Text
[586] Nr. 142
Aufzeichnung des Staatssekretärs Planck über eine Besprechung des Reichskanzlers mit dem Vorsitzenden des Überwachungsausschusses des Reichstages Löbe am 15. September 1932, 11.30 Uhr
[Konflikt zwischen der Reichsregierung und dem Überwachungsausschuß des Reichstags]
Der Vorsitzende des 1. Ausschusses des Reichstags1, Herr Abgeordneter Löbe, erschien heute 11.30 Uhr vormittags beim Herrn Reichskanzler, der ihn in Gegenwart der Reichsminister Freiherr von Gayl und Gürtner und des Staatssekretärs Planck empfing.
Abgeordneter Löbe erklärte, er habe den Wunsch, zur Ausgleichung des Konflikts zwischen der Reichsregierung und dem 1. Ausschuß beizutragen. Deshalb wolle er in mündlicher und versöhnlicher Form den Wunsch des Ausschusses übermitteln, daß der Reichskanzler, der Reichsminister des Innern und der Staatssekretär in der Reichskanzlei gemäß dem Beschlusse des Ausschusses zur Aussage dort erscheinen sollten2.
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Der Überwachungsausschuß hatte sich in seiner Sitzung am Nachmittag des 14. 9. eingehend mit den Vorgängen in der Reichstagssitzung des 12. 9. auseinandergesetzt und war (nicht einhellig, aber mit großer Mehrheit) zu dem Ergebnis gelangt, daß die Wortmeldung des RK zur Bekanntgabe des Auflösungsdekrets – entgegen der von der RReg. nachdrücklich vertretenen Auffassung (vgl. Anm 2 zu Dok. Nr. 139) – erst nach Beginn der Abstimmung über den Mißtrauensantrag stattgefunden habe und daher, weil Wortmeldungen der RReg. während des Abstimmungsvorganges unzulässig seien, das Auflösungsdekret als nach der Abstimmung wirksam geworden und das Ergebnis der Abstimmung somit als „zu Recht bestehend“ angesehen werde müsse. Er hatte folgenden Beschluß gefaßt: „Die Vorgänge in der Reichstagssitzung vom 12. September 1932 sind zu untersuchen. Zu diesem Behufe wird beschlossen: a) es sind die unkorrigierten amtlichen Stenogramme des Reichstags über die Sitzung vom 12. September 1932 zu erholen; b) als Zeugen darüber: 1. wie oft, in welcher Form und in welchem Zeitpunkte von einem Regierungsvertreter Wortmeldungen beim amtierenden Präsidenten erfolgt sind, 2. wann und in welcher Form die Verordnung des Reichspräsidenten, betreffend Auflösung des Reichstags, zur Kenntnis des Reichstagspräsidenten gebracht wurde – sind zu vernehmen: Reichskanzler von Papen, Staatssekretär der Reichskanzlei Planck, Reichsminister des Innern Freiherr von Gayl, Reichstagspräsident Göring, die in der Sitzung des Reichstags vom 12. September 1932 tätig gewesenen Schriftführer des Reichstags, sowei Abgeordnete aller Fraktionen, die die Vorgänge beobachtet haben, Journalisten, die von der Pressetribüne Zeugen der Vorgänge waren, Tribünenbesucher, die sich als Zeugen melden, insoweit diese Zeugen vom Ausschuß als für die Entscheidung wesentlich betrachtet werden, jeweils nach Beschluß des Untersuchungsausschusses.“ – Ein weiterer Beschluß des Überwachungsausschusses vom 14. 9. lautete: „Der Ausschuß hält daran fest, daß das Nichterscheinen des Herrn Reichskanzlers und des Herrn Reichsinnenministers vor dem Ausschuß [vgl. Dok. Nr. 139] gegen den klaren Sinn des Artikel 33 Abs. 1 der Reichsverfassung verstößt. Die Reichsregierung hat die Abstimmung des Reichstags über das Mißtrauensvotum nicht anerkannt; sie ist nicht zurückgetreten, amtiert vielmehr uneingeschränkt weiter. Von dieser Tatsache ausgehend, hat der Ausschuß das Erscheinen des Reichskanzlers und des Reichsinnenministers verlangt. Bei dieser Sachlage hatten die Mitglieder der Reichsregierung die unbedingte Pflicht, vor dem Ausschuß auf dessen Verlangen zu erscheinen. Dieser Pflicht kann sich die Reichsregierung wirksam nicht entziehen durch Berufung auf eine juristische Meinung, die sie eingestandenermaßen ablehnt und tatsächlich nicht beachtet.“ (Protokoll der Ausschußsitzung vom 14. 9., Druckexemplar in R 43 I/1010, Bl. 89–93).
[587] Der Reichskanzler führte demgegenüber aus, daß die Bedingungen für das Nichterscheinen der Regierungsmitglieder3 unverändert weiterbestünden. Er hielte es allerdings auch für dringend erwünscht, daß diese Art kleinlicher Konflikte beendet werde. Der Beschluß des Ausschusses bezwecke aber nicht eine Aufklärung des Tatbestandes, sondern ganz offensichtlich eine Demütigung der Reichsregierung. Es hätte doch viel näher gelegen, die Zeugen zu vernehmen, die verhältnismäßig unbeteiligt den Vorfällen im Reichstag beigewohnt hätten, und nicht zuerst die streitenden Parteien.
Reichsminister Gürtner führte aus, es gebe doch noch immer eine Rückzugslinie für den Reichstagspräsidenten und den Ausschuß, indem beide auf Grund des letzten Schreibens des Staatssekretärs Meissner4 als tatsächliche Rechtslage anerkennten, daß die Reichstagsbeschlüsse unwirksam seien und die Reichsregierung sich nicht im Zustand der Demission befinde. Dabei könnte der Reichstagspräsident seine eigene Meinung aufrechterhalten wie eine prozessierende Partei, die auf ihrem Rechtsstandpunkt beharre, aber den Prozeß verloren habe. Nach einer solchen Erklärung könne die Regierung auch wieder in die Ausschüsse gehen. Der Reichsjustizminister stellte ferner zur Erörterung, ob er nicht mit Herrn Frank II oder Herrn Frick über eine solche Vermittlungsaktion sprechen solle.
Abgeordneter Löbe erklärte sich zur Vermittlung eines solchen Schrittes bereit, den er für zweckmäßig hielt. Er erklärte ferner, daß er von sich aus in der nächsten Sitzung anregen werde, zunächst unvoreingenommene Zeugen zur Feststellung eines Tatbestandes zu vernehmen. Auf diese Weise werde wenigstens Zeit gewonnen, und inzwischen müsse man die Vermittlungsaktion beim Reichsjustizminister versuchen5.
Herr Löbe bat, von dem Inhalt dieser Besprechung nichts bekanntzugeben.
Planck