicht?" Und dann gab es diese 134, die freiwillig eben intensiver in längeren Interviews qualitativ und quantitativ befragt wurden. Ist das eine der Rahmen für das andere oder wie hängt das miteinander zusammen?
Prof. Ralph Hertwig: Wir haben einen längeren Fragebogen gemacht, in dem wir verschiedene Motive, von denen wir vermutet haben, dass sie eine Rolle spielen bei der Frage nach dem gewollten Nichtwissen oder dem Nichtlesenwollen der Akte. Diesen Fragebogen haben wir gebaut, konstruiert, und der wurde dann tatsächlich an diese 134 Leute verschickt. Es gab davon unabhängig noch eine andere Untersuchung, wo wir Umfrageunternehmen auch beauftragt hatten, und Ziel dabei war, mit repräsentativen Stichproben ein Gespür dafür zu bekommen, wie viele Leute das denn überhaupt sein könnten und wie häufig bestimmte Motive sind. Weil das ist eine Frage, die jetzt mit dem biografischen Interview schwer zu beantworten ist. Beim biografischen Interview - und wir hatten etwa 20, 25 Leute mit dem biografischen Interview untersucht - kann man relativ schwer was über die Häufigkeit dieser Motive aussagen, weil die Stichprobe natürlich viel zu klein ist. Und um auch quantitative Aussagen zu machen, die wir als empirisches Fach machen möchten, mussten wir eben auch verschiedene Formen wählen, um größere Stichproben zu untersuchen. Die beiden wichtigsten Dinge, die wir getan haben, unabhängig des Umfrageunternehmens, war tatsächlich diese Fragebogenstudie mit den 134 Menschen und die biografischen Interviews oder quasi Life-History-Interviews mit etwa 20-25 Leuten. Das waren die zwei Hauptquellen, auf die dann auch diese Publikation hier sich sich beruft.
Dagmar Hovestädt: Kann man das zusammenfassen oder kann man die Liste auflisten? Was ist es denn? Warum wollen Leute bewusst nicht in ihre Stasi-Akte schauen?
Prof. Ralph Hertwig: Es gibt nicht das eine Motiv. Es gibt sehr wohl unterschiedliche Häufigkeiten in diesen Motiven. Aber wenn man die so zusammenbringen möchte, würde ich vier Klassen unterscheiden. Die erste Klasse ist sicher das, was wir auch aus anderen Kontexten kennen, in denen gewolltes Nichtwissen praktiziert wird: Emotionsregulation. Das heißt, bei bestimmtem Wissen habe ich die Antizipation, dass wenn ich das wissen würde, werden auch potenziell sehr viele negative Emotionen ausgelöst. Die antizipiere ich, die nehme ich vorweg. Und ich kann mir dann überlegen: Möchte ich mich mit denen auseinandersetzen? Möchte ich die haben? Möchte ich mit der Wut, dem Hass und der Enttäuschung in Zukunft leben oder nicht? Und dann ist es praktisch eine Güterabwägung, ob ich das denn wissen möchte und mir das zumuten möchte oder nicht. Also, in anderen Worten: Emotionsregulation ist ein ganz großer Punkt. Damit zusammenhängend ein Motiv, das sehr, sehr häufig genannt wurde: Das hat sich ausgedrückt in dem Begriff "Die Akten sind ja gar nicht mehr relevant." Und das war ganz besonders interessant, weil in den Fragebögen kam dieses Relevanzargument. Wir haben dann eigentlich erst durch die Interviews verstanden, was damit gemeint war oder was viele Leute damit zu meinen scheinen. Eine Person hat das ganz besonders gut erklärt. Die hat gesagt: Für mich ist es deswegen nicht mehr relevant, weil ich die Vergangenheit nicht mehr ändern kann. Ich kann die Dinge, die da geschehen sind, nicht mehr ändern. Und das bedeutet eben nicht, dass es nicht mehr relevant ist, dass es unwichtig ist, dass es keine Rolle spielt, bla, sondern das war hoch relevant für die Person. Das konnte man auch an der Emotionalität während des Interviews erkennen und ablesen. Aber die Relevanz beziehungsweise der Begriff der Relevanz bezog sich tatsächlich auf die Nichtveränderbarkeit der Vergangenheit. Und in dem Sinne ist es nicht mehr relevant für mich, weil ich diese Vergangenheit nicht mehr verändern kann. Also, das ist eine Klasse der Phänomene, diese Emotionsregulation. Eine andere Klasse von Motiven waren Dinge, die mit meinem Selbstkonzept zu tun haben. Es gab in den Untersuchungen die eine oder andere Person, die davon gesprochen hat, dass ich als Person überzeugter Bürger der DDR war und ich diese Reduktion der DDR auf die Stasi und die Stasi-Akten so nicht mittragen kann und wenn ich jetzt meine Akte lesen würde, dann würde ich diese Sichtweise, diese reduzierte Sichtweise auf die DDR, teilen. Das möchte ich nicht. Und es gab auch wiederum jetzt in den Interviews-- Also, in dem Sinne war es für mich auch ein totales Lernerlebnis zu sehen, wie aufschlussreich auch diese Interviews sind, mit denen ich vorher nie gearbeitet hatte. Eine Person in den Interviews sprach davon, dass für sie das Nichtlesenwollen der Akte und das Nichtlesen der Akte ein symbolischer Akt des Widerstands sei, des Widerstands gegen diese Sichtweise auf die DDR und die dann insbesondere sich in dieser Stasi-Unterlagen-Behörde verkörpert hat, in den Augen der Person. Was häufig auch angesprochen wurde, ist das große Thema Vertrauen: Wenn ich denn jetzt die Akte lese, wenn ich denn genau erfahre, was da passiert ist und wer da möglicherweise Informationen über mich weitergetragen hat, kann ich denn dann überhaupt noch funktionieren in der Zukunft? Kann ich denn Menschen, insbesondere in meinem engeren Umfeld, überhaupt noch Vertrauen schenken? Das war ein dritter Komplex von Motiven. Und vielleicht der letzte, den ich auch sehr interessant fand - der war auch jetzt deutlich weniger, aber den gab es auch -: Das war, praktisch wie ein Historiker auf die eigene Akte zu gucken und ganz kritisch zu fragen: Kann ich dieser Akte eigentlich vertrauen? Will ich diesem Wahrheitsanspruch, der der Akte zugeschrieben wird, stattgeben oder will ich das gar akzeptieren? Und von Günter Grass, der auch seine Akte lange Zeit nicht sehen wollte, gab es auch die Bemerkung: In diesen Akten stehen möglicherweise Namen drin von Leuten, die mich bespitzelt haben. Aber ich habe keine Ahnung, was die Wahrheit ist. In dem Sinne: Ich weiß nicht, was die Motive waren der Leute, ob die erpresst wurden, gezwungen wurden oder aus welchen anderen Gründen die das gemacht haben. Und ich als Historiker, als Leser meiner eigenen Akte, bin jetzt gezwungen, diese Motive zu interpretieren und das ist eigentlich völlig unmöglich. Und diese sehr kritische Quellenkritik durch den Bürger, durch die Bürgerinnen, war auch gleichfalls ein Motiv, das wir in den Interviews auch gefunden haben.
