1.28 (vpa2p): Nr. 157 Sitzung des Preußischen Staatsministeriums vom 27. September 1932

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Nr. 157
Sitzung des Preußischen Staatsministeriums vom 27. September 1932

R 43 I /2288 , Bl. 265–271 Abschrift

Anwesend: v. Papen; RKomPrIMin. Bracht; StS Planck, Lammers, Hölscher, Schleusener, Scheidt; MinDir. Ernst, Nobis, Loehrs; MinR Landfried, Surén, Zschintzsch, Strunden, Triebel, Vollbach; RegVPräs. Danckwerts; ORegR v. Carlowitz; RegR Will; Protokoll: MinR Corsing.

In der Sitzung des Preußischen Staatsministeriums von heute, an welcher die voraufgeführten Herren teilgenommen haben, wurde folgendes verhandelt:

[646] 1. Zu Punkt 1 der Tagesordnung (Verordnung über Schuldverschreibungen der Gemeinden und Gemeindeverbände) […]1.

1

Die VO wurde am 27.9.32 erlassen (Pr. Gesetzsammlung, S. 313). Wichtigste Bestimmung (§ 3, Abs. 1): Die RegPräs. „werden ermächtigt, anzuordnen, daß vor dem 31. Dezember 1932 fällig werdende Verpflichtungen zur Einlösung von Schuldverschreibungen von Gemeinden bis zum 31. Dezember 1932 gestundet werden“.

2. Zu Punkt 2 der Tagesordnung (Ernennung von Mitgliedern des Beirats der Staatsbank) schlug Herr Staatssekretär Schleusener mit Rücksicht darauf, daß in der vorigen Legislaturperiode des Landtags verschiedene Landtagsabgeordnete als Vertreter ihrer Fraktion Mitglieder des Beirats der Preußischen Staatsbank (Seehandlung) gewesen seien, deren Amtsdauer abgelaufen sei, vor, die Abgeordneten Dr. von Winterfeld von der Deutschnationalen Volkspartei, Dr. Graß von der Zentrumspartei, Dr. Hamburger von der Sozialdemokratischen Partei und Hinkler von der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei zu Mitgliedern des Beirats der Staatsbank zu bestellen.

Herr Reichskanzler von Papen stellte die Frage, ob die Ernennung von Landtagsabgeordneten zu Mitgliedern des Beirats eine Mußvorschrift sei und ob mit dieser Tätigkeit Diäten verbunden seien.

Herr Staatssekretär Schleusener erwiderte, aus der Fassung der Satzungen gehe hervor, daß mit der Bestellung von Landtagsabgeordneten zu Mitgliedern jedenfalls gerechnet werde2. Es würde in der jetzigen Situation besonders auffallen, wenn von dem bisherigen Brauche der Ernennung von Parlamentariern Abstand genommen würde. Die Mitglieder des Beirats erhielten Sitzungsgelder von 50 RM für jede Sitzung.

2

Hierzu § 17 der am 18.3.30 vom PrStMin. erlassenen neuen „Satzung der Preußischen Staatsbank (Seehandlung)“: „(1) Der Beirat besteht aus dem Präsidenten und anderen Mitgliedern, die vom Staatsministerium auf die Dauer von drei Jahren bestellt werden. – (2) Beamte scheiden mit der Aufgabe der Dienststellung aus, auf Grund deren sie zum Mitgliede des Beirats bestellt worden sind. Entsprechendes gilt für Mitglieder des Landtags bei Beendigung der Mitgliedschaft im Landtage.“ (Pr. Gesetzsammlung 1930, S. 37, 40).

Herr Reichskanzler von Papen fragte, ob nicht, wenn das Staatsministerium nunmehr wieder Abgeordnete zu Mitgliedern des Beirats ernenne, die Nationalsozialistische Landtagsfraktion entsprechend ihrer Stärke die Ernennung von zwei Mitgliedern des Beirats verlangen werde.

Herr Staatssekretär Schleusener erklärte, daß sich die Fraktionen bei den Verhandlungen mit dem Finanzministerium mit je einem Vertreter einverstanden erklärt hätten.

Das Staatsministerium beschloß, entsprechend dem Vorschlage des Herrn Staatssekretärs Schleusener die Mitglieder des Preußischen Landtags Hinkler, Dr. Hamburger, Dr. Graß und Dr. von Winterfeld auf die Dauer von 3 Jahren, jedoch längstens für die Dauer der Legislaturperiode des Landtags, zu Mitgliedern des Beirats der Preußischen Staatsbank (Seehandlung) zu bestellen3.

