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[1150] Nr. 354
Vermerk Ministerialrat Feßlers über eine Besprechung der Agrarvorschläge des Reichsernährungsministers am 18. November 1929
R 43 I/2420, Bl. 238 f., hier: Bl. 238 f.
In der Besprechung mit Vertretern der Regierungsparteien, die am 18. November 1929 im Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft unter dem Vorsitz des Ministers stattfand und die die Verhandlungen vom 12. November 1929 fortsetzte1, wurde eine Einigung der Regierungsparteien über die beiliegenden Vorschläge des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft nicht erzielt. Im Vordergrunde stand die Frage der Magazinierung von 500 000 Tonnen Roggen zur Stützung des Marktes2. Zentrum, Deutsche Volkspartei und Bayerische Volkspartei wollten unverzügliche Durchführung dieses Planes, der nach Ansicht des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft mit verfügbaren Reichsmitteln (6¼ Millionen) in Höhe von 250 000 Tonnen alsbald möglich wäre. Die Vorräte in der Hand der Erzeuger wurden auf mindestens 2 Millionen und höchstens etwa 4,8 Millionen Tonnen geschätzt. Mit Recht hielt der Vertreter der Bayerischen Volkspartei die Herausnahme von 250 000 Tonnen aus dem Markte für unzulänglich. Mindestens 600 000 bis 700 000 Tonnen müßten aufgekauft, eingelagert und in ihrer zweckmäßigen Verwendung sichergestellt werden.
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Vgl. dazu Dok. Nr. 347.
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Der REM hatte auf den allgemeinen Roggenüberschuß in einer Aufzeichnung hingewiesen, die den Parteivertretern vorgelegt worden war. Darin war ausgeführt worden, um die Überschüsse aus dem Markt zu nehmen, müsse entweder der Export gefördert werden, mit dessen Verstärkung aber nicht gerechnet werden könne, oder die Roggenbrotpropaganda sei wie 1926 zu verstärken. Gedacht sei an einen Beimahlungszwang von 10% zum Weizenmehl. Backversuche hätten ergeben, daß diese Menge möglich sei. Dazu komme noch die Verwendung zur Fütterung. Mäster sollten zollbegünstigte Gerste nur noch bei Nachweis des Kaufs einer bestimmten Roggenmenge erhalten. Die Einlagerung größerer Mengen von Roggen werde aber eine sofortige wirtschaftliche Entlastung mit sich bringen. Um die Geldmittel hierfür aufzubringen, müßten die Getreidehandelsgesellschaft und die Getreide- und Industrie-Kommission AG zusammengehen. Trotz der Belastung des Reichs, das die Mittel zur Verfügung stellen müsse, werde dieser Weg beschritten werden müssen. Weitere Punkte der Aufzeichnung hatten die Einfuhrscheine für Braugerste, die Vieh-, Fleisch- und Eierzölle betroffen (R 43 I/2420, Bl. 240-249, hier: Bl. 240-249).
Die Vertreter der SPD äußerten lebhafte Bedenken gegen die Einlagerung, wenn sie ohne Zusammenhang mit anderen Stützungsmaßnahmen, Zollerhöhungen, Förderung einer stärkeren Verfütterung von Roggen in Angriff genommen würde. Wirksame Hilfe könne nur geleistet werden, wenn die Maßnahmen gleichzeitig einsetzen. Keinesfalls könne die SPD jetzt bereits mit der Inangriffnahme des Plans der Magazinierung einverstanden sein.
Die anderen Vorschläge des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft wurden nur als Diskussionsgrundlage betrachtet. Die Fraktionen müssen sich darüber eingehend aussprechen, bevor verbindliche Erklärungen abgegeben werden könnten.
[1151] Dr. Hertz sprach sich für die SPD entschieden gegen die Erhöhung der Getreidezölle auf 10 RM und 9,50 RM aus. Allgemein hielt er die Subventionen für die Landwirtschaft, wie sie bisher gewährt worden seien, für unwirksam.
Gegen die Zollerhöhungen wurde noch von Frau Wurm geltend gemacht, daß sie die Bemühungen um Aufklärung der Landwirtschaft über die Notwendigkeit, in erster Linie den Innenmarkt zu beeinflussen, sehr erheblich stören würden, da sie Preiserhöhungen durch die Zollsteigerungen erhoffen ließe.
Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft stellte schließlich fest, daß eine Einigung nicht erzielt worden sei und daß die Regierung führen müsse. Der Abschluß des Schwedenvertrages werde über die Vieh- und Fleischzölle eine Entscheidung bringen3.
Dr. Horlacher beantragte noch dringend, den Hopfenzoll von 100 auf 150 RM heraufzusetzen.
F[eßler]