Dagmar Hovestädt: Wie war das für Sie, Frau Ellerbrock, als Historikerin, diese sehr persönliche Beschäftigung mit den Akten und die Zuneigung oder Abneigung des Wissens, des durchaus komplizierten und vielleicht auch korrumpierten Wissens? Was die Stasi aufgeschrieben hat, ist ja nicht Wahrheit. Das ist das, was die Stasi aus ihren Arbeitszusammenhängen für ihre Arbeit aufgeschrieben hat. Es beschreibt schon einen Teil der Realität und auch manchmal sehr viel Realität, aber längst nicht alles. Aber es ist ja eine ganz neue Dimension, die sich da über so eine historische Quelle legt, wenn man das mit denen, die sie lesen könnten, vergleicht oder in Beziehung setzt.
Prof. Dagmar Ellerbrock: Ja, das ist ein ganz ganz wichtiger Punkt, den wir als HistorikerInnen ja immer mit auf dem Schirm haben: dass wir sehr genau wissen und prüfen, welchen Aussagewert denn eine Quelle überhaupt hat. Und für mich war dieser Punkt nicht so überraschend, weil der ja nicht spezifisch für die Stasi-Akten ist. Also, gerade Geheimdienstakten oder Behördenakten oder auch Kriminalakten sind natürlich immer absolut perspektivgebunden. Das wissen wir. Was für mich eher spannend an diesem Quellenkritik-Aspekt war, war zum einen, zu sehen, welche Menschen diesen Aspekt mitlaufen lassen und aus diesen Überlegungen heraus sich die Akte nicht anschauen. Ralph hat gerade Günter Grass genannt, der sich zum einen über die Quellenkritik äußert, aber zum anderen auch eigene Handlungsmacht damit verbindet, also dass er sagte: Ich will selber die Deutungsmacht über meine Geschichte behalten und auch über meine Freunde und Kontakte und diese Deutungsmacht gebe ich nicht an die Stasi ab. Der zweite Punkt, der für mich sehr spannend war, war zu sehen, was dort disziplinär zwischen uns beiden, zwischen Ralph Hertwig und mir, passiert ist. Denn so wie er es gerade auch dargestellt hat: Das hat, glaube ich, seinen disziplinären Blick noch mal erweitert, indem wir eben das, was Menschen in den quantitativen Umfragen antworten, was sie denken, warum sie sich in einer bestimmten Art und Weise verhalten, was sie denken, warum sie die Akte nicht einsehen, noch mal erweitert und auch vertieft haben durch die Interviews, wo das dann, so wie wir das von Oral-History-Interviews kennen, abgeschichtet ist: dass einerseits die Menschen sagen, was sie denken, warum sie bestimmte Dinge nicht getan haben, man dann aber in dem Interview, indem man es weiter ausfaltet, indem man es kontextualisiert, darstellen kann, dass da eben doch noch andere Motive eine Rolle spielen. Da würde ich sagen, an der Stelle haben wir einen riesigen interdisziplinären Gewinn, weil wir jeweils unsere beiden disziplinären Perspektiven erweitern konnten. Was für mich ein interessanter Punkt war, war in der Tat dieser Aspekt der Emotionsregulierung. Denn wenn wir uns emotionshistorisch diese Wendegeschichte und die DDR-Geschichte anschauen: Das ist eine riesige Forschungslücke. Emotionshistorisch ist die Zeitgeschichte noch nicht gut untersucht und die DDR-Geschichte erst recht nicht. Da können wir zweierlei Dinge sehen: Wir können einerseits sehen - und das ist ja auch eine These, die wir in unserem Aufsatz vertreten -, dass solche Transformationsprozesse immer massive Beschämungsprozesse sind. Also, um von einer Gesellschaft in die andere zu kommen, muss man quasi die Wissensordnung einer Gesellschaft völlig abräumen und eine neue installieren. Das können Sie sich an der Französischen Revolution vergegenwärtigen, das können Sie sich am Übergang NS/Bundesrepublik anschauen, aber eben auch am Übergang DDR/Gesamtdeutschland. Man installiert eine neue Wissensordnung, man hat neue Referenzpunkte, ist immer damit verbunden, dass das, was früher gegolten hat, als nicht mehr okay gesehen wird, als beschämend [gesehen] wird. Und die Menschen, die damit verbunden waren, erleben diese Beschämungserfahrung, die wichtig ist, um diese Transformation überhaupt in Gang zu setzen. Und offensichtlich ist die Praktik der Nichteinsichtnahme eine Strategie, mit diesen Emotionen umzugehen und damit auch historische Wandlungsprozesse individuell abzubremsen oder zu beschleunigen. Und das war für