3

Vgl. dazu auch Dok. Nr. 162, P. 7.

3. Zu Punkt 3 der Tagesordnung (Personalvorschläge) wurden der Ministerialdirektor beim Preußischen Staatsministerium, Wirkliche Geheime Oberregierungsrat Dr. Nobis, zum Staatssekretär des Preußischen Staatsministeriums, der Ministerialrat im Preußischen Finanzministerium Dr. Landfried zum Ministerialdirektor[647] beim Preußischen Staatsministerium, der Hilfsarbeiter im Preußischen Staatsministerium, Regierungsrat Dr. Gritzbach, zum Ministerialrat beim Preußischen Staatsministerium (bisherige Stelle des Leiters der Pressestelle), der Ministerialrat im Preußischen Ministerium des Innern Dr. Schütze zum Ministerialdirektor und stellvertretenden Bevollmächtigten zum Reichsrat im Hauptamt und der Ministerialrat im Preußischen Ministerium des Innern Dr. Suren zum Ministerialdirektor in diesem Ministerium ernannt.

Der Ministerialdirektor beim Preußischen Staatsministerium Dr. Landfried wurde mit Wirkung vom 1. Oktober 1932 zum hauptamtlichen stellvertretenden Bevollmächtigten zum Reichsrat ernannt.

Der Senatspräsident beim Oberverwaltungsgericht Dr. Lindenau wurde zum Vizepräsidenten dieses Gerichts ernannt, der Ministerialdirektor im Ministerium des Innern Dr. von Leyden wurde auf Grund des § 3 der Verordnung vom 26. Februar 1919 (Gesetzsamml. S. 33) unter Gewährung des gesetzlichen Wartegeldes sofort einstweilen in den Ruhestand versetzt und mit Wirkung vom 1. Oktober 1932 zum Senatspräsidenten beim Oberverwaltungsgericht ernannt4.

4

Gegen diese Ernennungen erhob MinDir. Brecht am 28. 9. „im Auftrage der Preußischen Staatsminister“ mündliche Beschwerde bei StS Meissner. Dabei führte er, wie Meissner in einer am gleichen Tage an den StSRkei übermittelten Aufzeichnung vermerkte, u. a. weiter aus: „Die Frage, ob der Reichskommissar Beamtenernennungen verfügen könne, sei Gegenstand des Streitverfahrens vor dem Staatsgerichtshof, insbesondere die Frage, ob Bevollmächtigte und stellvertretende Bevollmächtigte zum Reichsrat vom Reichskommissar ernannt werden können. In dem Vorgehen des Reichskommissars läge ein Eingreifen in das schwebende Verfahren, eine Vorwegnahme der Entscheidung des Staatsgerichtshofs und gleichzeitig auch eine Herausforderung der Preußischen Staatsminister. […] Für die Beschwerde gegen den Reichskommissar sei der Herr Reichspräsident zuständig; die Beschwerdeführer bitten den Herrn Reichspräsidenten: 1) zu verhindern, daß künftig solche Handlungen sich wiederholen; 2) durch Hinausschieben des Inkrafttretens der beschlossenen Ernennungen vom 1. Oktober bis zum 1. November zu vermeiden, daß der Entscheidung des Staatsgerichtshofs vorgegriffen werde.“ Meissner in der Aufzeichnung abschließend: Er habe sich darauf „beschränkt, die Beschwerde entgegenzunehmen, und zugesagt, sie dem Herrn Reichspräsidenten sowie dem Herrn Reichskanzler zur Kenntnis zu bringen“ (R 43 I /2281 , S. 63–67). – Der Beschwerde wurde nicht stattgegeben; amtl. Mitteilungen über die vom StMin. beschlossenen Ernennungen ergingen in den unmittelbar folgenden Tagen (z. B. MinBlPriV 1932, S. 977).

[…]

4. Zu Punkt 4 der Tagesordnung (Neugliederung von Landkreisen) […]5.

5

Das StMin. stimmte dem Entwurf einer VO zu, durch welche die VO über die Neugliederung der Landkreise vom 1.8.32 (Pr. Gesetzsammlung, S. 255) in verschiedener Hinsicht ergänzt und berichtigt wurde. Die VO wurde am 27.9.32 erlassen (ebd., S. 315).

