
Publikation "Hauptverwaltung A (HV A)"
Im Zentrum der Publikation zur Hauptverwaltung A (HV A) steht die Rekonstruktion von Aufgaben, Strukturen und Quellen sowie die informationsbeschaffende Tätigkeit der Diensteinheit.
MehrDagmar Hovestädt (links) mit Gunter Lange und Daniela Münkel, Quelle: Stasi-Unterlagen-Archiv
Am 26. Juni 1981 wurde das letzte Todesurteil der DDR vollstreckt. Werner Teske, 41 Jahre, Hauptmann des Ministeriums für Staatssicherheit, Hinrichtung durch Nahschuss. Warum endete die vielversprechende Karriere des jungen Wirtschaftswissenschaftlers in der Todeszelle? Autor Gunter Lange diskutiert die Lebensgeschichte von Teske mit der Historikerin Daniela Münkel, Leiterin der Forschung im Stasi-Unterlagen-Archiv im Bundesarchiv.
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Sprecherin: "111 Kilometer Akten - [Ausschnitt einer Rede von Erich Mielke: ..ist für die Interessen der Arbeiterklasse!] - der offizielle Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs".
Maximillian Schönherr: Willkommen zu einer neuen Folge unseres Podcasts. Ich bin Maximilian Schönherr. Ich komme von dem Archiv-Radio hierher und habe immer wieder im Stasi-Unterlagen-Archiv recherchiert und mein Gegenüber, und zwar erstmals seit eineinhalb Jahren physisch gegenüber und nicht über eine Schaltkonferenz, ist Dagmar Hovestädt. Seit neuestem leitet sie die Abteilung Kommunikation und Wissen im Stasi-Unterlagen-Archiv, welches im Bundesarchiv ist.
Dagmar Hovestädt: Genau, heute geht es um den letzten Menschen, der in der DDR zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde. Dieser Mensch heißt Werner Teske und seine Hinrichtung am 26. Juni 1981 ist in diesem Jahr, also in 2021, 40 Jahre her. Das ausgerechnet ein Stasi-Offizier mit dieser drastischen Strafe belegt wurde, ist ein denkwürdiges Schlußkapitel. Wusstest du eigentlich, dass die DDR die Todesstrafe im Strafkatalog hatte?
Maximillian Schönherr: Klar. [schmunzelt] Ich habe für das Archiv Radio und den WDR schon einigemal darüber berichtet und bei denen durchs Archiv-Radio und den Medienpool des Stasi-Unterlagen-Archivs bekanntgewordenen Strafprozessen gegen Leute wie Elli Barczatis, Karl Laurenz, Otto Fleischer oder Walter Praedel, denen wir in Folge 34 unseres Podcasts behandelt haben, ging es immer um Tod oder Leben. Und ich habe kürzlich das sehr umfangreiche Buch von Richard J. Evans gelesen. Es heißt "Rituale der Vergeltung - die Todesstrafe in der deutschen Geschichte von 1532 bis 1987". Und Evans räumt unter anderem mit dem Mythos auf, dass nach dem Zweiten Weltkrieg Hinrichtungsruhe eintrat und die Bundesrepublik ganz selbstverständlich auf eine Rechtsbasis ohne Todesstrafe gestellt wurde - ist falsch - denn es wimmelte von Hinrichtungen nach Kriegsende bis 1949. Und es war ausgerechnet die extreme Rechte in der Kommission zur Erstellung des Grundgesetzes, die die Todesstrafe ablehnte. Die und nicht die FDP waren das Zünglein an der Waage zwischen CDU pro Todesstrafe und SPD gegen Todesstrafe. So wurde im Grundgesetz die Todesstrafe abgeschafft. In Westberlin und Westdeutschland wurde seit 1949 niemand mehr hingerichtet.
Dagmar Hovestädt: Was hatte denn ausgerechnet die politische Rechte, die nun wirklich auf Law and Order beharrte gegen die Todesstrafe?
Maximillian Schönherr: Also da hab ich auch mehrfach nachlesen müssen in diesem Evans Buch. Die Rechten trauerten dem Naziregime nach, Teile der FDP damals natürlich auch und sie fanden, dass zu viele Hinrichtungen von Nazi-Verbrechern stattfanden. Vermutlich wollten sie auch vermeiden, dass Menschen aus ihrem Umfeld diese Strafe bekamen. Die Hinrichtungstechnik hat sich in der DDR von der Guillotine zum unerwarteten Nahschuss, also dem Schuss von hinten in den Kopf, entwickelt. So wurde auch Werner Teske 1981 hingerichtet, um den es heute geht. Was ich gerade nicht auf dem Schirm habe, ist, ob die DDR die Todesstrafe in ihren letzten Jahren nicht nur nicht mehr vollstreckt, sondern tatsächlich abgeschafft hat.
Dagmar Hovestädt: Das ist tatsächlich wirklich so, dass sie sie abgeschafft hat. Aber dann erst im Juli 1987 durch einen Staatsratsbeschluss, der dann in der Nachrichtensendung "Aktuelle Kamera" des DDR-Fernsehens verkündet wurde. Also es ist ungefähr zwei Jahre vor dem Mauerfall und es war ein ziemlich bewusstes Timing damals, 1989, das war nämlich genau zwei Monate vor dem Staatsbesuch von Erich Honecker in der Bundesrepublik, der September 87 war. Und ich glaube, man wollte das als politisches Vehikel abräumen. Das war ja in der Konkurrenz zwischen den beiden Deutschlands in dem Sinne ein Makel aus westlicher Sicht, dass die DDR noch die Todesstrafe hatte. Und das kann ich aber auch nicht so ganz genau nachvollziehen. Ob es dazu Dokumente gibt, das hab ich noch nie gelesen, also das mit Quellen belegen kann, aber sie haben sehr deutlich die Abschaffung der Todesstrafe zwei Monate vor diesem Staatsbesuch gefeiert und dann ist sie formal im Dezember auch durch einen Volkskammerseschluss wirklich aus dem Strafrechtskatalog getilgt worden. Also Ende 1987, zwei Jahre vor Mauerfall.
Maximillian Schönherr: 1987. Wenn ich mir das so recht überlege, passt auch zum Untertitel des Buches von Evans, da heißt es ja "Die Todesstrafe in der deutschen Geschichte - 1932 bis 1987", das ist also-, dieses Buches hat was sehr Offizielles, jeder zweite Satz hat eine Quelle, eine Fußnote. Jetzt aber zu Werner Teske: In unsere Folge sprechen wir ziemlich ausführlich über seinen Lebenslauf und dann auch die Umstände, die zu dem scharfen Urteil geführt haben, sowie über das, was dann im vereinten Deutschland mit diesem Todesurteil geschah. Gibt es noch etwas, was wir vorher erläutern sollten?
Dagmar Hovestädt: Ich glaube nicht wirklich. Vielleicht ein kurzer Hinweis zu dem Wort Intershop, das taucht zwischendrin mal auf. Teske hat im Laufe seines seines beruflichen Lebens bei der Stasi eine Art Vorliebe für westliche Waren entwickelt, die in der DDR aber nicht so leicht zu bekommen waren. Und der Intershop, das ist eine staatlich organisierte Ladenkette gewesen, mit der-, in der man diese westlichen Waren aber eben auch nur gegen westliche Devisen einkaufen konnte. Und der Besitz von westlichen Devisen von D-Mark oder Dollar oder britischen Pfund war den normalen Bürgern und Menschen in der DDR bis 1974 sogar verboten gewesen.