mich ein hochinteressantes Phänomen: dass das quasi so ein Gaspedal ist, indem der Einzelne/die Einzelne sich in diesen Wandlungsprozess einspeist oder nicht einspeist. Damit verbunden ist natürlich auch so eine generationelle Schichtung. Also, wir sehen das - und Sie werden das wahrscheinlich bei Ihren Anträgen auch sehen -, was Lothar Probst da mit der Dritten Generation so schön beschrieben hat: Diese generationelle Schichtung, diese unterschiedliche generationelle Verbindung zur DDR, die sich dann auch in der Einsichtnahme zeigt, dass wir nämlich einen großen Schwerpunkt an Menschen - und da überwiegend Männern - mittleren Alters haben, die ihre Akte nicht sehen wollen. Und Sie werden das jetzt bei den Anträgen sehen - das haben wir in unserem Projekt nicht abgebildet, aber wir können es dann sozusagen aus anderen Quellen einspeisen -, dass wir dann bei der nachgeborenen Generation ein großes Interesse wiederum sehen, die wissen will, wie sich ihre Eltern oder Großeltern in dieser Konstellation verhalten haben, wo wir auch noch mal sehen - das als letzter Punkt, der für mich hoch spannend ist -, dass das kein statisches Phänomen ist, also dass sich das, was man wissen will oder nicht wissen will, sowohl im individuellen Lebenslauf verändert als auch quasi in der gesellschaftlichen Chronologie. Das, was wir vor 20 Jahren wissen wollten und an die Stasi-Akten als Fragen herangetragen haben, ist was anderes als das, was wir heute wissen wollen. Und selbst im Einigungsprozess verändert sich quasi der Status, der Wissen hatte, sehr schnell. Das heißt, wir haben versucht, in unseren Interviews - und wir machen das jetzt auch in der Publikation, die wir gerade schreiben - diese unterschiedlichen Zeitschichten darzustellen und abzuschichten. Wir haben zum Beispiel Interviewpersonen, die sagen: Ich schaue mir jetzt meine Akte nicht an, aber wenn ich pensioniert bin, das heißt, wenn ich in einem anderen Konstellationsumfeld bin, dann möchte ich gerne wissen, wer mich bespitzelt hat, weil dann muss ich mit den Kollegen, die ich verdächtige, nicht mehr zusammenarbeiten. Und auch diese Zeitschichtung ist, glaube ich, eine interdisziplinäre Perspektive, die für die Psychologie auch noch mal wichtig war, weil psychologische Modelle ja sehr häufig präsentische Modelle sind. Und die Historisierung von Entscheidungsprozessen und die Kontextualisierung, also zu verstehen, dass in unterschiedlichen Kontexten zu unterschiedlichen Zeiten Entscheidungsprozesse anders ablaufen, das können wir sehr schön zeigen. Und auch da würde ich sagen, das ist ein interdisziplinärer Gewinn, den wir in ganz unterschiedlicher Form einspielen können.
Dagmar Hovestädt: Mir ist in Reaktion auf das, was Ralph Hertwig gesagt hat, aber auch auf das, was Sie, Frau Ellerbrock, gesagt haben, [etwas] eingefallen, weil es so stark um das eigene Lebensnarrativ geht: Wenn ich die DDR einfach gut finde, sind diese Akten ein Affront und ich will mich dagegen auch schützen, um mein Narrativ nicht zu zerstören. Gleichzeitig hat diese Einrichtung ja auch ein Narrativ - auch Institutionen bilden sich Narrative - und die Einladung zur Akteneinsicht, die Befreiung vom Nichtwissen, was die Stasi aufgeschrieben hat, ist unser Narrativ. Aber das hat natürlich auch mit dem Narrativ derjenigen oder mit dem Verhältnis zur DDR derjenigen zu tun, die den Aktenzugang erkämpft haben, weil für sie war die DDR eben ein repressives System und in die Akten zu schauen, ist die Affirmation und die Bestätigung der negativen Haltung zur DDR. Und für die, die die DDR positiv sehen und weiterhin sehen wollen, ist dann der Aktenzugang eben eine Störung dieses Gleichgewichts, auch zwischen Generationen. Das Schweigen oder Nichtwissenwollen des Vaters ist nicht automatisch das Nichtwissenwollen der Tochter oder des Sohnes. Auch da verschieben sich Dinge. Also, ein Haufen super spannender Fragen, Dinge zu untersuchen, wo man nie hinschaut, weil man sie dann eben auch nicht für etwas Belastbares hält, weil man eben nicht weiß, was es bedeutet, wenn jemand etwas nicht tut. Im Gespräch mit Ihnen ist jetzt eigentlich eine ganz neue Welt für mich aufgegangen. Super spannend!
