1.60.10 (mu22p): 11. Außerhalb der Tagesordnung: Aufruf der Reichsregierung aus Anlaß des Volksbegehrens.

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11. Außerhalb der Tagesordnung: Aufruf der Reichsregierung aus Anlaß des Volksbegehrens.

Der Reichswirtschaftsminister führt, zugleich als stellvertretender Reichsminister des Auswärtigen folgendes aus: Das Kabinett habe zur Frage eines Aufrufs gegen das Volksbegehren noch nicht endgültig Stellung genommen. Er habe zwar Bedenken, jetzt bereits mit den stärksten Mitteln gegen das Volksbegehren vorzugehen, da es dann als eine schwere Niederlage der Regierung betrachtet würde, wenn es trotzdem zustande käme. Es müsse damit gerechnet werden, daß die 4,1 Millionen Unterschriften geleistet werden.

Gleichwohl könne er sich mit dem Aufruf einverstanden erklären, wenn sein Inhalt vertretbar wäre. Gegen den Entwurf, den das Reichsministerium des Innern vorgelegt habe, beständen aber erhebliche Bedenken.

Gegen die Siegerstaaten des Weltkrieges seien in dem Entwurf so schwere Angriffe erhoben, daß diese Länder Vorstellungen erheben würden. Der Aufruf müsse die Linie einhalten, die aus außenpolitischen Gründen nicht überschritten werden dürfe.

Er wünsche weiter, daß bei der Stellungnahme zu den Haager Verhandlungen ausgeführt werde, die Herabsetzung der Reparationsleistungen solle zu Erleichterungen für die Wirtschaft verwendet werden.

[1031] Im übrigen sei es notwendig, daß der Aufruf eine deutliche Sprache führe. Hinsichtlich der Kriegsschuldfrage könne zweckmäßig die entscheidende Stelle aus dem Aufruf des Reichspräsidenten und der Reichsregierung aus Anlaß der Feier des 10jährigen Bestehens der Reichsverfassung in den Aufruf eingefügt werden15. Das Auswärtige Amt habe auf sein Ersuchen einen Gegenentwurf gemacht, es dürfe von den anderen Ressorts hinsichtlich der außenpolitischen Linie keinesfalls überstimmt werden. Entweder müßten sämtliche Reichsminister den Aufruf unterschreiben, oder keiner dürfe es tun.

15

Gemeint ist wohl der Aufruf zum zehnten Jahrestag der Unterzeichnung des Friedensvertrags, siehe Schultheß 1929, S. 140 f.

Ministerialdirektor Menzel erklärte, die erforderlichen 4,1 Millionen Unterschriften für das Volksbegehren würden voraussichtlich aufgebracht, bei der Volksabstimmung würde dann aber kaum eine größere Stimmenzahl erreicht werden16.

16

Für das Volksbegehren wurden 4 147 725 Stimmen abgegeben. Zum Volksentscheid siehe das Schreiben des Reichsausschusses an den RK, Dok. Nr. 407.

Der Reichsminister der Justiz teilte diese Auffassung. Er hielt es für zweckmäßig, nicht jetzt bereits mit den äußersten Mitteln vorzugehen, sondern sich den Aufruf bis zum letzten Stadium des Kampfes vorzubehalten.

Dagegen äußerte der Reichskanzler Bedenken. Der Aufruf solle erkennen lassen, daß hervorragende Persönlichkeiten gegen das Volksbegehren Stellung nehmen17. Dadurch sollte verhindert werden, daß sich die Mitläufer nach denen richten, die Aufrufe für das Volksbegehren unterschreiben. Der Ausschuß deutscher Verbände müsse sich gegen die Mißbräuche wenden, die jetzt bereits bei der Verteilung von Flugblättern in die Erscheinung getreten seien18. Wenn die Reichsminister den geplanten Aufruf unterschreiben würden, so könnten sie dadurch vermeiden, daß sie ihre Unterschriften unter Aufrufe von Organisationen setzen müßten, deren Formulierung ihnen weniger zweckmäßig erscheine als die des von der Reichsregierung zu formulierenden Aufrufes. Für diesen Aufruf komme es hauptsächlich auf die Namen an, die darunter stehen würden.

17

In einer Liste, die in der Rkei zusammengestellt wurde, waren für die Unterschrift verzeichnet u. a.: Schacht, die OPräs. Noske und Lukaschek, der Präs. des Städtetags Mulert, der Industrielle Bosch, die Prof. v. Harnack, Oncken, Thoma, Anschütz, Meinecke, Einstein, Planck; ferner Gerhard Hauptmann und Thomas Mann. Nach der gleichen Zusammenstellung waren u. a. für eine Unterzeichnung nicht zu gewinnen die Länderchefs Held, Bolz, v. Finckh, ferner RGPräs. a. D. Simons und RGPräs. Bumke, v. Seeckt, OB Jarres, der Industrielle Duisberg, Dr. Eckener und Dr. Filchner (R 43 I /1889 , Bl. 83-85, hier: Bl. 83-85).

18

Vom Reichsausschuß war ein Flugblatt benutzt worden, das der Arbeitsausschuß dt. Verbände zum 10. Jahrestag des VV herausgegeben hatte und das von der RReg. finanziert worden war. Nach einer Mitteilung Zechlins vom 7. 10. war der Arbeitsausschuß bisher nicht vom Reichsausschuß abgerückt (R 43 I /1889 , Bl. 23, hier: Bl. 23). Am 9. 10. hatte – nach einer WTB-Notiz – der Arbeitsausschuß die Benutzung des Flugblatts durch den Reichsausschuß abgelehnt und am 10. 10. gab er seine politische Neutralität bekannt (R 43 I /1889 , Bl. 27, 35-37, hier: Bl. 27, 35-37).

Der Reichsminister der Finanzen hielt es für zweckmäßig, daß die Reichsminister den von der Reichsregierung geplanten Aufruf nicht selbst unterschreiben. Er fürchte auch bei der Formulierung des Auswärtigen Amts eine Verschlechterung der außenpolitischen Beziehungen, insbesondere der Atmosphäre im Haag.

[1032] Dagegen meinte der Reichskanzler daß es für die Minister nicht möglich sei, ihre Unterschrift zu verweigern, wenn sie von den örtlichen Stellen darum ersucht würden. Der Einfluß auf die ausländische Presse und die Stimmung im Haag seien nicht besonders hoch einzuschätzen. Die ausländischen Staatsmänner sähen die Kriegsschuldfrage auch anders an als früher. Sie seien aber durch ihre Vorgänger oder durch frühere Erklärungen festgelegt. Das Volksbegehren sei gefährlicher als der Volksentscheid.

Der Reichswirtschaftsminister stimmte diesen Ausführungen zu.

Staatssekretär Zweigert hielt es auch für notwendig, daß jetzt bereits gegen den Volksentscheid alle Mittel aufgewendet würden. Er bat, die Entscheidung über den Aufruf so viel wie möglich zu beschleunigen, da das Sammeln der Unterschriften erhebliche Zeit in Anspruch nehmen würde.

Nach eingehender Aussprache war das Kabinett damit einverstanden, daß die zuständigen Ministerien gemeinsam einen Aufruf gegen das Volksbegehren formulieren. Die Formulierung soll sämtlichen Ministerien mitgeteilt werden. Wenn Abänderungswünsche eingehen, wird sich das Kabinett am 11. Oktober erneut mit der Formulierung befassen.

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