1.42 (vpa2p): Nr. 171 Rede des Reichskanzlers vor Vertretern der westdeutschen Wirtschaft in der Paderborner Schützenhalle am 16. Oktober 1932, 11.30 Uhr

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[785] Nr. 171
Rede des Reichskanzlers vor Vertretern der westdeutschen Wirtschaft in der Paderborner Schützenhalle am 16. Oktober 1932, 11.30 Uhr1

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Eine erste Anregung, in Paderborn auf einer „gewaltigen Kundgebung der Wirtschaft“ zu sprechen, war an den RK durch den Syndikus des Arbeitgeber-Verbandes Paderborn und Umgebung e. V., Bergmeyer, mit Schreiben vom 22.8.32 herangetragen worden. Zahlreiche westdeutsche Wirtschaftsführer seien der „Ansicht, daß an Stelle der politischen Parteien die Wirtschaft und auch die übrigen Berufsstände zu Ihrer Unterstützung für die Weiterverbreitung Ihrer Ideen angespannt werden müssen. Die Wirtschaft muß sich hinter Sie stellen, wo Sie mit der Parteiwirtschaft gebrochen und ein überparteiliches Kabinett gebildet haben. Ich glaube, daß auf dem Wege über die Berufsstände gewaltige Arbeit für Sie geleistet werden kann. Die Tätigkeit Ihres Kabinetts genießt in Wirtschaftskreisen allgemein das größte Ansehen und erfährt überall Unterstützung und Anerkennung. Es ist allgemeiner Wunsch, daß die Arbeiten der Reichsregierung durch die Parteien nicht gestört und durch parteimäßig eingestellte Kabinette nicht unterbrochen werden. […] Die Wirtschaft ist den Parteiklüngel der letzten Jahre satt. Sie bekämpft den Parteigeist und den Parteiegoismus und will einen allmählichen gesunden Staatsaufbau.“ (R 43 I /1141 , Bl. 141–144). In diesem Aktenbande und in R 43 I /1144  weitere Materialien zur propagandistischen und organisatorischen Vorbereitung der Paderborner Rede des RK, die, wie WTB am 16. 10. berichtete, gehalten wurde vor „etwa sechstausend Wirtschaftsführern – Vertretern der Industrie, des Handels, des Handwerks, der freien Berufe aus dem Wirtschaftsgebiet Westfalen, Hessen-Nassau und Hannover sowie von zehn westdeutschen Industrie- und Handelskammern“ (WTB Nr. 2205 in R 43 I /1144 , Bl. 318).

R 43 I /1144 , Bl. 318–321 Druck2

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WTB Nr. 2205.

[Wirtschaftsprogramm der Reichsregierung: Arbeitsbeschaffung, Kontingentierung landwirtschaftlicher Einfuhren; Abrüstungsfrage; Reichsreform; konservative Staatsführung]

Meine lieben westfälischen Landsleute!

Mit dem Dank für die freundlichen Worte der Begrüßung3 verbinde ich den Dank an die Veranstalter dieser Tagung, daß sie mich eingeladen haben, hier in meiner Heimat Westfalen zu sprechen. Ich setze mich dem Vorwurf aus, daß ich im Verhältnis zu den anderen Teilen des Reiches den Westen zu oft aufsuche, um ihm seine Fragen zu beantworten. Aber es ist kein Zufall, daß es mich immer wieder hierher zieht, es ist ein Bekenntnis zu dem Boden, aus dem ich hervorgegangen bin, es ist ein Bekenntnis zu den Wurzeln, aus denen die konservative Politik entspringt, die ich zu verwirklichen strebe. Die Zeit muß vorbei sein, in der Politik aus Opportunität gemacht wurde. Vor den furchtbar schweren Aufgaben der Gegenwart kann nur derjenige bestehen, dem die Politik Sache der Weltanschauung und des Glaubens ist. Konservative Politik aber entspringt dem Glauben an die ewigen göttlichen Gesetze des menschlichen Lebens und des Wettlaufs, der Einordnung in die Bindungen des Blutes und des Stammes, in Familie, Landschaft, Volk und Staat. Und deshalb suche[786] ich immer wieder die Verbindungen mit meiner Heimat, um mir aus ihrer Berührung neue Kraft und neuen Mut zu holen.