Prof. Dagmar Ellerbrock: Ja. Und diese Affirmation ist zum Teil auch eine Affirmation - auch das können wir zeigen -, die sich erst ex post, also nach 1989, entwickelt hat. Das sind zum Teil Menschen, die während der DDR gar nicht so DDR-verbunden oder -affin waren, sondern den Prozess dann später wahrnehmen als einen vor allem von westlichen Medien dominierten Prozess und dann reaktiv das sagen, was die Forschung "nachgeholte DDR-Identität" nennt: Nee, jetzt will ich das aber nicht sehen, weil im Westen gibt es diese Erwartungshaltung und gegen die verwehre ich mich. Der historische Prozess ist ja ein anderer. Der historische Prozess ist ja, dass die Relevanz der Einsichtnahme eingangs weniger von westlichen Akteuren formuliert wurde. Westliche Politiker haben grosso modo gesagt: Lasst mal die Akten zu. Da wollte man die rheinische Schmutzwäsche nicht geöffnet haben, sondern das ist von ostdeutschen Bürgerrechtlern erkämpft worden. Das verschiebt sich in den Erinnerungsprozessen einiger Menschen, die nicht eingesehen haben, dann aber in einer ganz neuen Zusammensetzung. Also, das sind Puzzleteile, die immer wieder neu gemischt werden, und je nach Zeitschicht muss man das eben auch jeweils entsprechend darstellen. Und das ist auch eine Fragestellung des Projektes.
Prof. Ralph Hertwig: Vielleicht noch eine Bemerkung zu dem, was Sie, Frau Hovestädt, auch sagten. Wenn wir vorhersagen wollen würden, wer die Akte sehen möchte und wer sie nicht sehen möchte, dann ist die Unmittelbarkeit von massiven Opfererfahrungen ein sehr guter Prädiktor. Wenn da eine Person ist, die an der DDR und unter der DDR und mit der DDR gelitten hat in verschiedener Hinsicht, ob nun bei der Karrierewahl oder auch bei der Frage des Verlassenwollens der DDR, die möglicherweise im Gefängnis war, das Gefühl hatte, dass da auch möglicherweise Leute, denen ich vertraut habe, instrumentell waren in dem, was mir zugestoßen ist, ist es deutlich wahrscheinlicher, dass die Person uns sagen wird: Ich möchte gern wissen, wer da dahinterstand, ich möchte mich gern tatsächlich emanzipieren können, ich möchte mir meine Biografie, die mir ein Stück weit gestohlen wurde, wieder zurückaneignen. Sehr häufig die Art und Weise, wie Roland Jahn den Zweck und auch die Daseinsberechtigung der Behörde erklärt: den Leuten, den Opfern, zu erlauben, sich wieder zu befreien und sich etwas zu nehmen, was ihnen genommen wurde. Das ist, glaube ich, ein ganz wichtiges Motiv. Wenn ich diese massiven Opfererfahrungen nicht habe, dann geraten möglicherweise andere Dinge in den Vordergrund, beispielsweise die Frage: Ich weiß, dass es eine Akte gibt, und es könnte natürlich sein, dass in meiner unmittelbaren Umgebung, vielleicht sogar in meiner Familie, unter den Freunden, jemand sein könnte, der mich verraten hat in einer Art des Framings, in einer Terminologie des Verrats. Und dann ist möglicherweise das die große Bedrohung, die mich dazu bringt, dass ich die Akte nicht sehen möchte. Das ist eine Frage, die mir tatsächlich erst letzte Woche durch den Kopf ging, weil ich mit jemandem, einem ehemaligen Bürger der DDR, gesprochen hatte, der über seine eigene Familie sprach, und zwar über seine Großmutter, die, nachdem sie die Akte gelesen hat, festgestellt hat, dass in dieser Akte ihre besten Freundinnen als informelle Mitarbeiter aufgetaucht sind und dass diese besten Freundinnen auch sehr vertrauliche Informationen an die Stasi weitergegeben haben, und diese Person dann massiv darunter gelitten hat, auch psychisch erkrankte. Was mich sehr interessieren würde und wo ich seit letzter Woche versuche herauszufinden, ob es dazu Untersuchungen und Daten gibt, ist in der Tat die Frage, wie es denn überhaupt ist: ob wir denn irgendwas darüber wissen, wie Menschen auf das Lesen der Akten reagiert haben. In anderen Worten: Was sind denn die Erfahrungen der Mitarbeiter der Stasi-Unterlagen-Behörde? Wie reagieren denn die Leute darauf? Wie gehen die Leute aus diesem Gebäude wieder heraus? Was ist die psychische Reaktion? Was ist möglicherweise auch die Belastungsreaktion? In dem einen Fall sprechen wir davon, dass die Biografie wieder zurückgeholt wird, in dem anderen Fall besteht ja die Gefahr, dass ich meine Biografie an der Stelle verliere, dass sie zusammenbricht, dass sie mir erscheint wie ein Lügengebäude, das in sich zusammenklappt. Das kann ja auch ein hoch dramatisches und emotionales Erlebnis sein. Deswegen die Frage: Mich würde das sehr interessieren, ob denn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stasi-Unterlagen-Behörde damit auch Erfahrungen gesammelt haben.