Maximillian Schönherr: Über Werner Teske gab es schon einen Hörfunk-Feature und einen Spielfilm, weil der Fall so bizarr ist. Und weil es die letzte Hinrichtung in der DDR war. Es ist kein Wunder. Wir aber haben ein besonderes Privileg, nämlich das Gespräch mit dem Historiker und übrigens auch Gewerkschaftler Gunter Lange, dessen Dokumentation des Falls Teske jetzt als Buch erschienen ist. Das Buch basiert zu fast 100 prozent auf Studien der Stasi-Akten, würde ich mal sagen. Es trägt den Titel "Der Nahschuss - Leben und Hinrichtung des Stasi-Offizier Werner Teske". Dazu kommt Professor Dr. Daniela Münkel, Historikerin und Leiterin der Forschung im Stasi-Unterlagen Archiv. Die war auch bei uns schon mal im Podcast über operative Psychologie, was auch ein kurzes Thema wird in diesem Podcast heute. Vielleicht sollten wir noch erwähnen, dass das Gespräch draußen stattgefunden hat und daher ein freundliches Vogelzwitschern zu hören ist, sowie hier und da entferntere Geräusche von paar Skateboardfahrern. Das hast du mir jetzt erzählt, Ich war natürlich nicht dabei, aber du warst es - wie viele?
Dagmar Hovestädt: Das waren glaub ich drei, vier Jungs, die da irgendwo im Hintergrund ein paar Tricks geübt haben für eine Weile und das hat in dem Innenhof vom Stasi-Gelände, der das ja auch an einem Abend, sodass da draußen gemacht haben, nicht so sehr voll ist, ganz schön gehallt. Deswegen hilft es vielleicht zu verstehen, wo diese knackende Geräusche herkommen.
Maximillian Schönherr: Unter Mielke hätten sie dann nicht Skateboard fahren dürfen.
Dagmar Hovestädt: Das kann man wirklich gut so sagen.
Maximillian Schönherr: Ein ganz schlechter Witz. Es geht los mit Gunther Lange.
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Gunther Lange: Wer war Werner Teske? Werner Teske stammte aus einer Arbeiterfamilie hier im Bezirk Lichtenberg. Die Eltern, Anfang des Jahrhunderts geboren, also noch zur Kaiserzeit. Der Vater Stahlbauschlosser, die Mutter Fabrikarbeiterin und Werner Teske wird im April 1942 hier in Berlin geboren. Er verbringt die Kindheit hier nur ein paar Querstraßen weiter in der Hendrich-, am Hendrichplatz. Eine Wohnung, die ihn sozusagen die ganze folgende Lebenszeit eigentlich begleitet. Werner Teske war ein guter Schüler. Ihm ist es gelungen, von der achten Schulklasse dann überzuwechseln auf die Oberschule mit dem Ziel, das Abitur zu machen. Er war sehr lerneifrig, wissbegierig und engagierte sich auch im Schulunterricht sehr, sehr stark. Während seiner Schulzeit - daraus entwickelt sich dann auch ein Konflikt mit dem Elternhaus - schließt er sich gegen den Willen der Eltern, den Jungen Pionieren an und später auch der Freien Deutschen Jugend, der FDJ. Und er ist nicht nur Mitglied, sondern er beteiligt sich auch an den Aktivitäten der FDJ. In den Jahren 1959 und 60, also kurz vor dem Mauerbau sogar an FDJ-Aktionen im Westteil Berlins. Sehr zum Ärger natürlich der Eltern. Das Elternhaus empfand er immer etwas als gefühlskalt, was ich allerdings auf die Zeitumstände zurückführen. Man muss sich das vorstellen. Er wächst in den vierziger und fünfziger Jahren in Berlin auf und die Eltern sind natürlich dann auch sehr stark involviert den Lebensstandard einigermaßen abzusichern. Und natürlich kommen die Kinder dann im Vergleich zu heute wesentlich kürzer weg.
Dagmar Hovestädt: Intensive Aufbauphase der DDR, ja auch durchaus Mangel an Konsumgütern. Es gibt dann das Jahr 53 den Arbeiteraufstand, da ist er noch ein Kind. Viele, viele Dinge, die das leben, ist ein schwieriger machen. Aber er ist jemand, der eigentlich die Chancen eines Arbeiterkind in der DDR, wenn man das so ideologisch erzählen möchte, ganz gut nutzen kann und es gelingt ihm tatsächlich auch zu studieren.
Gunther Lange: Mit einer guten Abiturnote beginnt er 1960 an der Humboldt-Universität Wirtschaftswissenschaften zu studieren und sein Schwerpunkt liegt dann auf Theorien und Methoden des Staatshaushalts. Ich glaube, er war in diesem Metier sehr gut präsent durch mathematisch und analytisches Denken. Er macht seinen ersten Abschluss, seinen Diplomabschluss 1964. Und ihm wird geraten, an der Universität zu bleiben. Er steigt innerhalb des Instituts beruflich auf, kommt sogar in die Geschäftsführung des Instituts. Und er beabsichtigt auch in Wirtschaftswissenschaften dann zu promovieren. Durch sein Engagement bei der FDJ, in der Schule wie auch später an der Hochschule wird er natürlich dann auch für die Partei für die SED interessant. Die Institutsleitung motiviert ihn mit der Begründung, er passt politisch also auch in diese Partei. Er wird zuerst Kandidat 1965 und Parteimitglied 1966. Damit hat er eine einen Status erreicht, der ihn für das Ministerium für Staatssicherheit natürlich interessant macht. Er ist ein hochbegabter Wirtschaftswissenschaftler. Er liegt auf der Parteilinie. Er ist sehr engagiert. In der Hochschule bewährt er sich insbesondere durch seine methodisch didaktischen Fähigkeiten. Er kann also auch Leute oder seine seine Studierenden, Mitstudierenden motivieren. Und ja, das führt ihn sozusagen in das Visier der Staatssicherheit.
Dagmar Hovestädt: Das heißt, die Stasi ist immer auf der Suche - Daniela Münkel - nach Nachwuchskräften vielleicht. Hier haben wir späte 60er Jahre an der Humboldt-Universität in Berlin einen jungen Mann, der sich doch sehr stark dem Sozialismus öffnet und vielleicht sogar eine ganz brilliante akademische Karriere hat. Die Stasi greift auf ihn zu und gewinnt ihn zum IM. Und das macht dann eigentlich gleich auch die HVA. Wie kommt es dazu, dass es ausgerechnet der Auslandsspionagedienst ist, der sich an den jungen Werner Teske an der Uni heran macht?
Daniela Münkel: Ja, Teske ist natürlich für das MfS perfekt. Er hat den richtigen sozialen Hintergrund. Er ist Mitglied der SED, er engagiert sich in der Partei und er ist eben ein Experte. Und die HVA braucht eben in dieser Zeit und nicht nur die HVA, sondern die Stasi insgesamt, Experten für bestimmte Themenbereiche. Und so wird Teske ja dann auch später eingesetzt, da kommen wir noch drauf zu sprechen. Und diese Form der Rekrutierung, die passiert, ist fast idealtypisch in dieser Zeit. Wir haben-, wir haben die - Das MfS wächst riesig. Wir haben 1950 mit 2700 Mitarbeitern mal begonnen, 1968 sinds schon über 36000 und 1979 schon 72000. Also wir haben einen riesigen Aufwuchs und wir haben eine Professionalisierung. Es werden höhere Ansprüche an die Mitarbeiter gestellt als in der Anfangszeit. Und diese Werbung Teskes ist als so genannte Perspektivrekrutierung, das heißt, man setzt jemanden erst als IM ein, der kann sich einarbeiten, der kennt sich aus, wird überzeugt und dann trägt man ihm an, eben hauptamtlicher Mitarbeiter zu sein. Das ist natürlich ein sehr mühevoller Prozess. Und das konnte man nicht bei jedem machen, schon gar nicht bei diesen Massen. Aber gerade bei Experten wie Teske machte man sich die Mühe. Aber um die Verhältnisse klarzustellen: 1974 werden circa zehn Prozent der hauptamtlichen Mitarbeiter auf diese Art und Weise angeworben. Das andere waren Soforteinstellungen. Man konnte ja nicht einfach zum MfS gehen und sagen: "Ich möchte jetzt hier Spion werden oder bei Ihnen arbeiten.", sondern man musste angesprochen werden. Und hier versuchte man Leute zu rekrutieren aus der Nationalen Volksarmee, die dort ihren Grundwehrdienst leisteten, aus der FDJ, aus dem Feliks Dzierzynski, wo ja auch Wehrdienst geleistet wurde und natürlich auch vor allen Dingen - das war der beliebteste Weg, eigentlich - durch persönliche Empfehlungen von hauptamtlichen Mitarbeitern oder sogar deren Familien. Es gibt ganze Familien, wo Mutter, Vater, Kinder dann hinterher beim MfS sind und so versucht man eben diese Massen, die man braucht, zu rekrutieren. Und das findet natürlich auch gleichzeitig, und deswegen braucht man dann wieder noch mehr Menschen, ein Generationswechsel statt.
