Am 28. Juni 1914 wurden der österreichisch-ungarische Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand und seine Frau Sophie bei einem Besuch der bosnischen Hauptstadt Sarajevo von einem neunzehnjährigen Studenten erschossen. Mit dem Attentat wollten die von Russland unterstützten serbischen Panslawisten ihre Forderung nach einem von Österreich-Ungarn unabhängigen serbischen Nationalstaat unterstreichen.
In Wien drängte das Militär auf einen schnellen Vergeltungsschlag gegen Serbien und das Deutsche Reich bekräftigte am 5./6. Juli seine Bündnistreue gegenüber der Donaumonarchie (“Mission Hoyos”). Ein schneller und energischer Militärschlag gegen Serbien sollte vollendete Tatsachen schaffen und Russland von einem Eingreifen abhalten. Während die Reichsregierung den Konflikt zwischen Österreich-Ungarn und Serbien einerseits lokal begrenzen wollte, hielt man in Berlin andererseits den Zeitpunkt für einen Krieg gegen Russland für den „am wenigsten ungeeigneten”, da Russland in absehbarer Zeit Deutschland „durch die Zahl seiner Soldaten” zu erdrücken drohe. Durch die Unentschlossenheit der europäischen Politiker spitzte sich die „Juli-Krise” dramatisch zu und mündete letztlich in den Ersten Weltkrieg.

Blick auf den Trauerzug in Triest, 1914, Quelle: BArch, Bild 183-2013-0809-500 / o. Ang.
Deutsche Politik nach dem Attentat von Sarajevo

Johann-Bernhard Mann war im Juni/Juli 1914 Korvettenkapitän und arbeitete Großadmiral von Tirpitz, der vom 2. bis 26./27.7. im schweizerischen Tarasp zu Kur war, zu, indem er über Unterredungen und Besprechungen auf höchster politischer und militärischer Ebene berichtete. Mit Kriegsausbruch fungierte er zudem als Vertreter des Reichsmarineamtes im Großen Hauptquartier.
Drei handgeschriebene Tagebücher (N 568/1-3) erstrecken sich über den Zeitraum von Juli 1914 bis August 1915. Sie beinhalten neben den Angaben zur politischen und militärischen Lage auch Darstellungen von Zusammenkünften und Unterredungen mit Kaiser Wilhelm II., dem Reichskanzler von Bethmann Hollweg, Vertretern des Auswärtigen Amtes und der militärischen Führung.
Korvettenkapitän Mann beschreibt Großadmiral von Tirpitz am 6. Juli eine Zusammenkunft zwischen Kaiser Wilhelm II. und Admiral von Capelle, der zu dieser Zeit Unterstaatssekretär im ReichsmarineamtReichsmarineamt und als solcher Assistent von Tirpitz war. Anfang Juli wurde das Militär über die Ereignisse lediglich informiert, unmittelbare militärische Auswirkungen hatten die Ereignisse zu dieser Zeit noch nicht. Der Kaiser und führende Politiker rechneten mit einer Klärung der Lage in acht bis zehn Tagen.
In den 1919 erschienenen Erinnerungen von Großadmiral von Tirpitz werden einige Textpassagen aus der Niederschrift von Kapitän Mann wortgleich verwendet. Das Werk von Tirpitz wurde nach seinem Erscheinen kontrovers diskutiert. So veröffentlichten beispielsweise Admiral von Müller (Chef des Marinekabinetts) und Staatssekretär (im Auswärtigen Amt) von Jagow Gegendarstellungen.



Von 1913 bis 1916 war Unterstaatssekretär Zimmermann im Auswärtigen Amt unter Staatssekretär Gottlieb von Jagow tätig. Zimmermann war im Laufe der „Mission Hoyos“ während der Julikrise an der Entscheidung beteiligt, Österreich-Ungarn im Krieg gegen das Königreich Serbien zu unterstützen. Die beiden im Text aufgeführten österreichisch-ungarischen Politiker spielten ebenfalls eine große Rolle in der Julikrise. Während Graf Berchthold ein militärisches Eingreifen und damit die Mission Hoyos unterstützen wollte, favorisierte Graf Tisza eine für Serbien annehmbare Note, vor allem weil er die Reaktion Russlands fürchtete.
Die deutsche Militärführung ergriff ab dem 8./9. Juli erste Maßnahmen, um sich auf einen möglichen Konflikt vorzubereiten, tat dies hier allerdings noch verdeckt vor der Öffentlichkeit und anderen Staaten.
Die Übergabe der Note mit den Forderungen Österreichs Serbien gegenüber erfolgte dann aber doch später, nämlich nach der Abreise des französischen Präsidenten aus Petersburg am 22./23. Juli 1914. Über den Inhalt des Ultimatums informierte der deutsche Botschafter in Wien die deutsche Reichsleitung am 12. Juli, doch handelte es sich dabei um einen ersten Entwurf. Die endgültige Fassung wurde erst am 19. Juli fertiggestellt.
Den Serben hatte Österreich eine Frist von 48 Stunden zur Beantwortung der Forderungen gegeben. Sofern während dieser Zeit keine oder keine ausreichende Antwort erfolgen sollte, würde die österreichische Mobilmachung erfolgen. Die Forderungen waren jedoch so formuliert, dass die Annahme für Serbien unmöglich war.
Großadmiral von Tirpitz hatte an diesem 13. Juli in Kenntnis des Ultimatums seinem Amtsvertreter geschrieben und eine Verständigung mit dem Zaren empfohlen, weil er nicht an eine Lokalisierung eines Krieges glaubte, ebenso wenig wie an die Neutralität Englands.