Dagmar Hovestädt: Das kann ich vielleicht nur anekdotisch beantworten. Es hat 1999 mal eine Untersuchung im Lesesaal gegeben. Da haben ungefähr 1.000 Leute beantwortet, warum sie in die Akte geschaut haben, ob es sich für sie gelohnt hat. Das ist in einem Tätigkeitsbericht aus dem Jahr 2000 nachzulesen. Das ist eigentlich ganz interessant. Es ist das einzige Mal, dass die Behörde selber versucht hat, ein bisschen Datenmaterial zu schaffen. Ansonsten bleibt das alles relativ in dem Raum, in dem die Akteneinsicht passiert. Jeder einzelne Mitarbeitende hat natürlich eine Erfahrung, hat ein bisschen Vorerfahrung, sammelt Erfahrungen. Ich hatte neulich im Podcast ein Gespräch mit einer Frau, die die Akte ihrer Mutter nachgelesen hat. Da hat unsere Mitarbeiterin gesagt: Wenn es gerade eine sehr junge Kollegin, ein junger Kollege ist, der frisch dabei ist, gebe ich dem keinen komplexen Fall, wo jemand erkennen muss, dass vielleicht der Vater die Mutter verraten hat und da eine ganze Welt zusammenbricht, damit der das einfach ein bisschen abfangen kann. Aber wir beanspruchen keine psychologische Betreuung. Das können wir auch nicht leisten. Dafür sind zum Beispiel die Landesbeauftragten da oder auch so eine Organisation wie "Gegenwind". Da kann man sicherlich eine Menge von Erfahrungen abholen. Oft sind dort natürlich doch sehr viel traumatisiertere Erfahrungen mit der Repression vertreten als das vielleicht Alltäglichere wie "Ich durfte nicht zur Uni gehen, deswegen konnte ich nicht Arzt werden. Das hat mich gefrustet, aber dann bin ich ausgereist und alles war gut.", also jemand, der mit der DDR-Erfahrung resilienter umgegangen ist. Das ist alles nirgendwo in dem Sinne abgeholt oder festgelegt. Man kann noch mal versuchen, das systematisch zu untersuchen, aber ich glaube, wir haben den Prozess institutionell auch nicht so wahnsinnig erforscht, damit er einfach ein Stück weit eine freie Entscheidung ist. Auch wenn man das politisch als Institution so wahrnimmt, ist es die Entscheidung des Einzelnen zu sagen: Ich gucke in die Akte rein. Wir haben das auch nicht durch Quotierung oder Erfolgsmeldungen-- Wir haben zwar immer gesagt, wie viele Leute in diesem Jahr reingeschaut haben, um damit indirekt zu sagen: Für dich auch eine Option. Aber wir haben es nicht in dem Sinne systematisch erforscht oder uns damit tief auseinandergesetzt. Also, in der Institutionsgeschichte ist das nicht so vorhanden.
Maximilian Schönherr: Anekdotisch ist es ja so - auch in früheren Podcasts habe ich das immer wieder mal festgestellt -: Wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in dem Archiv einem Menschen, der Akteneinsicht haben möchte, eine Akte präsentieren und die haben ein Kaliber an Informationen da drin, müssen die natürlich alles vorher lesen, auch, um die Schwärzungen vorzunehmen und so weiter. Dann gibt es ab und an - wahrscheinlich nicht sehr selten, aber es ist eben nur anekdotisch -, die Ansprache an den Auskunftssuchenden: Vorsicht, wenn du diese Akte jetzt in den Lesesaal nimmst, dann könnte ab der Mitte wirklich für dich eine Welt zusammenbrechen. Überlege es dir wirklich genau. Ich kann Ihnen das jetzt nicht deutlich sagen. Sie haben die Akte ordentlich beantragt und hier ist sie ordentlich, aber ich gebe Ihnen diese Warnung mit auf den Weg. Und das Zweite, das mir dazu einfällt, ist: Es gibt immer wieder Leute, die Akteneinsicht machen, die gucken sich ihre Akten an und bekommen dann die Frage aus dem Archiv: Darüber haben wir auch noch einen O-Ton. Das heißt, sie können ihren Großvater, den Spitzel, im O-Ton hören. Meine Statistik ist minimal, aber die haben alle gesagt: Den O-Ton wollen wir nicht hören, wir wissen, das wird uns zu intensiv, uns reicht es schon, das zu lesen.
Dagmar Hovestädt: Aus der Erfahrung vielleicht - ich habe ja auch lange die Pressearbeit mitbetreut -: Journalisten würden das unglaublich gerne machen, den Originalmoment des ersten Blickens in die Akte und da steht es jetzt schwarz auf weiß und die Tränen fließen und ich bin dabei mit der Kamera. Da haben die Kollegen immer gesagt: Das geht nicht, das kannst du gern beim zweiten Mal machen, aber ihr könnt nicht mit reinkommen. Es ist unkalkulierbar, was in dem Moment passiert. Ich sage mal, ich erkenne die Schwere des Verrats des Vaters an der Mutter - das ist alles vorgekommen -, aber ich weiß ja gar nicht, in welcher Verfassung der Mensch kommt, in welcher Lebenssituation er heute ist und was es bedeutet, das schwarz auf weiß von der Stasi auf Papier Aufgeschriebene zu lesen. Und diesen Moment möglichst ruhig und unbelastet und ohne ein voyeuristisches Element zu gestalten, das ist den Leuten wichtig. Da entsteht auch ein gewisser Ethos, eine Ethik, eine Art, wie ich damit umgehen will in diesem Aktenzugang, weil man genau weiß, wie intensiv man in die eigene Lebensgeschichte eingreift, weil die Stasi so intensiv in die eigenen Lebensgeschichten der Menschen eingegriffen hat.
