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Blick in den vollbesetzten Festsaal des Klubhauses „Erich Weinert“ an der Wuhlheide

Jugendweihe im Berliner Bezirk Köpenick im Festsaal des Klubhauses „Erich Weinert“ an der Wuhlheide am 27. März 1955, Quelle: BArch, Bild 183-29615-0001 / Weiß, Günter

Staat gegen Kirche

In Westdeutschland gehörten Kommunion und Konfirmation zu den festen Riten junger Leute, die Jugendweihe war weitgehend unbekannt. In der DDR aber wurde sie zu einem staatlichen Pendant, mit dem die SED-Führung den Einfluss der Kirchen zurückdrängen wollte. Die erste Jugendweihe fand am 27. März 1955 in Ost-Berlin statt.

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Wandel in der Kirchenpolitik der SED

Die Jugendweihe stellte in der Zeit von 1933 bis 1945 nur eine Randerscheinung dar. Dies änderte sich auch in der sowjetischen Besatzungszone und ab 1949 in der neu gegründeten DDR zunächst nicht. Die Kirchen, die man in die eigenen Pläne einzubinden versuchte, sollten nicht verärgert werden. Doch dann kam es zum Wandel in der Kirchenpolitik der DDR. Die Jugendweihe sollte mit aller Macht durchgesetzt werden.

Noch kurz vor dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 wurden die DDR-Machthaber Otto Grotewohl, Walter Ulbricht und Fred Oelßner nach Moskau bestellt. Dort wurden sie mit einer raschen Korrektur ihrer Politik beauftragt. Bisherige Maßnahmen gegen die Kirchen sollten einer Revision unterzogen werden. Eine intensive Aufklärungs- und Kulturarbeit sollte entwickelt werden, um auf diese Weise den Atheismus zu propagieren.

Diesen „Neuen Kurs“ griff die SED im März 1954 auf, als das Politbüro über die „Politik der Partei in Kirchenfragen“ diskutierte. Die Parteiführung entschied, die „populärwissenschaftliche Aufklärungsarbeit in der Partei und unter den Massen zu verstärken“. In dieser Sitzung kam auch erstmals die Jugendweihe zur Sprache. Die Massenorganisationen sollten sie vorbereiten und ab 1955 durchführen, dabei aber den staatlichen Einfluss verschleiern.

Erster Aufruf zur Jugendweihe in der DDR im November 1954

Als der neu gegründete „Zentrale Ausschuss für Jugendweihe“ am 12. November 1954 einen Aufruf zur Jugendweihe veröffentlichte und den Ritus als „Kraftquell für die weitere Entwicklung des jungen Menschen“ beschrieb, musste dies von den Kirchen als Kampfansage verstanden werden. Die evangelische und katholische Kirche reagierten auf den Jugendweiheaufruf sofort. In Hirtenbriefen, Kanzelabkündigungen und öffentlichen Schreiben verkündeten die Geistlichen ihre Überzeugung, dass die Teilnahme an der Jugendweihe mit dem Bekenntnis des christlichen Glaubens nicht vereinbar sei.

Ab diesem Zeitpunkt findet sich in den Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfSMinisterium für StaatssicherheitDas Ministerium für Staatssicherheit (umgangssprachlich oft kurz "Stasi") war politische...) reichlich Material zur Jugendweiheproblematik. Die Geheimpolizei sammelte Informationen, erstellte Analysen, legte Vorgänge an und wirkte massiv auf Personen ein. Als „Schild und Schwert der Partei“ war die Stasi dafür sensibilisiert, Kritik an einer Entscheidung der SED – in diesem Fall die Gegnerschaft zur Jugendweihe – zu unterbinden. So gerieten Anfang 1955 zunehmend Pfarrer in ihr Blickfeld.

Dokument in der Stasi-Mediathek ansehen

Charakteristisch für den weiteren Kampf um die Jugendweihe war ein Schreiben des evangelischen Bischofs Ludolf Müller der Kirchenprovinz Sachsen an Ministerpräsident Grotewohl. Darin beklagte sich Müller, dass Äußerungen gegen die Jugendweihe schon pauschal als „Stellungnahme gegen staatliche Anordnungen“ und als „Boykotthetze“ gewertet würden. Die heftige Reaktion der Kirchen führte dazu, dass von den Jugendlichen, die sich für die Jugendweihe angemeldet hatten, ein Großteil seine Anmeldung zurückzog.