Dagmar Hovestädt: Werner Teske ist 27, frisch promoviert, als er genau da vom MfS rekrutiert wird und, klar, nach Westdeutschland geschickt wird für bestimmte Aufgaben dort. Sie haben, das ist so ein bisschen der Einstieg in dem Buch auch die Begegnung bischne ausgeleuchtet. Er nennt sich da, oder wird genannt, IM Tesla. Haben Sie herausgefunden, warum dieser Name aufgetaucht ist?
Gunther Lange: Nein, das ergibt sich aus den Unterlagen, keineswegs. Aber die Rekrutierung von Werner Teske als IM für die Westarbeit der HVA hat wahrscheinlich für Werner Teske zwei Aspekte. Zum einen, ich glaube, er war auch etwas neugierig wie entwickelt sich die Ökonomie in Westdeutschland im Vergleich was ihr kennt zur DDR? Und er hat ja mit seinem IM Sternberg einen höheren Angestellten bei den chemischen Werken Hüls in der Nähe von Recklinghausen, einen, glaub ich auch, Ansprechpartner in Augenhöhe gefunden. Sie sind beinahe gleich alt und Sternberg vermittelt durch die Aufträge für die HVA natürlich dann auch sehr, sehr viel wirtschaftspolitische Informationen. Für Teske wird auch klar, welche Rolle die Wirtschaftsverbände spielen, wie unternehmerische Planung funktioniert, wie beispielsweise wirtschaftliche Konzepte für eine Globalisierung von ökonomischen Strategien umgesetzt werden. Ich glaube, das war für ihn ein sehr spannendes Lehrjahr, wenn man das mal so bezeichnet.
Dagmar Hovestädt: Man könnte fast sagen, dass er, obwohl er für die Stasi - und wir haben ein kleines Dokument, das wollen wir im Laufe der Diskussion ein bisschen einstreuen, wie man in den Dokumenten seine Karriere nachvollziehen kann - man könnte fast sagen, es ist eine Art akademische Feldforschung über das gegnerische Wirtschaftssystem, indem er als IM Tesla mit seinem Kontakt der Nähe von Recklinghausen sich austauscht. Da ist nicht so gut zu lesen, aber das ist der Bericht oder der Reiseplan von 67, wo er nach Recklinghausen geschickt wird. Und der Kontakt arbeitet in der Geschäftsführung bei Chemische Werke Hüls. Und da kann er wahrscheinlich auch die Spionagetätigkeit eher als so eine Art akademische Einblicke in ein anderes Wirtschaftssystem begreifen.
Gunther Lange: Ja, aber er macht da glaube ich, auch eine bemerkenswerte Erfahrung, wie vonseiten der Stasi Druck auf die IM im Westen ausgeübt wird. Denn nach einer gewissen Anlaufzeit ist die Stasi oder die Hauptverwaltung A über die gelieferten Informationen nicht mehr zufrieden. Sie will mehr haben, neue Informationen, wichtigere Informationen. Und sie drängt den IM Sternberg dazu, beruflich aufzusteigen. Was natürlich nicht ganz einfach ist. Also keine Wunschperspektive. Aber dieser Aufstieg ist sehr kompliziert und im Regelfall erst einmal vergebens. Man versucht ihn unter Druck zu setzen und empfiehlt ihnen eine eine Position bei einem Wirtschaftsverband bei der Vereinigung der Chemischen Industrie aufzunehmen, aber auch diese Bewerbung klappt nicht.
Dagmar Hovestädt: Welche Rolle spielt Teske in dem Kontext? Muss er ihn davon überzeugen?
Gunther Lange: Er ist der Vermittler, er ist der Vermittler. Man muss sich das so vorstellen: Werner Teske bekommt für jede Reise zu seinem IM Sternberg einen Auftrags-Katalog, kann man dazu sagen, was er mit seinem IM besprechen soll. Das sind Erfahrungen über die Strategie des Unternehmens, über Kontakte des Unternehmens, zur Bundeswehr, zu Ländern des COMECON und ähnliches. Und natürlich er soll auch Informationen einsammeln. Der IM Sternberg wird also motiviert in die CDU einzutreten damit auch dieses Informationsfeld mit abgeschöpft werden kann. Und ja, man setzt auch den IM Sternberg dann immer wieder weiter unter Druck.
Dagmar Hovestädt: Ist es dann Teske, der ihn unter Druck setzt?
Gunther Lange: Nein, er muss diesen Druck vermitteln. Das ist seine Aufgabe. Und ich glaube, da kommt ja auch schon mal so ein kleiner Einblick, wie dieses Ministerium agiert mit den IMs im Westen.
Dagmar Hovestädt: Wie kommt es dann dazu - Also er scheint sich ja halbwegs zu bewähren, denn das MfS ist nach wie vor daran interessiert, ihn wirklich zu rekrutieren und den Schritt dann zum hauptamtlichen Mitarbeiter zu vollziehen. Das haben sie in dem Buch versucht nachzuvollziehen und das zieht sich ein bisschen durch in der Analyse, dass er vielleicht ein Stückchen mehr gezogen wird, also dass er selber hinwill. Woran machen Sie das fest? Denn die Verpflichtung und das wird ja mit ihm Fahneneid - er geht in den militärischen Dienst des MfS 69 - Woran machen Sie fest, dass das für ihn vielleicht gar nicht so ein freiwilliger oder sehr bewusster und gewollter Entschluss ist?
Gunther Lange: Ich glaube, da spielen zwei Komplexe eine Rolle. Zum einen muss man sich vorstellen: Werner Teske hat einen sehr-, eine sehr gute Promotion geschrieben und mit der hat er sehr vielfältige Berufsperspektiven in der DDR, das Außenhandelsministerium ist an ihm interessiert, das Amt für Statistik ist interessiert und natürlich auch die Universität selber. Ihm ist aber verborgen geblieben, dass schon 1968 sein Führungsoffizier der HVA über die Parteischiene, über die SED-Schiene opponiert hat bei der Universitätspartei-Schiene mit dem Argument: "Also ihr könnt Teske gar nicht einstellen. Teske ist schon vorgesehen, also für eine Einstellung beim Ministerium des Innern." Ich vermute, dass es ähnliche Kontakte also auch zu anderen Institutionen gegeben hat, die Interesse an Teske hatten. Er war nun im Sommer 1969 vor die Situation gestellt, also seine Perspektiven, wissenschaftlich zu arbeiten, was er am liebsten gemacht hätte. Er wollte ja auch Hochschullehrer werden oder bleiben in der Hochschule. Und nun wird er konfrontiert mit der Einstellung beim Ministerium für Staatssicherheit. Diese Perspektive hat ihn zuerst überrascht. Damit hat er nicht gerechnet. Man hat ihm dann gewissermaßen einige Zugeständnisse oder Perspektiven versucht darzustellen, dass ja also auch über die Einrichtung des Ministeriums für Staatssicherheit auch eine Möglichkeit bestünde, Lehrtätigkeiten auszuüben. Ich glaube, diese Kröte hat er dann, mehr oder minder unter Druck gesetzt, akzeptiert. Also er ist sehr halbherzig in den neuen Job reingekommen.
Dagmar Hovestädt: Daniela Münkel, kann das funktionieren halbherzig zum MfS zu gehen?