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In einer kurzen Begrüßungsansprache hatte der Vorsitzende des Westfälisch-Lippischen Wirtschaftsbundes, Müller-Oerlinghausen, u. a. ausgeführt: Er „stimme mit dem Kanzler darin überein, daß die großen innen- und außenpolitischen Aufgaben der Reichsregierung endlich einmal eine Zeitlang bis zur Wiedergewinnung einer gesunden und wirtschaftlichen Grundlage ohne Parteibrille behandelt und durchgeführt werden, umsomehr, als in breiten Schichten unseres Volkes dieses Verlangen immer dringender werde“ (WTB Nr. 2205 in R 43 I /1144 , Bl. 318).

Vor wenigen Tagen habe ich von München aus zu dem deutschen Volke über die politischen Absichten der Reichsregierung gesprochen4. Erwarten Sie heute nicht das Gleiche von mir. Vor Ihnen, den Angehörigen aller Wirtschaftsstände und Berufe aus Westfalen, Hessen-Nassau und Hannover, will ich heute im wesentlichen die wirtschaftlichen Fragen erörtern, denen Ihr nächstes Interesse gilt. Die Reichsregierung ist tief durchdrungen von der Verantwortung für das Schicksal eines großen Kulturvolkes und von der Aufgabe, es durch einen dritten Winter mit Millionen von Arbeitslosen zu führen. Ihre Wirtschaftspolitik kennt daher nur das vornehmste Ziel: Arbeit und Brot zu schaffen und dem Wiederanstieg der Wirtschaft die Bahn frei zu machen. Schon seit drei Jahren stehen die deutsche Wirtschaft und das deutsche Volk im härtesten Kampfe um ihre Existenz. Wie lange soll dieser Kampf noch dauern? – So fragt man uns heute. Es wird dauern so lange, bis wir unsere ganze Freiheit wiedererlangt haben. Der Wirtschaftskampf ist ein wichtiger Teil unseres nationalen Freiheitskampfes. Seine Grundlage war die Aufrechterhaltung der Währung, sein Ziel die Befreiung von den Tributen. Denn der Ausgang der Verhandlungen von Lausanne, der der deutschen Wirtschaft die Befreiung brachte von schweren unerträglichen Belastungen und dem deutschen wirtschaftenden Menschen wieder neuen seelischen Auftrieb gab, war die Voraussetzung, daß die Regierung von der Verteidigung gegen die Wirtschaftskrise nun zum Angriff, das heißt zur starken Anregung aller wirtschaftlichen Kräfte im Sinne einer Besserung der Lage überging. Das war der führende Gedanke im Wirtschaftsplan der Reichsregierung. Das Ducken vor einem scheinbar nicht zu bannenden Schicksal, die Lethargie, die stumpfe Verzweiflung und das Sich-Ergeben in das Unvermeidliche mußten endlich einmal ein Ende nehmen. Wir haben den Stellungskrieg überwunden, wir sind wieder zur Bewegung übergegangen und haben die moralischen Energien der Nation wieder freigemacht zu entschlossenem Handeln. Der Zeitpunkt, den wir wählten, kam uns dabei zugute. Das Ende eines wirtschaftlichen Zusammenbruchs von gigantischem Ausmaß zeichnet sich heute deutlich am Horizont ab. Aber die Überwindung der Krise kommt nicht von selbst, sie verlangt jetzt ein rasches und wagemutiges Handeln. Die Staatsführung ist vorangegangen, sie hat den ersten Schritt getan und dringt unaufhaltsam weiter. Wir haben geeignete Hilfsmittel zur Krisenbekämpfung bereitgestellt. Die Wirtschaftsführung hat diesen Vorstoß mutig aufgenommen und wird ihn nun hoffentlich immer weiter treiben. Alle arbeitenden Deutschen sollten sich daran beteiligen. Freilich gehört dazu jener Geist unbedingten Zusammenstehens und heroischer Opferwilligkeit, den wir im Kriege bewährt haben. Wir haben uns kein besonderes „System“ ausgeklügelt, um der