Prof. Dagmar Ellerbrock: Also, ich finde, das ist ein ganz wichtiger Punkt, weil wir in der Tat auch Anfragen zum Projekt kriegen, wo Journalisten dann Ideen haben und sagen: Sie haben doch diese vielen Menschen, die ihre Akten nicht eingesehen haben. Können Sie da nicht mal einen anrufen und wir gehen mit dem gemeinsam ins Archiv und filmen das ab? Da merke ich dann, wie mein Adrenalinspiegel steigt, weil es natürlich zutiefst voyeuristisch ist, weil es absolut würdelos ist, und ich diese Interviews rundweg ablehne und in solchem Setting auch mit den Journalistinnen und Journalisten nicht spreche, dann meistens direkt anrufe [belustigt] und mich aufrege, dass man so etwas nicht machen kann. Gleichwohl ist natürlich die Konstellation der Akteneinsichtnahme auch insofern noch mal komplizierter, als dass - Sie haben eben darauf hingewiesen - der Mitarbeiter/die Mitarbeiterin der Stasi-Unterlagen-Behörde ja die gesamte Akte kennt. Das heißt, der- oder diejenige, die Einsicht nehmen will, ist wieder in so einem hierarchischen Verhältnis: Ich trete jemandem gegenüber, der Intimitäten aus meinem Leben und aus meiner Familiengeschichte weiß. Das ist ja an sich schon eine schwierige Konstellation. Das heißt, auch das ist etwas, womit man sich konfrontiert, wenn man diese Akten einsehen möchte. Das heißt, es ist partiell eben auch eine Wiederholung von strukturellen Gewalterfahrungen, die problematisch ist, und die partiell natürlich auch von Bürgern und Bürgerinnen reflektiert wird, die sagen: Wir wollen uns dieser Situation nicht aussetzen. Gleichzeitig würde ich noch mal das sehr sehr unterstreichen wollen, was Ralph Hertwig vorhin gesagt hat: Wir bestätigen mit unserem Projekt, dass Traumatisierungserfahrungen und Gewalterfahrungen - nicht unbedingt im Opfernarrativrahmen - Faktoren sind, bei denen eine Akteneinsicht notwendig und wichtig ist für die Betroffenen. Und das bestätigt auch noch mal die politische Entscheidung und die historische Entscheidung dieser Aktenöffnung. Sie ist für ganz viele Leute wichtig für Restitution, für Versöhnung, um weiter mit ihrem Leben fortfahren zu können. Das bestätigt unser Projekt, weil die Aspekte Gewalterfahrungen und Traumatisierung sind ganz wichtige Aspekte. Gleichzeitig sehen wir eben - das kann man zum Beispiel schön bei Vera Lengsfeld, ehemals Vera Wollenberger nachlesen -, dass jede Lektüre dieser Akten, auch wenn sie am Ende hilft, Dinge zu klären, und befreiend wirkt, immer auch unfassbar schmerzhaft ist. Also, dieser Prozess der Aktenlektüre ist immer mit Schmerzen verbunden, ist immer mit schwierigen Emotionen verbunden, auch für die Leute oder [betont: gerade] für die Leute, die sagen: Ich will es unbedingt lesen. Das ist, denke ich, in der öffentlichen Diskussion partiell unterbelichtet gewesen: dass wir das einerseits feiern als großen Aufklärungserfolg, andererseits diejenigen, die diese Aufklärung wollen und für die sie wichtig ist, die Kosten und die Schmerzen tragen müssen. Wir haben eben einfach diese doch sehr verschränkte und schwierige Geschichte, mit der wir uns in unterschiedlichen Formen auseinandersetzen müssen. Und das ist bei einer Einsichtnahme, die wir alle haben wollen, immer auch mit Kosten und Schmerzen und Anstrengung verbunden.
Dagmar Hovestädt: Jetzt haben Sie das eben schon gesagt: Es wird eine Buchpublikation zu der Studie geben. Kann man sagen, wann sie herauskommt? Und vielleicht abschließend: Was heißt das für Ihre Forschung, Frau Ellerbrock, und für Ihre Forschung, Herr Hertwig? Ist das der Anfang eines größeren nächsten Feldes, mit dem Sie sich beschäftigen, oder war das jetzt erst mal interessant, wird in dem Buch festgehalten und dann schauen Sie mal, weil es noch ein paar andere Dinge gibt, die Sie weiter interessieren?
Prof. Dagmar Ellerbrock: Na ja, wir haben natürlich alle immer viele Dinge, die uns interessieren, wobei ich schon sagen würde, dass für mich als Historikerin dieses Verständnis von Transformations- und Erinnerungsprozessen ein sehr wichtiges ist. Und was wir durch unsere Forschung und unsere Studie zeigen können, ist, dass sowohl Nichtwissen als auch Wissen immer gleichzeitig Teil von Veränderungs- und Erinnerungsprozessen sind. Das kann man in allen historischen Epochen nachweisen. Insofern denken wir, dass das, was wir argumentieren, eine Relevanz dafür hat, wie wir über Erinnerungen und über den Umgang mit gewaltsamen Vergangenheiten nachdenken. Wir sehen ja in Deutschland im Moment: Wir fangen jetzt an, unsere koloniale Erinnerung reinzuholen in diese Erinnerungskultur. Auch da sehen wir, dass wir offensichtlich ein noch sehr viel komplexeres Verhältnis haben von den Dingen, die wir erinnern, den Dingen, die wir verdrängt haben, und den Dingen, die wir gar nicht wissen wollten. Und der zweite Bereich, in dem wir, glaube ich, etwas vorlegen können, was dann zukünftige Forschung und auch unser eigenes zukünftiges Nachdenken über Prozesse relevant macht, ist dieses Zusammenspiel von gesellschaftlich-kollektiver Ebene und individueller Ebene, also dass wir diese Anregung, die wir eben auch aus unterschiedlichen Disziplinen haben, nutzen können - und die kann man sich ja in ganz unterschiedlichen Konstellationen vorstellen - und dass man Modelle der anderen Disziplinen eben hernimmt, um bestimmte Sachverhalte zu erklären und umgekehrt auch noch mal neu zu perspektivieren, was andere Disziplinen an Ergebnissen vorgelegt haben. Also, ich denke, dieses Buch, an dem wir momentan schreiben, ist der Abschluss unserer Stasi-Studie, aber hat darüber hinausgehend hoffentlich eine sehr viel größere Wirkung und Bedeutung dafür, wie wir über Erinnerung nachdenken, dafür, wie wir über Wissens- und Entscheidungsprozesse nachdenken, und auch dafür, wie wir darüber nachdenken, wie Individuen und Gesellschaften miteinander interagieren.
