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'Slave Labor' in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen

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"Class actions" und "legal closure" (1998-2000)

Veranlasst durch den so genannten Schweizer Bankenskandal, kam es seit 1996 und verstärkt ab dem Frühjahr 1998 zu einer Welle offensiver Medienkampagnen und ziviler Sammelklagen (class actions) vor amerikanischen Gerichten. Darin wurden zunächst bei Banken und Versicherungen, dann auch bei deutschen Industrieunternehmen umfangreiche Entschädigungen für NS-Opfer geltend gemacht, die aus zurückbehaltenem Eigentum, entgangenen Lohnzahlungen und Entschädigungsansprüchen unterschiedlicher Art resultierten.

Dem Tatbestand der Zwangsarbeit kam nun über die Inhalte der zahreichen Zivilklagen eine enorme Bedeutung zu. Das von der Bundesregierung eigentlich als beinahe erledigt betrachtete Thema wurde ihr nun von der deutschen Wirtschaft erneut vorgelegt. Die Unternehmen befürchteten einen bedeutenden Imageverlust und Boykottaufrufe auf dem amerikanischen Markt.

Den Vertretern der Wirtschaft ging es darum, einen Weg der Wiedergutmachung zu finden, der ihnen Rechtssicherheit verschaffte und weiteren Sammelklagen von NS-Opfern einen Riegel vorschob (legal closure). Dem entsprach die Initiative des US-Unterstaatssekretärs Stuart Eizenstat, der im State Department für Wirtschafts- und Holocaustfragen zuständig war. Er schlug im April 1998 vor, eine Globallösung zu entwickeln und dabei auch die Beklagten mit einzubeziehen. Entsprechend ausgestattete Fonds sollten eingerichtet werden, aus denen Wiedergutmachungsleistungen erfolgen konnten, so dass man vor weiteren Prozessen geschützt sei. Allerdings machten die USA sehr bald klar, dass Rechtssicherheit nicht ohne vorausgehende Entschädigungsleistungen an die ehemaligen Zwangsarbeiter zu haben sei.

Nach der Wahl Gerhard Schröders zum Bundeskanzler im Herbst 1998 drängte dieser auf eine baldige Lösung durch eine gemeinsame Aktion der deutschen Wirtschaft. Der Chef des Bundeskanzleramts, Bodo Hombach, wurde bald zum Protagonisten dieses Projekts. Eine von ihm eingesetzte Arbeitsgruppe gab für das weitere Vorgehen einige wichtige Leitlinien.

Der Durchbruch zu einer Entschädigung für ehemalige Zwangsarbeiter sollte so erfolgen, dass die traditionellen deutschen Rechtspositionen in der Entschädigungsfrage erhalten blieben. Demnach waren Entschädigungsleistungen seitens des Staats als eine freiwillige humanitäre Leistung zu verstehen. Nach den Hindernissen durch den Kalten Krieg sollte den überlebenden Opfern nun endlich aus Einsicht und Verantwortung geholfen werden. Ferner wollte man zwischen dem Schweregrad der durchlittenen Zwangsarbeit unterscheiden: In erster Linie sollten die am schwersten geschädigten Opfer Anerkennung und Entschädigung erhalten, und das ausdrücklich ohne Ansehen von Herkunft, Nationalität, Religion oder Geschlecht. Gemeint sollten damit Zwangsarbeiter in Konzentrationslagern und Ghettos, dann Polen und die so genannten "Ostarbeiter" und andere Angehörige slawischer Nationen sein. Diese Personengruppen hatten in besonderer Weise Entrechtung, Ausbeutung, Gewalt und rassistische Diskriminierung erlitten.

Außerdem sollte die Einbeziehung in die Entschädigungsregel nicht davon abhängig gemacht werden, ob das damalige Unternehmen oder ein Rechtsnachfolger noch existiere und ob es in den Stiftungsfonds einzahle oder nicht.

Auf diesen Grundlagen und um die benötigte "Rechtssicherheit" vor amerikanischen Gerichten zu erlangen, konstituierten die Spitzen von 13 deutschen Unternehmen am 16.2.1999 die "Stiftungsinitiative deutscher Unternehmen [später: "der deutschen Wirtschaft"] Erinnerung, Verantwortung und Zukunft". Die folgenden Verhandlungen über die Errichtung der Stiftung fanden abwechselnd in Bonn bzw. Berlin und Washington statt. Die Zusammensetzung der Teilnehmer war international und reichte von zivilgesellschaftlichen Vertretern (vor allem Anwälten) über Vertreter der Versöhnungsstiftungen in den osteuropäischen Staaten, die einen offiziösen Status erlangt hatten, bis zu Vertetern von Regierungen der Heimatländer der ehemaligen Zwangsarbeiter. Die Bundesregierung wurde zunächst von Bodo Hombach und ab Juli 1999 von Otto Graf Lambsdorff vertreten. Um eine Berechnungsgrundlage für den finanziellen Bedarf zu erhalten, musste man ermitteln, wie viele Empfangsberechtigte noch lebten. Für diese schwierige Schätzung wurden Experten eingeschaltet.

Als es darum ging, die Höhe des Stiftungsvolumens zu bestimmen, sah sich die Bundesregierung einem zunehmenden Druck seitens der USA und der deutschen Wirtschaft ausgesetzt, sich maßgebend daran zu beteiligen. Man war sich noch nicht bewusst geworden, dass der Staat, die Kommunen, öffentliche und politische Unternehmen und Organisationen (z.B. SS-Wirtschaftsbetriebe, Reichswerke Hermann Göring, Organisation Todt) eine gewichtige Rolle beim Einsatz gerade derjenigen Zwangsarbeiter spielten, die im Dritten Reich am schwersten diskriminiert und ausgebeutet worden waren. Der Bund musste sich daher ebenso in die Pflicht genommen sehen wie die deutsche Wirtschaft.

Ende 1999 kam es zu einer Einigung mit allen Beteiligten, dass der zu errichtenden Bundesstiftung ein Kapital von 10 Mrd DM zur Verfügung stehen werde, das zu gleichen Teilen von der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft und dem Bund zur Verfügung gestellt würde. Im Gegenzug sicherte die US-Regierung zu, durch ein Regierungsabkommen und eine offizielle Interessenerklärung (statement of interest) den gerichtlichen Rechtsfrieden sichern zu wollen.

Das amerikanisch-deutsche Abkommen wurde am 17.7.2000 unterzeichnet. Das Gesetz zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" trat am 12.8.2000 in Kraft.