Text
Nr. 748
Vermerk des Ministerialrats Feßler über eine Besprechung des Reichskanzlers mit Vertretern des Reichsgrundbesitzerverbands vom 14. Mai 1932
Der Reichskanzler empfing am 14. Mai
Fürst Öttingen,
Graf Quadt und
Regierungspräsident a. D. von Miquel
als Vertreter des Großgrundbesitzerverbandes1.
- 1
Der Reichsgrundbesitzerverband hatte im September 1931 um einen Empfang beim RK gebeten und dabei eine Denkschrift überreicht. In dieser Denkschrift hatte der Reichsgrundbesitzerverband Eingriffe des Staates in die Wirtschaft angegriffen und sich für möglichst freie Individualwirtschaft ausgesprochen. Er hatte am Föderalismus festgehalten und den Abbau der Aufgaben und die richtige Abgrenzung der Zuständigkeit von Reich und Ländern verlangt. Das parlamentarische System sollte nach seiner Auffassung aus den unteren Instanzen völlig entfernt werden. In der Wirtschaftspolitik hatten die Großgrundbesitzer den Schutz der „nationalen Arbeit“ vor ausländischer Konkurrenz durch Abgehen vom Meistbegünstigungssystem zugunsten des Kontingentaustauschs gefordert. Einzelne Forderungen waren: Lockerung der Lohntarife und Reform des Schlichtungswesens, Abbau der Soziallasten, Erwerbslosenfürsorge durch Naturalverpflegung, Überleitung des Versorgungsgedankens auf das Sparprinzip, Förderung des persönlichen Unternehmertums, Begrenzung der Kartelle und Trusts, Förderung der Kapitalbildung durch die Steuerpolitik, Abbau der wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand, Schutzzoll und Verwendungszwang für deutsche Erzeugnisse, Senkung der Hypothekenzinsen und Druck auf die Preisspanne des Handels (Vermerk des MinR Feßler vom 10.5.32). MdR Eugen Graf von Quadt-Isny hatte am 2.4.32 in einem Schreiben um die Unterredung beim RK gebeten und den Vorsitzenden des Bayerischen Waldbesitzerverbandes, Fürst Oettingen-Wallerstein, und den Vorsitzenden des Reichsgrundbesitzer-Verbandes, RegPräs. v. Miquel, als Gesprächsteilnehmer benannt (R 43 I/2550, Bl. 364).
Die Herren machten Ausführungen über die Lage des Großgrundbesitzes, insbesondere der Forstwirtschaft. Sie äußerten Bedenken dagegen, daß Land zur Siedlung lediglich gegen Hingabe von Hypotheken abverkauft werden soll2 und wiesen darauf hin, daß auch Geld für erste Hypotheken nicht verfügbar sei; insbesondere seien die Stillhaltegelder nicht für den Großgrundbesitz verwertbar. Gegen die Zuständigkeit des Reichsarbeitsministeriums in Pachtfragen hatten sie Bedenken. Einer allgemeinen Senkung des Pachtzinses widersprachen sie3.
- 2
Vgl. dazu den SiedlungsNotVoEntw. in der Anlage zu Dok. Nr. 741.
- 3
Das RArbMin hatte einen ReferentenEntw. als Novelle zum PachtschutzGes. ausgearbeitet, der vom RArbM noch nicht genehmigt worden war. In diesem Entw. waren die Senkung der Pachtpreise um 25% unter Anrechnung der bereits vorgenommenen freiwilligen Pachtzinsermäßigungen sowie die Einschränkung des Kündigungsrechts des Verpächters vorgesehen. Kündigungen. die bis zum 1.4.32 wegen Verzugs der Pachtzinszahlungen ausgesprochen worden waren, sollten unwirksam sein, wenn die Pacht bis zu 75% bezahlt worden war. Wenn ein geringerer Betrag als 75% bezahlt worden war, sollte die Kündigung ihre Wirksamkeit behalten (Vermerk des MinR Feßler vom 10.5.32, R 43 I/2550, Bl. 365–366).
[2519] Im Interesse der deutschen Waldwirtschaft forderten sie Kündigung des schwedischen Handelsvertrages4, Beimischungszwang für Papierholz und Einführung von Valutazuschlägen auf Holzzölle. Als Endziel bezeichneten sie die Kontingentierung landwirtschaftlicher Produkte.
