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Nr. 113
Besprechung mit den Ministerpräsidenten von Bayern und Württemberg im Reichsfinanzministerium, 26. Januar 19291
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Die Aufzeichnung, die die Paraphe des RK trägt, ist von MinR Vogels unterschrieben.
Anwesend: RFM Hilferding; PrFM Höpker-Aschoff; BayerMinPräs. Held; BayerFM Schmelzle; WürttStaatsPräs. Bolz; WürttFM Dehlinger; MinDir. Dorn, Brecht; Gesandte v. Preger, Bosler.
[Länderansprüche.]
Der Reichsminister der Finanzen unterscheidet bei den Landesansprüchen bekanntlich vier Hauptgruppen:
1. | Ansprüche wegen verlorenem nutzbaren Eigentum, |
2. | Aufwertungsansprüche der acht Eisenbahnländer für den Übergang der Staatseisenbahnen, |
3. | Aufwertungsansprüche der zwei Postländer für Abtretung der Post – hierzu Rückforderungsanspruch Preußens für bare Eisenbahnvorschüsse –. |
4. | Ansprüche aus der Biersteuer. |
Von diesen vier Gruppen wurde Gruppe 1 nicht erörtert.
Zu Gruppe 2 – Eisenbahnansprüche – schlug Reichsminister Hilferding vor, in einem zu erlassenden Reichsgesetz die Ansprüche der Länder grundsätzlich anzuerkennen, die Effektuierung der Ansprüche und deren Verzinsung jedoch ruhen zu lassen bis zu der Zeit, in der das Reich die volle Verfügungsgewalt über die Reichsbahn wiedererlangt haben wird. Preußen war mit diesem Vorschlag einverstanden. Bayern und Württemberg gingen zwar nicht so weit, sich ausdrücklich einverstanden zu erklären, sie ließen jedoch erkennen, daß auch sie keine anderen Lösungsmöglichkeiten für den Fragenkomplex sehen, und daß sie sich schließlich mit dem Vorschlag abfinden würden, zumal wenn es gelingen sollte, die beiden folgenden Gruppen von Forderungen einigermaßen zufriedenstellend zu regeln. Sie erklärten offen, daß an der Eisenbahnfrage[389] nahezu alle Länder beteiligt seien, und daß irgendwie erhebliche Leistungen des Reichs auf diese Forderungen nur den Finanzausgleich zu ungunsten der Länder belasten könnten2.
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Bremen am 26. 1., Lippe am 4. 3. und Hamburg am 6. 5. erhoben den Anspruch, auch als Eisenbahnländer anerkannt zu werden (R 43 I/2335, Bl. 106, 118, sowie R 43 I/2334 Bl. 347). Bei dieser Gelegenheit monierte Lippe, daß die kleinen Länder zu den Entschädigungsverhandlungen nicht herangezogen worden seien.
Zu Gruppe 3 – Postabfindung – gelang es nicht, den Standpunkt des Reichs dem Standpunkt von Bayern und Württemberg näherzubringen.
Reichsminister Hilferding erklärte, daß vom Standpunkt des Reichs wohl nur an eine Aufwertung der Restkaufgeldsummen, die sich bei Bayern auf 620 Millionen Papiermark und bei Württemberg auf 250 Millionen Papiermark beziffert, gedacht werden könne. Bei Anwendung des Aufwertungsindex beziffert sich danach die bayerische Kapitalforderung auf 36,7 Millionen3 RM, die württembergische Kapitalforderung auf 14,5 Millionen4 RM. Hierzu würden Zinsrückstände für mehrere Jahre hinzuzurechnen sein. Bayern sowohl wie Württemberg erklärten, daß der Ausgangspunkt, von dem das Reich die Berechnung der heutigen Forderungen vornehme, unrichtig sei. Dem Entschädigungsanspruch sei die Entstehungsursache zu Grunde zu legen. Württemberg erklärte, daß die Post dem Lande Württemberg einen dauernden jährlichen Nettoüberschuß von 9 Millionen RM gebracht habe. Es sei unmöglich, sich für den Verlust der Post mit dem eineinhalbfachen eines Jahresnettobetrages zufrieden zu geben. Der Wert der württembergischen Postanstalten sei in der Eröffnungsbilanz der Reichspost mit 67 Goldmillionen eingesetzt. Zum mindesten müsse von diesem Kapitalwert ausgegangen werden. Bayern erklärt, daß die bayerischen Postanstalten bei Übergang auf das Reich mit 929 Millionen Papiermark bewertet worden seien. Im Staatsvertrag habe man als erstattungspflichtige Summe zwei Drittel dieses Wertes, das sind 620 Millionen Papiermark, eingesetzt. Es gehe nicht an, diese Summe kurzer Hand über den Aufwertungsindex umzurechnen, vielmehr müsse der wahre Anlagewert in Rechnung gestellt werden. In der Klageschrift an den Staatsgerichtshof hat Bayern die rückständigen Kapitalforderungen vorläufig mit 152 Millionen GM angerechnet. Heute behielt sich Bayern eine Erhöhung dieser Kapitalforderung ausdrücklich vor. Beide Länder erklärten übereinstimmend, daß sie ohne wesentliches weiteres Entgegenkommen des Reichs die anhängigen Klagen beim Staatsgerichtshof zu Ende durchführen würden.
