Experten-IMInoffizieller MitarbeiterInoffizielle Mitarbeiter waren das wichtigste Instrument des Ministeriums für Staatssicherheit... "Gildemeister" lässt kein gutes Haar an den Texten, die ihm die HA IHauptabteilung IZuständig für die Überwachung des Ministeriums für Nationale Verteidigung sowie der nachgeordneten... des MfSMinisterium für StaatssicherheitDas Ministerium für Staatssicherheit (umgangssprachlich oft kurz "Stasi") war politische... – zuständig für die Überwachung der NVA – zur Begutachtung vorgelegt hat. "Gehäuft finden sich abrupt (teils unlogisch) nebeneinanderstehende irritierende Bilder, sprachliche Ungekonntheiten – und wiederholt ist der Text ohne klare, eindeutige Bezüglichkeit", notiert "Gildemeister" Ende Juli 1982 nach der Lektüre der neun "Gedichte". Zwar würden einige "eigene Worte" der beiden Autoren "durch Originalität aufhorchen lassen" und "bestimmte Kehrseiten der gesellschaftlichen und privaten Wirklichkeit zeigen". – Möglicherweise seien sie darin "auch von Seiten Verantwortlicher der FDJ [...] bestärkt" worden. Doch durch Texte wie "Die Wilde Dreizehn", in denen "das Rebellentum an sich romantisiert" werde, könnten "unreife Persönlichkeiten in unserer Gesellschaft sich zu OppositionWiderstand und Opposition, Bekämpfung vonBekämpfung von Widerstand und Opposition umschreibt, was zwischen 1950 und 1989 als eine... usw. angeregt fühlen".
Die Gedichte hatte ein IM bei dem NVA-Soldaten Uwe V. entdeckt, heimlich kopiert und dem MfS übergeben. Die Geheimpolizei bearbeitete V. und einen weiteren Soldaten im Operativen Vorgang "Apostel", da sie insbesondere in den künstlerischen Arbeiten der beiden Männer und ihren Kontakten in Kirchenkreise eine Gefahr für das System sahen. Hinter den Autorennamen "Thomas Schwebel" und "Uwe Bauer" vermutete das MfS – wohl nicht zuletzt wegen der identischen Vornamen des Duos – die beiden bespitzelten Soldaten.
Stasi verkennt Rockband
Mit der Analyse der Texte sahen sich die MfSMinisterium für StaatssicherheitDas Ministerium für Staatssicherheit (umgangssprachlich oft kurz "Stasi") war politische...-Offiziere der HA IHauptabteilung IZuständig für die Überwachung des Ministeriums für Nationale Verteidigung sowie der nachgeordneten... jedoch überfordert und baten vermittelt durch Kollegen von der BVBezirksverwaltungIm Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf... Neubrandenburg IMInoffizieller MitarbeiterInoffizielle Mitarbeiter waren das wichtigste Instrument des Ministeriums für Staatssicherheit... "Gildemeister" um Rat. Bei diesem IM handelte es sich um den Germanisten Otto Teuscher, der schon 1967 vom MfS geworben worden war. Er berichtete insbesondere über das Literaturzentrum in Neubrandenburg und über viele Nachwuchsschriftsteller aus diesem Umfeld.
Doch auch der erfahrene Experten-IM konnte nicht alle Fragen des MfS zu den Texten beantworten. Zwar erkannte er, dass die "Gedichte" "liedhaft angelegt" waren und offenbar noch vertont werden sollten, bestimmte "Formelemente" und "modische Attribute" stammten aus der "Beat-, Rock- und Soulmusik", so IM "Gildemeister". Bei Begriffen wie der "Wilden Dreizehn" – eine Anspielung auf die gleichnamige Seeräuberbande aus dem Kinderbuch "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer", die in der Bundesrepublik jedes Kind erkannt hätte – musste er jedoch passen.
Auch die Überschrift "Fehlfarben" verstand der 53-Jährige nicht – zu weit weg waren ihm wohl nicht nur die westliche Popkultur, sondern auch manche Elemente jugendlichen Lebens in der DDR. "Der Begriff Fehlfarben ist aus der Zigarrenindustrie bekannt; er bezeichnet (unerhebliche) Qualitätsminderung der Produkte", schreibt IM "Gildemeister" in seinem Gutachten. "Möglicherweise will das Autorenpaar damit selbstironisch das Unausgereifte der literarischen Versuche bezeichnen; es kann freilich auch sein, daß die Thematik, (die die Fragmente eines Weltbildes ergibt) gemeint ist, in dem Sinne: In der (unsrigen, realen) Welt ist nicht alles vollkommen. Vielleicht soll auch so etwas assoziieren wie: das Abweichende."
