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Nr. 222
Aufzeichnung des Staatssekretärs Meissner über eine Besprechung des Reichspräsidenten mit dem Führer der NSDAP Hitler am 19. November 1932, 11.30 Uhr1
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Abgedr. u. a. auch bei Goßweiler, Karl Dietrich Brachers „Auflösung der Weimarer Republik“, in: ZfG 6 (1968), S. 550 f.; Ursachen und Folgen, Bd. VIII, Dok. Nr. 1908 d; Hubatsch, Hindenburg und der Staat, Dok. Nr. 94.
R 43 I/1309, S. 443–449 Durchschrift2
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Von Meissner am 19. 11. „zur vertraulichen Kenntnisnahme“ an den RK übersandt (R 43 I/1309, Bl. 441).
[Hindenburg wünscht Beteiligung der Nationalsozialisten an einem überparteilichen Kabinett; Hitler will Kanzlerposten, will Auftrag zur Regierungsbildung]
Auf einen durch Herrn Reichstagspräsidenten Göring an Staatssekretär Meissner übermittelten Wunsch des Herrn Hitler, den der Herr Reichspräsident genehmigte, fand der erste Teil der Besprechung unter vier Augen statt3. Erst an dem zweiten Teil der Unterhaltung nahm der Unterzeichnete, Staatssekretär Meissner, teil.
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Für die einleitenden Ausführungen des RPräs. hatte Meissner – wie zu den Besprechungen Hindenburgs mit anderen Parteiführern am Vortage (vgl. Anm 3 zu Dok. Nr. 218) – einen Text entworfen, der wie folgt lautete: „Das Kabinett Papen hat demissioniert, um den Weg freizumachen für den Versuch einer nationalen Konzentration. Ich will nun ehrlich versuchen, hinter einer neu zu bildenden Regierung die Parteien vom Zentrum bis zu den Nationalsozialisten zusammenzubringen. Ich habe die Führer der in Frage kommenden Parteien zu mir geladen, um von ihnen ihre Auffassung zur politischen Lage zu hören und sie zu fragen, ob und unter welchen Voraussetzungen sie hierzu bereit sind. Sie, Herr Hitler, sind der Führer einer großen Bewegung, deren nationale Bedeutung ich durchaus anerkenne. Sie haben das große Werk vollbracht, trotz aller materiellen Not der Zeit weite Teile des deutschen Volkes national wieder zu beleben und mit neuem Idealismus zu erfüllen. Das habe ich stets mit Anerkennung gewürdigt. Ich hoffe daher auf Verständnis bei Ihnen, wenn ich an Ihre Vaterlandsliebe und ihr soldatisches Pflichtgefühl appelliere und Sie zur Mitarbeit auffordere. Die Zeit ist zu ernst, als daß jeder seine persönlichen Interessen verfolgen und seinen eigenen Weg für sich gehen könnte. Wir müssen das Trennende zurückstellen und uns zu einer Notgemeinschaft zusammenfinden. Ich bitte Sie also, mir nun offen Ihre Auffassung über die politische Lage darzulegen und mir zu sagen, ob und unter welchen persönlichen und sachlichen Voraussetzungen Sie zu dieser Mitarbeit bereit sind.“ (BayHStArch. MS 629, Fotokopie des im ZArch. Potsdam (Büro des RPräs.) befindlichen Originals).
[985] Der Herr Reichspräsident faßte die persönliche Aussprache in ihren wesentlichen Punkten dahin zusammen:
„Herr Hitler hat erklärt, er habe die stärkste Volksbewegung in Deutschland hinter sich; man könne aber nur regieren mit einer starken Volksstimmung als Stütze. Hieraus leite er das Recht ab, daß er als Führer der Bewegung an die Spitze einer neu zu bildenden Regierung gestellt werde. Ich habe ihm hierauf erwidert, daß ich an dem Grundsatz einer überparteilichen Regierung festhalten müsse. Eine Regierung, die von Herrn Hitler geführt würde, wäre eine Parteiregierung. Herr Hitler und der Nationalsozialismus kann doch seine Ziele auch in anderer Form erreichen dadurch, daß ihm in einer von einem überparteilichen Manne geleiteten Regierung einige Ministerposten zugewiesen würden. Ich bitte Sie, Herr Hitler, sich diese Frage noch einmal zu überlegen und auch mit ihren Parteifreunden und auch mit den anderen Parteiführern zu besprechen. Ich möchte Ihnen heute noch keine endgültige Antwort geben und möchte auch noch keine endgültige Antwort von Ihnen haben. Wir wollen uns beide das überlegen und in den nächsten Tagen noch einmal darüber reden.“
Adolf Hitler:
„Ich respektiere Ihre Überzeugung und bin überzeugt, daß Sie hierbei nach bestem Wissen und Gewissen handeln. Aber ich kann in ein Kabinett nur eintreten, wenn ich die politische Führung übernehme; ich denke durchaus nicht daran, die Ministerposten ausschließlich mit Nationalsozialisten zu besetzen; aber die politische Führung muß eine einheitliche sein. Ich setze nämlich nicht nur meinen Namen, sondern auch meine Bewegung dafür ein. Wenn diese Bewegung zu Grunde geht, dann kommt Deutschland in die größte Gefahr, denn dann würde es 18 Millionen Marxisten und darunter vielleicht 14 bis 15 Millionen Kommunisten geben. Es ist also durchaus im vaterländischen Interesse gelegen, daß meine Bewegung erhalten bleibt, und das setzt voraus, daß meiner Bewegung die Leitung zufällt. An dieser Überzeugung muß ich unbedingt festhalten. Ich wiederhole: Meine Bewegung will nicht die Macht, sondern nur die Führung bekommen. Ich würde versuchen, auch andere Bewegungen zum Worte kommen zu lassen und bei der Regierungsbildung zu beteiligen. Ich glaube, es würde sich eine Basis der Zusammenarbeit finden lassen. Aber wenn die politische Leitung nicht eine einheitliche ist, so würde auch die neue Regierung versagen; dann sehe ich keinen Ausweg aus der Krisis. Gewiß kann man noch einige Zeit mit einem überparteilichen Kabinett autoritär regieren, gestützt auf die Machtmittel des Staates. Aber lange würde das nicht dauern, bis Februar wäre eine neue Revolution da, und Deutschland würde dann aufhören, ein außenpolitischer Machtfaktor zu sein.“
Auf eine Frage des Herrn Reichspräsidenten, warum die nationalsozialistische Bewegung sich bei dem Berliner Verkehrsstreik4 beteiligt hat, erwiderte Adolf Hitler: „Die Leute sind sehr erbittert. Wenn ich meine Leute von der Beteiligung abgehalten hätte, hätte der Streik doch stattgefunden, aber ich hätte meine Anhänger in der Arbeiterschaft verloren; das wäre auch kein Vorteil für Deutschland. – Ich weiß, daß es keine leichte Aufgabe ist, eine Regierungsführung[986] zu übernehmen, denn die Not im Lande ist riesengroß. Trotzdem würde ich die Aufgabe übernehmen in der Hoffnung, so Deutschland aus der Krise zu lösen. – Ein Burgfrieden führt auch nicht weiter. Wenn ein Jahr lang Burgfriede ist, wird die Erregung und Erbitterung sich nur aufstauen und Verbitterung und Not immer mehr Kommunisten schaffen.“
Der Herr Reichspräsident „Ich kann immer nur meine Bitte wiederholen: Helfen Sie mir. Ich erkenne durchaus den großen Gedanken an, der in Ihnen und Ihrer Bewegung lebt, und würde es daher begrüßen, Sie und Ihre Bewegung an der Regierung beteiligt zu sehen. Ich zweifle durchaus nicht an der Ehrlichkeit Ihrer Absichten, aber zu einem Parteienkabinett kann ich mich nicht entschließen.“
Auf eine Frage, ob er inzwischen mit den anderen Parteien Fühlung nehmen wolle über ein sachliches Programm für eine Zusammenarbeit, antwortete Herr Hitler: „Eine Fühlungnahme mit anderen Parteien beabsichtige ich nicht; ich möchte auch nicht in Parteienverhandlungen hineingeraten. Die Entscheidung liegt beim Herrn Reichspräsidenten. Wenn der Herr Reichspräsident mir einen Auftrag erteilt, eine Regierungsbildung zu versuchen, dann erst würde ich in Besprechungen mit den Parteien und sorgfältige Beratungen mit ihnen über ein sachliches Programm wie über eine personelle Zusammensetzung eintreten5. Ich glaube, daß ich eine Basis finden würde, auf der ich und die neue Regierung vom Reichstag ein Ermächtigungsgesetz bekämen. Eine solche Ermächtigung wird vom Reichstag niemand anderes als ich bekommen. Damit wäre die Schwierigkeit gelöst.“
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Die Passage von „sorgfältige“ bis „eintreten“ vom RK (Grünstift) dick unterstrichen. Hierzu auch der Randvermerk v. Papens: „unmöglich“.
Der Herr Reichspräsident „Ich werde mir die ganzen Fragen in Ruhe überlegen und denke, daß wir noch einmal darüber sprechen. Ich bitte auch Sie, mit sich zu Rate zu gehen; ich appelliere an Ihr vaterländisches und soldatisches Pflichtgefühl und die alte Kameradschaft, die uns vom Felde her verbindet. Kommen Sie mir entgegen in dieser Frage, damit wir zu einer Zusammenarbeit gelangen.“
Dauer der Besprechung eine Stunde fünf Minuten.
Für die richtige Niederschrift:
Meissner
Staatssekretär