5. Zu Punkt 5 der Tagesordnung (Bestimmung der Kreissitze für die neugebildeten Landkreise Dithmarschen und Weißensee) […]6.

6

Nach kurzer Aussprache wurden zu Kreissitzen bestimmt: im Landkreis Weißensee die Landgemeinde Weißensee und im Landkreis Dithmarschen die Stadtgemeinde Meldorf.

6. Zu Punkt 5 a der Tagesordnung (Bestimmung des Kreissitzes für den neugebildeten Landkreis Wohlau) […]7.

7

Das StMin. beschloß, an der gemäß § 13 der VO über die Neugliederung von Landkreisen vom 1.8.32 (Pr. Gesetzsammlung, S. 255) getroffenen Regelung, wodurch Wohlau zum Kreissitz des neugeschaffenen Landkreises Wohlau bestimmt worden war, festzuhalten.

7. Zu Punkt 6 der Tagesordnung (Benennung neugebildeter Landkreise) […]8.

8

Das StMin. stimmte dem Vorschlag des Innenministers zu, einigen der auf Grund der VO vom 1.8.32 (vgl. oben Anm 7) neugebildeten Landkreisen neue Namen zu geben, nämlich: Husum-Eiderstedt, Grafschaft Hoya, Grafschaft Diepholz, Land Hadeln, Aschendorf-Hümmling, Fritzlar-Homberg, Oberwesterwaldkreis, Rheinisch-Bergischer Kreis, Oberbergischer Kreis. Vgl. hierzu auch MinBlPriV 1932, S. 1036.

[648] 8. Zu Punkt 7 der Tagesordnung (Verordnung über die Bürgersteuer 1933) […]9.

9

Die VO wurde am 29.9.32 erlassen (Pr. Gesetzsammlung, S. 328).

9. Zu Punkt 8 der Tagesordnung (Auflösung der Regierung in Stralsund) berichtete Herr Reichskommissar Dr.-Ing. Bracht entsprechend dem Schreiben des Ministeriums des Innern vom 24. September 1932 – Pd. 1452 VI10 – über die Vorstellungen, die Vertreter der Bevölkerung des Regierungsbezirks Stralsund unter Führung des Oberbürgermeisters der Stadt Stralsund bei dem Herrn Reichskanzler und bei ihm erhoben hätten, um die Rückgängigmachung der Auflösung der Stralsunder Regierung11 bei der Staatsregierung zu erwirken. Die von der Deputation vorgetragenen Gründe seien im Ministerium des Innern sämtlich bereits bekannt gewesen. Sie rechtfertigten es nicht, die einmal getroffene Entscheidung rückgängig zu machen. Die kleine Regierung in Stralsund sei nur wenig beschäftigt gewesen und zudem zu einem Herd von Unzuträglichkeiten innerhalb der Beamtenschaft geworden, den zu beseitigen dringend erforderlich erscheine. Die Rechte, die die Stadt aus dem Königlichen Patent vom 19. September 1815 für sich in Anspruch nehme, hätten in der vorkonstitutionellen preußischen Zeit bestanden, seien aber bereits durch die Preußische Verfassung vom 5. Dezember 1848 überholt worden. Es sei sachlich geboten, es bei der Auflösung der Regierung Stralsund zu belassen.

10

Nicht ermittelt.

11

Die Regierung in Stralsund war durch VO des StMin. vom 30. 7. mit Wirkung vom 1.10.32 aufgehoben worden. Die VO bestimmte ferner: „Die Landkreise Franzburg-Barth, Greifswald, Grimmen und Rügen sowie die Stadtkreise Greifswald und Stralsund werden dem Regierungsbezirke Stettin zugeteilt.“ (Pr. Gesetzsammlung, S. 277).

Herr Reichskanzler von Papen wünschte, daß der Deputation besonders mit Rücksicht auf das von ihr geltend gemachte Königliche Patent vom 19. September 1815 seitens der Staatsregierung wenigstens ein höflicher Bescheid erteilt würde.

Das Staatsministerium beschloß, es entsprechend dem Vorschlage des Herrn Reichskommissars Dr.-Ing. Bracht bei der Auflösung des Regierungsbezirks Stralsund zu belassen.