Wirtschaft die erforderliche rasche und schnellwirkende Hilfe zu bringen, sondern wir glauben, daß der Appell an die persönliche Verantwortung und den persönlichen Wagemut auch der Allgemeinheit den größten und nachhaltigsten Nutzen bringt. In diesem Sinne ist das Wirtschaftsprogramm der Reichsregierung auch von der[787] Wirtschaft verstanden worden und hat namentlich hier im Westen, wo sichtbare Werke von der Tatkraft einzelner machtvoller Persönlichkeiten eine so deutliche Sprache reden, einen so großen und starken Widerhall gefunden. Aber unser Programm ist keineswegs nur für die Großen bestimmt, ein Programm für eine bestimmte Schicht der Wirtschaft, es soll und wird allen Wirtschaftenden zugutekommen. Auch und gerade die mittleren und kleinen Betriebe werden durch die Maßnahmen der Reichsregierung gefördert und gestützt werden, denn was wir wollen ist ausgesprochene Mittelstandspolitik, ist ein wirtschaftlicher Wiederaufbau auf breitester Grundlage, der mittelbar und unmittelbar die gesamte Bevölkerung erfaßt. Denn nur so kann er Erfolg haben, nur so sind auch die Opfer zu rechtfertigen, die wir in Durchführung unseres Programms vom Lande fordern müssen. Machen wir uns doch endlich einmal los von dem Gedanken klassenmäßiger Bevorzugung, der sinnlos und verderblich ist in einem Augenblick, da es gilt, alle willigen Kräfte der Nation zu einer letzten Anstrengung zusammenzufassen, um die furchtbare Not unserer Zeit zu überwinden. Wir waren und sind immer bereit, Arbeitsbeschaffungspläne zu diskutieren, die aus dem starken Drange zu helfen entstanden sind. Wir haben doch nur die eine Verpflichtung: so viel und so rasch Arbeit zu beschaffen als nur irgend möglich. Aber eine Vorbedingung müssen alle vorgeschlagenen Maßnahmen erfüllen: Die Arbeiten müssen produktiv sein, sie dürfen Währung und Kredit nicht aufs Spiel setzen. Die bisherigen Wirtschaftsmaßnahmen der Reichsregierung sind Übergangsmaßnahmen. Sie gelten für eine Zeit von 12 Monaten. Die Aufgabe, das ganze deutsche Wirtschaftsleben wieder flott zu machen, läßt sich auf keine andere Weise lösen, als auf diejenige, die wir gewählt haben. Eine noch so große Ausweitung der öffentlichen Aufträge hätte für sich allein niemals eine solches Maß von Arbeit und zusätzlicher Gütererzeugung schaffen können, wie es zur wirksamen Bekämpfung der Arbeitslosigkeit erforderlich ist. Man muß sich vergegenwärtigen, daß selbst öffentliche Aufträge in einer Jahreshöhe von einer halben Milliarde Reichsmark die Arbeitsmöglichkeit der deutschen Volkswirtschaft nur um etwa ein Prozent erhöhen könnten. Keine von oben her geleitete Wirtschaft, keine Sozialisierung, keine Planwirtschaft würden das Problem lösen können, Deutschland durch den nächsten Winter hindurchzuführen. Es wäre ein Verbrechen, wollte man die deutsche Volkswirtschaft Experimenten ausliefern, die mit größter Wahrscheinlichkeit die Stille des Friedhofs an die Stelle des organischen Lebens gesetzt hätten. Nur ein Plan, der darauf ausgeht, der Wirtschaft neues Leben zuzuführen, ohne ihre natürlichen Lebensbedingungen zu verdecken, kann der ungeheuren Aufgabe entsprechen, die uns heute gestellt ist. Diesen Plan hat die Reichsregierung in ihren Verordnungen vom 4. und 5. September eingeleitet, und sie wird sich bemühen, ihn noch durch alle weiteren Maßnahmen zu vervollständigen, welche demselben Ziele dienen, nach den natürlichen Gesetzen der Wirtschaft Arbeit und Brot zu schaffen.

