Text
Nr. 66
Vermerk des Ministerialrats Wienstein über eine Besprechung in der Wohnung des Regierungsrats Diels am 19. Juli 19321
[Verhandlungen des Staatssekretärs Abegg mit den kommunistischen Abgeordneten Torgler und Kasper]
Am Dienstag, dem 19. d. Mts., fand von ungefähr 11.15 bis 12.30 Uhr abends eine Besprechung in der Wohnung des Regierungsrats Diels (Pr. M.d.I.), Berlin NW 40, In den Zelten 18, statt, an der außer Herrn Diels folgende Herren teilnahmen: Staatssekretär Planck, Oberbürgermeister Dr. Bracht und die Ministerialräte Dr. Landfried (Pr. Handelsmin.), Dr. Schütze (Pr. M.d.I.) und der Unterzeichnete.
Herr Diels führte aus, daß er gegen Staatssekretär Dr. Abegg den Vorwurf eines Konspirierens mit kommunistischen Führern erheben müsse. Abegg habe vor ungefähr zwei Wochen2 ihn, Diels, gefragt, ob er nicht den Führer der Preußischen Landtagsfraktion der KPD, den Abgeordneten Kasper, zu einer Unterredung mit ihm, Abegg, bestellen könne. Vielleicht könne dann auch noch der Abgeordnete Torgler, der Führer der Reichstagsfraktion der KPD, an der Unterredung teilnehmen. Er, Diels, habe sodann die Abgeordneten Torgler und Kasper zu einer Unterredung in das Preußische Ministerium des Innern gebeten,[247] die an einem Sonnabend stattgefunden3 und 3½ bis 4 Stunden gedauert habe. Nach kurzer Begrüßung in seinem, Diels, Amtszimmer habe er die genannten Abgeordneten in das Zimmer des Staatssekretärs Dr. Abegg geführt. Abegg habe wohl zunächst nicht bemerkt, daß Diels in seinem Zimmer geblieben sei, weil er, Diels, sich im Hintergrund des Zimmers aufhielt. Diels habe aber dann an der Unterredung teilgenommen, die sich im wesentlichen folgendermaßen abgespielt habe.
Staatssekretär Dr. Abegg habe zunächst betont, daß die blutigen Zusammenstöße aufhören müßten, und sodann an die genannten Kommunisten die Frage gerichtet, weshalb sie eine so scharfe Opposition gegen das Preußische Staatsministerium richteten. Die Preußische Regierung habe doch nichts Wesentliches gegen die Kommunisten einzuwenden und tue alles, um die Einsetzung eines Reichskommissars für Preußen zu vermeiden. Für diese Lage müßten doch auch die Kommunisten Verständnis aufbringen. Es könne ihnen doch auch nichts daran liegen, daß die Nationalsozialisten ans Ruder kämen oder ein Reichskommissar für Preußen bestellt werde.
Von größtem politischen Vorteil werde es sein, wenn die preußische Polizei Dokumente bei den Kommunisten beschlagnahmen könne, welche die Legalität der Kommunisten erwiesen. Die Beschlagnahme derartiger Dokumente müßte sich unschwer ermöglichen lassen.
Nach Angabe des Regierungsrats Diels sind die beiden Kommunisten nicht ausdrücklich auf diesen Vorschlag eingegangen, sondern haben nur scherzhaft erklärt, die Polizei würde im gegebenen Falle womöglich falsche Dokumente beschlagnahmen. Hierauf soll Herr Staatssekretär Dr. Abegg halb im Scherz erklärt haben, daß die betreffenden Dokumente ja vorher schon dem Preußischen Ministerium des Innern zugeleitet und dann als beschlagnahmt ausgegeben werden könnten.
Ein positives Ergebnis hat die Unterredung nach Mitteilung des Regierungsrats Diels nicht gehabt.
Staatsminister Severing sei an dem betreffenden Sonnabendvormittag nicht im Amt gewesen, habe jedoch nachher offenbar von der Unterredung gehört. Er habe in Gegenwart von Beamten, unter denen sich auch Regierungsrat Diels befunden habe, einige Tage später Staatssekretär Dr. Abegg scharf getadelt und ihm u. a. erklärt, daß er allein die Politik zu bestimmen habe, jedoch nicht der Staatssekretär.