Daniela Münkel: Das kann das funktionieren. Aber ich würde das ein bisschen anders darstellen wollen. Das hört sich so alternativlos an, als wenn er nicht hätte Nein sagen können. Er hätte durchaus Nein sagen können. Er musste da nicht hingehen und er hätte auch an der Uni sicher weiter Karriere machen können, dass das MfS da Drohgebärden aufstellt, das ist richtig, aber es ist nicht alternativlos gewesen. Und mir stellt sich das auch ein bisschen so dar, der war ein bisschen, würde man heute sagen, angefixt. Er konnte in Westen fahren, das hätte er sonst nicht gekonnt. Er war ja dann auch, das hat sich auch später gezeigt, er fand ja diese westdeutsche bunte Konsumwelt ja auch sehr ansprechend. Er konnte Spion spielen und ich glaube das - und dann hat man ihm noch Zugeständnisse gemacht - das ist alles bestimmt nicht nur negativ besetzt gewesen und unter Druck passiert, sondern da war auch ein großes Stück Freiwilligkeit dabei.
Dagmar Hovestädt: Also er hat die Perspektive MfS dann durchaus so ernst genommen, dass er sich verpflichtet hat und hat vielleicht die ersten Jahre, so stellt sich das natürlich immer auch anhand der Akten dann nur da, wahrscheinlich doch ein relativ erstmal ein erfülltes Berufsleben geführt. Aber er muss ja durch diese Grundausbildung erstmal, er kann ja nicht sofort weitermachen, sondern er erwächst und er wird von der HVA rekrutiert und landet in dem Bereich, der - Sie haben das ganz-, ganz praktisch und gut abgekürzt - der die Wirtschaftsspionage betreibt, also HVA Auslandsspionage, hier sehr spezifisch.
Daniela Münkel: Aber er ist ja erst in der Auswertung und das ist ja relativ langweilig erstmal. Und dann kommt er-, steigt er in eine andere Abteilung auf, die sich vor allen Dingen dem Bund der Deutschen Industrie in der Bundesrepublik sich im Visier hat und dem Bund der deutschen Arbeitgeber in der Bundesrepublik.
Dagmar Hovestädt: Und diese ersten Jahre sind für ihn eine Lernerfahrung. Und eigentlich kommt er auch so wie sie aus den Akten entnommen haben, ganz gut an in dem MfS. 69 steigt er ein und dann so bis in die frühen 70er.
Gunther Lange: In den ersten Jahren glaube ich schon, dass er da auch sehr erfolgreich gearbeitet hat, denn er bekam Prämien, er ist befördert worden und ich glaube, da war auch ein gewisser Grad an Zufriedenheit da. Im Untergrund war immer noch aber die Unzufriedenheit, sie war latent präsent für sein Interesse an der wissenschaftlichen Arbeit. Ich glaube auch, er hat die Begrifflichkeit wissenschaftliche Auswertung bei der HVA möglicherweise etwas missverstanden. Es war für ihn ja auch ein Milieuwechsel von der Universität, von der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät zu einem doch sehr bürokratischen Arbeitgeber mit Akten, Karteikarten, mit sehr, sehr vielen Richtlinien. Und ich glaube, da hatte er auch schon von Anfang an gewisse Probleme. Wenn man sich die Beurteilung auch der ersten Jahre anschaut, ist das ein sehr ambivalentes Verhältnis. Auf der einen Seite hat er sehr erfolgreiche Arbeit. Er kommt mit seinen IM im Westen sehr gut zurecht, die Quellen sind ergiebig-
Dagmar Hovestädt: Quellen die er übernommen hat von anderen Vorgängen.
Gunther Lange: Ja. Es gibt aber auch Kritik. Und die Kritik ist Aktenführung, ja, Arbeitsorganisation und ähnliches. Und man bemüht sich, diese Defizite auszugleichen. Aber diese Defizite ziehen sich wie ein roter Faden dann in seiner weiteren Berufstätigkeit in der HVA durch.
Dagmar Hovestädt: Er hat ja dann - und das ist eigentlich ganz interessant - 1974 und 1976 Gelegenheit, wieder in den Westen zu gehen. Diesmal nicht als Instrukteur für einen West-IM, ein Bundesbürger, der für die Stasi arbeitet, sondern er wird eingebaut in zwei große Sportereignisse.
Gunther Lange: Das war der Einsatz während der Fußballweltmeisterschaft 1974. Man muss sich das vorstellen: Es sind kleine MfS-Gruppen, die zu den einzelnen Austragungsorten fahren, unter anderem auch Hamburg beispielsweise, wo das legendäre Fußballspiel stattgefunden hat. Und er war unter anderem auch in Düsseldorf. Ich glaube, bei dem Fußballspiel in Gelsenkirchen. Er war auch etwas irritiert, dass innerhalb der Arbeitsgruppe des MfS also auch sehr lax mit den zur Verfügung gestellten Geldern umgegangen wurde. Unter anderem nennt er bei einem späteren Verhör ja auch das Ereignis: Man hat in Düsseldorf einen Nachtclub besucht, mit einer Zeche von rund 3000 D-Mark, was ist ja nicht gerade ein Pappenstiel ist. Und man hat dann gegenüber dem Ministerium natürlich dann Belege manipuliert. Und offensichtlich war das auch nicht allzu schwer.
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Sprecher: Sie hören:
Sprecherin: "111 Kilometer Akten -
Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."
Dagmar Hovestädt: Er ist im Westen. Er merkt, man kann dort das Operativgeld, also das Westgeld ausgeben, und er kommt da auf eine Idee, die ihn jahrelang begleitet. Nämlich, dass er selber die Manipulationen, die er beobachtet hat, für sich in Anspruch nimmt.
Gunther Lange: Ja, ich glaube, das fängt sehr klein an, mit kleinen Beträgen. Man hat operative Gelder, 500 D-Mark für den IM im Westen und der bekommt nur 450 und 50 bleiben dann in der eigenen Tasche. Und man kann damit natürlich dann auch im Intershop einkaufen. Allerdings ist das ein dynamischer Prozess. Wenn man das einmal gemacht hat, wächst die Begehrlichkeit, diesen Weg weiter zu bestreiten. Ja, daraus wird dann eine Kette ohne Ende und das endete letzten Endes damit - Er hat zwischen 1976 und 1980 ungefähr 20000 Westmark und 20000 Ostmark veruntreut. Und das ist ja kein Pappenstiel.
Dagmar Hovestädt: Also, was ist bei der HVA los, dass man über Jahre Summen - Westmark war auch in der HVA nicht das Übliche - dass man die verschwinden lassen kann. Also man denkt, es ist ein sehr durch disziplinierter Apparat, der sich selbst stark überwacht. Und Teske kann jahrelang Geld abzweigen für private kleine Gefälligkeiten.
Daniela Münkel: Na ja, er fälscht ja dann auch die entsprechenden Belege und es gibt ja nicht so ne permanente Kontrolle oder eine Revision. Es gibt zwar eine Kontrollgruppe, die regelmäßig die Bezirksverwaltung und auch hier in der Hauptstelle nach den Arbeitsabläufen guckt, aber es wird jetzt nicht so wie in einem Wirtschaftsbetrieb oder so eine Revision betrieben. Und wie gesagt, er fälscht ja auch die Unterlagen sozusagen. Und solange das nicht auffällt, funktioniert das. Es fällt ja dann auch wegen etwas anderem auf, weil er nämlich dienstliche Termine vorgibt und dann privat etwas macht. Natürlich gibt es Kontrollmechanismen insofern, die ganze Disziplinierung und Disziplinarmaßnahmen werden von der sogenannten Hauptabteilung Kader und Schulung, kurz KuSch, durchgeführt. Die greifen ein, wenn es Dienstverstöße gibt und Dienstverstöße sind im MfS eben nicht nur Verstöße gegen Dienstvorschriften, sondern auch, das betrifft das ganze Leben, in der Lebenswandel nicht stimmt. Alkohol ist z.B. ein sehr großes Problem. Wenn diese Dienstverstöße allerdings strafrechtlich relevant werden, wie dann im Fall von Teske, dann kommt eine weitere Abteilung ins Spiel, nämlich das Untersuchungsorgan des MfS, die sogenannte Hauptabteilung IX. Die greift dann ein bei allem, was strafrechtlich relevant ist, sei es eben verräth sozusagen Spionage, sei es aber auch rein kriminelle Sachen. Was ja erstmal bei Teske die Rolle spielt, die Unterschlagung.