Am 20. Juli begann der dreitägige Besuch der französischen Regierungsdelegation unter Führung des französischen Präsidenten Poincares in St. Petersburg. Entgegen der Aussage Zimmermanns vom 13. Juli sollte die Note Österreichs nun nach dem Besuch überreicht werden. Verbunden werden sollte dies mit einer Stellungnahme Deutschlands für Russland, Frankreich und England mit der in der Textpassage beschriebenen Annahme eines lokalen Krieges und des erhofften - nicht offen formulierten - Nichteingreifens durch die anderen europäischen Großmächte.
Die deutschen Teilstreitkräfte hatten bis zu diesem Zeitpunkt weitestgehend planmäßigen Dienst durchgeführt, da die politische mit der militärischen Führung erst ab dem 18./19. Juli über eine Mobilmachung beratschlagte. In Österreich hingegen begannen die militärischen Vorbereitungen bereits, was sicherlich auch mit der bevorstehenden Übergabe der Note zusammenhing. Allerdings änderte sich die militärische Situation in Deutschland ab dem 21. und 22. Juli. Von nun an wurde, wenn auch noch teilweise verdeckt, ein militärischer Einsatz vorbereitet.

Der 29. Juli war offensichtlich ein besonders arbeitsreicher Tag: Die Ereignisse und Ergebnisse werden von Fregattenkapitän z.S. Mann auf fast fünf Seiten festgehalten.
An diesem Tag beschossen ab fünf Uhr morgens österreichische Kriegsschiffe die Zitadelle von Belgrad, nachdem Österreich am 25. Juli die Teilmobilmachung vorgenommen und drei Tage später Serbien den Krieg erklärt hatte.
In Deutschland diskutierten der Kaiser sowie die zivile und militärische Führung kontrovers, wie auf das Vorgehen Österreichs zu reagieren sei und ob beispielsweise „drohende Kriegsgefahr“ proklamiert werden soll.
In seinen Annalen beschreibt von Tirpitz das Treffen im Neuen Palais in Potsdam ausführlich. Er äußert u.a., dass der Kanzler „völlig in die Knie gesunken wäre“ und sich der Kaiser „über Bethmanns Unzulänglichkeit“ ärgerte. In späteren Veröffentlichungen wird darum auch hervorgehoben, dass zwischen den Persönlichkeiten, die im Juli 1914 die deutsche Politik leiteten (Kaiser, Reichskanzler und Staatssekretär im Auswärtigen Amt), erhebliche Meinungsverschiedenheiten bestanden.

Der Kaiser sah in der Depesche des Zaren eine versteckte Drohung, wie er dem Staatssekretär von Jagow in einem Telegramm an diesem Tag schrieb. Den Reichskanzler ließ er dabei außen vor - ein deutliches Zeichen und Ausdruck des Ärgers über Bethmann Hollweg. Es folgten diverse Vermittlungs-versuche, die allesamt nicht dazu führten, den Krieg aufzuhalten. Am 30. Juli erfolgte schließlich die russische und am 31. Juli die österreichische Generalmobilmachung. Die russische Generalmobilmachung wurde von Deutschland als Provokation empfunden. Am Tag der österreichischen Generalmobilmachung verkündete Deutschland darum den „Zustand drohender Kriegsgefahr“ und stellte Russland ein Ultimatum von 12 Stunden, innerhalb dessen die russische Generalmobilmachung einzustellen sei. Nachdem eine russische Antwort ausgeblieben war, ließ Berlin am 1. August das deutsche Heer mobilmachen und erklärte Russland am selben Abend den Krieg. Da Frankreich die ultimative deutsche Neutralitätsforderung ausweichend beantwortet hatte, folgte am 3. August auch die deutsche Kriegserklärung an Frankreich und der Einmarsch deutscher Truppen in Belgien. Am 4. und 8. August reagierte Großbritannien mit den Kriegserklärungen an Deutschland und Österreich-Ungarn.