Prof. Ralph Hertwig: Ich sehe das auch so, dass das Stasi-Projekt mit diesem Buch jetzt erst mal zum Ende kommt. Ich bin kein Forscher der Stasi und es gibt ein Leben nach der Stasi und nach der Stasi-Akte. Gott sei Dank! Aber was wir, auch jetzt beim Schreiben dieses Buchs, immer wieder merken, ist, dass die Geschichte der Stasi-Akten, die psychologische Reaktion auf die Stasi-Akte, so viele unterschiedliche Aspekte hat, dass ständig neue Fragen auftauchen. Es tauchen eigentlich mehr neue Fragen als Antworten auf. Wir hatten vor ein paar Tagen eine lange Diskussion darüber, was eigentlich in den Köpfen der häufig Staatsmänner vorging, als die öffentlich das Argument gebracht haben, dass diese ganzen Stasi-Akten verbrannt oder die Toilette heruntergespült gehören. Was waren genau die Motive, was hat die dazu bewogen und wie waren diese Motive informiert durch ihre eigene Biografie und ihre Erfahrungen des Übergangs aus dem Dritten Reich nach Westdeutschland? Das ist, soweit wir das beurteilen können, auch eine Frage, die im Wesentlichen unbeantwortet ist. Der Artikel ist in Englisch erschienen und wir hoffen, dass das Buch sowohl auf Deutsch wie auch auf Englisch erscheinen kann. Der Artikel hat durchaus auch internationale Reaktionen hervorgerufen und Interesse geweckt. Es gab auch einen längeren Artikel im "Guardian". Das heißt, dass die Frage, um die es hier eigentlich geht, nämlich wie wir mit unserer schwierigen Vergangenheit umgehen, wie wir die rekonstruieren, was wir davon wissen wollen und was nicht und welchen Einfluss das auch auf unseren gegenwärtigen Zustand der Demokratie hat, in vielen Ländern hoch relevant ist. Es gibt viele Gesellschaften, die sich in diesem Übergangsprozess befinden, selbst in Europa, wenn Sie über die osteuropäischen Staaten oder über Spanien nach Franco oder Portugal nach der Militärjunta oder die südamerikanischen Militärdiktaturen oder Irland nach dem Bürgerkrieg zwischen den Religionsgruppen nachdenken. Die Frage "Wie organisiere ich eigentlich Wissenskulturen, um diesen Übergangsprozess möglichst erfolgreich organisieren zu können?" ist eine hoch relevante, auch international relevante Frage. Und das eigentlich Spannende an diesem Projekt war, dass wir am Ende mehr offene Fragen als Antworten haben. Das ist immer ein gutes Zeichen für ein spannendes Forschungsprojekt.
Dagmar Hovestädt: Das würde ich auch so sehen. Vielen Dank für die Einblicke! Hoch spannend und einen Schritt weitergegangen, aber viel viel viel mehr Fragen aufgeworfen. Das finde ich auch ein super tolles Zeichen.
[Jingle]
Maximilian Schönherr: Das waren Prof. Dr. Dagmar Ellerbrock, Inhaberin des Lehrstuhls für Neuere und Neueste Geschichte an der Technischen Universität Dresden, und Professor Dr. Ralph Hertwig, Direktor des Forschungsbereichs Adaptive Rationalität am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. Sie erläuterten die Forschungen über ihr Projekt zum gewollten Nichtwissen über das, was die Stasi-Akten über die Vergangenheit in der DDR offenbaren.
Dagmar Hovestädt: Bevor wir nun zu unserem üblichen Abschluss kommen, der Audio-Begegnung mit dem Archiv, eine kleine Ankündigung in eigener Sache: Es ist Zeit für eine kreative Pause. Du, Maximilian, und ich haben es tatsächlich geschafft, 76 Folgen des Podcasts "111 Kilometer Akten" in zweieinhalb Jahren zu produzieren. Wer hätte das gedacht? Ich würde mal sagen, deine Ursprungsidee, dass in dem Archiv viel Stoff steckt, über den es sich zu sprechen lohnt, ist voll aufgegangen.
Maximilian Schönherr: So richtig überrascht hat es mich nicht, aber dann doch, wie wir es relativ entspannt geschafft haben, alle zwei Wochen immer wieder ein neues Thema auszugraben und umzusetzen und auch dabei zusammenzuarbeiten. Wir sind ja in völlig verschiedenen Positionen, du und ich. Ganz allein war ich dabei außerdem nicht, denn - das können wir an der Stelle auch mal sagen - es gibt Leute, die die Transkripte angefertigt haben und so weiter, und natürlich die Hörerinnen und Hörer, die sich für das Thema in diesem Podcast interessieren. Wir hatten inzwischen weit über 240.000 Plays, also Abspielungen, aller Folgen. Das hätte ich tatsächlich nicht gedacht. Die Pause nach dieser 76. Folge des offiziellen Podcasts des Stasi-Unterlagen-Archivs hängt übrigens nicht mit einer Themensättigung zusammen. Die Stasi-Geschichte ist mit der DDR-Geschichte so stark verwoben, dass wir von hochpolitischen bis zu sehr privaten Themen noch eine Vielzahl an Dingen nicht im Podcast hatten. Wir gönnen uns einfach eine Pause.