10. Außerhalb der Tagesordnung beschäftigte sich das Staatsministerium mit dem aus dem Notstandsgebiet der Provinz Ostpreußen an die Reichs- und Staatsregierung gelangten Antrage, die für die Beschaffung von Saatgut zur Verfügung gestellten Mittel zu verstärken und die bisher als Verstärkung der Hilfe gewährten Mittel nicht darlehensweise, sondern als verlorene Zuschüsse zu geben, und mit dem von der Reichsregierung gefaßten Beschlusse, die bisher zur Verfügung gestellten Mittel von 500 000 RM auf 1 000 000 RM zu erhöhen, falls Preußen sich wieder wie bei der Ostaktion mit der Hälfte des Betrages in Höhe von 250 000 RM beteiligen würde12.

12

Zu den vorangegangenen Beratungen und Beschlüssen in dieser Angelegenheit s. Dok. Nr. 107, P. 9, dort bes. Anm 33; Dok. Nr. 154, P. 8.

Herr Reichskanzler von Papen befürwortete insbesondere auf Grund der[649] Ergebnisse seiner soeben abgeschlossenen Bereisung der Provinz Ostpreußen13 den Antrag aus dem ostpreußischen Notstandsgebiet dringend.

13

Papen hierzu in einem Interview mit dem Hauptschriftleiter der „Königsberger Allgemeinen Zeitung“ auf der Rückreise nach Berlin (26. oder 27. 9.?) u. a.: „Meine Reise nach Ostpreußen […] war unmittelbar veranlaßt durch eine Deputation des Kreises Gumbinnen, die vor wenigen Tagen unter Führung des Landtagsabgeordneten von Plehwe bei mir war. Ich habe in den letzten Tagen eine Reihe ostpreußischer Kreise bereist, und es war mir sehr wertvoll, an Ort und Stelle Eindrücke zu sammeln und die Notlage der Provinz kennenzulernen. Landwirtschaftliche Sachverständige sowie die Landräte der einzelnen Kreise haben mir über die Lage ihrer Gebiete Vortrag gehalten. Die Möglichkeit einer weiteren Hilfe für diese Gebiete wird geprüft.“ (WTB-Bericht Nr. 2051 vom 27. 9. in R 43 I /2483 , Bl. 184).

Herr Ministerialrat Dr. Vollbach schilderte die dem Antrage des Notstandsgebietes und dem Beschluß der Reichsregierung zugrunde liegenden landwirtschaftlichen Verhältnisse.

Herr Reichskanzler von Papen stellte zur Erörterung, ob man nicht das gesamte in Betracht kommende Gebiet zum Notstandsgebiet erklären solle.

Herr Ministerialrat Dr. Strunden wies darauf hin, daß schon seit den letzten Jahren keine ganzen Gebiete mehr zum Notstandsgebiet erklärt worden seien, und warnte davor, von dieser Praxis hier abzugehen.

Herr Ministerialrat Dr. Vollbach schloß sich dem an.

Herr Reichskommissar Dr.-Ing. Bracht regte an, die Frage der Erklärung zum Notstandsgebiet nochmals sorgfältig zu überprüfen, gab aber zugleich der Meinung Ausdruck, daß infolge der Osthilfe die finanzielle Lage in Ostpreußen nicht mehr so unheilvoll sei wie in verschiedenen Gebieten des Westens und in Mitteldeutschland.

Herr Reichskanzler von Papen widersprach dem unter Hinweis auf die traurigen Verhältnisse z. B. in Goldap, von denen er sich selbst soeben überzeugt habe. Es sei durchaus nötig, im Einzelfalle in der Provinz Ostpreußen helfend einzugreifen.

Herr Reichskommissar Dr.-Ing. Bracht schloß sich dem an, warnte aber vor etwaigen generellen Maßnahmen, zu deren Finanzierung die Staatsregierung angesichts der außerordentlich ungünstigen finanziellen Lage nicht in der Lage sein würde.

Auch Herr Staatssekretär Schleusener schloß sich den Bedenken an, die gegen die Erklärung ganzer Gebiete von Ostpreußen zum Notstandsgebiet geltend gemacht worden seien.

Das Staatsministerium beschloß, sich an der von der Reichsregierung beschlossenen Verstärkung der Saatgutbeschaffungsmittel für das Notstandsgebiet der Provinz Ostpreußen mit einem Betrage von 250 000 RM zu beteiligen.

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