4

Dok. Nr. 166.

[…]

Ein besonders umstrittener Punkt unseres Wirtschaftsplanes ist die in Aussicht genommene Regelung der Einfuhr gewisser landwirtschaftlicher Produkte5.[788] Ich habe schon in München betont, daß es sich hier um eine Notmaßnahme handelt.

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Vgl. dazu die Ausführungen des REM in seiner Münchener Rede vom 26. 9. (Dok. Nr. 156).

Ich brauche nun die schwere Notlage unserer Landwirtschaft, namentlich der bäuerlichen Bevölkerung, nicht im einzelnen darzulegen. Dazu sind die Verhältnisse zu offenkundig und zu bekannt. Aber wenn man sich erinnert, daß der Erlös unserer bäuerlichen Wirtschaften aus dem Verkauf von Vieh und Milchprodukten und Eiern von 1929/30 auf 1931/32 um zwei Milliarden zurückgegangen ist, wenn man weiter daran denkt, daß ein großer Teil der Erträge unseres Obst- und Gemüsebaues wegen der ruinösen Preise einfach unverwertbar geworden ist, dann kann niemand verkennen, daß für jede Regierung die Pflicht besteht, einen weiteren Verfall der Landwirtschaft nach Möglichkeit aufzuhalten. Und wenn sich trotz der gesunkenen Kaufkraft in Deutschland und trotz reichlicher Inlandsbestände die Schmalzeinfuhr in der Zeit von Januar bis August 1932 fast um die Hälfte gegenüber derselben Zeit des Vorjahres gesteigert hat, wenn die Einfuhr von Speck in demselben Zeitraum sogar verdoppelt wurde, so kann man sich der Notwendigkeit nicht verschließen, auch die Einfuhr dieser wichtigen Lebensmittel einer Regelung zu unterwerfen. Gerade die Einfuhrkontingentierung erhöht nicht die Preise, wie dies jede Zollerhöhung tut, sondern sie soll dazu dienen, den Absatz heimischer Erzeugnisse in den Vordergrund zu stellen. Sie ist also diejenige Form der Einfuhrregelung, welche den Verbraucher am wenigsten trifft und die nationale Produktion stützt. Das trifft umso mehr zu, als die Art der Kontingentierung den jeweiligen Ernte- und Marktverhältnissen Rechnung tragen soll. Außerdem wird für die Arbeitslosen auch in diesem Winter die bisherige Frischfleischverbilligung durchgeführt werden.

Daß unsere Kontingentierungspläne im Auslande auf Schwierigkeiten stoßen würden6, damit mußten wir rechnen. Auch die deutsche Wirtschaft hat sich schon mit ausländischen Kontingenten abfinden müssen. Sie hat es getan, ohne jemals zu Boykottmaßnahmen zu schreiten. Ausdrücklich muß ich Gerüchten entgegentreten, als könnte unsere Kontingentierungspolitik möglicherweise unsere Währung gefährden. Eine solche Gefahr liegt nicht vor, und sie ist auch von keiner Stelle behauptet worden, die für die Währung Verantwortung trägt. Ich bin der Ansicht, daß die augenblicklichen Schwierigkeiten bald überwunden sein werden. Je schneller unsere Verhandlungspartner einsehen, daß wir diese Maßnahme nicht aus Schikane gegen ihre eigene Landwirtschaft ergreifen, sondern daß es sich hier um eine Notstandsmaßnahme zur Rettung der deutschen Landwirtschaft handelt und daß infolgedessen unsere Maßnahmen zwingend sind, um so schneller werden wir zu normalem Wirtschaftsaufbau zurückfinden. Um die bedrohten Märkte dem deutschen Warenaustausch offen zu halten, wird die Reichsregierung jeder Art der Werbung für deutsche Waren in diesen Ländern, sei es durch Ausstellung deutscher Erzeugnisse, sei es in anderer Form, volle Unterstützung gewähren.

