Wandel in der Kirchenpolitik der SED
Die Jugendweihe stellte in der Zeit von 1933 bis 1945 nur eine Randerscheinung dar. Dies änderte sich auch in der sowjetischen Besatzungszone und ab 1949 in der neu gegründeten DDR zunächst nicht. Die Kirchen, die man in die eigenen Pläne einzubinden versuchte, sollten nicht verärgert werden. Doch dann kam es zum Wandel in der Kirchenpolitik der DDR. Die Jugendweihe sollte mit aller Macht durchgesetzt werden.
Noch kurz vor dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 wurden die DDR-Machthaber Otto Grotewohl, Walter Ulbricht und Fred Oelßner nach Moskau bestellt. Dort wurden sie mit einer raschen Korrektur ihrer Politik beauftragt. Bisherige Maßnahmen gegen die Kirchen sollten einer Revision unterzogen werden. Eine intensive Aufklärungs- und Kulturarbeit sollte entwickelt werden, um auf diese Weise den Atheismus zu propagieren.
Diesen „Neuen Kurs“ griff die SED im März 1954 auf, als das Politbüro über die „Politik der Partei in Kirchenfragen“ diskutierte. Die Parteiführung entschied, die „populärwissenschaftliche Aufklärungsarbeit in der Partei und unter den Massen zu verstärken“. In dieser Sitzung kam auch erstmals die Jugendweihe zur Sprache. Die Massenorganisationen sollten sie vorbereiten und ab 1955 durchführen, dabei aber den staatlichen Einfluss verschleiern.
Erster Aufruf zur Jugendweihe in der DDR im November 1954
Als der neu gegründete „Zentrale Ausschuss für Jugendweihe“ am 12. November 1954 einen Aufruf zur Jugendweihe veröffentlichte und den Ritus als „Kraftquell für die weitere Entwicklung des jungen Menschen“ beschrieb, musste dies von den Kirchen als Kampfansage verstanden werden. Die evangelische und katholische Kirche reagierten auf den Jugendweiheaufruf sofort. In Hirtenbriefen, Kanzelabkündigungen und öffentlichen Schreiben verkündeten die Geistlichen ihre Überzeugung, dass die Teilnahme an der Jugendweihe mit dem Bekenntnis des christlichen Glaubens nicht vereinbar sei.
Ab diesem Zeitpunkt findet sich in den Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfSMinisterium für StaatssicherheitDas Ministerium für Staatssicherheit (umgangssprachlich oft kurz "Stasi") war politische...) reichlich Material zur Jugendweiheproblematik. Die Geheimpolizei sammelte Informationen, erstellte Analysen, legte Vorgänge an und wirkte massiv auf Personen ein. Als „Schild und Schwert der Partei“ war die Stasi dafür sensibilisiert, Kritik an einer Entscheidung der SED – in diesem Fall die Gegnerschaft zur Jugendweihe – zu unterbinden. So gerieten Anfang 1955 zunehmend Pfarrer in ihr Blickfeld.
Charakteristisch für den weiteren Kampf um die Jugendweihe war ein Schreiben des evangelischen Bischofs Ludolf Müller der Kirchenprovinz Sachsen an Ministerpräsident Grotewohl. Darin beklagte sich Müller, dass Äußerungen gegen die Jugendweihe schon pauschal als „Stellungnahme gegen staatliche Anordnungen“ und als „Boykotthetze“ gewertet würden. Die heftige Reaktion der Kirchen führte dazu, dass von den Jugendlichen, die sich für die Jugendweihe angemeldet hatten, ein Großteil seine Anmeldung zurückzog.