Dagmar Hovestädt: Wenn man das so sieht, dann in dem Maße, indem er sich sozusagen bedient an Geld, in dem Maße sinkt seine Zufriedenheit oder steigt seine Frustration. Er hat auch zuhause ein bisschen Probleme. Alkoholprobleme haben wir schon angesprochen, kommen dazu. Und es kommt dann 1980, fast elf Jahre nach dem Eintritt ins MfS, dazu, dass er auffliegt in Anführungsstrichen, eben weil er angibt, dienstlich irgendwo zu sein, aber privat ganz woanders ist. Und das ist dann wie so ein Pullover, den man aufrollt, weil unter jeder Schicht liegt etwas Neues. Und das Vergehen wird eigentlich in dem Sinne aus Sicht des MfS gefährlich.
Gunther Lange: Ja, er hat eine Dienstfahrt vorgetäuscht und 1978 bekam dann eine disziplinarisch Strafe. Er hat ja durch seine berufliche Unzufriedenheit in der Zwischenzeit ja auch Verratsabsichten in seinem Kopf bewegt. Er hat ja auch Überlegungen, konkrete Überlegungen, getroffen: Wie will ich das erreichen? Und das ging ja über die sogenannte Gepäckschleusung. Das heißt also, wenn IM aus dem Westen hier nach Ost-Berlin kam, das ging die Friedrichstraße über die Gepäckaufbewahrung, um das mal ganz verkürzt darzustellen. Und er hat ja dann für seine IM aus dem Westen dann eine Spezialgenehmigung gehabt, um über den Bahnhof Friedrichstraße an diese Gepäckaufbewahrung zu kommen. Es wäre für ihn möglich gewesen, bei dieser Gelegenheit in die S-Bahn zu steigen und er wäre in drei, vier Minuten im Westteil Berlins gewesen. Diese Situation hat er in seinem Kopf ja mehrmals durchgespielt. Er hatte einen konkreten Schleusungsauftrag im August 78, er hat diese Chance für sich nicht genutzt, weil er mit seiner Familie wieder im Reinen war. Er konnte seine Familie nicht verlassen. Eine weitere Gelegenheit hatte er ein paar Monate später, aber seine arbeitspsychologische Belastung ist ja geblieben. Das war für ihn also ein ständiges Auf und Ab von Zufriedenheit. Mal Zufriedenheit, dann traten diese Verrats und Flucht Absichten zurück und hatte er Probleme zu Hause, wie auch auf dem Amt am Arbeitsplatz, dann nahm diese Vorstellung wieder konkrete Gestalt an. Im Sommer 1980 hat er Dienstgänge falsch dargestellt bzw. er hat sich befreien lassen für Dienstgänge, Treffen mit IM in Berlin, nutzte diese aber dann für private Besorgungen und das ist aufgeflogen. Und insofern ist er erst einmal vom Dienst suspendiert worden. Er bekam sozusagen Hausarrest. Er durfte also die Wohnung nicht verlassen. Bei dieser Gelegenheit ist dann sein Büro durchsucht worden und man hat festgestellt, dass die Aktenlage ziemlich desolat war und es fehlten eine ganze Reihe von Unterlagen. Bei dieser Gelegenheit kam, wie vorhin erwähnt, auch die Finanzmanipulationen zum Vorschein und damit war seine berufliche Tätigkeit also schon beim MfS im Grunde genommen vorbei. Fatal war natürlich, dass bei diesen Verhören auch zum Ausdruck kam, dass es irgendwo geheime Unterlagen oder dienstliche Unterlagen bei ihm zu Hause gibt. Und ja, man hat also dann durch eine Hausdurchsuchung versucht, Unterlagen zu finden.
Dagmar Hovestädt: Das war erst disziplinarisches, schlampiges Verhalten, dann kommen die Finanzmanipulationen dazu, und dann merkt man plötzlich Der hat sogar Akten beiseite geschafft. Und dann kommt dieser ganze Verdacht der möglichen Fahnenflucht. Der ist ja im Militär, das Ministerium für Staatssicherheit ist ein militärisches Organ, das zu verlassen ist eine Fahnenflucht. Das Interessante ist ja quasi, dass er diese Akten entfernt nach Hause bringt, versteckt, irgendwie quasi therapeutisch benutzt. Der Gedanke an die Flucht ist ja immer so eine Reaktion auf gerade wieder eine schlechte Phase und dann verschwindet das wieder. Und eigentlich sind sie sozusagen nur etwas, was er im Kopf versucht zu bewegen. Er nimmt ja Abstand, dann nach 78 von diesen Fluchtgedanken, weil da zwei Dinge passieren, die seinem Leben viel schwerer machen - Daniela Münkel - 1979 gibt es einen sehr bekannten Überläufer, im Januar 79, Werner Stiller. Und kurz davor oder danach noch einen weiteren Fall, sodass die Alarmbereitschaft recht groß ist aus eigenen Reihen ausgerechnet Leute zu verlieren, die überlaufen.
Daniela Münkel: Werner Stiller, ein Kollege von Teske, dem gelingt es 1979, in die Bundesrepublik überzulaufen und sich dem BND anzudienen. Er nimmt natürlich auch Unterlagen mit und das ist aus Sicht des MfS natürlich ein geheimpolizeilicher Super-GAU. Und Verräter in den eigenen Reihen ist auch das Schlimmste seit Anfang an, was man sich vorstellen konnte. Und Stiller wird dann in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Mielke setzt eine, also der Minister für Staatssicherheit, setzt eine horrende Summe aus für die Rückführung Stillers in die DDR. Das gelingt nicht. Und 1979 wird ein anderer Kollege von Teske, den er sicherlich nicht kannte, nämlich auch von der Bezirksverwaltung Potsdam, Gert Trebeljahr, auch festgenommen, weil er sich und seine Unterlagen dem Verfassungsschutz angedient hat. Und Trebeljahr wird dann auch zum Tode verurteilt. Das ist sozusagen der Rahmen. Und dann gibt es noch einen weiteren Fall neben Teske. Und zwar aus der Aufklärung der Nationalen Volksarmee, Winfried Baumann. Auch der versucht, Kontakt zum Berliner Verfassungsschutz aufzunehmen. Und auch er wird dann hingerichtet.
Dagmar Hovestädt: Das MfS ist ja sowieso paranoid, aber wenn in so einer relativ dichten Folge aus den eigenen Reihen und auch bei der NVA mehrere Leute Kontakte aufnehmen und in den Westen gehen wollen, da passt Teske quasi ins Muster rein und deswegen beginnt dann dieser ganze Apparat zu laufen. Er wird dann in Hohenschönhausen tatsächlich eingeliefert, wird dort erkennungsdienstlich behandelt und das gibt's dann auch, der MfS Mitarbeiter selber wird wie auch politische Häftlinge, die in Hohenschönhausen eingeliefert wurden, bürokratisch erfasst und wird auch erkennungsdienstlich behandelt mit diesen drei Fotos, die auch auf dem Titelbild des Buches sind. Und damit ist er im Grunde genommen ein Untersuchungshäftling, der jetzt bearbeitet wird. Und das ist in dem Buch, finde ich, sehr interessant, wie die Maschinerie, dieses Untersuchungsorgan der IX über Monate lang Werner Teske und seine Frau in Hohenschönhausen sozusagen immer wieder befragt, um eigentlich das Verbrechen, für das er am Ende verurteilt wird, zu konstruieren. Sie haben diese Unterlagen dazu gelesen. Vielleicht haben Sie eine ungefähre Vorstellung, wie viel das war. Aber was passiert auch, wenn man immer wieder diese monatelangen Verhöre und Protokolle liest? Es ist ja alles dokumentiert.
