1.91 (mu22p): Nr. 347 Vermerk Ministerialrat Feßlers zu den Beratungen über die Zollnovelle im Reichsernährungsministerium am 12. November 1929

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[1136] Nr. 347
Vermerk Ministerialrat Feßlers zu den Beratungen über die Zollnovelle im Reichsernährungsministerium am 12. November 19291

1

Vorangegangen waren Auseinandersetzungen im Handelspolitischen RT-Ausschuß am 8. und 9.10.29 (Vermerke Feßlers und v. Hagenows vom 9. 10.; R 43 I /2420 , gefunden in R 43 I /2425 , Bl. 249 f., hier: Bl. 249 f.), obwohl noch kein Entwurf des REMin. vorgelegen hatte. „Das REMin. will seine Forderungen möglichst niedrig halten, dann aber auf ihre restlose Genehmigung bestehen. Dies soll insbesondere für die Nebenprodukte der Landwirtschaft, wie die Molkereierzeugnisse gelten. Für den Wein soll keine Forderung gestellt werden“ (Vermerk Feßlers vom 30. 10.; R 43 I /2420 , Bl. 198, hier: Bl. 198). Diese Novelle war der Rkei am 7. 11. zugestellt worden, aber der RK brachte sie trotz ihrer Dringlichkeit nicht zur Verhandlung, da sie – wie Pünder dem RFM als zuständigen Ressortminister mitteilte – „keine Vorschläge für die Festsetzung der wichtigsten Zölle auf agrarischem und industriellem Gebiete“ enthalte. Eine Ergänzung „auf Grund von Verhandlungen mit den beiden Wirtschaftsressorts“ werde zweckdienlich sein. „Im übrigen wäre es erwünscht, wenn sich aus der Vorlage ergäbe, wie die beiden beteiligten Ressorts zu den Vorschlägen eines jeden Wirtschaftsressorts Stellung nehmen.“ Andernfalls befürchte der RK eine langwierige Behandlung im Kabinett (8. 11.; R 43 I /2420 , Bl. 217, hier: Bl. 217).

R 43 I /2420 , Bl. 219 f., hier: Bl. 219 f.

Betrifft: Die Zollnovelle.

Die Verhandlungen, die am 12. November im Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft stattfanden und an denen die Abgeordneten Hamkens (DVP), Hermes, Herold, Dr. Dessauer und Fahrenbach (Z), Dr. Horlacher, Gerauer (BVP), Meyer, Tantzen (DD) sowie Dr. Hertz, Schmidt-Köpenick, Frau Wurm und Frau Sender (SPD) teilnahmen, führten zu keinem endgültigen Ergebnis. Die Verhandlungen sollen am Montag, dem 18. November, vormittags 10 Uhr, fortgesetzt werden2.

2

Siehe Dok. Nr. 354.

Vorher wird der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft seine Vorschläge zur Zollnovelle nicht mitteilen. Dadurch wird sich die Vorlage der ergänzten Zollnovelle durch das Reichsfinanzministerium bis Mitte nächster Woche verzögern3. Auf die Schwierigkeiten, die durch diese starke Verzögerung[1137] der Entscheidung des Kabinetts über die Zollnovelle entstehen werden, wurde Staatssekretär Dr. Heukamp vom Referenten nach der Sitzung nochmals ausdrücklich hingewiesen. Eine weitere Beschleunigung der Stellungnahme der Fraktionsführer wird aber wegen der Agitation für die Kommunalwahlen nicht möglich sein4.