Dagmar Hovestädt: [belustigt: Ja.] Und ich war jedenfalls sehr beeindruckt über die vielen Begegnungen und die vielen so unterschiedlichen Sichtweisen zum Archiv und dann auch den Austausch mit den Stasi-Unterlagen, der sehr unterschiedlich und sehr vielschichtig war. Jetzt - wie jedes Mal - endet der Podcast mit einer akustischen Begegnung mit dem riesigen Audio-Pool des Stasi-Unterlagen-Archivs, wie immer ohne inhaltlichen Zusammenhang zu dem, was wir vorher besprochen haben.
[Tonspulen]
Elke Steinbach: Mein Name ist Elke Steinbach und ich kümmere mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen um die Audioüberlieferung des MfS. Bei Vorführungen im Audio-Bereich weisen wir auf die besondere emotionale Qualität der Töne hin, so zum Beispiel bei Urteilsverkündungen in Prozessen oder bei Vernehmungen. Wie die Reaktion auf ein Todesurteil war, wie Mielke eine Rede gehalten hat oder wie beim Treffen miteinander geredet wurde, erfährt man vom Ton oder im Film, nur in seltenen Fällen aus den Schriftstücken einer Akte. Diese Erkenntnis hatten auch und vor allem die Mitarbeiter der Hauptabteilung IX, der Untersuchungsabteilung des MfS. In einem Vortrag zum Thema Effektive Beweisführung versuchen sie ihre Kollegen für Atmosphärisches und die Besonderheit von Gesprächssituationen zu sensibilisieren. Die erwähnte 26, die in der Maßnahme B die Berichte schreibt, ist die Abteilung 26, unter anderem zuständig für die Raum- und Telefonüberwachung und deren Verschriftlichung. Das akustische Ergebnis dieser Arbeit im Audio-Bestand ist eine große Zahl von Tonträgern mit Telefon- und Raumüberwachung sowie den erwähnten Treffmitschnitten von Führungsoffizier und inoffiziellem Mitarbeiter, dem IM. Von 185 Minuten hören wir dreieinhalb.
[Archivton Beginn]
[Sprecher:] Ach so, die Atmosphäre der Zusammenarbeit ist auch so'n Problem. [Räuspern im Hintergrund] Ja? Oftmals taucht uns auf: Der berichtet nicht über dies und das. Wenn man enne [eine] Maßnahme in 'nem Treff mitgeschnitten hat beispielsweise und man kann aus diesem Treffmitschnitt diese Atmosphäre, wie der Mitarbeiter mit dem IM zusammenarbeitet, selbst einschätzen, merkt man oftmals, dass das Verhältnis - oder manchmal - dass das Verhältnis so geprägt ist, dass man nach bestimmten Details nicht fragt, sich so 'ne Art selbst- äh - äh - äh - verständlicher Umgang herausgebildet hat, manchmal wird - äh äh - durch lang-- langjährige Zusammenarbeit gegeben und dann bleibt das Argument [unverständlich]: Ich hab euch das deswegen nicht gesagt, weil das aufgrund 'ner ganz anderen als unbedeutend eingeschätzt und och nich jefracht worden ist danach. Es hat tatsächlich solche Dinger schon gegeben. Ja? Man muss also an alles denken. Ja? Deswegen sage ich das mit. Und - äh - und öfter ist der-- Wir waren immer auf des Lebens bunter Bühne. Ja? Es ist nichts unmöglich, was nicht [stark betont: irgendwo] im dümmsten Zusammenhang schon mal 'ne Rolle gespielt hat und uns eigentlich geholfen hat, Dinge zu klären. Maßnahme B: Hier ist ganz wichtich, die Gesprächssituation für bestimmte Äußerungen zu beurteilen und sich diese Beurteilungsmöglichkeiten zu erhalten. Een [ein] Grundproblem ist Folgendes: Was uns dann immer wieder auftaucht und Een [ein] ernstes Hindernis oftmals ist: De [die] 26 schreibt die Berichte zu den Gesprächsabläufen. Die Berichte schreibt natürlich een [ein] Genosse. Natürlich, der kann och dann nichts dazu, der den Sachverhalt des Vorgangs nicht kennt. Er beurteilt also das, was er rausschreibt, nach seinen Kriterien, wo er meint beziehungsweise wo wir ihn-- wo wir in der Lage waren, ihm in allgemeiner Form etwas vorzugeben an Instruierungen und nach-- je nachdem, wie er das beurteilt, schreibt der uns das dann raus. Hier sind also bestimmte Dinge enthalten, die uns oftmals - die sind zusammengefasst, die Berichte - die reale Situation gar nicht mehr wiedergeben können. Man muss also, wenn es um vorgangsbedeutende Dinge geht, unbedingt unserer Meinung nach darauf bestehen, die wortwörtliche Abschrift beziehungsweise das Band sich selbst anzuhören. Es geht ohne dem nicht. Es gibt Legionen von Beispielen, wo Missdeutungen reingekommen sind. In 'nem Fall, da gab's, da gab's 'ne Sache: Der hat gesprochen vom MAD. Das ist der Militärische Abschirmdienst. Hier ist-- Die Sache ist klar. [unverständlich] kann man so sagen: Na bitte schön, Genossen, wir wollen das Gespräch haben. Dort gab's een [ein] Gespräch über Medizin und so weiter und dann fiel der Begriff MAD. Dann ha'm wa jesacht: Das kann doch wohl nicht recht zusammengehören. Es war auch schlecht zu hören. Dann ha'm wa den OTS eingeschalten, die ha'm 'ne Stimmanalyse und das jemacht. Es hieß M [betont: H] D und das war vom Malteser Hilfsdienst und das passte zu dem Gespräch mit der Medizin vorher.
[Archivton Ende]
[Tonspulen]
[Jingle]
Sprecher: Sie hörten:
Sprecherin: "111 Kilometer Akten
Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."
Studie: Die ungelesenen Stasi-Akten
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