- 4
Dt.-schwedischer Handelsvertrag vom 14.5.26 (RGBl. II, S. 384).
Der Reichskanzler nahm eingehend Stellung. Entscheidungen über Abverkäufe von Land seien noch nicht getroffen. Hypotheken wären aber möglicherweise sicherer als Schuldbriefe irgendwelcher Art. Von den 500 000 Hektar, die für Siedlung infrage kämen5, würden voraussichtlich etwa 150 000 der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung entzogen und aufgeforstet werden müssen6. Die Geldverhältnisse würden in der Welt zunehmend unsicherer. Wechsel seien immer schwerer unterzubringen. Auch in Frankreich wäre es schwer, Geld gegen hypothekarische Sicherheiten zu erlangen. Weder die Landwirte noch der Hausbesitz könnten Geld für Hypotheken auftreiben. In Deutschland falle die Belebung des Hypothekenmarktes fort, die sich aus dem Anlagebedürfnis der sozialen Versicherungen ergeben habe. Beim Personalkredit, insbesondere auch der Genossenschaften, seien immer noch sehr hohe Zinssätze festzustellen. Der Verwaltungsapparat sei, besonders im Osten, übermäßig verteuert. In den nächsten zwei Monaten müsse das grundlegend geändert werden. Vielfach seien kurzfristige Gelder langfristig angelegt, in Lagerhäusern und anderen Unternehmungen.
Die Umschuldung und das Sicherungsverfahren7 seien für die zukünftige Kapitalbeschaffung außerordentlich gefährlich. Er habe die Verantwortung dafür stets abgelehnt. Die Lage der Landwirtschaft hätte sich gebessert, wenn vor drei Jahren etwa 10% der überschuldeten Güter versteigert worden wären. Jetzt sei der Versuch gemacht worden, alle zu halten, insbesondere durch Senkung der Zinsen. Künstlich sei es nicht möglich, die Landwirtschaft rentabel zu machen. Im mittleren Westen der Vereinigten Staaten befänden sich eine Unzahl von Gütern unter Zwangswirtschaft der Banken. Sie würden gemeinsam bewirtschaftet. In Deutschland dagegen sei die Landwirtschaft durch Zölle geschützt. Es werde nicht möglich sein, dies auf die Dauer durchzuhalten. Es bedeute eine Belastung der Industrie für die Landwirtschaft. Die Arbeitslosigkeit würde dadurch vergrößert. Normale Rentabilität müsse angestrebt werden. Wenn es nicht in den nächsten Jahren möglich sei, so sei die Wirtschaft nicht zu retten.
- 7
Vgl. die Erntesicherungs- und EntschuldungsNotVo. vom 17.11.31 (RGBl. I, S. 675) und die EntschuldungsNotVo. vom 6.2.32 (RGBl. I, S. 59).
Eine Gefahr für die Lebensmittelversorgung der deutschen Bevölkerung bestände nicht. Die Regierung habe jederzeit die Möglichkeit, ausreichende Getreidemengen im Tauschwege oder, von den Vereinigten Staaten, auf Kredit zu erlangen8.
Die Frage der Pachtschutzordnung würde eingehend geprüft, sobald der Verordnungsentwurf dem Kabinett zugehen würde. Eine schematische Herabsetzung der Pachtzinsen werde nicht möglich sein. Vielleicht könne aber eine Herabsetzung auf etwa zwei Jahre ins Auge gefaßt werden. Wenn dann nicht gezahlt werde, könne der Vertrag erlöschen.
[2520] Er werde eine nationale Wirtschaft auf der Basis einer Kontingentierung nie gutheißen können. Sie würde das Wirtschaftsleben in wenigen Monaten zum Stillstand bringen.
Nur 5% der Eisenerzeugung werde auf dem Binnenmarkt verbraucht. Der Wohnungsbau sei unrentabel. Größere Wohnungen würden im Übermaße angeboten. Würde der schwedische Handelsvertrag gekündigt, so würden die Erzlieferungsverträge aufleben, die von der deutschen Schwerindustrie mit Schweden geschlossen worden seien. Das könne die Schwerindustrie nicht ertragen. Er habe sich früher schon stets gegen Handelsverträge auf Kosten des deutschen Waldes ausgesprochen. Die Landwirtschaft habe für Butter und Eier den Wald geopfert. Mit Schweden werde weiter verhandelt werden.