3

Eine Chefbesprechung über die Vorlage fand am 14. 11. statt. Bei gutem Willen der Beteiligten sei eine Annäherung erreicht worden, berichtete MinR Feßler. Der RFM lasse eine Neubearbeitung der Vorlage herstellen. Die dreistündigen Verhandlungen hätten einen umfangreichen Schriftsatz ergeben, der von MinDir. Ernst telefonisch nicht hätte wiedergegeben werden können. Das REMin. habe eine unverbindliche Aufzeichnung dem RWiMin. und dem RFMin. zugeleitet, wolle jedoch vor der endgültigen Stellungnahme noch die Parteiführerbesprechung abwarten. „Der Rkei sind die unverbindlichen Unterlagen nicht mitgeteilt worden, weil, wie StS Heukamp erklärte, der Herr RFM vermeiden will, daß dem Herrn RK unfertige Entwürfe zugehen, die das Bild trüben, statt es zu klären“ (Vermerk vom 15. 11.; R 43 I /2420 , Bl. 224, hier: Bl. 224).

4

Hier sind wohl besonders die Gemeinde- und Provinzialwahlen in Preußen vom 17.11.29 gemeint, die einen eindeutigen Zuwachs der abgegebenen Stimmen für die NSDAP auf Kosten der DNVP erkennen ließen; siehe Schultheß 1929, S. 199.

Die Verhandlungen betrafen in der Hauptsache die Stützung des Roggenmarktes. Der Roggenpreis ist auf etwa 162 M für die Tonne gefallen und entspricht so genau dem Vorkriegspreise. Daß für die Stützung des Roggenmarktes etwas geschehen müsse, war die allgemeine Auffassung. Über die Mittel war aber eine Einigung nicht zu erzielen.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft hielt die Roggenstützung durch die Getreidehandelsgesellschaft trotz des Absinkens des Roggenpreises nicht für zwecklos. Sie habe erreicht, daß gerade in der Zeit zwischen Ernte und Verkaufsbeginn die Preise immerhin in etwa gehalten worden seien. 6/7 der Mengen, die damals gekauft worden seien, seien ins Ausland ausgeführt. Das Engagement der Getreidehandelsgesellschaft betrage jetzt kaum mehr als 2 Millionen Mark.

Eine weitere Ausfuhr von Roggen werde nicht möglich sein, weil Polen seinen Überschuß mit Hilfe von Export-Prämien äußerst billig an den Weltmarkt heranbringe.

Erforderlich sei die Steigerung des inländischen Verbrauchs. In der ganzen Welt habe sich der Geschmack der Konsumenten mehr und mehr vom Roggenbrot auf Weizengebäck umgestellt. Mit dieser Tatsache müsse gerechnet werden. Propaganda für den Roggenkonsum halte er deswegen für nicht sonderlich aussichtsreich. Auch gegen den Beimahlungszwang beständen Bedenken. Die Überwachung von 27 000 Mühlenbetrieben sei praktisch nicht durchführbar. Durch Verschlechterung der Qualität des Weizens könne die unerwünschte Einfuhr reinen Weizenmehls gesteigert werden5.

5

Der Zwang zur Weizenvermahlung habe sich nicht in dem erwarteten Umfang ausgewirkt, da die Mühlen sich schon stark mit Inlandweizen eingedeckt hätten, vermerkte Feßler. Die Wirkung werde erst nach Verbrauch der Vorräte einsetzen. Der Bogen könne aber wegen der kleinen Mühlen nicht überspannt werden und der Vermahlungszwang sei ein Eingriff in die freie Wirtschaft. Im Dezember und Januar wolle der REM 40% Inlandsweizen vermahlen lassen. Die ganze Aktion werde im Gegensatz zu den Maßnahmen für den Roggen unternommen, um den Preis zu stützen, da die Hälfte des Weizenbedarfs aus dem Ausland bezogen werde (Vermerk vom 14. 11.; R 43 I /2542 , Bl. 89, hier: Bl. 89).

Das wichtigste Mittel, den Roggenkonsum zu erhöhen, sei die Verfütterung. Deutschland führe jährlich 1,7 Millionen Tonnen Futtergerste und 1,3 Millionen Tonnen Mais ein. Nach Ansicht von Wissenschaftlern sei es möglich, Mastschweine mit je ⅓ Gerste, Mais und Roggen zu füttern. Dadurch würde der Roggenverbrauch um etwa 1,4 Millionen Tonnen steigen.