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Hierzu vgl. den Bericht des StS Mussehl im Kabinett am 7. 10. (Dok. Nr. 163, P. 6).

[789] Diejenigen aber, die uns zwiespältige, widerspruchsvolle Wirtschaftspolitik vorwerfen, muß ich fragen, ob nicht in den gegenwärtigen Notzeiten Maßnahmen unentbehrlich sind, die alle Wirtschaftszweige im Rahmen des Möglichen und Erreichbaren vor der völligen Zerrüttung schützen. Das Schicksal der deutschen Landwirtschaft ist das Schicksal der Nation selbst. Die Industrie hat in voller Erkenntnis dieser Tatsache schon manches Opfer dem gemeinsamen Ziel gebracht, und sie genießt auf der anderen Seite ja auch selbst die Vorteile eines starken Schutzes gegenüber dem Auslandsmarkt. Mit Recht kann aber auch der industrielle und gewerbliche Unternehmer erwarten, daß die Landwirtschaft ebenso Verständnis für seine Lebensnotwendigkeiten hat.

Aufgabe einer jeden Reichsregierung muß es sein, die Grundproduktion des Landes als Basis für die seelische und materielle Wiedergeburt der Nation zu schützen und dabei einen organischen Ausgleich zwischen den verschieden gerichteten Interessen in der deutschen Wirtschaft so weitreichend und so dauerhaft herbeizuführen als nur irgend möglich.

[…]

Jahre angestrengtester Arbeit und rigorosester Sparsamkeit auf allen Gebieten der öffentlichen Wirtschaft liegen vor uns. Der Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft – ein Fundament für Glück und Wohlstand der kommenden Generation –, der vor allem dazu bestimmt ist, unsere deutsche Jugend aus der Qual einer hoffnungslosen Zukunft zu erlösen, kann nur gelingen in der Zusammenfassung der reichen und unversiegbaren moralischen Kräfte unseres Volkes. Dieses Werk, das wahrlich der Hingabe letzter Kräfte wert ist, fordert das Zusammensein aller gutwilligen deutschen Männer aus allen Erwerbsständen und Gesellschaftsschichten in der vom tiefsten sozialen Geist und Verantwortungsbewußtsein erfüllten echten Not- und Volksgemeinschaft. Demagogisches Gerede und wirklichkeitsfremdes Planen kann dieses Werk nicht schaffen. Das vermag nur entschlossenes und wagemutiges Handeln in Anerkennung gegebener Tatsachen. Die Reichsregierung glaubt, die notwendigen Voraussetzungen für die Überwindung der Krise geschaffen zu haben. Das Werk zu vollbringen und zu dem von uns allen heiß ersehnten Ziele zu führen, das, meine Herren, ist nun Ihre Aufgabe.

Das Bild der wirtschaftlichen Lage wäre aber nicht vollständig ohne einen kurzen Ausblick auf die Politik. Überkluge Zweifler halten der Durchführung unserer Pläne die beiden Unsicherheitsfaktoren der auswärtigen und inneren Politik entgegen. Auch wir übersehen die Schwierigkeit der Lage nicht. Aber auf welche Sicherheitsfaktoren sollten wir denn noch warten? Eine starke Staatsgewalt ist dazu da, daß sie die Unsicherheiten nach Möglichkeit beseitigt und daß sie dem Volke das Gefühl gibt: Wir gehen voran, wir warten nicht im Winkel, bis uns die Not erdrückt, wir fassen Unsicherheiten an der Gurgel! Die fehlenden Sicherheiten muß man sich schaffen. Wer auf sie wartet, wird erliegen, bevor er noch das Ziel geschaut.

