Text
[290] Nr. 79
Das Württembergische Staatsministerium an den Reichspräsidenten. Stuttgart, 21. Juli 1932
R 43 I/2280, S. 305–306 Abschrift1
[Aktion des Reichs gegen Preußen]
Hochverehrter Herr Reichspräsident!
Die Notverordnung über die Einsetzung eines Reichskommissars für das Land Preußen ist von größter Tragweite für alle Länder, da deren Selbständigkeit die Grundlage des deutschen Verfassungslebens bildet.
Da der Streit darüber, ob die Notverordnung in dem Artikel 48 der Reichsverfassung eine ausreichende Grundlage hat, nach Artikel 19 der Reichsverfassung von dem Staatsgerichtshof des Deutschen Reiches entschieden wird, so kann die Württembergische Staatsregierung davon absehen, die von anderen Ländern bereits geltend gemachten und von ihr geteilten verfassungsrechtlichen Bedenken2 zu wiederholen; sie kann sich darauf beschränken, ihre politische Besorgnis auszusprechen3. Unsere Besorgnis gilt der Auswirkung der Maßregeln in der Zukunft. Sie schaffen einen Vorgang, der auch die übrigen Länder der Gefahr ähnlicher Eingriffe in ihre verfassungsmäßigen Rechte aussetzt. Gerade in Württemberg, wo das Eigenleben des Staats mit Zähigkeit verteidigt wird, würde eine solche Entwicklung besonders schwer getragen werden4.
In Ehrerbietung
Euer Exzellenz ergebenster
(gez.) Bolz
Staatspräsident
Fußnoten
- 1
Vom Württ. StMin. unter dem gleichen Datum an den RK zur Kenntnisnahme übersandt.
- 2
- 3
Die Absendung dieses Schreibens war nach kontroverser Debatte in einer Sitzung des Württ. StMin. am 21. 7. beschlossen worden. Dabei hatte StPräs. Bolz seinen folgenden Standpunkt schließlich durchsetzen können: „Es sei für Württemberg unmöglich, passiv zu bleiben. Er halte es aber für besser, eine Verwahrung beim Herrn Reichspräsidenten und Reichskanzler einzulegen, als den Staatsgerichtshof anzurufen.“ Sitzungsprotokoll abgedr. in: Besson, Württemberg und die Deutsche Staatskrise, S. 409 ff.
- 4
Hindenburg antwortete hierauf am 24. 7.: „Der Herr Reichskanzler wird inzwischen Gelegenheit gehabt haben, mit Ihnen die Gründe zu besprechen, die mich und die Reichsregierung zur Einsetzung eines Reichskommissars für Preußen bestimmt haben. Ich hoffe, daß Sie nach dieser Aussprache [vgl. Dok. Nr. 83] davon überzeugt sein werden, daß eine Auswirkung dieser Maßnahme auf andere Länder, insbesondere Württemberg, nicht zu besorgen ist.“ (R 43 I/2280, S. 423). – Seitens der Rkei wurde durch ein von Wienstein gezeichnetes Schreiben lediglich erwidert, daß der RK von dem „Inhalt“ des württ. Schreibens „Kenntnis genommen“ habe (ebd., S. 307).