[1138] Um hierzu anzureizen, müsse die Tonne aus Reichsmitteln um 40 M verbilligt werden. Durch Färbung des Futterroggens lasse sich sein Rückfluß auf den Getreidemarkt verhindern. Der Zuschuß sei durch das Einfuhrscheinsystem gedeckt. Statt bei der Ausfuhr von Roggen 60 M zu vergüten, genüge nach diesem Vorschlage die Aufwendung von 40 M für den Inlandsverbrauch.

Sein Vorschlag gehe deswegen dahin, daß der Gerstenzoll auf 5 M erhöht würde, daß aber jeder, der gefärbten Futterroggen bezieht, einen Gutschein erhält, auf den er Gerste gegen einen Zoll von 2 M einführen kann. Der Regelung wird die Relation: 3 t Roggen zu 7 t Gerste zugrunde gelegt.

Eine Schwierigkeit ergäbe sich aus dem Maiszoll von 2,50 M, der im Handelsvertrag mit Jugoslawien vereinbart sei. Dieses Bedenken müsse aber zurückgestellt werden.

Er halte eine Erhöhung des Roggenzolles auf 9,50 und des Weizenzolles auf 10 M für erforderlich. Die Zölle müßten herabgesetzt werden, wenn der Weizenpreis 28 M und der Roggenpreis 24 oder 25 M für den dz erreicht. Bei der Roggenstützungsaktion handle es sich um eine gewisse Belastung der westdeutschen Schweinemäster zugunsten der ostpreußischen Landwirte. Der Ausgleich des Bedarfs an Futterroggen innerhalb Deutschlands sei trotz der hohen Frachten der Einfuhr ausländischer Futtermittel vorzuziehen6.

6

Der Überschuß an Roggen betrug nach der Ernte 1929 1 Mio Tonnen. Der Preis lag – wie Feßler vermerkte – unter dem Vorkriegsstand. Eine Stützungsaktion werde keinen durchschlagenden Erfolg haben. Da die Getreidehandelsgesellschaften eingegriffen hätten, sei der Preisrückgang etwas aufgehalten worden. Es werde befürchtet, daß durch den Überschuß an Roggen in Polen der Preis weiter herabgedrückt werde, wenn der Zollkrieg abgebrochen werde und der Kampfzoll von 10,– auf 6,– RM sinke. Nach Ansicht des REM sei ein Preis von 240,– RM für eine Tonne Roggen angemessen. Zur Zeit würden Erwägungen angestellt, ob der Scheuerkonzern und die Getreidehandelsgesellschaft 300 000 bis 500 000 Tonnen aus dem Markt nehmen können. Dafür seien 90–100 Mio RM erforderlich und weitere 20 Mio für Zinsen, Lagerkosten und Schwund. Das Reich müsse die 20 Mio RM übernehmen und die Garantie für ein Viertel der anderen Summe. Durch die anzuregende Verfütterung des Roggens könne ein Mehrbedarf entstehen, der den Ernteüberschuß übersteige (Vermerk vom 15. 11.; R 43 I /2542 , Bl. 85, hier: Bl. 85).

Für die Erhöhung des Futtergerstenzolles traten die Bayerische Volkspartei und das Zentrum ein. Dagegen sprachen sich die Vertreter der Demokratischen Partei, der Deutschen Volkspartei und der Sozialdemokratischen Partei aus. Alle Parteien hielten es für notwendig, den Vorschlag des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft zu prüfen. Er soll ihnen mit den erforderlichen Berechnungen alsbald schriftlich mitgeteilt werden. Das gleiche gilt auch für die anderen Vorschläge des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft hinsichtlich der Zollregelung. Ob der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft allerdings die mündlich angeregten Zollerhöhungen für Weizen und Roggen auch schriftlich vorschlagen wird, ist zweifelhaft, da die Vertreter der Sozialdemokratischen Partei dagegen scharf Stellung genommen haben.

F[eßler]

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