Aus diesem Grunde haben wir den Kampf um Deutschlands Recht und Freiheit in der Welt aufnehmen müssen, denn niemals kann Europa zur Ruhe kommen, niemals können die politischen Streitfragen beigelegt werden, die zwischen den Nationen bestehen, wenn Deutschland nicht die Grundrechte aller[790] Völker gewährt werden. Sie allein sichern die Grundlage des Friedens und führen zu jener moralischen Abrüstung, die man so vielfach predigt. Unser Ziel ist nicht Aufrüstung auf den Rüstungsstand unserer Nachbarn, sondern Abrüstung in ganz Europa und in der Welt, gleiches Recht und gleiche Sicherheit! Unser Ziel ist ein Zustand innerhalb Europas, in dem es keine Hegemonie und kein System politischer Bündnisse gibt, sondern wo die Völker in gegenseitiger Achtung ihrer staatlichen und kulturellen Individualität ihren Menschheitszielen nachstreben können. Wir wissen aber, daß wir dieses Ziel, das allein der Welt die politische und wirtschaftliche Stetigkeit geben wird, nur durch schärfste nationale Konzentration im Kampf um unsere Gleichberechtigung und unsere Selbstbestimmung verwirklichen können.

Der Gedanke des Sacrum Imperium, des Heiligen Deutschen Reiches, von dem ich in München als von der Sehnsucht kommender Geschlechter zwischen den Alpen und der Memel sprach, ist nicht geboren im „Jahrhundert der Nationalitäten“. Er ist nicht, wie ein Teil der Auslandspresse es dargestellt hat, „imperialistisch“ im Sinne hegemonialer Herrschaftswünsche, er ist vielmehr der Ausdruck der großen abendländischen Völkerverbundenheit, wie ihn gerade die katholische Kirche durch Jahrhunderte ausgestalten half, der Ausdruck deutscher Kultursendung im mitteleuropäischen Raum, auf den wir über den Materialimus des Tages hinweg wieder die Augen der jungen Generation richten wollen. Es wäre auch empfehlenswert, wenn manche Auslandsredaktionen ihre geographischen Kenntnisse dahin vervollkommnen wollten, daß es deutsche Alpen und eine deutsche Memel gibt.

Auch in der inneren Politik streben wir aus einem Zustand größter Unstabilität und Unsicherheit dem Ziele zu, das dem deutschen Volke die Zukunft, einen festen und gesicherten Boden zur Entfaltung seiner wirtschaftlichen und kulturellen Kräfte bereiten soll.

Ich habe in München den Neubau des Staates umrissen, den wir ausführen wollen. Seit der notwendig gewordenen Einsetzung eines Reichskommissars für Preußen, die sich innerhalb des großen und vielgestaltigen preußischen Verwaltungsapparates ohne Schwierigkeit vollzogen hat, ist die Erkenntnis von der Notwendigkeit einer Reichsreform auf dem Marsche. Schon im gegenwärtigen Übergangsstadium haben sich die Vorzüge einer engen Zusammenarbeit zwischen Reich und Preußen handgreiflich erwiesen. Selbstverständlich beabsichtigt die Reichsregierung nicht, da sie auf föderalistischem Boden steht, eine Reichsreform ohne die Erhaltung der Selbständigkeit der preußischen Willensbildung durchzuführen, auf welche auch die anderen Länder mit Recht Wert legen.