Gunther Lange: Also für mich war signifikant die Fragetechnik. Es waren ja ich weiß ich 20, 30 Vernehmungen während der gesamten Haftzeit. Man hat also ständig von Tag zu Tag das Thema gewechselt. Mal war es die: Welche Aufgaben hatte er? Dann kommt wieder die berufliche Entwicklung. Dann wird nachgefragt, mit welchen IM er Westen zusammengearbeitet hat und dann kommt man wieder zurück auf das Ursprungsthema. Gibt es etwas, was Sie uns noch nicht erzählt haben? Man versucht natürlich immer wieder Widersprüche aufzuspüren, was aber für die Verhörtechniker, wenn ich es mal so bezeichnen soll, recht schwierig ist. Teske formuliert immer sehr, sehr präzise. Einer seiner Vernehmer hat ja nachher im Nachhinein gesagt: Also die Vernehmung mit Werner Teske waren so präzise, man musste beim Protokoll also gar nicht groß irgendwo eingreifen. Das Problem, was für mich signifikant ist: Er hat seit Beginn der Haftzeit sich sozusagen seine gesamte Unzufriedenheit erst einmal von der von der Seele geredet. Er war hier in einer beruflichen Tätigkeit, die ihn unterfordert hat. Und er vermisste ja auch in seinem Kollegenkreis und von seinen Vorgesetzten, also Wertschätzung. Und er bereitete seine Tätigkeit für das MfS sehr detailliert aus. Ich glaube auch mit dem Anspruch, um nochmal nachträglich Wertschätzung einzufordern, wie bedeutsam seine Tätigkeit für das Ministerium war. Hinzu kommt: Er hat ja auch bei seinen Vernehmungen so viele Details genannt, was zugleich für die Hauptverhandlung dann natürlich sehr nachteilig sein kann. Denn er hat sich ja damit also auch stilisiert als ein sehr erfolgreicher Agent oder Patriot wie es das Ministerium sagte. Und er hat damit auch so seine Gefährlichkeit eigentlich selbst preisgegeben. Und ich glaube, diese Preisgabe seiner eigenen Gefährlichkeit in Anführungszeichen ging natürlich-, das war wie Öl für fürs Feuer.
Dagmar Hovestädt: Es ist ja nicht zufällig. Die Stasi hat sich selber psychologischer Theorien bedient und sich da auch gerühmt, das zu können. Also diese Zick-Zack Linie und dieses ständige Rausholen von immer mehr Details, die man auch als normaler Mensch gar nicht auseinanderhalten kann die Widersprüche produzieren, ist ja keine zufällige Taktik.
Daniela Münkel: Nein, natürlich nicht. Es gibt-, es nennt sich operative Psychologie. Die wird an der Hochschule, an der Juristischen Hochschule der Staatssicherheit gelehrt und diese Vernehmer werden ausgebildet. Das ist, da ist nichts dem Zufall überlassen. Was mich ehrlich gesagt ein bisschen gewundert hat, dass Teske dem auf dem Leim gegangen ist, weil er ja-, er war ja nicht ein unbescholtener Bürger, der dort in die Fänge der Staatssicherheit geraten ist, sondern er war hauptamtlicher Mitarbeiter und kannte sich - er war zwar kein Vernehmer - aber er kannte sich aus. Und er war ein intelligenter Mensch. Das hat mich ein bisschen ehrlich gesagt irritiert oder gewundert.
Dagmar Hovestädt: Aber vielleicht ist die Anzahl der Monate, die es braucht, ihn soweit zu verstricken ein Ausweis dafür?
Daniela Münkel: Sicherlich. Also sie haben natürlich mit allen Mitteln versucht, ihn klein zu kriegen und gerade als - man ist sowieso isoliert gewesen in Hohenschönhausen und er als Hauptamtlicher besonders. Er war total isoliert und ist immer nur mit zu den Vernehmungen da rausgekommen. Und zwischenzeitlich musste er ja noch irgendwelche Berichte schreiben. Also das ist natürlich ein Prozess, der am Ende des Tages wahrscheinlich jeden zermürbt, wenn das über Wochen und Monate geht.
Dagmar Hovestädt: Sie haben dann eine Hausdurchsuchung gemacht und man hat dort die Unterlagen finden können, die ja in der Waschküche versteckt hat. Also die Unterlagen, die er immer in der Vorstellungskraft hätte mitnehmen können. Der große Unterschied zwischen Tesco, Beststeller und Trebeljahr ist ja, dass er eigentlich überhaupt gar keinen Kontakt hatte zu westlichen Geheimdiensten.
Daniela Münkel: Er hat auch nie irgendwo was hingetragen. Also das ist ja ein ganz entscheidender Punkt, der dann ja auch in dem Urteil bzw. der juristischen Aufarbeitung danach eine große Rolle spielt, weil für das, was er verurteilt worden ist, das hat er nie getan, nämlich er ist zum Tode verurteilt worden. Und das DDR - er unterlag ja der Millitärgerichtsbarkeit - und nach geltendem DDR-Recht konnte man für Spionage nur zum Tode verurteilt werden, ihn im besonders schweren Fall und wenn sie vollzogen worden ist. Und genau das hat er ja nicht getan. Und selbst sein Rechtsanwalt in dem Prozess, in dem geheimen Prozess gegen ihn, weist daraufhin in dem Abschuss Plädoyer und sagt, dass er die Todesstrafe ablehnt, weil eben die Voraussetzungen für die Todesstrafe gar nicht gegeben sind, weil das, was dort die Voraussetzung ist, Teske nie getan hat.
Dagmar Hovestädt: Wenn wir jetzt sozusagen auf den dramatischen Höhepunkt zusteuern, sechs Monate Haft Hohenschönhausen und dann wird er der Militär Gerichtsbarkeit übergeben - es ist ja ein Militärorgane, Militärstaatsanwalt - und dann geht es eigentlich, muss man sagen, alles relativ schnell.
Gunther Lange: Es gab ja auch eine sehr reibungslose Zusammenarbeit zwischen der Hauptabteilung IX des Ministeriums und der Militärstaatsanwaltschaft. Am Abschluss der Untersuchung stand ein Abschlussbericht. Es gab ein Gutachten über die mögliche Gefährdung, wenn der Verrat zum Tragen kommen wäre. Es gab einen forensisches Gutachten über die Schuldfähigkeit. Wenn man die Unterlagen dann liest, dann merkt man aber auch, wie ideologisch die Anklage letzten Endes aufgebaut wurde und in der Gesamtdarstellung zwischen Abschlussbericht und bis hin zur Anklageschrift. Es gibt sprachlich im Grunde genommen relativ wenig Unterschiede. Die Dokumente ähneln sich, sie sind fast kongruent, was natürlich prägnant ist: Es gibt eine sehr enge Zusammenarbeit, also auch mit der Militärgerichtsbarkeit, die einen Zeitplan entwickelt hat für die Hauptverhandlung am 10. Juni. Man muss sich das vorstellen: Ein sehr, sehr komplexer Strafantrag liegt vor und der Zeitplan fixiert die Hauptverhandlung auf einen Tag und eine halbe Stunde. Das heißt also, die Hauptverhandlung beginnt um 8:30 Uhr endet um 16.30 / 17 Uhr mit dem Schlusswort von Werner Teske. Am nächsten Tag um 15:30 Uhr wird das Urteil verkündet. Anschließend heißt es: Das Urteil ist rechtskräftig. Eine Berufungsmöglichkeit war von vornherein ausgeschlossen.