Auf Wunsch des Staatssekretärs Dr. Abegg sei Regierungsrat Diels nach der Unterredung zu Ministerialdirektor Klausener gegangen und habe auf Weisung des Staatssekretärs diesem mitgeteilt, bei der Unterredung habe es sich um Polizeifragen gehandelt, vor allen Dingen um die Verhütung von Unruhen und Aufständen. Ministerialdirektor Klausener soll jedoch erklärt haben, er glaube bestimmt nicht, daß es sich um diese Fragen gehandelt habe4.
Wienstein
Fußnoten
- 1
Der Vermerk ist datiert vom 25.7.32.
- 2
Vgl. unten Anm. 3.
- 3
Nach Darstellung Abeggs (in: Erklärung der PrStReg. vom 10.8.32, vgl. unten Anm. 4, dort unter 2) hatte die Unterredung bereits am 4.6.32 stattgefunden. Dieser war ein Sonnabend.
- 4
In den Schriftsätzen, die von der RReg. und von der PrStReg. im August 1932 beim Staatsgerichtshof (Streitsache Preußen gegen das Reich) eingebracht wurden, sind Umstände und Bedeutung des Falles Abegg eingehend dargelegt. Ausführlich wiedergegeben sind darin u. a.: 1) eine von RegR Diels „bei seiner dienstlichen Vernehmung“ gegebene Darstellung des Gesprächs zwischen Abegg und den kommun. Abgeordneten Torgler und Kasper (5 Seiten). Dazu der Begleitkommentar des RKomPrIMin. Bracht: Der Fall Abegg gehöre zu den „Tatbeständen, die die Grundlage des Einschreitens des Reichs [gegen Preußen] durch die Verordnung vom 20. Juli 1932 gebildet haben“ (Gegenerklärung der RReg. vom 5.8.32 zur Klage Preußens gegen das Reich, Anlage 4, Abschrift in R 43 I/2283, Bl. 73, 104–106); 2) eine Aufzeichnung des StS Abegg über Anlaß, Verlauf und Ziel seiner Unterredung mit Torgler und Kasper am 4.6.32 (3 Seiten), worin er versichert, er habe an die beiden Kommunistenführer lediglich den dringenden Appell gerichtet, „Ruhe und Frieden zu halten und von allen Terrorakten abzusehen“ (Erklärung der PrStReg. vom 10.8.32 auf die Gegenerklärung der RReg. vom 5.8.32, Anlage 7, Abschrift in Kl. Erw. 337/1, Bl. 97, 158–159); 3) eine zweite dienstliche Äußerung des RegR Diels über Verlauf und Inhalt der Unterredung Abeggs mit Torgler und Kasper (4 Seiten), in der Diels betont: Die Unterredung habe den Zweck verfolgt, a) die Kommunisten zu einer gemäßigteren Haltung zu veranlassen, um so „dem Reich für seine auf den Reichskommissar hinauslaufenden Absichten den Wind aus den Segeln“ zu nehmen; b) „die Kommunisten zu einem parlamentarischen Zusammengehen mit den preußischen Koalitionsparteien bei den kommenden Landtags- und Ministerpräsidentenwahlen zu bewegen“ (Erwiderung der RReg. vom 25.8.32 auf die Erklärung der PrStReg. vom 10.8.32, Anlage 1, Abschrift in R 43 I/2283, Bl. 215, 254–255). – Die Angelegenheit wurde vom Staatsgerichtshof als unerheblich angesehen, da sie „Handlungen“ betreffe, „die nicht von den verantwortlichen Trägern der Staatsgewalt in Preußen“, sondern von einer „nachgeordneten Persönlichkeit, dem Staatssekretär im Preußischen Ministerium des Innern […], vorgenommen worden“ ist. „Unter den gegebenen Umständen bedarf es daher keiner näheren Aufklärung über die Anregungen und Wünsche, die der Staatssekretär bei seiner Verhandlung mit den kommunistischen Abgeordneten ausgesprochen hat und über deren Inhalt die Darstellungen der Parteien sich in dem wesentlichen Punkt widersprechen.“ (Entscheidung des Staatsgerichtshofs vom 25.10.32 in: Preußen contra Reich, S. 512). – Zum Fall Abegg einige weitere Materialien (u. a. Korrespondenzen, Zeitungsausschnitte) in NL Passarge 6. Vgl. auch Feder, Heute sprach ich mit …, S. 311, 320 f.; ferner: PrLT-Drucks. Nr. 1203, Bd. 764.