Nicht wir haben etwa den normalen Weg der Freiheit und der Beständigkeit der politischen Verhältnisse verlassen, wie es uns oft zum Vorwurf gemacht wird, nein, im Gegenteil, solche normalen politischen Verhältnisse haben längst nicht mehr bestanden. Die Sicherheiten, die die Wirtschaft braucht, hat sie 13 Jahre lang vergeblich bei der Vertretung des Volkes, beim deutschen Reichstag suchen müssen. Nicht wir haben eine anormale Situation geschaffen, sie ist das Produkt der Verantwortungsscheue und Unbeständigkeit unseres deutschen Parteiwesens. Wir haben allerdings den Entschluß gefunden, diese[791] schleichende Krankheit abzukürzen und wir versuchen, sie schnellstens zu heilen. Wer von uns fordert, wir sollten zu den sogenannten „normalen Verfassungszuständen“ zurückkehren, der vergißt, daß wir leider solche normalen Zustände eines inneren Gleichgewichts schon lange nicht mehr besessen haben. Wer uns rät, wir sollten uns wieder den schwankenden Mehrheiten anvertrauen, den frage ich: Welche Partei oder Parteiverbindung kann der Regierung, kann vor allem der schwerbedrohten deutschen Wirtschaft die notwendige Sicherheit geben? 13 Jahre lang konnte dieser Beweis geführt werden, 13 Jahre lang hatten die Parteien Zeit, das Volk zur Disziplin und zur Verantwortung zu erziehen. Wie lange soll Deutschland noch auf die Einigkeit und auf die Vernunft seiner Parteien warten? Wer von uns ein Zurück fordert, der fordert das schlimmste Experiment, das heute gemacht werden könnte. Es ist vielmehr nötig, daß wir uns rasch für eine neue bessere Norm der Staatsführung entschließen, das allein ist heute die Forderung an die politische Vernunft. Und ich bin glücklich, mich in dieser Auffassung eins zu wissen mit dem verehrten Prälaten Dr. Schreiber, dem bekannten Zentrumsabgeordneten, der schon vor einem halben Jahre mit seltener Deutlichkeit darauf hinwies, was uns bevorsteht. „Es kann sein“, so schrieb er damals, „daß wir vor der Gefahr großer innerpolitischer Erschütterungen stehen. Wenn Stunden der Versuchung für den politischen Radikalismus anbrechen, Methoden der Gewalt anzuwenden, da parlamentarische Lösungen sich als äußerst schwierig erweisen, dann muß der Staat wissen, daß er auch jenseits der parlamentarischen Regierungsform Existenzrechte in sich trägt, daß er Ruhe und Ordnung, Eigentum und Währung, Wiederaufbau der Wirtschaft und außenpolitisch unerläßliche Revisionen nach wie vor in die Hände zu nehmen hat. Niemand kann diesen Staat von dieser Aufgabe dispensieren, auch das Parlament nicht: Denn das Parlament ist kein Selbstzweck, sondern Diener am Staat und am Volkstum.“

Soweit Dr. Schreiber. Wenn also das Parlament sich dieser Aufgabe des Neubaus des Reichs versagen sollte, dann werden wir mit Dr. Schreiber und vermutlich mit der großen Mehrheit des deutschen Volkes die Ansicht vertreten, „daß der Staat auch jenseits der parlamentarischen Regierungsform Existenzrechte in sich besitzt“.

Es ist Zeit, daß das deutsche Volk endlich aus der Verwirrung der parteipolitischen Meinungen und Phrasen heraustritt und sich auf die ständischen Ordnungen seiner Existenz besinnt.

Je mehr sich diese Erkenntnis im deutschen Volke durchsetzt – ich glaube, sie ist nicht mehr aufzuhalten – desto mehr wird der marxistische Wahn vom Klassengegensatz verschwinden. Das Volk wird sich wieder dessen erinnern, daß es aus Ständen und Berufen besteht, die alle einander brauchen, und nicht aus feindlichen Klassen. Dies zu bewahrheiten, ist aber zunächst die Pflicht derjenigen Schichten, die sich zur wirtschaftlichen Führung berufen wissen und denen die Regierung durch das Wirtschaftsprogramm die Möglichkeit gegeben hat, ihre Verantwortung wieder zu betätigen. Man hat mir vorgeworfen, ich verteidige eigentlich doch den Liberalismus, weil ich für die Freiheit der privaten Initiative eintrete. Nein, meine Herren. Es gibt eine des Gemeinschaftssinnes bare Freiheit, die naturnotwendig gegen den Staat gerichtet ist.[792] Diese werde ich niemals vertreten und niemals dulden in einer Zeit, in der das ganze Volk in der Lage sein muß, sich auf den Staat verlassen zu können. Aber es gibt auch eine Freiheit zum Dienst am Staat und an der Volksgemeinschaft. Diese Freiheit wünsche ich unseren Wirtschaftsführern und allen Unternehmern.