Daniela Münkel: Das ist ein bisschen, wie Sie das schildern und auch sehr ausführlicher darlegen. Das ist ein Rückfall in die Rechtspraxis der 50er Jahre dieser ganze Fall. Auch, dass der der Abschlussbericht der Neuen, sozusagen die Anklageschrift fast eins zu eins ist, das ja wohl auch das Urteil schon vorher feststand. Das ist eigentlich eine Rechtspraxis, die es in den 80er Jahren so in der Breite jedenfalls nicht mehr gibt. Das ist wirklich-, so ist man in den 50er Jahren vorgegangen, vor allen Dingen eben auch gegen solche Fälle, die damals häufiger auftraten, aber auch in anderen Spionagefall ist das Vorgehen so gewesen. Aber in den 80er Jahren war in anderen Fällen die Rechtspraxis schon wieder eine andere. Und das ist wirklich so ein Rückfall, was eben mit dieser Vorgeschichte zu tun hat und dass das für das MfS und für Mielke wirklich der Super-GAU war, dass da jetzt einer nach dem anderen in ihren Augen als Verräter fungiert. Und das hätte ja auch, sozusagen, das machte ja schon den Eindruck eines Nachahmungeffektes nach dem Fall erfolgreichen Falschspieler.
Dagmar Hovestädt: Insofern musste eine sehr drastische Maßnahme nach innen hin Signal gesetzt werden. Das hat-, dafür hat Werner Teske bezahlt. Das MfS hat viele Prozesse mitgeschnitten. Dieser Prozess ist natürlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit vonstatten gegangen. Trotzdem hat sich ein Mitschnitt in diesem Archiv gefunden und wir können uns die die Schlussworte von Werner Teske tatsächlich heute, 40 Jahre später nochmal anhören. Und ich würde es gerne mal einspielen.
[Ausschnitt aus dem Strafprozess Teske 1981]
[männliche Stimme 1:] Angeklagter, Sie haben das Plädoyer des Militärstaatsanwalts und Verteidigers gehört, sie kennen die Anträge. Was haben Sie zu Ihrer Verteidigung selbst vorzubringen?
[Werner Teske:] Ich möchte sagen, dass ich mir darüber bewusst bin, dass ich eine schwere Straftat begangen habe, die auch mit der notwendigen rechtlichen Konsequenz geahndet werden muss. Ich möchte auch hier sagen, dass ich meine Verhaltensweise, die Gegenstand der Straftat ist, bereue und mich von meiner Verhaltensweise distanziere. Ich habe durch-, ich habe eben nicht zur Lösung meiner Probleme Offenheit, Ehrlichkeit und Vertrauen an den Tag gelegt und bin auch aus politisch-ideologischen Gesichtspunkten -, also ungefestigter Positionen heraus zu einem falschen Ausweg gelangt, indem ich mich auf feindliche Positionen mit meinem Verhalten begeben haben. Ich möchte versichern, soweit mir die Möglichkeit noch einmal gegeben wird, insofern bitte ich den Senat doch den Ausführungen meines Herrn Verteidigers entsprechende Würdigung und Bedeutung beizumessen, dass ich richtige Schlussfolgerungen aus meinem Verhalten ziehen, und wenn ich diese Möglichkeit habe, durch Ehrlichkeit und Offenheit, Überwindung aller der hier genannten Fehler und Schwächen die Möglichkeit aus ehrlichen Herzen, aus innerer Überzeugung nutzen würde, ein vernünftiges Leben sowohl im persönlichen Bereich als auch in einem beruflichen Bereich zu gestalten. Danke.
[Ende Ausschnitt aus dem Strafprozess Teske 1981]
Dagmar Hovestädt: Das waren die letzten Worte und zu dem Zeitpunkt wusste Werner Teske aber noch nicht, wie das Urteil lauten wird, richtig?
Gunther Lange: Das ist richtig.
Dagmar Hovestädt: Also er geht davon aus, dass er zwar hart bestraft wird, aber eine Chance hat, sich in der Gesellschaft zu integrieren.
Daniela Münkel: Das ist relativ typisch. Wir haben das auch bei anderen derartigen Prozessen, dass die Angeklagten am Ende immer hoffen, dass das nicht zum Schlimmsten kommt und sich geläutert darstellen und sagen, sie möchten alles dafür tun, noch doch wieder ein Mitglied, ein wichtiges Mitglied dieser sozialistischen Gesellschaft zu werden. Das ist auch sehr eindrucksvoll bei dem Prozess gegen Elli Barczatis in den 50er Jahren, die ja auch zum Tode verurteilt wird. Deswegen sind ja diese Tondokumente, die wir haben, auch so ganz wichtig, weil das nochmal einen ganz anderen Eindruck vermittelt, als wenn man die Akten liest.
Dagmar Hovestädt: Das Urteil ergeht am 11. Juni 1981. Und er hat dann im Grunde genommen noch 14 Tage bis zum 26. Juni. Am Morgen jenes Tages wird er nach Leipzig gefahren aus Berlin und dort in der Hinrichtungsstätte erschossen. Das ist der Titel Ihres Buches: "Der Nahschuss". Diese Geschichte ist sehr dramatisch und hat tatsächlich aber auch im nach 1990 nicht nur mit der Öffnung der Stasi-Unterlagen noch ein Nachspiel, das Sie auch im Buch behandeln. Das ist eine eher seltenere Geschichte der strafrechtlichen Aufarbeitung dieses Urteils.
Gunther Lange: Ja, ich bin erst einmal ganz froh, dass es Unterlagen noch gegeben hat, die auch belegen, dass nach der Wende gab es das Rehabilitation Gesetz, das Werner Teske und seiner Ehefrau bescheinigt, dass die Strafmaßnahmen gegen beide letzten Endes rechtswidrig war. Das möchte ich erst einmal vorausschicken. Das zweite war die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. Es gab ja eine Sonderkommission von Staatsanwälten, die sozusagen das Unrecht der Militärjustiz in der DDR aufzuarbeiten hatte. Aus diesen Vernehmungen ist letzten Endes deutlich herausgearbeitet worden, dass das Todesurteil gegen Werner Teske schon lange vor der Anklageschrift festgestanden hat, und zwar durch die Absprache zwischen der Hauptabteilung IX und der Militärstaatsanwaltschaft. Beide Seiten haben also ihre Straf Empfehlung Hirarchiemäßig nach oben gegeben. Der Militärstaatsanwaltschaft hat sich eine Genehmigung von Honecker geholt und die Hauptabteilung IX von Mielke. Und das war schon im April 1981. Herausgekommen ist dieser - ich möchte wirklich sagen - Winkelzug der Juristen, weil es gab zwei Vorschläge zur Führung der Hauptverhandlung. Einmal gegen Werner Teske, datiert vom vom 22. April. Und es gab eine ein Vorschlag von der Hauptabteilung IX in dem Verfahren gegen Sabine Teske, die ja auch inhaftiert war wegen Beihilfe zur Spionage. Aus dem Vorschlag zur Führung der Hauptverhandlung gegen Sabine Teske ist eindeutig zu entnehmen, dass sie freigelassen wird, wenn das Urteil gegen Werner Teske vollstreckt wurde. Das heißt also, dass zu diesem Zeitpunkt bereits festgestanden hat, dass Werner Teske im Juni zum Tode verurteilt wird und dass 14 Tage später dann das Todesurteil auch vollstreckt wird. Diese Erkenntnis hat also selbst die Staatsanwälte, die diesen Fall dann wieder aufgerollt haben, sehr, sehr stark beeinflusst.
Daniela Münkel: Ja, das Entscheidende ist es an der Sache aber, das ist ein Verfahren wegen Rechtsbeugung und Beihilfe zum Totschlag war und das konnte man ja in dem Fall nur anhand von DDR-Recht beurteilen. Auch nach DDR-Recht war diese Todesstrafe nicht zulässig, weil er eben diesen Sachverhalt, den Straftatbestand, der ihm vorgeworfen wird, Spionage in einem besonders schweren Fall vollendet werden musste, nie begangen hatte. Und wie gesagt, das ist schon in dem Verfahren selber von dem Rechtsanwalt so angebracht worden. Und so war es wirklich möglich, den beteiligten Militärsstaatsanwalt und das wirklich nachzuweisen, dass sie gegen geltendes DDR-Recht verstoßen haben. Und wie gesagt, dieser Fall ist für die 80er Jahre sehr ungewöhnlich. Und das macht es dann auch der bundesdeutschen Justiz möglich, den zu ahnen. Und das ist-, es sind ja nicht viele Fälle, es sind viele Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, es sind einige Prozesse geführt worden, aber es sind ja nur ganz wenige Beteiligte wirklich zu Haftstrafen verurteilt worden. Und dieses ist einer dieser Fälle.