Gezieltes Aufweichen der kirchlichen Grundsatzpositionen

Doch wie kam es, dass das SED-Regime die sozialistische Jugendweihe gegen alle Widerstände der Kirchen innerhalb weniger Jahre trotzdem durchsetzen konnte? Einer der Gründe lag in der Aufgabe der strikten „Entweder-Oder-Haltung“ durch die Kirchenleitung. Sie besagte, dass für Heranwachsende nur eine Teilnahme entweder an der Konfirmation oder an der Jugendweihe möglich sein dürfe. Ein kirchlicher Stasi-Kontaktmann sorgte dafür, dass diese Haltung aufgeweicht wurde: der vom MfS geführte Geheime Mitarbeiter Gerhard Lotz (GMGeheimer MitarbeiterVon 1950 bis 1968 geltende Bezeichnung für inoffizielle Mitarbeiter mit tatsächlichem oder... „Karl“). Ihm gelang es, einen Großteil der Synodalen der Thüringischen Landeskirche  gegen den Willen des Landesbischofs  davon zu überzeugen, die kirchliche „Entweder-Oder-Haltung“ aufzugeben.

Dazu lud GM „Karl“ im Einverständnis mit dem MfS im Vorfeld der Herbstsynode 1958 einen Teil der Synodalen ein. Bei dem Treffen übte er argumentativ geschickt Einfluss auf sie aus. Schlussendlich befürworteten sie einen vorgefertigten Entwurf und unterzeichneten ihn. Dies hatte zur Folge, dass sich die Thüringer Landeskirche von der strikten „Entweder-Oder-Haltung“ abwandte. Damit begann die Einheit der Kirchen in der Jugendweihefrage zu zerbrechen.

Dazu kam die gezielte Verunsicherung der Bevölkerung durch Propagandaaktionen des Staates. Einen Anlass dazu bot die gelegentlich geäußerte Haltung von Kirchenvertretern, denjenigen, die sich für eine Jugendweihe entschieden, später eine kirchliche Bestattung zu verweigern. Stasi und SED nutzten z. B. den Fall Otto Maercker, um solche Formen von „Kirchenzuchtmaßnahmen“ zu diskreditieren. Otto Maercker war ein Pfarrer, der einer Jugendlichen wegen deren Teilnahme an der Jugendweihe das Recht auf eine kirchliche Beisetzung abschlug. Fortan wurden mehrerer Fälle von kirchlicher Bestattungsverweigerung propagandistisch aufgebauscht, wenngleich sich viele dieser Fälle nach Überprüfung der Umstände weitgehend als haltlos erwiesen. Mit dem Fall Otto Maercker änderte sich jedoch die Stimmung in der Bevölkerung.

Der zunehmende politische und gesellschaftliche Druck auf Jugendliche und Eltern seitens der Schulen und Betriebe tat letztendlich sein Übriges, um die Jugendweihe in der DDR durchzusetzen. Während 1955 nur 17,7 Prozent der in Frage kommenden Jugendlichen an der Jugendweihe teilnahmen, wuchs die Zahl bis 1959 bereits auf 80,4 Prozent, 1964 auf 94 Prozent und 1979 gar auf 97,5 Prozent.

Nachdem der neue Ritus Ende der 1950er Jahre in der DDR-Gesellschaft etabliert war, schwand auch das Interesse des MfS am Thema Jugendweihe. Zwar gab es in der Bevölkerung weiterhin Protest, die Anzahl der Stasi-Berichte zu dem Thema ging jedoch zurück. Auch die direkte Bearbeitung von Geistlichen durch die Geheimpolizei im Zusammenhang mit Protesten gegen die Einführung der Jugendweihe reduzierte sich deutlich.

Erich Honecker schüttelt einem Mädchen die Hand und hält eine Urkunde in der anderen Hand. Daneben stehen weitere Mädchen und ein Junge in festlicher Kleidung.
Feierliche Übergabe von Urkunden durch Erich Honecker an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Jugendweihe, um 1960Quelle: BArch, MfS, ZKG, Fo, Nr. 269, Bild 1

Publikation zum Thema

  • Die Macht der Kirchen brechen
    Publikation

    Die Macht der Kirchen brechen

    In den 1950er-Jahren führte die SED gegen die christlichen Kirchen einen Kulturkampf um die Einführung der Jugendweihe - mit dem Ziel, den kirchlichen Einfluss auf die Jugend zu brechen. Die Rolle des MfS in dieser Auseinandersetzung beschreibt die vorliegende Studie.