Zu seinen Hörern zählte der 18-jährige Rolf K. Von Beginn an hörte er meist gemeinsam mit seinen Freunden Wolfgang E. und Klaus H. die neue Sendung. Sonntagnachmittags saßen die drei vor dem Radio von K.s Großvater, bei dem der junge Rostocker aufwuchs, und entschwanden wie Hunderttausende andere Jugendliche in Ost und West für eine Zeit lang in die Welt von Peter Kraus, Conny Froboess und den Nilsen Brothers. Über die besten unter den 25 gespielten Titeln konnten die Hörer abstimmen, indem sie eine Postkarte an RTL sandten – so wie K., der seinen Vernehmern des MfSMinisterium für StaatssicherheitDas Ministerium für Staatssicherheit (umgangssprachlich oft kurz "Stasi") war politische... später gestand, sich "als grosser Liebhaber von Schlagermusik [...] 8 bis 10 Mal" beteiligt zu haben.
Doch nicht nur das erzählte der junge Mann: Im September 1959 sandte K. gemeinsam mit seinem Freund Wolfgang E. sogar einen Brief nach Luxemburg. Im Verhör berichtet er: "Sinngemäss habe ich in diesem Brief folgendes an den Ansager Camillo geschrieben: Werter Herr Camillo. Wir sind sehr erfreut über ihre Sendungen sowie über die Schlager, die Sie selber singen. Bei uns ist das Hören von 'Radio Luxemburg' verboten. Trotzdem hören hier viele Jugendliche die Sendungen, weil Musik von unseren Sendern den Jugendlichen nicht gefällt, da zu viel Politik dabei ist. Wir bitten Sie, uns zwei Bilder von Ihnen mit Autogramm zu schicken und legen einen Bericht der 'JungenWelt' bei. Daraus können Sie entnehmen, wie hier der Sender eingeschätzt wird. Wir glauben dies aber nicht und hören Ihre Schlagersendung gerne weiter."
Tatsächlich bildete der Kampf gegen die sogenannten westlichen "Hetzsender" ein beherrschendes Thema der SED-Propaganda dieser Jahre. RIAS, AFN und eben Radio Luxemburg wurden als von westlichen Geheimdiensten gesteuerte "Feindorgane" betrachtet, die die JugendJugendZahlreiche MfS-Dokumente belegen, dass die Jugend der DDR zu keiner Zeit flächendeckend überwacht... in der DDR gegen die SED-Herrschaft auf etzen sollten. Sogar scheinbar harmlose Quizsendungen, bei denen man Preise gewinnen konnte, würden genutzt, um Spione anzuwerben, wollte etwa die Neue Zeit ihren Lesern weißmachen. Beim Abholen der Preise in West-Berlin könnten die Menschenfänger des "RIAS" die Gewinner "gefügig für Spionageaufgaben machen", so die SED-Propagandisten.
Angesichts einer solchen Drohkulisse verwundert es nicht, mit welcher Massivität das MfSMinisterium für StaatssicherheitDas Ministerium für Staatssicherheit (umgangssprachlich oft kurz "Stasi") war politische... gegen K. und seine Freunde vorging. Dabei war die Geheimpolizei den jungen Leuten keineswegs selbst auf die Spur gekommen. Folgt man den überlieferten Vernehmungsprotokollen, so hatte sich K. offenbar gegenüber seinen Vorgesetzten in der NVA selbst seiner "Taten" bezichtigt. Dabei hatte er behauptet, Berichte über Truppenbewegungen geliefert und von RTL Aufträge erhalten zu haben. haben. Den Hintergrund bildete vermutlich seine Unzufriedenheit in der NVA. Wenige Wochen zuvor war er zur Armee gegangen – eine Entscheidung, die er offenbar schon bald bereute. Recht naiv setzte er darauf, auf der Grundlage seiner "Räuberpistole" über Anwerbeversuche westlicher Geheimdienste wieder aus der Armee entlassen zu werden.
Das MfS glaubte ihm – wenig überraschend – zunächst, doch die Ermittlungen zeigten, dass die Behauptungen K.s nicht viel hergaben. Das Gerichtsverfahren gegen ihn stützte sich daher in erster Linie auf die Autogrammkarte, die K. nach seinem Brief an Camillo erhalten hatte. So heißt es im Urteil gegen K.: "Etwa 14 Tage nach Absendung des Briefes erhielt der Angeklagte von dem Rundfunksprecher Camillo zwei Fotos mit persönlicher Widmung, die wie folgt lautet: 'Herzlichen Dank für alles; für Rolf trotz allem alles Gute! Camillo.' Hieraus ist eindeutig zu entnehmen, daß der von dem Angeklagten an 'Radio Luxemburg' gesandte Brief der Zentrale für ihre Feindarbeit gegen das sozialistische Lager von Nutzen war."
K. habe, so die Richter, Kontakt zu einer "verbrecherischen Dienststelle" aufgenommen, "in übelster Weise die Lebensweise" in der DDR "verunglimpft" und die "westlichen Kriegstreiber" unterstützt. Daher müsse er "strengstens zur Verantwortung gezogen werden", zumal sein jugendliches Alter dem nicht entgegenstehe, "seiner sittlichen und geistigen Entwicklung" nach sei er "durchaus reif genug, die gesellschaftliche Gefährlichkeit seiner Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln".
Das Urteil für den 18-Jährigen lautete auf ein Jahr Gefängnis. Als zusätzlich belastend betrachtete das Gericht offensichtlich K.s Herkunft. Sein Vater sei "Major bei der fasch[istischen] Wehrmacht" gewesen, habe sich 1945 von seiner Ehefrau getrennt und arbeite nun in Lübeck "beim westdeutschen Zolldienst in höherer Funktion". Dieses biografische Detail dürfte das ideologische Weltbild des Richters und seiner Schöffen bestätigt haben, zumal K. im Zuge seiner Einstellung bei der NVA Tätigkeit und Aufenthaltsort seines Vaters verschwiegen hatte. Die Autogrammkarte fand das MfS im Übrigen nicht bei K., sondern bei seinem Freund Klaus H. Rolf K. hatte die Karte zwei Wochen, nachdem der Brief von Camillo bei ihm eingetroffen war, "für einige Romanhefte" mit H. eingetauscht.