Text
[703] Nr. 215
Der Staatssekretär im Büro des Reichspräsidenten an den Reichskanzler. 31. Mai 1929
[Betrifft: Republikschutzgesetz.]
Hochverehrter Herr Reichskanzler!
Unter Bezugnahme auf die Unterhaltung, die ich heute vormittag mit Ihnen zu führen die Ehre hatte1, darf ich im Auftrage des Herrn Reichspräsidenten Ihnen die Anregung unterbreiten, bei der Einführung des Gesetzes zur Verlängerung des Gesetzes zum Schutze der Republik in Erweiterung der dem Gesetz beigegebenen Begründung eine Erklärung der Reichsregierung abzugeben dahin, daß zwar eine Verlängerung des Gesetzes um drei Jahre vorgesehen ist, das Republikschutzgesetz aber schon früher außer Kraft gesetzt werde, falls das neue Strafgesetzbuch vorher in Kraft tritt2.
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Hierzu vermerkte der RK: „Herr StS Meissner teilte mir in einer Unterredung in der Rkei mit, daß der Herr RPräs. gegen den Artikel 23 des Republikschutzgesetzes (Kaiserverbannung) schwere innere Bedenken habe. Es wäre dem Herrn RPräs. recht zu wissen, ob die Regierung auf der Aufrechterhaltung dieses Paragraphen bestünde, wenn sie im RT keine Mehrheit für ihn finden würde. Ferner würde der RPräs. Wert darauf legen, wenn bei der Einführung des Gesetzes in weiterer Erläuterung der Begründung eine Erklärung der RReg. abgegeben werden könne, nach der zwar eine Verlängerung des Gesetzes um drei Jahre vorgesehen sei, aber das Republikschutzgesetz schon früher außer Kraft gesetzt werde, falls das neue Strafgesetz schon früher in Kraft trete. – Ich erwiderte Herrn Staatssekretär Meissner, daß die Regierung sich nicht dafür einsetzen könne, den Artikel 23 aus dem Gesetz zu lassen. Das Gesetz sei das letztemal von einem Ministerium vorgelegt worden, in dem Hergt Justizminister und von Keudell Innenminister gewesen sei. Der Herr RPräs. habe das Gesetz nach seiner Verabschiedung im RT unterzeichnet. Es sei ausgeschlossen, daß die jetzige Regierung hinter den Standpunkt der vorigen Regierung zurückträte. Auch von den Parteien sei das in keiner Weise zu erwarten. Eine Mehrheit für das Gesetz sei im RT vorhanden. (Ob diese Mehrheit, da das Gesetz verfassungsändernd ist, auch qualifiziert vorhanden ist, ist fraglich. In diesem Fall hat das RIMin. bereits vorgesehen, daß die zunächst unerläßlich nicht verfassungsändernden Bestimmungen dann erneut vorgelegt werden.) Praktisch hätte der § 23 wohl deshalb keine Bedeutung, weil es der Kaiser wohl ablehnen werde, nach Deutschland zu kommen, da dies eine Anerkennung der Republik bedeute, die noch über sein Verhalten in der Vermögensabfindung hinausgehe. – Wegen einer Erklärung über das frühere Außerkrafttreten des Gesetzes, falls das neue Strafgesetz früher in Kraft träte, würde ich mit dem Herrn RIM in Verbindung treten. Ich hätte gegen eine solche Erklärung keine Bedenken, da ähnliches früher bereits gesagt worden sei. – In letzter Sache ging am 3.6.29 ein Brief an RM Severing ab“ (Undatiert; SPD: Nachlaß Müller O IX).
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Durch eine Verlängerung des Gesetzes nur um anderthalb Jahre bis zum 31.12.30 wurde die Wirtschaftspartei dazu gewonnen, in 2. Lesung dem Gesetz zuzustimmen (21. 6.; RT-Bd. 425, S. 2741 ff.). Daraufhin erklärte StS Meissner sein Schreiben vom 31. 5. für erledigt (Vermerk Wiensteins vom 25. 6.; R 43 I/1868, Bl. 63). Am 27. 6. stimmten bei der 3. Lesung des Republikschutzgesetzes nur 263 Abgeordnete für die Verlängerung und 166 (Rechtsparteien, Wirtschaftspartei und Kommunisten) dagegen. Damit war die Verlängerung abgelehnt. Der RIM kündigte eine neue Vorlage an (RT-Bd. 425, S. 3077).
Mit der Versicherung meiner besonderen Hochschätzung bin ich, Herr Reichskanzler.
Ihr
sehr ergebener
O. Meissner