Die Zellstoffindustrie müsse im Interesse der deutschen Forstwirtschaft nach Möglichkeit erhalten werden, vielleicht unter Opfern9. Die Flachbaumethode sei unwirtschaftlich. Einheimische Materialien, insbesondere Holz, würden vernachlässigt. Die Reparaturen der Dächer seien übermäßig teuer. Dem müsse entgegengewirkt werden. Die Randsiedlung sollte möglichst mit Holz gebaut werden. Die Einfuhr von Holz sei durch Devisenmaßnahmen verringert worden. Das habe vorübergehend Erfolg gehabt. Erhofft werde eine Kontingentierung der Zellstoffe und Holzeinfuhr durch freiwillige Vereinbarung mit Schweden. Gegen den Vertrag mit Österreich könne aus naheliegenden politischen Gründen nichts unternommen werden10. Zur Besserung des Holzabsatzes kämen auch Frachterleichterungen infrage, bloß sei es schwer, sie allein auf das einheimische Holz zu beschränken. Verhandlungen darüber seien im Gange. Bei den Verhandlungen mit Rußland über den Austausch von Waren werde Holz ausgenommen11. Konsignationsläger russischen Holzes seien nicht für den einheimischen Gebrauch bestimmt, sondern für die Ausfuhr in andere Länder. Sie belasten aber den Markt, weil dadurch die Ausfuhr südwestdeutschen Holzes verringert werde. Die Industrie lebe im übrigen zur Zeit im wesentlichen von russischen Aufträgen.
- 9
Vgl. hierzu auch die Forderung des RWiM nach erhöhtem Zollschutz für die Zellstoffindustrie in Dok. Nr. 631, P. 2 und Dok. Nr. 634.
- 10
Dt.-österr. Handelsvertrag vom 12.4.30 (RGBl. II, S. 1079). Mit den naheliegenden politischen Gründen spielte der RK auf die gescheiterte dt.-österreichische Zollunion an: Dok. Nr. 263, Dok. Nr. 267, P. 1 und Dok. Nr. 461.
- 11
Vgl. Dok. Nr. 691, P. 4.
Infrage komme auch eine Lastensenkung für den Waldbesitz. Die Änderungen der Unfallversicherung würden gegenüber den Bauern bewußt nicht durchgeführt. Tarifverträge seien grundsätzlich bei der Landwirtschaft nicht für verbindlich erklärt worden. Die landwirtschaftliche Einfuhr sei im übrigen auf ein Drittel der Einfuhr von 1929 herabgedrückt worden. Auch die Landschaften müßten in Ordnung gebracht werden. Sie seien in Süddeutschland und in Westdeutschland vorsichtiger gewesen als in anderen Landesteilen.
Wenn die Welt auf dem Gebiete der Handelspolitik jetzt von der Meistbegünstigung zu Präferenzen übergehe, so sei doch damit zu rechnen, daß sie in wenigen Jahren wieder zur Meistbegünstigung zurückkehren werde. In der ganzen Welt sei der Waldbesitz von der Wirtschaftsnot in besonderem Maße betroffen. Voraussichtlich werde für den Waldbesitz in etwa fünf Jahren eine Änderung zum Besseren[2521] eintreten. Das russische Holz werde nicht weiter in gleicher Weise konkurrenzfähig sein wie bisher, da Rußland mit erheblichen Kosten seine Transportmittel ausbaue.
Möglich sei, daß Schweden den Handelsvertrag mit Deutschland kündigen würde wegen des Valutazuschlages für Butter12. Es bestehe die Gefahr, daß England mit Skandinavien eine Zollunion eingehe. Holland müsse von dem Anschluß auf alle Fälle abgehalten werden. Auch in Südosteuropa müsse verhindert werden, daß sich eine Zollunion ohne Deutschland bildet, sonst bestände schließlich die Gefahr, daß es von diesen Neubildungen zerrieben wird. Eine überlegte und elastische Politik sei deswegen notwendig.
Sollte die Zellstoffindustrie um Hilfsmaßnahmen bitten, so würden diese von der freiwilligen Abnahme von inländischem Holz abhängig gemacht werden.
Wenn der Staat Holz gegen Kredit liefere, oder nur gegen die Bezahlung von Hauerlöhnen, dann würden für den privaten Waldbesitz größere Möglichkeiten des Barverkaufs eröffnet.
Ob in der Grundsteuer eine Erleichterung möglich sei, könne noch erwogen werden.
F[eßler]