Tatsächlich handelte es sich bei "Fehlfarben" um eine legendäre westdeutsche Band, die 1979 von Musikern aus der Düsseldorfer Punk-Szene gegründet worden war. Die neun "Gedichte", die IMInoffizieller MitarbeiterInoffizielle Mitarbeiter waren das wichtigste Instrument des Ministeriums für Staatssicherheit... "Gildemeister" so rätselhaft und recht misslungen erschienen, gehörten zu den Texten der elf Titel, die die Band im Jahr 1981 auf ihrer zweiten Langspielplatte "33 Tage in Ketten" veröffentlicht hatte. Hinter den Namen Thomas Schwebel und Uwe Bauer verbargen sich keineswegs Pseudonyme, wie das MfSMinisterium für StaatssicherheitDas Ministerium für Staatssicherheit (umgangssprachlich oft kurz "Stasi") war politische... und der IM vermuteten. Vielmehr hatten die beiden Musiker als Gitarrist bzw. Schlagzeuger zu den Gründungsmitgliedern der Band gehört und zahlreiche Songtexte geschrieben.
Als Duo texteten die beiden auch den Titel "Imitation of life", der dem IM wie die anderen "Gedichte" als Thermokopie in schlechter Qualität vorlag, auf der manche Worte nachträglich besser lesbar gemacht worden waren. Der Neustrelitzer Germanist las, da er ja den eigentlichen Kontext nicht kannte, den Text als Kommentar zur DDR-Gesellschaft und schuf damit unabsichtlich eine vielschichtige QuelleQuelleZentrale IM-Kategorie der Hauptverwaltung A. Als Quelle wurden im sogenannte Operationsgebiet...:
"Der Liedinhalt umschreibt [...] Kriterien der Lebensführung eines Sich-Abseits-Haltenden. Der Betreffende wird direkt angesprochen; da sich kaum jemand in unserer Gesellschaft als Adressat vorkommen dürfte, ist die Wirkung [...] mehr im Zusammenhang mit zupackender Musik zu sehen [...]. [Ä]ngstlicher Konformismus [ist] für die Autoren gleichbedeutend mit dem Abseitsstehen [...]. Man könnte schlußfolgern, daß sie den gesellschaftlich Aktiven, dabei kritisch Unbequemen fordern. Aber das Problem liegt doch komplizierter. Die Autoren haben nämlich ein gewisses Verständnis für die attackierte Feigheit. [...] Das Lied macht das gewöhnliche Leben verächtlich und deshalb auch denjenigen, der sich angleicht und sich - gegenüber den Unzufriedenen! - abseits hält. Man geht wahrscheinlich nicht gänzlich fehl, wenn man dieses Lied für eine Art Aufruf zum Nonkonformismus (= zu einer sich artikulierenden Gegnerschaft zu Biederkeit, Einfachheit, Geradlinigkeit usw.) hält."
Zwei DDR-Soldaten im Auftrag des "Feindes"
IMInoffizieller MitarbeiterInoffizielle Mitarbeiter waren das wichtigste Instrument des Ministeriums für Staatssicherheit... "Gildemeister" dürfte damit vermutlich tatsächlich einen der Gründe beschrieben haben, aus denen sich das Interesse des Soldaten Uwe V. und anderer junger DDR-Bürger an solcher Musik speiste. Das MfSMinisterium für StaatssicherheitDas Ministerium für Staatssicherheit (umgangssprachlich oft kurz "Stasi") war politische... scheint mit dem siebenseitigen Gutachten allerdings nicht wirklich zufrieden gewesen zu sein. In dem Begleitschreiben, das die AbteilungAbteilungEine selbständige Abteilung ist eine Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den... XX der BVBezirksverwaltungIm Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf... Neubrandenburg an ihre Kollegen von der HA IHauptabteilung IZuständig für die Überwachung des Ministeriums für Nationale Verteidigung sowie der nachgeordneten... sandte, wird darauf verwiesen, dass die "Gedichte nach Auskunft des Experten-IM erst nach ihrer Vertonung die konkreten Wirkungsabsichten erkennen lassen". Trotzdem war man der Meinung: "Unseres Erachtens sind die Texte objektiv geeignet, um negativ-feindliche Wirkungen zu erzielen." Die Bespitzelung der beiden Soldaten konnte weitergehen.