Während Bayern seinen Standpunkt sehr hartnäckig vertrat, erschien Württemberg verständigungsbereiter. Staatspräsident Bolz meinte, wenn im Postetat eine Summe von jährlich 10 bis 12 Millionen eingesetzt würde, würde sich die württembergische und bayerische Forderung unschwer verzinsen und amortisieren lassen. Der preußische Widerstand, der sich darauf gründete, daß jede erhebliche Leistung zu Gunsten von Einzelstaaten letzten Endes den Finanzausgleich und damit auch Preußen belasten werde, war in diesem Punkt nicht[390] besonders groß, offenbar in dem Bestreben, die süddeutschen Länder in der nachfolgenden Biersteuerfrage nicht allzu sehr zu versteifen5.
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Aus: „verprellen“.
Die preußische Forderung auf Rückzahlung von Eisenbahnvorschüssen wurde nur kurz erörtert. Grundsätzliche Bedenken gegen ihre Befriedigung wurden nicht geäußert.
In der Gruppe 4 – Ansprüche aus der Biersteuer – gelang es gleichfalls nicht, die entgegengesetzten Meinungen einander näherzubringen. Für die Zukunft lehnte Bayern jede Bindung ab. Für die rückliegende Zeit verlangt Bayern zum mindesten keine Ermäßigung des gegenwärtigen Betrages von 45 Millionen RM. Im Gegenteil ließ es durchblicken, daß die bisher gezahlten Beträge zu gering seien. Der Staatsgerichtshof habe alle Novellen zu den Eintrittsgesetzen für rechtsungültig erklärt. Hieraus leite Bayern das Recht her, erhöhte Ansprüche aus der Biersteuer für die Gesamtheit der rückliegenden Jahre abzuleiten.
Reichsminister Hilferding erklärte angesichts der Unmöglichkeit, sich mit den Ländern über bestimmte Vorschläge zu einigen, daß er dem Reichskabinett von dem vorgetragenen Standpunkt der Länder Kenntnis geben werde, und daß das Reichskabinett alsdann zu der Forderung der Länder Stellung nehmen werde.
Die Absicht des Reichsministers der Finanzen geht dahin, nicht nur das Ruhen der Eisenbahnansprüche, sondern auch die Regelung der Postabfindung und die Regelung der Biersteuerfrage in ein und demselben Gesetz zur Erledigung zu bringen6.
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Der BayerFM übersandte eine Aufstellung der Forderungen seines Landes dem RK am 28.1.29 (R 43 I/2334, Bl. 339-345). Sie betrafen: 1) Übergang der bayer. Post auf das Reich 620 Mio RM; 2) Restabfindung für die Eisenbahn 192 251 592 RM; 3) Neuregelung der Biersteuer rückwirkend bis zum Jahre 1924; 4) Übergang der bayer. Wasserstraßen auf das Reich 22 Mio RM; 5) Benutzung der Finanzgrundstücke durch das Reich jährlich 2¼ Mio RM: 6) Ersatz für Saarschäden im gleichen Ausmaß wie bei Preußen; 7) Ersatz für Staatsforsten im besetzten Gebiet 16 072 000 RM; 8) Ersatz für Steuerausfälle durch Besetzung der Pfalz für 1923/24 über 10 Mio RM, für 1925-28 pro Jahr 5 Mio RM; 9) Ersatz für die aufgenommenen Kredite zur Zahlung der Kriegswohlfahrtspflege; 10) Ersatz für Aufwendungen für die ausgewiesenen bayer. Beamten. Außerdem enthielt der Brief einen Hinweis auf einen unverzinslichen Kassenvorschuß in Höhe von 30 Mio RM an Bayern, der im „Geheimabkommen“ vom 8.12.27 in Aussicht gestellt worden sei. – Im Anschluß an diese Besprechungen in Berlin griff der BayerMinPräs. das Reich und Preußen in einer Pressekonferenz am 31. 1. scharf an. Trotz der Betonung, daß diese Ausführungen vertraulich seien, wurden sie von Münchener Telegrammzeitung veröffentlicht. Der bayer. Gesandte entschuldigte sich für die Veröffentlichung Anfang Februar bei dem PrMinPräs. (Material in R 43 I/2335; s. a. Schultheß 1929, S. 15, 19 ff.).