Dagmar Hovestädt: Vier der Richter und Staatsanwälte sind verurteilt worden, weil sie Rechtsbeugung und Beihilfe zum Totschlag geleistet haben und eine ganz seltene, eindeutige Möglichkeit der rechtsstaatlichen Justiz, das Unrecht der SED-Diktatur wirklich zu ahnden.
Daniela Münkel: Insofern ist es auch, was die justizielle Aufarbeitung angeht, ein herausragender Fall.
[Jingle]
Maximillian Schönherr: Das war Professor Dr. Daniela Münkel, Leiterin der Forschung im Stasi-Unterlagen-Archiv, im Gespräch mit Gunther Lange, Autor des neuen Buches "Der Nahschuss - Leben und Hinrichtung des Stasi-Offizier Werner Teske". Sein Tod ist im Juni 2021 genau vierzig Jahre her.
Dagmar Hovestädt: Und zum Ausklang wie in jeder Folge eine akustische Begegnung mit dem Archiv. Der ganz zufällig ausgewählte Schlusston aus über 22500 Audiodokumenten im Stasi-Unterlagen-Archiv.
[schnelles Tonspulen]
Elke Steinbach: Mein Name ist Elke Steinbach und ich kümmere mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen um die Audioüberlieferung des MfS. Das heutige Beispiel ist mit seinen 5 Minuten Länge ein komplettes Tondokument. Außer diesem Bericht des IM Frank Wedding über eine Veranstaltung in der Laurentiusgemeinde in Halle am 7. November 1983 mit dem Schriftsteller Günther de Bruyn befand sich nichts weiter auf der Diktierkassette. Der Bericht ist insofern leider nicht repräsentativ, als dass er vollständige Angaben zu Zeit und Ort sowie den Decknamen des Verfassers enthält. Er ist weder angelöscht noch bruchstückhaft und sogar verständlich. Wären alle Aufzeichnungen so, hätten die Kolleginnen der Erschließung ein leichtes Arbeiten. Doch noch ein Wort zum Tonträger. Hierbei handelt es sich um ein sogenanntes Memocord. In Zusammenarbeit der Wiener Firma Stuzzi und der Firma Assmann aus Bad Homburg sind in den 60er und 70er Jahren Diktiergeräte gleichen Namens entwickelt und hergestellt worden. Sie erfreuten sich auch beim MfS wegen ihrer Handlichkeit großer Beliebtheit und kamen nicht nur als Diktiergeräte sondern in der konspirativen Arbeit zum Einsatz Zubehör war eine Fernbedienung und ein Mikrofon in Form eines Kugelschreibers. Mit einer Bandgeschwindigkeit von 3,5 cm/s erreichten sie eine Spieldauer von 2 mal 45 Minuten.
[Archivton]
[IM Frank Wedding:] Halle, den 9.11.83. Am 7.11 nahm ich an der Veranstaltung in der Laurentiusgemeinde teil. Ich erschien aufgrund von Witterungseinflüssen etwas verspätet und erschien erst eine Stunde später. Die Vorlesung war bereits abgeschlossen und die Podiumsdiskussion hatte soeben begonnen. Die [unverständlich] wurden verschiedene Themen diskutiert, wurden gefragt und wurden beantwortet, die-, die vom allgemeinen Charakter waren. Circa 20 Minuten später, nach meinem Eintreffen, wurde die konkrete Frage gestellt von einem 22 jährigen männlichen Personen mit schwarzen gekraustem Haar und Nickelbrille: Was halten Sie von der Friedensbewegung? Diese Frage wurde von Günther de Bruyn sehr ausführlich beantwortet. Er sagte, dass die Friedensbewegung bei uns nie im Leben diese Ausmaße erreichen würde wie es drüben in der Bundesrepublik der Fall ist und das sie doch hier keine Chance für irgendwelches-, für irgendein bestimmtes Ziel zu erreichen oder so. Auf diese Frage kamen wieder zwei oder drei Fragen vom Allgemeinen Charakter und dann kam die nächste bestimmte Frage von einem ca. 20 jährigen männlicher Person mit krausem Haar und ohne Bart. Der fragte: Warum sehen Sie keine Möglichkeiten für die Friedensbewegung in der DDR? Diese Frage wurde von de Bruyne nicht beantwortet. Das Publikum war unterschiedlich und war allen aus allen Rubriken zusammengesetzt. Es gab vielleicht 15, 20 Leute, die ihren Ausdruck oder [unverständlich] zum Ausdruck brachten, indem sie den Kopf schüttelten oder ihrem Nachbarn was sagten und [unverständlich] oder dergleichen taten. Der wesentliche Teil des Publikums hielt Günther de Bruyn für eine Autorität und glaubte dem zu Folge alles, was dort oben gesagt wurde. Nach ein oder zwei oder drei weiteren Fragen kann man auf das Thema der Persönlichkeitsentwicklung, wo der Günther de Bruyn erklärte, dass man eine gewisse Hoffnung von dem Volk bekommt. [Unverständlich] ist, dass man das Volk auch-, sich für das Volk einsetzt. Wenn man in der Lage, etwas zu sagen, was andere oder andere Tausende nicht sagen können oder nicht so genau bestimmt sagen können, da sie auch nicht den Kreis haben der Zuhörer. Er sagte dann, dass es nur bis zu einem bestimmten Punkt geht und an diesem Punkt entwickelt sich die Persönlichkeit und dort muss er dann auch an sich denken. Ich glaub an dieser Stelle wurde dann auch von mir ein Beitrag geleistet zur Podiumsdiskothek. Ich hab - Wenn er seine Persönlichkeit behalten will, dann soll er im Volk bleiben und einer der aus dem Volk heraus kommt und von dem Volk heraufgehoben wird, der hat sich auch für das Volk einzusetzen. Diese-, diese-, dieses Gespräch wirkte auf das Publikum ziemlich erregend und es wurde anschließend etwas leicht temperamentvoller diskutiert. Es gab verschiedene Einwände und verschiedene Gegenwände, bis nach circa 10 Minuten alles abgebrochen wurde und ein etwa 25 jähriger Mann auftrat, mit einem Schnauzbart und langen schwarzen Haaren, einem karierten Hemd und einer Jeans. Und er sagte, ähm, es wäre jetzt an der Zeit, da diese-, dieser Lyrikabend von einer Friedensdekade ausgeht, diese Friedensdekade auch mal vorzulesen. Und wir könnten ja auch darüber abstimmen. Äh. Daraufhin trat ein Mädel vor Günther de Bruyn. Bei der Person, die hervortrat, handelte es sich um eine weibliche Person, die ungefähr 1,65 groß war, Frisur trug vom modischen Trend. Sie kam aber nicht zum vorlesen, denn anschließend erhoben sich relativ viele vom Publikum und schickten sich an zu gehen. Dort an diesem Punkt erhob sich ebenfalls der kraushaarige Sprecher von vorhin und erklärte, dass man auf den Veranstalter hören müsste, auf den Pfarrer und das er das Wort hätte. Aber da hörte keiner zu und man verließ den Raum. In meinem Beisein wurde nichts von Un-[unverständlich]-sleistung, allerdings, äh, besteht die Möglichkeit, dass nach meinem Weggehen ungefähr noch 20 oder 30 Jugendliche dablieben und vielleicht noch was von Statten ging. An der Veranstaltung nahmen ungefähr 500 Mann dran teil. Gezeichnet, Frank Wedding.
[Jingle]
Sprecher: Sie hörten:
Sprecherin: "111 Kilometer Akten -
Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."
Im Zentrum der Publikation zur Hauptverwaltung A (HV A) steht die Rekonstruktion von Aufgaben, Strukturen und Quellen sowie die informationsbeschaffende Tätigkeit der Diensteinheit.
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