Vergessen Sie nicht, daß große Erwartungen auf Sie gesetzt werden! Der Herr Reichsminister des Innern hat in seiner Verfassungsrede die „Anonymität der politischen Verantwortung“ verurteilt und ihre Beseitigung als eine der dringensten verfassungspolitischen Aufgaben der Reichsregierung bezeichnet7. Das Volk, besonders das arbeitende und notleidende Volk, erwartet aber von der Regierung, daß sie auch die Anonymität der wirtschaftlichen Verantwortung beseitigt. Sie wissen, ich bin ein Feind aller Reglementierung und staatlichen Bevormundung. Wir wollen nicht das ganze Volk zu Angestellten des Staates machen. Die Reichsregierung ist es dem Volke schuldig, daß die heimlichen und unsichtbaren wirtschaftlichen Machteinflüsse durch sichtbare persönliche Verantwortlichkeiten ersetzt werden. Je mehr die Wirtschaft ihre Anonymität aus eigenem Antrieb beseitigt, desto geringer werden die Eingriffe der Staatsgewalt sein können. Hier sehe ich eine wichtige Aufgabe für die Zukunft, von deren Lösung es letzten Endes abhängen wird, wo die Grenze zwischen der Staatsführung und der Privatwirtschaft zu ziehen ist. Das Volk will Klarheit und Beständigkeit in der Wirtschaftsführung und es hat ein Recht darauf. Gerade das deutsche Volk will nicht durch politisches Gezänk, sondern durch Arbeit seine geschichtliche Größe und seine nationale Freiheit wieder erringen. Es will vertrauen können und will daher sehen, daß es gut geführt wird. Persönliche Verantwortung, meine Herren, das heißt nicht nur seinem eigenen Gewissen folgen, sondern auch dem Volk und seiner Regierung für alles wirtschaftliche Tun persönlich haften.

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Zur Verfassungsrede des RIM (11. 8.) s. Anm 38 zu Dok. Nr. 46.

Echter deutscher Heimatgeist besagt: Freiheit ist Dienst!

Messen wir unsere Handlungen an diesem konservativem Geist der Verantwortung, dann werden wir das Volk aus der Anarchie der politischen Meinungen und Weltanschauungen herausführen zu der Erkenntnis seiner elementaren Lebensnotwendigkeiten. In dieser Notzeit ist nur eine politische Weltanschauung berechtigt: Der Glaube an das deutsche Volk, der Glaube an unser deutsches Recht. Ihm gelten in dieser Stunde alle unsere Kräfte, unser Denken, Handeln und unser Gebet: „Mit Hindenburg für ein neues Deutschland!“8.

8

Wenige Stunden nach Beendigung der Paderborner Veranstaltung begab sich der RK im Kraftwagen nach Dortmund, um im dortigen Stadttheater vor dem Zweckverband der Industrie- und Handelskammern Bochum, Dortmund, Essen und Münster eine weitere Rede zu halten. Lt. WTB entwickelte er dabei „etwa die gleichen Gedankengänge wie heute vormittag in Paderborn“ (WTB Nr. 2208 vom 16. 10. in R 43 I /1144 , Bl. 317). Tonaufzeichnung der Dortmunder Rede (48,45 Minuten): Dt. Rundfunkarchiv Frankfurt/M. C 864.

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